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Eilftes Kapitel.

Vom sanften Wind der Seide leicht bewegt.

Decker.

Der Leser wird sich erinnern, daß, während Favart und Birnie sich in der Gasse unterredeten, die Töne der Festlichkeit aus einem Hause in der benachbarten Straße hervordrangen. Zu diesem Hause müssen wir uns jetzt begeben.

In Paris, glaube ich, sind Bälle oder Abendgesellschaften zu der Jahreszeit sehr selten, wo sie in London am häufigsten sind. Die Gesellschaft, die jetzt gegeben wurde, fand zu Ehren einer Taufe statt, denn die Dame, welche dieselbe gab, war eine Verwandte des neugeborenen Kindes.

Madame de Merville war eine junge Wittwe; schon vor ihrer Verheirathung hatte sie sich in der Literatur ausgezeichnet; sie hatte Gedichte von mehr als gewöhnlicher Vortrefflichkeit geschrieben, und da sie schön, von guter Familie und großem Vermögen war, so verliehen ihr ihre Talente größeres Interesse, als sonst würde der Fall gewesen sein. Ihre Poesie athmete viel Gefühl und Zärtlichkeit. Wenn Poesie der Commentar des Herzens ist, so hätte man treue und wahre Liebe von ihr erwarten sollen. Doch da sie, wie die französischen Mädchen gewöhnlich thun, nicht sich, sondern ihren Eltern zu gefallen heirathete, so schloß sie eine Convenienzheirath. Herr von Merville war ein nüchterner, verständiger Mann, der das mittlere Alter bereits überschritten hatte. Da er die Poesie nicht liebte, so wünschte er um so weniger eine Schriftstellerin zur Frau zu haben, und hatte während ihrer vierjährigen Ehe der Verbindung seiner Frau mit dem Musengotte jede Schwierigkeit in den Weg gelegt. Doch ihr thätiger und glühender Geist ließ sich seine Beschäftigung nicht rauben. Im Alter von vierundzwanzig Jahren wurde sie Wittwe, mit einem Einkommen, welches man selbst in England für ein einzelnes Frauenzimmer bedeutend nennen würde, und welches in Paris kein gewöhnliches Vermögen ist. Obgleich eine Person von elegantem Geschmack, war Madame de Merville doch weder prunksüchtig, noch selbstsüchtig; sie hatte keine Kinder und lebte ruhig in ihren Zimmern, die freilich schön waren, aber nur zu einem kleinen Haushalt hinreichten. Sie widmete wenigstens die Hälfte ihres Einkommens, welches gänzlich zu ihrer Verfügung stand, theilweise ihren eigenen Verwandten, die nicht reich waren, und theilweise der Literatur, die sie cultivirte. Obgleich sie sich vor der Veröffentlichung scheute, so besaßen doch die Gedichte und Entwürfe von Romanen, die sie ihren Freunden vorlas, eine Beredsamkeit, die selten von so viel Bescheidenheit begleitet ist. So hatte sie wenigstens in ihrem eigenen Kreise einen glänzenden Namen, und ihre Stellung in der Gesellschaft und ihr Vermögen machten, daß sie von ihren Verwandten als das Oberhaupt der Familie angesehen wurde; sie betrachteten sie als eine Frau von überlegenem Geiste, und ihr Rath wurde stets als Befehl angenommen. Eugenie de Merville war eine seltsame Mischung von weiblichen und männlichen Eigenschaften. Einerseits hatte sie einen starken Willen, unabhängige Ansichten, einige Verachtung vor der Welt, und folgte ihrer Neigung, ohne sich der Meinung Anderer knechtisch zu fügen; andererseits war sie empfänglich, romantisch und von lieblicher, zärtlicher und freundlicher Stimmung. Ihr Besuch bei Herrn Love, so unbesonnen derselbe auch war, war nicht weniger mit ihrem Charakter in Uebereinstimmung, als ihre Mildthätigkeit gegen die Frau des Handwerkers; sie war männlich und sorglos, wo es galt, etwas Excentrisches zu thun – die Neugierde zu befriedigen oder irgend einen Zweck der weiblichen Diplomatie zu erreichen – sie war weiblich, zart und sanft in dem Augenblicke, wo man ihr Wohlwollen in Anspruch nahm, oder wo ihr Herz gerührt wurde. Sie war jetzt drei Jahre Wittwe gewesen und folglich im siebenundzwanzigsten Jahre. Ungeachtet der Zärtlichkeit ihrer Poesie und ihres Charakters, war ihr Ruf unbefleckt. Sie hatte nie ein Liebesverhältniß gehabt. Leute, die sehr beschäftigt sind, verlieben sich nicht leicht; ferner war Madame de Merville hochgebildet, vielfordernd, und wünschte Heroen zu finden, wo sie nur hübsche Stutzer oder häßliche Schriftsteller fand. Ueberdieß war Eugenie zugleich eine eitle und stolze Person – eitel auf ihre Berühmtheit und stolz auf ihre Geburt. Sie war eine Person, deren Herzensgüte sie stets thätig machte, das Glück Anderer zu befördern. Sie war nicht nur großmüthig und mildthätig, sondern auch bereit, den Leuten durch gute Dienste, so wie durch Geld nützlich zu sein. Jedermann liebte sie. Das neugeborene Kind, dessen Taufe das Fest dieser Nacht galt, war das Pfand einer Verbindung, die Madame de Merville zwischen zwei jungen Personen bewirkt hatte, die Geschwisterkinder und auch mit ihr verwandt waren. Es waren Bedenklichkeiten der Eltern zu beseitigen – Geldangelegenheiten zu ordnen gewesen – Eugenie hatte Alles in Ordnung gebracht. Die jungen Eheleute, die einander noch liebten, betrachteten sie, nächst dem Himmel, als die Urheberin ihres Glückes.

Die Gesellschaft jenes Abends war daher von ungewöhnlich angenehmer Art und die Fröhlichkeit ertönte nicht hohl, sondern kam aus dem Herzen. Doch wenn Eugenie von Zeit zu Zeit das junge Paar betrachtete, dessen Augen stets einander suchten – so schön, so zärtlich, so freudig, wie sie schienen – da verdunkelte ein schwermüthiger Schatten ihre Stirn, und sie seufzte unwillkürlich. Einmal näherte sich ihr schüchtern die junge Frau, die d'Anville hieß, und sagte:

»Ach, meine liebe Cousine, wann werden wir Sie so glücklich sehen, wie wir es sind? Es liegt so viel Glück darin, eine Mutter zu sein,« setzte sie unschuldig und erröthend hinzu. »Jenes kleine Leben, so ganz unser eigen – und man hat jede Stunde etwas zu denken!«

»Vielleicht,« sagte Eugenie lächelnd, indem sie die Unterredung von einem Gegenstande abzulenken suchte, der Gefühle und Gedanken zu nahe berührte, die ihr Stolz nicht verrathen wollte – »vielleicht sind Sie es also, die unsern Vetter, den armen Herrn de Vaudemont, so entschlossen gemacht hat, zu heirathen? Bitte sein Sie vorsichtiger mit ihm. Wie schwer ist es mir geworden, ihn zu verhindern, eine Person in unsere Familie zu bringen, die uns Alle würde lächerlich gemacht haben!«

»Es ist wahr,« sagte Madame d'Anville lachend. »Aber der Chevalier ist so arm und verschuldet. Er würde sich nicht in die Demoiselle, sondern in die Mitgift verlieben. Wie geschickt Sie seine prahlerische Behauptung benutzten, er wolle alle Verbindung mit jenem Bureau abbrechen!«

»Ja, ich wünsche mir Glück zu diesem Manöver. So unangenehm es auch war, an einen solchen Ort zu gehen – denn ich konnte Herrn Love nicht hierher kommen lassen – so wäre es doch noch viel unangenehmer gewesen, eine solche Madame de Vaudemont zu empfangen, wie uns unser Vetter würde vorgestellt haben. Denken Sie nur – er war der Nebenbuhler eines Gewürzhändlers. Ich hörte, die Posse hatte eine seltsame Entwicklung; doch konnte ich nie von Vaudemont die Einzelnheiten erfahren. Vermuthlich schämt er sich dessen.«

»Welch seltsame Professionen es doch in der Praxis gibt!« sagte Madame d'Anville; »als könnten die Leute nicht heirathen ohne in ein Bureau zu gehen, wie man einen Dienstboten sucht! So ist das Bureau also aufgehoben? Und Sie sahen jenen wilden, finster aussehenden Burschen nicht wieder, der Ihnen so sehr gefiel, daß Sie ihn zu dem Original der Murilloskizze jenes Jünglings in der entzückenden Erzählung gewählt haben, die Sie uns vor einigen Abenden vorlasen? Ei, Cousine, ich glaube, Sie waren ein wenig in ihn verliebt; das Heirathsbureau hatte seine Lockungen für Sie, so gut, wie für unsern armen Vetter?« – Die junge Mutter sagte dieß lachend und sorglos.

»Pah!« entgegnete Madame de Merville, ebenfalls lachend; doch verbreitete sich ein leichtes Erröthen über ihre natürliche Blässe. »Was übrigens den Vicomte betrifft – so wissen Sie, wie grausam er sich gegen jenen armen Knaben von seiner englischen Frau benahm – er hat ihn nie gesehen, seit er ein Kind war – hat ihn in England in die Schule geschickt, und Alles darum, weil seine Eitelkeit es nicht zugeben will, daß die Welt weiß, er habe einen Sohn von neunzehn Jahren! Jetzt habe ich ihn endlich bewogen, diesen armen Jungen zurückzurufen.«

»Ei, wie das?«

»Nun,« sagte Eugenie lächelnd, »er bedurfte einer Anleihe, der arme Mann, und ich konnte ihm daher statt der Zinsen Bedingungen auferlegen. Es gelang mir aber auch, ihn mit dem Vorschlage auszusöhnen, indem ich ihm vorstellte, wenn der junge Mann ein gutes Aussehen habe, so könnten wir bei unseren Verbindungen u. s. w. ihm eine vortheilhafte Partie verschaffen, und wenn der Vater ihn jetzt gut und freundlich behandle, so würde er natürlich mit dem Vater die Vortheile einer solchen Verbindung theilen.«

»Ah! Sie verstehen sich vortrefflich auf die Diplomatie, Eugenie, und bestimmen die Leute, nach Ihrem Willen zu handeln, indem Sie beständig Ihrem Herzen folgen. Still, hier kommt der Vicomte!«

»Ein ergötzlicher Ball,« sagte Herr de Vaudemont, sich der Wirthin nähernd. »Bitte, sagen Sie mir doch, hat die junge Dame dort im rothen Kleid Vermögen? Sie ist hübsch – he? – Und bemerken Sie nicht, daß sie nach mir sieht – ich meine nach uns?«

»Mein lieber Vetter, welch' ein Kompliment machen Sie der Ehe. Sie haben schon zwei Frauen gehabt und bemühen sich noch um eine dritte!«

»Was soll man thun? – Wir können nicht den Annäherungen Ihres bezaubernden Geschlechts widerstehen. Hm – wie viel Vermögen hat sie?«

»Keinen Sou; überdieß ist sie verlobt.«

»O, jetzt, da ich sie näher ansehe, finde ich, daß sie gar nicht hübsch ist – ganz und gar nicht. Ich irrte mich; ich meinte sie nicht. Ich meinte die junge Dame in Blau.«

»Schlimmer und schlimmer – die ist schon verheirathet. Soll ich Sie vorstellen?«

»Ei, Herr Vaudemont,« sagte Madame d'Anville, »haben Sie ein neues Heirathsbureau ausfindig gemacht?«

Der Vicomte stellte sich, als höre er die Frage nicht, wendete sich aber zu Eugenien, führte sie auf die Seite und sagte mit einer Miene, worin er viel Kummer auszudrücken suchte: »Sie wissen, meine liebe Cousine, daß ich Ihnen zu gefallen meinen Sohn kommen lassen wollte, obgleich, wie ich Ihnen immer sagte, es sehr unangenehm für einen Mann in der Blüthe des Lebens ist, wie ich bin, einen großen Jungen von neunzehn oder zwanzig Jahren mit herumzuschleppen. Die Leute sagen bald: ›der alte Vaudemont und der junge Vaudemont‹. Indessen wendet man sich nie vergebens an die Gefühle eines Vaters.« – Hier hielt sich der Vicomte das Taschentuch vor die Augen und fuhr nach einer Pause fort: »Ich schickte nach ihm – ich ging sogar zu Ihrer alten Bonne, Madame Dufour, um wegen ihres Logis mit ihr zu handeln, und denken Sie sich meinen Kummer, heute erhalte ich einen Brief mit schwarzem Siegel. Mein Sohn ist todt! Ein plötzliches Fieber – es ist entsetzlich!«

»Schrecklich! Todt! – Ihr eigener Sohn, den Sie kaum gesehen haben, seit er ein kleines Kind war!«

»Ja, das mildert den Schlag gar sehr. Und nun sehen Sie wohl, muß ich heirathen. Wenn der Junge von gutem Aeußeren gewesen wäre, und mir gleich u. s. w., so hätte er, wie Sie sagten, eine gute Partie machen, mir eine gewisse Summe aussetzen, oder wir hätten zusammen wohnen können.«

»Ihr Sohn ist todt, und Sie kommen auf einen Ball?«

»Ich bin Philosoph,« sagte der Vicomte achselzuckend. »Und wie Sie selber bemerkten, sah ich ihn nie. Ich erspare dadurch siebenhundert Franken jährlich. Sagen Sie Niemandem ein Wort – ich möchte es nicht bekannt haben, daß er todt ist, der arme Junge! Bitte, sein Sie vorsichtig; es gibt böse Leute, die es für seltsam halten möchten, daß ich mich nicht einschließe. Ich kann warten, bis Paris ganz leer ist. Es wäre Schade, jetzt jede Gelegenheit zu verlieren, denn nun, sehen Sie wohl ein, muß ich heirathen!«

Und der Philosoph schlenderte weiter.


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