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Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dem Abgrunde entgegen.

Mr. Cunninghams neues Unternehmen trat unter dem Namen »Große vereinigte Silber-Bergbau-Gesellschaft« ins Leben, aber trotz dieses glänzenden Titels, den man an die Stelle der »Maid of Athens«, deren Ruf etwas brüchig geworden war, gesetzt hatte, zeigte sich das Publikum vorsichtiger und weniger kauflustig, als man erwartet. Nachdem für etwa zweihundertfünfzigtausend Dollar Aktien verkauft waren – meistenteils an kleine Leute außerhalb New York – ging der Kurs plötzlich und unerklärlicherweise herunter, fiel erst von zehn auf sieben, dann auf sechs und blieb endlich auf vier stehen. Mr. Hampton, welcher dennoch großes Vertrauen zu der Grube hatte, hielt dieses plötzliche Sinken des Wertes für das Resultat absichtlich verbreiteter Gerüchte und beschloß, sich mit eignen Augen von dem Zustande der Mine zu überzeugen. Die ungünstigen Meldungen aus Silvertown, welche die Tagesblätter von Zeit zu Zeit brachten, waren seiner Meinung nach von Börsianern bezahlt, die den Plan hatten, billig zu kaufen, und so kündigte er denn eines Tages seinem Sohne an, daß er verreise und daß Walther für einige Zeit die ganze Verantwortlichkeit für das Geschäft zu übernehmen habe, sich also nicht durch Liebeständeleien zerstreuen lassen dürfe.

Mr. Hampton reiste noch in derselben Nacht heimlich, wie er meinte, nach Silvertown ab, und Cunningham, welcher dafür gesorgt hatte, daß ihm keine Bewegung seines alten Freundes entging, lachte sich, als er am andern Morgen zum Frühstück sein Hammelkotelett verspeiste, vergnügt in den Bart und entwarf in der behaglichsten Weise mit Bleistift ein Telegramm an Cartwright, den er, auf Hamptons eignen Vorschlag, wieder als Leiter des Bergwerks angestellt, nachdem Holden seines Postens enthoben worden war. Gegen Mittag erhielt Cunningham auf dieses Telegramm eine sehr befriedigende Antwort, und nachdem die beiden Herren noch zwei oder drei Drahtbotschaften gewechselt, war die Sache zwischen ihnen in erwünschter Weise geordnet. Natürlich blieb dies ihr Geheimnis, und als Hampton eine Woche später Cartwrights Hand in der freundschaftlichsten Weise schüttelte, lächelte er nicht weniger schlau, als Cunningham bei seinem Hammelkotelett und dankte dem Himmel, daß er ihn mit einem genügenden Teil »gesunden Menschenverstandes« begabt hatte.

»Ich will Ihnen 'was sagen, Cartwright,« begann Mr. Hampton, der seiner Sache so sicher war, als hätte er sie schon in der Tasche, »was sollen wir lange Umschweife machen. Sie wissen doch, daß Sie mir Ihre Wiederanstellung verdanken, nicht wahr?«

Cartwright sprach mit der gerührtesten Miene seinen Dank aus und versicherte seinem Wohlthäter, daß er ihm diesen Dienst nie vergessen werde.

»Gut, mein Lieber, so wollen wir denn alles überflüssige Zartgefühl beiseite setzen,« fuhr der Wohlthäter vergnügt fort. »Die Sache ist nämlich die, daß ich an der Geschichte hier mehr beteiligt bin, als ich eigentlich wollte – und was ich wünsche, ist eine genaue Auskunft über die Verhältnisse der Grube. Wenn Sie mir jetzt alles, was Sie davon wissen, offen und ehrlich mitteilen und versprechen, mir auch künftig privatim Ihre Berichte immer einige Tage früher zugehen zu lassen, als irgend einem andern, so zahle ich Ihnen in monatlichen Raten bare zehntausend Dollar. Da Sie kein Gelbschnabel mehr sind, brauche ich Ihnen natürlich nicht zu sagen, daß dies Abkommen unter uns beiden bleiben müßte.«

Cartwright versprach alles, was man von ihm verlangte, und sie machten sich zusammen auf, um die Grube zu besichtigen.

Mit Schlapphüten, Leinwandhosen und Jacken von demselben Stoff bekleidet, stiegen sie auf Leitern in dem Hauptschachte hinab und schon dadurch war Hampton, der überhaupt nicht allzu viel Atem zu verschwenden hatte, so vollständig erschöpft, daß er sich auf einen Schutthaufen niedersetzen mußte. Nachdem er ausgeruht, rief Cartwright, welcher sich schon in den ersten zehn Minuten überzeugt hatte, daß sein Gefährte ganz und gar unfähig war, ein Bergwerk nach eigner Anschauung zu beurteilen, zwei Männer mit Fackeln herbei, um ihnen in einem mäßig abwärts führenden Stollen vorzuleuchten. Hier blieb er dann und wann stehen, um, dem Anschein nach, ein Stückchen Erz vom Boden oder von den Wänden des Stollens aufzunehmen. Diese Proben händigte er dann Hampton ein, indem er ihn aufforderte, sie aufzubewahren und auf ihren Gehalt untersuchen zu lassen, und nachdem sie so etwa eine Stunde lang durch ein Labyrinth von finsteren Gängen gewandert waren, standen sie vor einer großen, steil abfallenden Höhlung still.

»Hier liegt noch ein ungeheurer Schatz von Erz, wenigstens noch im Werte von vier Millionen,« sagte Cartwright, mit einer unbestimmten Handbewegung ringsumher zeigend. »Die hier hinabführende Ader, welche wir jetzt in Angriff genommen haben, ist eine außerordentlich reiche. Es wäre gut, wenn Sie selbst hinunterstiegen und sich überzeugten, Mr. Hampton. Falls Sie es wünschen, werde ich Sie begleiten.«

Mr. Hampton blickte mißtrauisch in den schwarzen Abgrund und verzichtete, wie Cartwright vorausgesehen, auf das Vergnügen des Hinabsteigens,

»Könnten Sie nicht einen der Männer da hineinschicken, um mir einige Erzproben zu holen?« fragte er.

»Das dürfte vielleicht das Geratenste sein,« stimmte der andre in unbekümmerter Weise bei. »Das Leben ist zwar der Güter höchstes nicht, aber es wäre doch unnütz, es auf einer schlüpfrigen Leiter aufs Spiel zu setzen.«

»Sie haben ganz recht,« antwortete Hampton zerstreut, während er den in der dunklen Tiefe verschwindenden Fackeln und den scharf beleuchteten Gesichtern der Männer aufmerksam nachsah. Eine lange Säulenreihe von hölzernen Balken und Pfosten, welche die Decke und die Wände des Stollens stützte und sich in der Finsternis verlor, dehnte sich vor seinen Blicken aus. Der dumpfe, pulsschlagartige Ton der Pumpmaschinen klang aus der Tiefe zu ihm herauf und rief ihm Geschichten, die er als Knabe gelesen, ins Gedächtnis – Märchen von Gnomen und Erdgeistern, die in unterirdischen Palästen wohnen, um die Schätze der Unterwelt zu hüten, und diese Märchen erschienen ihm im Moment beinahe wie Wahrheit und Wirklichkeit. Die hellen im Scheine der Fackeln glänzenden Porphyrwände kamen ihm vor wie Schildwachen, welche vor den verborgenen Reichtümern der Tiefe auf Posten standen, und als einer der Männer, die Cartwright hinabgeschickt, wieder auf der Höhe der Leiter erschien, griff Hampton mit nervöser Hast nach den drei oder vier Stückchen Erz, die jener aus der Tasche zog. Seine Seele ahnte nicht, daß sein Freund und Vertrauter dieselben aus seiner Wohnung mitgenommen hatte, als sie sich nach der Grube begaben.

Am Nachmittage ging Mr. Hampton mit seinen Erzproben zu drei verschiedenen Markscheidern, welche ihm am folgenden Tage berichteten, daß dieselben einen Silbergehalt von zwei- bis dreihundert Dollar per Tonne enthielten. Als er diesen Bescheid empfing, schlug er sich vergnügt auf die Beine und schüttelte sich vor innerlichem Lachen bei dem Gedanken an seine eigne Klugheit. Etwa zehn Tage später war er wieder in New York, fest entschlossen, alle Aktien, deren er habhaft werden konnte, zum Kurse von vier Dollar zu kaufen, ja den Preis womöglich noch herunterzudrücken.

Der einzige Mensch, welchem er seine wertvolle Entdeckung anvertraute, war Walther, der, infolgedessen in seinem Eifer zu kaufen, beinahe den Kurs zum Steigen gebracht hätte. Aber die Aufbesserung der Meinung für die Aktien war nur eine vorübergehende und schon nach einigen Tagen gewann wieder eine weichende Tendenz die Oberhand.

Währenddem hatte sich Cunningham – ohne die geringste Eile zu verraten – nach und nach seiner Aktien entledigt, und da Cartwrights Berichte fortgesetzt höchst günstig und ermutigend lauteten, so durften sich Hampton und Walther, ehe noch viele Monate ins Land gegangen, als die glücklichen Eigentümer fast aller Anteilscheine der »Großen vereinigten Silber-Bergbau-Gesellschaft« betrachten. Die letzten Dividenden waren glänzend ausgefallen und so wiegten sich beide in den weitgehendsten Hoffnungen. Als aber die Genossenschaft der Sieben, welche anfänglich zum Ankauf der »Maid of Athens« zusammengetreten, ihre letzte formelle Versammlung abhielt und Cunningham den Mitgliedern mitteilte, durch welche feine Taktik er sie nicht nur vor Verlusten geschützt, sondern einen reinen Gewinn von beinahe einer halben Million in ihre Tasche geleitet hatte, da beschloß die Gesellschaft, ihm zu Ehren und als Zeichen ihrer Hochachtung ein großes Diner bei Delmonico zu geben. Die fetten, runden Kapitalisten wollten sich totlachen, als sie hörten, wie kopfüber Hampton in die ihm so geschickt gestellte Falle gegangen war, und wie er noch jetzt – sich selbst: zufrieden ins Fäustchen lachend – auf seinen Aktien saß und keine Ahnung von der ihm drohenden Gefahr hatte. Als aber dann Cunningham im tiefsten Vertrauen weiter hinzufügte, wie Cartwright im Interesse der Genossenschaft die Grube dergestalt ausgebeutet, daß sie beinahe erschöpft und keine fünfzigtausend Dollar mehr wert sei, da brachen neue laute Beifallsstürme los und das schallende Gelächter legte sich erst dann, als ein ältliches, etwas schlagflüssiges Mitglied einen so beängstigenden Hustenanfall bekam, daß man nach dem Arzte schicken mußte.



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