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Fünftes Kapitel.
Alma unternimmt ein Wagnis.

Wie der Schall großer Glocken noch lange in der Luft nachzittert, so zitterte der Besuch bei Löwenthal mit allen seinen Zwischenfällen und Nebenumständen noch mehrere Tage durch Almas Nerven.

Es war ihr nach vielen vergeblichen Versuchen gelungen, die Stücke von Wellingfords Karte wieder zusammenzusetzen, und mit Vergnügen hatte sie daraus ersehen, daß sein Taufname Harold lautete und daß er von Beruf Bergwerksingenieur war. Sie hatte sogleich den Entschluß gefaßt, ihn – falls sie ihn heiraten sollte – Harry zu nennen, da sie den Namen für einen Ehemann sehr hübsch fand. Außerdem wollte sie ihn bestimmen, vor Harold ein Mr. (Herr) zu setzen und seine Karten bei einem eleganteren Graveur stechen zu lassen. Denn – so seltsam das auch scheinen mag, Wellingford war ihr vom ersten Augenblicke an im Lichte eines möglichen Ehemannes erschienen. Selbst in dem Moment, da sie ihn in der Tiefe ihres Herzens einen abscheulichen, sie aufs Aeußerste bringenden Schulmeister genannt, hatte ihre Phantasie nicht aufgehört, sich mit ihm in diesem Sinne zu beschäftigen.

Hatte sich ihr die Liebe indessen wirklich ins Herz geschlichen, so war dieselbe im Moment doch noch mit so viel Kritik versetzt, daß Alma nicht Gefahr lief, den sentimentalen Thorheiten zu verfallen, die von diesem Gefühl, wie man behauptet, unzertrennlich sind. Vielleicht beruhte es nur auf Einbildung, daß ihr Wellingford unter allen Bewerbern um ihre Hand als der annehmbarste erschien – aber da die Leute nun einmal darauf bestanden, daß jedes junge Mädchen heiraten müsse, da man es als unstatthafte Verletzung allgemein gültiger Gesetze betrachtete, wenn es nicht geschah und dadurch nur Veranlassung zu unangenehmem Gerede gegeben wurde, so war es ja die unerläßliche und selbstverständliche Pflicht einer jungen Dame, sich im Kreise ihrer männlichen Bekannten umzusehen und zu überlegen, welcher ihr als Lebensgefährte am wenigsten unbequem sein würde. Diese Pflicht zwingt dann natürlich jede von ihnen, so oft sie eine neue in Betracht kommende Eroberung in die Liste einzutragen hat, zu einem prüfenden Rückblicke über das Heer ihrer Anbeter, und durch diese Heerschau – welche im Leben jeder zur guten Gesellschaft zählenden jungen Dame zu den wichtigsten, mehr oder minder gewissenhaft betriebenen Beschäftigungen gehört – empfängt ihr Dasein eine Würze sowie einen Mittelpunkt, der alle andern Interessen in den Hintergrund drängt.

Alma hatte allerdings jetzt noch ein andres Interesse, und dies nahm sie fast noch mehr in Anspruch. Sollte sie sich durch Spekulationen in New York-Central-Aktien ein Vermögen machen oder nicht? Sie hatte von ihrem Vater diese Papiere wiederholt als gut und sicher nennen hören und dieselben gerade deshalb gewählt, denn wenn sie auch nicht stiegen, so war auf der andern Seite nicht zu fürchten, daß ein plötzliches, überstürztes Fallen des Kurses die Besitzer in Verlust und Verlegenheit bringen könnte. Man denke sich nun Almas Erstaunen, als sie eines Morgens – etwa acht Tage nach ihrem Besuche bei Löwenthal – von diesem ein Telegramm erhielt, in welchem er ihr mitteilte, ihr Papier sei auf hundertacht heruntergegangen und er müsse sie deshalb um eine weitere Deckung von fünfzehnhundert Dollar ersuchen. Leiste sie die Einzahlung nicht noch an diesem Tage und zwar bis zwei Uhr nachmittags, so sei er genötigt, ihre sämtlichen Aktien zu verkaufen.

Alma überschlug diese Ziffern schnell im Kopfe und plötzlich wurde ihr die Bedeutung des Wortes »Deckung« klar. Sie wußte jetzt mit einem Male, daß sie einen Fehler begangen, indem sie bei ihren geringen Mitteln, den Kursschwankungen zu begegnen, eine so große Anzahl selbst der sichersten Papiere gekauft. In aller Eile kleidete sie sich an und freute sich nur, daß niemand von den Ihrigen daheim war als ihr Bruder Walther, der kürzlich sein Examen gemacht hatte und, um sich von dieser großen geistigen Anstrengung zu erholen, seit seiner Rückkehr nach Hause selten vor Mittag aufstand. Er folgte dabei außerdem der Ansicht, daß ein junger Mann, welcher, wie er, vor der Wahl eines Berufes stand und nicht wünscht, in dieser Wahl fehl zu greifen, so viel und lange als möglich in liegender Stellung zubringen müsse, denn die Gedanken wären, wie er meinte, in horizontaler Lage des Körpers am klarsten, und man entscheide sich so am unbefangensten und unbeirrtesten. Dennoch warf Alma, während sie, auf den Stufen des Hauses stehend, ihren letzten Handschuhknopf zuknöpfte, einen etwas besorgten Blick nach seinen Fenstern – aber die geschlossenen Gardinen gaben ihr die beruhigende Ueberzeugung, daß Walter noch der so wohlverdienten Ruhe pflege.

Mit schnellen Schritten eilte sie die Avenue hinab. Sie fühlte sich nervös, unruhig und unfähig, ihre Gedanken fest auf die Sache zu richten, welche doch im Augenblicke ihre ganze Aufmerksamkeit forderte. Im Gegenteil hätte sie die größte Lust gehabt, sich diese dummen, widerwärtigen Dinge aus dem Sinne zu schlagen, die nur dazu erfunden schienen, ein junges Mädchen – welches doch mit vollem Recht verlangen konnte, von den Widerwärtigkeiten des Lebens verschont zu bleiben – so unglücklich und elend als möglich zu machen. Wenn sie einen Freund oder eine Freundin besessen hätte, der sie ihre Verlegenheit anvertrauen konnte, wieviel leichter hätte sich dann alles ertragen lassen! Aber sie, die von Scharen männlicher und weiblicher Anbeter umschwärmt war, hatte seltsamerweise nie einen Freund oder eine Freundin gehabt. Sie hatte sich bis jetzt immer so viel klüger als die Leute ihres Umgangskreises und so erhaben über dieselben gedünkt, daß eine Freundschaft zwischen ihnen und ihr ausgeschlossen schien. Und doch wäre sogar ein dummer Freund in diesem Augenblicke eine Wohlthat für sie gewesen. Der Gedanke an Wellingford schoß ihr durch den Kopf. Er war der einzige Mann unter der Sonne, welcher ihr wirklichen Respekt einflößte, ja sie gestand sich sogar zu, daß sie hohe Achtung für ihn empfand. Wäre er nur ein bißchen geschmeidiger und nachgiebiger und nicht gar so weise und vernünftig gewesen, er hätte als das Ideal eines Freundes gelten können. Alma erinnerte sich des ihm gegebenen Versprechens und dachte darüber nach, ob dasselbe eigentlich ein bindendes sei. Es hätte wirklich etwas zu Demütigendes gehabt, in Sack und Asche vor ihm zu erscheinen und einzugestehen, daß seine Prophezeiung bereits in Erfüllung gegangen. Nein, da war es noch besser, sich an Löwenthal zu wenden und seine Großmut anzurufen! Aber der Gedanke an die kleinen verschmitzten Augen des Juden und seine Geiernase erfüllte sie mit Schauder. Sie fühlte sich ihm persönlich gegenüber so hoffnungslos preisgegeben und im Nachteil, und war im voraus überzeugt, daß ihre ganze vornehme Ueberlegenheit und Selbstbeherrschung sie bei einem zweiten Zusammentreffen genau ebenso im Stiche lassen würde wie beim ersten.

Einen Augenblick dachte sie daran, sich an ihren Vater zu wenden; aber er war im Zorne gar zu unangenehm und brauchte dann Worte, die, außer ihm selbst, niemand wieder vergessen konnte. Wellingford dagegen war, obwohl etwas schulmeisterlich, Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle und unternahm sicherlich nie den Versuch, seine Gewalt über sie zu mißbrauchen – im Gegenteil, er machte ihr die Sache gewiß so leicht wie möglich und befreite sie, seinem Versprechen gemäß, aus allen Schwierigkeiten. Wie er es thun würde, darüber dachte sie keinen Augenblick nach. Sie hatte ein so unbegrenztes Vertrauen auf seine Klugheit, und vorläufig kam es ihr nur darauf an, die Last von den eignen zarten Schultern abzuschütteln. Aber dennoch – wie konnte sie sich so rückhaltslos in die Gewalt eines Mannes geben, in dessen Augen sie so erhaben und unerreichbar wie die Sterne dazustehen wünschte? War es nicht besser, ihre Juwelen zu opfern als seine Achtung? Außerdem widerstand die Rolle einer Bittenden ihrer ganzen Natur – und gab es denn auch etwas Verächtlicheres als einen Spieler, der seine Verluste beweint! Nein, Trotz und Uebermut standen ihr und ihrer Art ungleich besser zu Gesicht als Demut.

So sprang sie denn in ein Cab und rief dem Kutscher Löwenthals Adresse zu. Auf alle Fälle wollte sie den Versuch machen, ihren Schmuck zu retten, und zu diesem Zwecke dem Juden einige Diamantringe und andre kleine Wertsachen, von denen sie sich freilich nur mit schwerem Herzen trennte, als weitere Sicherheit anbieten. Sie hatte keine Ahnung, ob dieselben als Aequivalent der geforderten Stimme genügen würden, aber es konnte immerhin nichts schaden, wenn sie das Anerbieten machte. Nachgerade verlor sie die Geduld mit sich selbst und der ganzen Welt. Es schien ihr, als hätten alle Menschen sich verschworen, sie zu ärgern, und alles, was sie unternahm, ging schief.

Mitten in diesen Betrachtungen bemerkte sie plötzlich, daß ein Mann auf dem Trottoir rasch neben dem Wagen herging und sich bemühte, mit demselben Schritt zu halten. Ein schneller Blick nach der Richtung hin überzeugte sie, daß es kein andrer war als Wellingford, und die Erinnerung, daß sie eigentlich Ursache hatte, ihm böse zu sein, kam zu spät, um der Freundlichkeit ihres Grußes Eintrag zu thun. Sie rief dem Kutscher zu, anzuhalten, und streckte dem Ingenieur, als er an den Wagen trat, mit bezaubernder Wärme die Hand entgegen. »Sie gehen während der Geschäftsstunden spazieren, Mr. Wellingford!« rief sie heiter »Die Welt scheint demnach kein großes Bedürfnis nach Ingenieuren zu empfinden.«

»Eine beklagenswerte Thatsache, Miß Hampton,« entgegnete er mit melancholischem Lächeln. »Es sind so viele Ingenieure auf dem Markte, daß man ihre Leistungen fast umsonst haben kann. Ich war gerade auf dem Wege zu Simon Löwenthal, um ihm die gemeinschaftliche Gründung eines neuen Unternehmens vorzuschlagen, welches den Zweck hat, den Kurs der Ingenieure in die Höhe zu treiben. Dabei könnten Sie sich möglicherweise so beteiligen, daß sich Ihre Verluste in den New York-Central-Aktien ausglichen.«

»Was wissen Sie denn von meinen Verlusten, wenn ich fragen darf?« sagte Alma in etwas kühlerem Tone. »Ich glaube doch nicht, daß die Nachricht in den Morgenblättern gestanden hat.«

»Nein, aber der Kurs der Aktien stand darin,« gab der unerschütterliche Wellingford zur Antwort. »Ich hatte mir die Freiheit genommen, das Schicksal Ihrer Spekulation aufmerksam zu verfolgen, und – um aufrichtig zu sein – es geschah in der Hoffnung, daß Sie dabei zu Schaden kommen möchten.«

»Das ist ja sehr liebenswürdig,« entgegnete sie etwas scharf. »In der That, ich bin Ihnen für Ihre guten Wünsche sehr dankbar.«

»O, sprechen Sie nicht davon,« fuhr er mit unzerstörbarem Ernste fort. »Ich möchte Ihnen keine Predigt halten, aber Sie haben eine so wertvolle Erfahrung sehr billig gekauft.«

»Ich verstehe Sie nicht-«

»Ich meine, daß Sie, wenn Sie einen Gewinn gemacht hätten, jedenfalls weiter gespielt haben würden. Jetzt halte ich es für ausgemacht, daß Sie es nicht thun.«

»Wenn Sie in Bezug auf mich irgend etwas für ausgemacht halten, so dürfte Ihnen noch manche Ueberraschung bevorstehen, Mr. Wellingford,« gab Alma zur Antwort. »Sie wissen, ich liebe es, wunderliche Dinge zu thun, und meine Sprünge sind so unberechenbar wie die eines Grashüpfers.«

Dabei hatte sie den förmlichen Ton wieder fallen lassen und geriet in die Gefahr einer gewissen Vertraulichkeit. Sie hatte Mr. Wellingford nämlich stark im Verdacht, bereits auf eigne Hand helfend und vermittelnd in ihre Angelegenheit eingegriffen zu haben, und konnte sich deshalb – trotz seiner etwas gönnerhaften Reden – einer gewissen gütigen Regung für ihn nicht erwehren. Es lag in seinem Gesicht und seinem Benehmen etwas so Männliches und Vertrauenerweckendes, daß sie sich mit seiner Ueberhebung ausgesöhnt fühlte, ja im Augenblicke kam es ihr sogar vor, als gefiele er ihr dadurch, daß er seine Ueberlegenheit zur Geltung brachte, nur um so besser. Es war nun gar nichts Demütigendes mehr dabei, ihr Urteil dem seinigen unterzuordnen und die Meinung, die er von ihr hatte, anzuerkennen, obwohl dieselbe eine gewisse Geringschätzung ihres Verstandes in sich schloß.

»Wissen Sie auch, Mr. Wellingford, daß Sie ein sehr unbequemer Mensch sind?« fuhr sie fort, als er auf ihre Selbstschilderung nicht gleich antwortete. »Ich habe immer das Gefühl, als mißbilligten Sie alles, was ich thue. Aber ich will Ihnen, wenn dem auch wirklich so ist, im voraus verzeihen und Ihnen einen Platz in meinem Wagen anbieten, denn es ist zu lächerlich, eine Unterhaltung in dieser Stellung und so über den Rinnstein hinweg zu führen.«

»Seht verbunden. Aber dann lassen Sie uns irgend wohin fahren, denn es ist nicht weniger lächerlich, einander in einem still haltenden Wagen gegenüberzusitzen und zu plaudern.«

»Gut, lassen Sie uns nach der Batterie fahren und ein bißchen auf den Hafen hinausblicken. Ich lechze nach einem Atemzuge frischer Salzluft.«

Wellingford hatte den leeren Sitz an Almas Seite eingenommen und eine Weile saß das Paar stillschweigend da, während der Mietwagen über das holprige Pflaster rasselte.

»Miß Hampton,« begann der junge Mann endlich, »ich möchte Ihnen gern etwas sagen, weiß nur noch nicht recht, wie ich es sagen soll.«

»Sie möchten gern sagen, daß Sie mir das alles prophezeit haben. Na, thun Sie es nur; ich gestand Ihnen ja schon, daß ich milder gestimmt und zur Verzeihung geneigt bin.«

Dabei warf sich das junge Mädchen auf so komische Weise in die Brust, daß Wellingford trotz seines Ernstes ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

»Nein,« gab er dann zur Antwort, indem er ein wenig rot wurde und einen passenden Punkt suchte, auf welchem er den Blick ruhen lassen konnte, »nein, das zu sagen, wäre eben keine Kunst.«

Seine bisherige Ueberlegenheit war plötzlich verschwunden, und Alma in ihrer wechselnden Laune fühlte sich gar nicht abgeneigt, seine Verwirrung nun ebenso hübsch zu finden, wie vorhin seine herablassende Haltung. Sie begann, sich ihrer eignen Macht bewußt zu werden, sie fühlte, daß sie einen Eindruck hervorgebracht hatte, daß eine Art gegenseitiger Abhängigkeit eingetreten war – eine Art von Wechselwirkung – und diese Entdeckung half ihr schnell über die eigne demütigende Lage hinweg.

Wellingford hatte sich inzwischen wieder gefaßt, und obgleich er noch immer vermied, das junge Mädchen anzusehen, verriet der Ton seiner Stimme keinen Mangel an Selbstvertrauen, als er begann: »Was ich Ihnen zu sagen habe, Miß Hampton, ist gewissermaßen mit einer Verletzung der Höflichkeit verbunden, und das macht die Sache eben so schwierig. Ich möchte nicht, daß es den Anschein hätte, als wollte ich Sie mit meiner Teilnahme an Ihren Angelegenheiten verfolgen – ich möchte Ihnen nicht lästig werden, und wenn es Ihnen unangenehm ist, von der Sache zu sprechen, werde ich gewiß nicht wieder darauf zurückkommen.«

Er schwieg und blickte Alma plötzlich mit offenen, ehrlichen Augen an. Sie wurde rot und in reizender Verwirrung gab sie zur Antwort: »Sie sind sehr gütig gegen mich, Mr. Wellingford. Ich erkenne das an und es ist mir nie eingefallen, mich beleidigt zu fühlen, durch – durch –« Sie suchte einen Augenblick nach dem rechten Worte, dann gab sie es auf, dasselbe zu finden, und fuhr mit plötzlich ausbrechendem Gefühl fort: »Sie glauben nicht, wie sehr ich mich darum hasse – aber ich weiß, daß ich alles Schlimme verdient habe, was für mich aus dieser abscheulichen Geschichte hervorgeht. Ich bin in der entsetzlichsten Verlegenheit und weiß nicht, wie ich mir heraushelfen soll. Wenn ich nur wenigstens, anstatt der New York-Central-Aktien, Seeuferbahn genommen hätte! Ich würde dann achttausend Dollar gewonnen haben, anstatt viertausend zu verlieren. Ist's nicht zu ärgerlich? Es scheint, als ob sich alles gegen mich verschworen hätte. Und was nutzt es nun, daß ich mich selber hasse, weil ich Ihre Warnungen nicht beachtet habe, und Sie hasse, weil Sie mich gewarnt haben, und Simon Löwenthal hasse, weil er mich betrogen hat, und die ganze Welt hasse, weil sie mich ärgert und mir nichts als Widerwärtigkeiten passieren!«

Sie hatte sich in einen so nervösen Zustand hineingeredet, daß ihr die Thränen unter den Augenlidern zitterten und es nur des leisesten Anstoßes bedurft haben würde, um sie hervorbrechen zu lassen. Selbst wenn er im scherzenden Tone sprach, lag in dem ganzen Wesen des jungen Mannes eine gewisse gehaltene Würde, die es ihr nicht gleichgültig erscheinen ließ, welche Meinung er von ihr hegte. Es hatte mehr als seine halbe Richtigkeit, daß sie ihm böse war; dennoch fühlte sie sich von einem lächerlichen Verlangen beseelt, ihm eine möglichst gute Meinung von sich beizubringen, und dies Verlangen war es, welches aus ihren leidenschaftlichen Worten hervorzitterte und Mr. Wellingfords Herz gerührt haben würde, wenn dies noch nötig gewesen wäre.

»Wenn Sie Vertrauen genug zu mir besitzen, um mir Vollmacht zu erteilen, so glaube ich, die Sache für Sie abmachen und so ordnen zu können, daß Sie ohne Verlust davonkommen,« sagte er.

»Ich habe volles Vertrauen zu Ihnen, Mr. Wellingford,« gab Alma eifrig zur Antwort. »Ich brauche Ihnen das gar nicht erst zu versichern – und wenn ich mich meiner Abhängigkeit von Ihnen nicht schämte, würde ich Ihr Anerbieten gern annehmen.«

»Sie werden dadurch weder von mir abhängig, noch sind Sie mir zu Dank verpflichtet,« sagte er in trockenem Geschäftstone. »Betrachten Sie mich einfach als Ihren Agenten und, falls Ihnen dies die Sache erleichtern sollte, bin ich sogar bereit, Ihnen Kommissionsgebühren zu berechnen.«

»Ja, thun Sie das. Sie werden mir dadurch einen großen Gefallen erweisen,« entgegnete sie, und fuhr dann, mit charakteristischer Leichtigkeit von dem eigentlichen Kerne der Sache abschweifend, fort: »Daß ich Ihr Inkognito gleich das erste Mal als wir uns begegneten – Sie wissen, damals im Nebel! – durchschaut habe, brauche ich wohl gar nicht zu sagen? Ich wußte an jenem Abende zwar nicht, wer Sie waren, aber ich wußte auf der Stelle, was Sie waren.«

Mr. Wellingford stand eben im Begriff zu antworten, daß er sich nicht erinnere, damals über seinen Beruf mit ihr gesprochen zu haben, als ihm plötzlich das Verständnis für den feineren Sinn der Bemerkung aufging; aber er wußte die Freude, welche diese Entdeckung ihm bereitete, geschickt zu verbergen, indem er sich zu dem Kutscher wendete und ihm befahl, nach dem Büreau eines mit Geldgeschäften vertrauten Advokaten in Wallstreet zu fahren. Binnen einer halben Stunde waren die Papiere ausgefertigt und unterzeichnet, durch welche Alma Mr. Wellingford mit der Verfügung über ihre Aktien betraute, und mit einem unsäglichen Gefühl der Erleichterung fuhr das junge Mädchen nach dem elterlichen Hause zurück.

Unterwegs erwachte ihr Gewissen zwar ein- oder zweimal und begann sie ein wenig zu beunruhigen, aber sie brachte es zum Schweigen, indem sie sich sagte, daß Wellingford ja eigentlich an allem schuld sei, und daß sie sich ohne Bedenken von ihm aus einer verdrießlichen Verlegenheit befreien lassen dürfe, in die er selbst sie gestürzt. Denn, so sagte sie sich, hätte er sie nicht durch seine Einmischung zu Trotz und Widerspruch gereizt, so würde sie wahrscheinlich von Simon weggegangen sein, ohne ihren Schmuck und ihre Gemütsruhe in einer thörichten Spekulation aufs Spiel gesetzt zu haben.



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