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Drittes Kapitel.
Umgestaltungen.

Etwa drei Wochen nach der Ankunft der Familie in New York machte Mrs. Hampton durch Zufall eine überraschende Entdeckung. Sie kam zu der Erkenntnis, daß ihre Tochter schön sei, und das ging auf folgende Weise zu. Mutter und Tochter waren in ihrer Equipage ausgefahren, um einige der großartigsten Modewarenhandlungen und der berühmtesten Schneider aufzusuchen, als sie auf einem Aushängeschild den Namen »Madame Lalouette, Modistin« lasen und sich erinnerten, daß ihnen diese Persönlichkeit durch Mademoiselle Beauclerc aufs wärmste empfohlen war.

Sie ließen den Wagen halten, und kaum waren sie in den Laden eingetreten, als die Inhaberin des Geschäftes, welche hinter dem Zahltische stand, die Haltung leidenschaftlicher Bewunderung annahm und in den Ausruf ausbrach: »Mein Gott, Mademoiselle, wie schön Sie sind! Aber wie abscheulich Ihr Kleid sitzt. Verzeihung, Madame, wer hat Ihrer Tochter das häßliche Kleid gemacht? Das ist – das ist ja geradezu unmoralisch. Die reizende Figur wird dadurch gänzlich ruiniert!«

Das Ergebnis dieses Besuches war, daß Madame Lalouette sich nach einigem Hin- und Herreden verpflichtete, Alma mit einer Garderobe zu versehen, welche nach dem allein richtigen Grundsatze konstruiert war, daß man die Natur da, wo sie die Absicht zeigt, schön zu sein, unterstützen muß, sie aber da, wo sie eine Neigung zum Häßlichen verrät, mit Entschiedenheit zu unterdrücken und zu verbessern hat. Und war Alma von Natur ein »hübsches Mädchen« gewesen, so wurde sie jetzt, als Kunstwerk, eine Erscheinung, welche überall Aufmerksamkeit erregte. Es lag, seitdem sie durch Madame Lalouette diese Umgestaltung erfahren, etwas Apartes und Eigentümliches in ihrem Wesen, das sie vorher nicht gehabt hatte und wofür uns das rechte Wort mangelt. Ein Etwas, das die Männer zu leidenschaftlicher Bewunderung hinriß und sie gleichzeitig in respektvoller Ferne hielt – ein Etwas, das der oberflächliche Beobachter vielleicht Stolz genannt hätte, das aber etwas viel Feineres war, und – da es sich mit einer ungemein ansprechenden, gewinnenden Natürlichkeit gepaart zeigte – das junge Mädchen noch zehnmal anziehender erscheinen ließ. Ihr ganzes Wesen, jede ihrer Bewegungen sagten gleichsam: »Rühr' mich nicht an,« und vielleicht hielt mancher gerade aus diesem Grunde schon eine Berührung ihrer Hand für einen unschätzbaren Vorzug.

Madame Lalouette, welche als Instrument gedient hatte, um alle diese feineren und überraschenden Vorzüge herauszuarbeiten, geriet bei jedem neuen Kostüm, das sie der jungen Schönheit anprobierte, in neue Verzückungen und überzeugte endlich Alma selbst, daß sie, als seltenes Meisterwerk aus der Hand der Natur hervorgegangen, eine Menge körperlicher, noch lange nicht genug gewürdigter und anerkannter Reize besitze. Alma hatte immer danach gestrebt, für etwas Besondres gehalten zu werden, und fühlte sich der Modistin dafür verpflichtet, daß sie ihr zu einer viel höheren, feineren Art von Selbstschätzung verholfen hatte, als die ist, welche man als gewöhnliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft empfinden kann.

Auch Mrs. Hampton begann – allerdings mehr durch das Aufsehen, welches Alma bei den Spazierfahrten im Park u. s. w. machte, als durch eigne Beobachtungen – zu bemerken, daß sie kein Entchen, sondern einen Schwan ausgebrütet hatte, und wurde sich gar bald der Vorteile bewußt, welche der Besitz einer schönen Tochter ihr in der gesellschaftlichen Campagne bringen mußte, die sie soeben eröffnen wollte.

Es ist ganz erstaunlich, was eine Frau imstande ist, zu thun und zu leiden, nur um die Karte einer anerkannten Beherrscherin der Gesellschaft auf ihrem Kartenteller liegen zu haben, oder in den Tagesblättern ihren Namen unter den Gästen eines tonangebenden Hauses zu lesen. Es war rührend, die christliche Demut zu beobachten, in der Mrs. Hampton das Nasenrümpfen hinnahm, womit die Damen der großen Welt sie von Zeit zu Zeit beehrten. Sie schäumte zwar vor Zorn, wenn sie in ihrem Boudoir allein war, und gelobte sich, es ihnen heimzuzahlen, wenn sie erst das Ziel ihrer Wünsche erreicht haben würde – bis dahin aber spielte sie die Dumme und Liebenswürdige und steckte alle Demütigungen lächelnd ein. Ihre Gesellschaften waren in der ersten Zeit etwas gemischt und boten einen etwas buntscheckigen Anblick, aber die junge Welt unterhielt sich gut bei ihr, und die Hoffnung, mit Alma zu tanzen, verlockte manchen jungen, vornehmen Zierbengel, seine aristokratische Zurückhaltung abzulegen und sich um die Gunst ihrer Mutter zu bemühen. Mrs. Hampton, welche wie ein geschickter General die schwachen Punkte der feindlichen Stellung studierte, zog ihre Vorteile aus der Bereitwilligkeit der jungen Avantgarde, sich zu ergeben. Mit feinem Takt machte sie dieselbe zu ihrem Verbündeten und überzeugte sich bald, daß sie auf ihre bewußte oder unbewußte Hilfe rechnen dürfe.

Ihren Hauptsieg aber errang die kluge Frau, als ein fremder Prinz New York besuchte, die Einladung zu einem Frühstück, welches Mrs. Hampton ihm zu Ehren gab, annahm und bei dem Ball, den er selbst an Bord seines Flaggenschiffes veranstaltete, dreimal mit Alma tanzte. Der Prinz hatte außerdem seine Bewunderung für Almas Schönheit und Geist in enthusiastischen Worten ausgesprochen, welche durch alle Kreise flogen, und obwohl dieselben die verschiedensten Beurteilungen und Erklärungen hervorriefen, wäre es von diesem Augenblicke an einfach lächerlich gewesen, Miß Hampton oder ihre Mutter übersehen zu wollen. So nahmen die beiden denn ohne weiteren Widerspruch ihren Platz in der Gesellschaft ein.

Mr. Hampton fühlte sich seltsamerweise in New York weniger glücklich, als er erwartet hatte. Wenn er es auch keinem andern gestand, sagte er sich doch selbst, daß es besser für ihn gewesen wäre, wenn er Saundersville nie verlassen hätte. In dem Klub, in welchen er sich aufnehmen ließ, mußte er zu seinem Erstaunen erfahren, daß sein glänzender kaufmännischer Name hier gänzlich unbekannt sei; diese Entdeckung machte ihn nervös und ärgerlich, und die höfliche Gleichgültigkeit, mit welcher man alle seine auf Geschäfte bezüglichen Aeußerungen anhörte, brachte ihn geradezu zur Verzweiflung. In Saundersville hatten seine klugen, praktischen Aussprüche und Grundsätze stets Aufmerksamkeit erregt; man hatte ihn als ein Wunder von Geschäftskenntnis betrachtet, die stetigen Besucher des Gewürzladens an der Straßenecke – in Saundersville eine Art Ersatz für den fehlenden Klub – hatten eine hohe Meinung von ihm gehegt, und er hatte die angenehme Empfindung gehabt, daß die Achtung, welche sie seiner Klugheit und Umsicht zollten, ein wohlverdienter Tribut sei; aber es war ihm doch nie zum klaren Bewußtsein gekommen, wie nötig es zu seinem Glücke gewesen, sich als Mittelpunkt des öffentlichen Lebens zu fühlen.

In seinem Hause in New York war jeder Stuhl ein solches Kunstwerk, daß er sich fürchtete, Platz darauf zu nehmen; die Teppiche und Kaminvorlagen zeigten so zarte Farben, daß es ihm leid that, die Füße darauf zu setzen, und in der Einsamkeit seines Schlafzimmers gestand er sich nicht selten mit einem unterdrückten Fluche ein, daß er sich in seinem eignen Hause nur wie ein Gast, noch dazu wie ein nicht allzu gerngesehener vorkomme. Befand er sich zufällig im Zimmer, wenn seine Frau und seine Tochter die Besuche vornehmer Damen empfingen, so fühlte er sich vollends überflüssig, stand voll Unbehagen umher und that Aussprüche, daß ihm bei dem Gedanken daran noch wochenlang die Ohren brannten.

Alma hatte in der Einsamkeit, die sie inmitten einer großen Geselligkeit umgab, oft den Wunsch gehegt, in ein vertrauliches und liebevolles Verhältnis zu ihrem Vater zu treten. Sie hatte sich ihm mehrmals mit schüchterner Zärtlichkeit genähert, war aber immer durch eine ganz unbeabsichtigte Rauheit zurückgeschreckt worden, welche ihren feineren Sinn verletzte – und Mr. Hampton, der wohl gewohnt war, andre, aber nicht sich selbst kritisch zu beurteilen, hielt sie für herzlos und launenhaft. Er gestand dem ersten Bekannten, den er zufällig in der großen Allee des Parkes traf, seine Unfähigkeit, das Wesen der Frauen zu verstehen, und natürlich war dies die Schuld des mangelhaft konstruierten weiblichen Geistes, nicht die des seinigen, in welchem ihm alles so offen und klar erschien, wie das Tageslicht.

Dessenungeachtet fehlte es Mr. Hampton nicht ganz und gar an Verständnis für die seltenen Eigenschaften seiner Tochter. Allerdings hatte weder er noch seine Frau entdeckt, daß etwas Besondres an ihr sei, bis New York es sich in den Kopf gesetzt, für sie zu schwärmen; seitdem aber hatte die Schätzung von seiten des Vaters mit der Bewunderung der Welt gleichen Schritt gehalten. Da Alma seine Tochter war, so mußte sie doch ihre Vorzüge zum größten Teile ihm verdanken, und obgleich er nicht den Anspruch erhob, in solchen Dingen als Kenner zu gelten, nahm er ihre Schönheit als bewiesene Thatsache hin, und that sich etwas darauf zu gute, wenn er sich in Gesellschaft jener unter ihm stehenden Menschen befand, zwischen denen er sich allein noch wohl und heimisch fühlte.

Solche bequeme Freunde fand Mr. Hampton hauptsächlich unter den kleinen Maklern in Wallstreet, die sich, nachdem sie seinen Geldbeutel und seine Eitelkeit gegeneinander abgeschätzt, an ihn drängten und ihn mit der sonst nur den großen Börsenfürsten gezollten Ehrfurcht behandelten. Man fand Mr. Hampton allmorgentlich in den kleinen Restaurants, wo die Sonne nur mühsam durch schmutzige Fensterscheiben bricht, umgeben von jüdisch aussehenden, mehr oder minder herabgekommenen Persönlichkeiten, mit denen er die Tagesgeldfragen besprach. Vor allem erblickte man in seiner Gesellschaft oft einen fetten Hebräer mit runden Schultern, der Simon Löwenthal hieß und besonders die humoristische Seite der Behauptungen und Vermutungen Mr. Hamptons zu schätzen und zu würdigen schien, indem er sich dabei zusammenkrümmte, sich auf die Beine schlug und in ein schnaufendes, asthmatisches Gelächter ausbrach. Die übrigen, welche Simon offenbar für einen gescheiten, ja genialen Mann hielten, folgten dann immer sofort Löwenthals Beispiele. Die ganze Gesellschaft schien sich vor Lachen und Vergnügen ausschütten zu wollen, während Mr. Hampton sich befriedigt umsah und seine eigne Wichtigkeit mit Behagen genoß.

War diese Stimmung eingetreten, so zerstreute sich gewöhnlich der Kreis. Löwenthal blieb allein bei Mr. Hampton zurück und das Ende war in der Regel, daß Mr. Hampton einen Versuch, einen Flyer, wie man es in der amerikanischen Geschäftssprache nennt, in irgend einem der wildesten Spekulationspapiere unternahm.

»Simon ist Ihr Mann, Mr. Hampton,« pflegte der Jude zu sagen, wenn er die Anweisung, die jener ihm auf seinen Bankier ausgestellt, zusammenfaltete und in seine fettige Brieftasche steckte. »Simon hat noch nie einen Freund angeführt und verkauft – lieber würde er sein eignes Fell verkaufen, Mr.Hampton.« – Und Mr. Hampton setzte wenn er den Makler mit den ihm eignen Ellbogenbewegungen, den großen Hut tief auf dem Hinterkopfe, eilfertigen Schrittes durch die Menge gleiten sah, welche Wallstreet zu bevölkern pflegt – wohl für sich hinzu: »Er ist eine ehrliche, alte Seele, wenngleich ein Jude.«

Vielleicht war es seiner eignen Vorsicht, vielleicht aber auch den Ratschlägen Simons zu danken, daß diese ersten Versuche stets einen ansehnlichen Gewinn abwarfen. Einige kleine Verluste spornten Mr. Hampton nur an, sich in seinen eignen Augen, wie er es nannte, wieder zu Ehren zu bringen, und so kam es, daß er oft gleichzeitig an vier, fünf, sechs Unternehmungen beteiligt war, von denen ihn die eine immer für die andre, etwa mißglückende, schadlos halten sollte. Es gab seiner Existenz einen neuen Reiz, das Steigen und Fallen der verschiedenen Industriepapiere zu überwachen, an deren Stand er ein persönliches Interesse hatte, und da sein Risiko bis dahin ein unbedeutendes war und den Grundstock seines Vermögens in keiner Weise gefährdete, so bereiteten ihm diese unschädlichen Spekulationen großes Vergnügen, ohne daß sie seine Gemütsruhe im mindesten störten.

Aber in dieser Umgebung der Börse, in der Luft von Wallstreet lag etwas Aufregendes, das sich ihm doch endlich mitteilte. Es verwundete seine Eitelkeit, nur als einer betrachtet zu werden, der draußen stand und nicht die Macht hatte, in der einen oder andern Weise auf das Schwanken der Kurse Einfluß auszuüben, während er doch wußte, daß er, wenn er sein Vermögen auf den Geldmarkt warf, sehr bald eine achtunggebietende Stellung einnehmen konnte. War es nun diese Versuchung, sich und seine Macht zur Geltung zu bringen, oder war es die bloße Langeweile seines unthätigen Lebens, die ihn bestimmte, genug er beschloß eines Tages, ein Geschäftslokal in Wallstreet zu eröffnen, und, um seine eignen Worte zu gebrauchen, »selbst mitzuspielen, anstatt nur auf die Karten andrer zu wetten.«

Mr. Hampton machte infolge dieses Entschlusses einen ansehnlichen Betrag seiner best angelegten Gelder flüssig, stürzte sich mit dem Eifer und der Leidenschaft eines Spielers in die gewagtesten Spekulationen, traf Vorbereitungen, selbst solche Spekulationen ins Leben zu rufen, und genoß im voraus mit Wonne den Eindruck, welchen es hervorbringen mußte, wenn er plötzlich als eine Macht in das Getriebe des Geldmarktes eintrat.



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