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Zehntes Kapitel.
Die erwünschte Entscheidung.

Wellingford kehrte in der ersten Januarwoche nach New York zurück. Er war zehn Tage im elterlichen Hause gewesen und hatte sich – so gern er sich die Thatsache abgeleugnet – sehr unglücklich gefühlt. Nach drei in melancholischem Nachdenken verbrachten Tagen war er zu dem Entschlusse gekommen, sich die Sache seinem Vater gegenüber vom Herzen herunter zu sprechen, und zum erstenmal im Leben hatte ihn der alte Herr im Stiche gelassen. Harold war überzeugt gewesen, sein Vater werde den Fall, auch wenn er sich nicht dafür zu begeistern vermöchte, doch wenigstens ernsthaft nehmen, und so war es ihm eine große Enttäuschung, als der Professor, nachdem er nach Anhörung der Beichte seines Sohnes eine Weile geschwiegen, sagte: »Mein lieber Junge, ich will ganz offen und ehrlich gegen dich sein. Das, was du mir da eben erzählt hast, erschreckt mich. Deine Auserwählte gehört zu den Töchtern der Philister. Freilich,« setzte er hinzu, als er sah, welchen Eindruck das Wort auf Harry machte, »freilich bin ich kein besondrer Weiberkenner. Sie sind die einzigen Organismen, welche die Wissenschaft stets irreführen. Selbst die einfachste von ihnen ist ein psychologisches Rätsel, und es gehört große Erfahrung dazu, die richtige Wahl zu treffen. Du weißt, daß deine Mutter, wenn sie ärgerlich gewesen ist, immer ein Bad nimmt, als wolle sie gleichsam jede Spur ihres Zornes durch eine gründliche Abwaschung austilgen, und daß sie der Wanne stets frisch, wie ein neugeborenes Kind, heiter und nach Veilchenpulver duftend, entsteigt. Wenn du dies Mittel versuchen wolltest, so glaube ich, würdest du von der unangenehmen Krankheit, an der du leidest, geheilt sein.«

Es war Harold sehr schwer geworden, diesen halb ernsten, halb komischen Rat geduldig hinzunehmen, und in dem Gefühl einer harten Enttäuschung ließ er den Gegenstand des Gespräches mit dem Vorsatze fallen, nicht wieder darauf zurückzukommen. Aber die Liebe zu seinem Vater und das Vertrauen in die Herzensgüte desselben hielten ihm dennoch jeden Anflug von Groll fern, und am Tage vor seiner Abreise legte er seine Hand in der freundlich brüderlichen Weise, welche so charakteristisch für ihr Verhältnis war, auf die Schulter des alten Herrn, sah ihm bittend in die Augen und sagte: »Mache dich diesmal nicht über mich lustig, Vater. Die Sache ist ernsthaft. Du hast mir noch nie etwas verweigert, was ich mir von dir erbeten habe, und jetzt wollte ich dich ersuchen, morgen mit mir nach New York zu gehen und für mich um Miß Hamptons Hand anzuhalten.«

»Der Himmel bewahre mich davor, dein Vertrauen je zu täuschen, mein Junge,« entgegnete der Professor herzlich. »Wenn ich gewußt hatte, daß dein Herz ernsthaft bei der Sache beteiligt ist, würde ich nie darüber gescherzt haben. Verzeih mir meine Kurzsichtigkeit, lieber Harry. Ich gehe morgen mit dir nach New York, und wir wollen um die junge Dame anhalten und sehen, aus welchen Stoffen sie gemacht ist.«

»Natürlich aus ›Zucker, Rosinen und Mandelkern; alle Kinder essen's gern!‹« rief eine lachende Stimme aus dem anstoßenden Zimmer. Es war Harolds Schwester, welche unfreiwillig den Horcher gespielt hätte.

 

Am Tage nach jenem denkwürdigen Momente, an welchem Alma auf Heldenmut verzichtet hatte, händigte ihr ein Diener in grauer, mit Blau aufgeschlagener Livree zwei Karten ein. Sie saß in dem bequemsten Armstuhle ihres Boudoirs und war damit beschäftigt, zum drittenmal den »Jahrmarkt des Lebens« Unter diesem Titel kursierte seit 1850 eine deutsche Übersetzung des Romans » Vanity Fair« (1847/48) von William Makepeace Thackeray; der heutige Titel lautet in der Regel: »Jahrmarkt der Eitelkeit«. Es wäre hinzuzufügen, dass die Heldin Becky Sharpe mit Alma gewisse Ähnlichkeiten aufweist. – Anm.d.Hrsg. zu lesen. Mit einiger Ueberraschung nahm sie die zweite Karte in die Hand und das Blut stieg ihr in die Wange, als sie nach kurzem Zögern dem Diener den Bescheid gab: »Sagen Sie den Herren, ich würde sogleich unten sein.«

Bei der Toilette, welche Alma machte, halten wir uns nicht auf, aber als sie endlich in das Empfangszimmer rauschte und auf den Professor zuschritt, um ihn zu begrüßen, verfehlte ihre anmutige Erscheinung nicht, den tiefsten Eindruck auf das Herz des alten Herrn zu machen. Sie war ganz große Dame und dennoch lag in ihrem Lachen eine so mädchenhafte Frische, in ihren Augen eine solche Offenheit, und die Bewunderung, welche sie hervorrief, schien ihr so gar nicht bewußt, daß als vollkommenste Natürlichkeit erschien, was der höchste Triumph der Kunst war. Der Professor ließ sich vollständig täuschen, und nachdem fünf Minuten vergangen; hatte er seine beobachtende und kritisierende Stellung aufgegeben und überließ sich ohne Rückhalt dem Entzücken, womit ihn soviel Grazie, Schönheit und Liebenswürdigkeit erfüllte. Selbst Harold, der bei aller Liebe doch nicht die Fähigkeit des Urteils verloren hatte, mußte zugestehen, daß Alma sich selbst übertraf, und obgleich er den leisen Verdacht hegte, daß sie sich zu dem Sturme auf seines Vaters Herz einiger unschuldigen schauspielerischen Mittel bediene, nahm er nicht Anstand, dieselben mit dem guten Zwecke zu rechtfertigen. Außerdem hatte sie zuviel Takt und Geschmack, um die Sache zu übertreiben und sich als unnahbare Sinnpflanze oder als harmloses, unbefangenes Kind aufzuspielen. Sie gab sich nur, wie sie nach der Auffassung, welche sie sich von ihrem eignen Wesen gebildet, hätte sein können, und erschien für den Augenblick so, wie sie gern gewesen wäre – wie sie in der Meinung ihrer Freunde hätte dastehen mögen.

»Harry, mein Junge,« sagte der Professor, als Vater und Sohn nach etwa einer Stunde die Vortreppe des Hauses wieder hinabstiegen und in der Avenue hinschlenderten, »Harry, wenn dies junge Mädchen kein Engel ist, so erkläre ich die Natur für eine Stümperin. Diese Stirn – corpo di Baccho! – ist gemacht, um reine Gedanken zu bergen, dieser Mund, um reine Empfindungen auszusprechen, und diese Augen können nur der Spiegel eines reinen Sinnes sein. Glaubst du, daß sie dich nimmt, so versichere dich ihrer, ehe es zu spät ist. Einen solchen Schatz findest du nicht wieder.«

Diesem Rate folgend verlor Harold keine Zeit. Er wiederholte seinen Besuch am Abend, schickte seine Karte unter Herzklopfen hinauf und konnte sich des unangenehmen Gefühls nicht erwehren, daß der in Grau und Blau gekleidete Diener recht gut wisse, in welcher Absicht er komme. Nur als Alma ihn mit dem gewöhnlichen vertraulichen Lächeln grüßte, welches andeutete, daß sie beide zu alte, gute Freunde seien, um sich mit einem Austausch leerer Höflichkeiten aufzuhalten, und ihm die Hand entgegenstreckte, faßte er sich wieder ein Herz und folgte ihr durch die lange Reihe der Staatszimmer, in welchen sich die verschiedenen Glieder der Familie mit ihren Besuchern unterhielten. Im Salon saß Mr. Hampton mit zwei Maklern, mit denen er die letzten Ereignisse des Geldmarktes besprach, im Musikzimmer befand sich Mrs. Hampton mit einer Freundin und Walther verweilte mit zwei lustigen Kameraden bei Kaffee und Cognak noch im Speisezimmer, wo er eine Cigarre nach der andern rauchte und Geschichten von zweifelhafter Schicklichkeit erzählte. Während Harold an diesen verschiedenen Gruppen vorüberschritt, konnte er sich der Bemerkung nicht verschließen, aus wie verschiedenen Elementen diese Familie doch zusammengesetzt war und daß die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Gliedern eigentlich mehr als rein zufällige, denn als natürliche erschienen. Inzwischen steuerte Alma unbeirrt dem Bibliothekzimmer zu, welches noch leer war und nahm, dort angekommen, mit großem Behagen in ihrer gewöhnlichen Ecke Platz.

»Nun, Mr. Wellingford, habe ich Ihnen ein Geständnis zu machen,« begann sie lebhaft. »Ich muß Ihnen gestehen, daß ich Sie während Ihrer Abwesenheit sehr vermißt habe. Bitte, verschonen Sie mich mit der Versicherung, daß es Ihnen ebenso gegangen ist. Wäre das wirklich der Fall gewesen, so würden Sie früher zurückgekehrt sein. Ein Mann hat ja so viel mehr Freiheit der Bewegung als eine Frau. Aber nun erzählen Sie mir 'was Hübsches. Ich brenne darauf, 'was Hübsches zu hören, und wenn es Ihnen nicht gelingen sollte, mich angenehm zu unterhalten, könnte ich Sie Ihres Postens entheben und sofort einen andern an die Stelle setzen.«

»Nennen Sie lieber gleich meinen Nachfolger,« entgegnete Harold mit jener ernsten Miene, aus welcher bei ihm immer der Schalk hervorguckte. »Sie wissen, ich bin kein glänzender Gesellschafter, außer mit mir allein. Die besten Gedanken und Einfälle kommen mir stets in der Einsamkeit, und die guten Antworten fallen mir erst hinterher ein. Aber seit ich das Glück hatte, Ihre Bekanntschaft zu machen, empfinde ich so selten das Bedürfnis der Einsamkeit, daß es mir durchaus an Gelegenheit fehlt, amüsanten Gesprächsstoff aufzustapeln.«

»Wollen Sie damit sagen, mein Herr, daß Sie sich von mir verfolgt fühlen?« rief Alma mit geheucheltem Unwillen, indem sie drohend den Finger erhob.

»Nein, ich wollte sagen, daß ich Ihnen auf Tritt und Schritt folge.«

»Aber warum thun Sie das, wenn Sie finden, daß Sie Ihren kostbaren Geist und Ihren Witz verschwenden, ohne etwas dafür wiederzubekommen?«

»Es wird von Ihrer Entscheidung abhängen, ob ich etwas empfangen soll, das kostbarer ist als alles, was ich zu verlieren habe.«

»Wahrhaftig, Sie setzen mich in Verwunderung!« rief Alma, indem sie einen unbekümmerten Ton anzunehmen suchte, durch welchen indessen ihre Erregung deutlich hindurchschimmerte. »Wer hätte vermuten sollen, daß ein junger Mann mit so unschuldigem, blondem Gesicht geheime Pläne und Absichten mit sich herumtragen könnte? Was vermöchte ich Ihnen zu geben, das von so besonderm Wert für Sie wäre?«

Sie hatte diesen Moment kommen sehen, seit sie damals im Nebel zum erstenmal seine Stimme gehört – hatte während der letzten beiden Monate täglich daran gedacht und fand nun, daß sie sich unter dem Einflusse einer Erregung, die sie gar nicht in Berechnung gezogen, recht thöricht benahm.

Harold stand auf und knöpfte seinen Rock zu. Sein Gesicht drückte eine bis zur Melancholie gesteigerte Enttäuschung aus. Alma sah ihn erschrocken an, sprang dann ebenfalls auf und ergriff seine Hand. »Wollen Sie gehen, Mr. Wellingford?« fragte sie in einem Tone, welcher ihre Angst verriet.

»Ja, ich glaube, ich thue am besten zu gehen,« entgegnete er störrisch »Sie haben mir früher einmal gesagt, daß Sie alles hassen, was wie eine Scene aussieht, und Sie wissen, daß ich eben drauf und dran war, Ihnen eine zu machen.«

»Sie thun mir sehr unrecht,« sagte Alma mit einem einfachen Ernste, der ihm direkt zu Herzen ging. Dabei sah sie, während sie seine beiden Hände festhielt und ihn mit ihren klaren, großen Augen offen anblickte, so anbetungswürdig kindlich aus, daß er der Versuchung nicht wiederstehen konnte, sich zu ihr niederzubeugen und sie zu küssen.

»Alma,« flüsterte er, »darf ich wagen zu hoffen, daß – daß mir ein Gut zu teil werden könnte, für das ich mit tausend Freuden mein Leben hingeben würde?«

»Du darfst es,« murmelte sie mit strahlendem, zärtlichem Lächeln.

Es lag dabei etwas Weiches und Verschleiertes in ihrem Blicke, das er vorher nie darin bemerkt hatte, und er sagte sich, daß die ganze Fülle der göttlichen Schöpferkraft doch erst durch die Liebe zum Ausdruck komme. Die Umwandlung der abwechselnd hochmütigen, blasierten oder sich kalt jedem Eindruck verschließenden Weltdame in das süße, von Zärtlichkeit durchbebte junge Mädchen, das er in seinen Armen hielt, kam ihm beinahe unglaublich vor, und er mußte Alma wieder und wieder ansehen, um sich zu überzeugen, daß sie es auch wirklich sei. Aber gerade in diesem Augenblicke ließ sich das näherkommende Rauschen eines Kleides im Nebenzimmer vernehmen, und Alma hatte eben Zeit gehabt, sich der Umarmung des Geliebten zu entziehen, als die stattliche Gestalt ihrer Mutter in der Thür erschien.

Alma, die, so plötzlich überrascht, dunkelrot geworden war, maß Mrs. Hampton mit einem Blicke, im welchem sich Schuld und Trotz mischten. Mrs. Hampton, die sich offenbar in kriegerischer Laune befand, schritt lebhaft bis in die Mitte des Zimmers vor, wo sie stehen blieb und Mr. Wellingford mit schlecht verhehltem Unmut ansah. Wahrscheinlich hatte sie von dem Morgenbesuche des Professors gehört; ein Verdacht der Möglichkeit, daß Alma Wellingford ein andres Schicksal bereiten könnte, als ihren bisherigen Anbetern, war in ihr aufgedämmert und sie hielt es nun an der Zeit, seinen anmaßenden Wünschen einen Dämpfer aufzusetzen.

Mrs. Hampton sah in ihrem purpurroten Seidenkleide, mit ihrem glänzend schwarzen, kunstvoll aufgepufften Haar und energischen Profil gar nicht ungefährlich aus. Ihre Haltung hatte etwas Herausforderndes, ihre klugen, durchdringenden, schwarzen Augen, ihre lebhafte, aus Rot und Weiß gemischte Hautfarbe, die bläulichen Adern an den Schläfen, und selbst die blitzenden Diamanten, welche sie trug, vereinigten sich, um sie zu einer sehr beachtenswerten, wenn nicht geradezu Furcht einflößenden Erscheinung zu machen.

»Sie werden entschuldigen, Mr. – Mr. Wellingthrop,« sagte sie, durch die gelungene Entstellung seines Namens offenbar befriedigt, mit einer leichten Neigung des Kopfes: »es ist ein Herr hier, der meiner Tochter seinen Besuch zu machen wünscht, und da Sie den Vorzug genießen, den ganzen Tag mit Alma zusammen zu sein, sind Sie gewiß großmütig genug, sie für eine Stunde oder so, andern Freunden zu überlassen, für die sie jetzt kaum noch zu sprechen ist.«

Mrs. Hampton fühlte sich einigermaßen stolz auf die Feinheit dieses plumpen Angriffs und hoffte, der junge Mann würde den Wink verstehen. Sie wußte wohl, daß ihr, sobald Wellingford gegangen war, ein Gefecht mit der Tochter bevorstand, aber sie war weit entfernt von der Annahme, daß Alma ihre Vorliebe für ihn in seiner Gegenwart offen eingestehen könnte, und ihr Erstaunen kannte deshalb keine Grenzen, als die Tochter – nachdem sie Harold durch einen Wink bedeutet, ihr das Feld zu überlassen – auf sie zutrat und sagte: »Es thut mir leid, Mama, daß ich mich in diesem Punkte deiner Ansicht nicht anzuschließen vermag. Wir, Mr. Wellingford und ich, sind verlobt und werden uns heiraten. Es gibt demnach, wie du begreifen wirst, niemand, der ein bessres Recht auf meine Zeit hätte, als er, und ich würde sie in keiner andern Gesellschaft verbringen, als in der seinigen.«

Mrs. Hampton rang nach Atem und wurde so blaß, als ihr blühender Teint es erlaubte. Unwillkürlich erhob sie ihre reich beringte Hand zu der Stirn und ihre schweren Armbänder schlugen mit leisem Klange zusammen.

»Alma, komm in mein Zimmer,« sagte sie streng. »Ich möchte dort weiter mit dir sprechen.«

»Dazu bin ich gern bereit, Mama,« entgegnete Alma sanft. »Gute Nacht, Harry.«

Sie drückte seine Hand, wandte sich dann zum Gehen, blickte ihn aber noch einmal voll Zärtlichkeit über die Schulter an.

In seinen Augen spiegelte sich eine so hoffnungslose Traurigkeit, daß sie sich, dem Antriebe ihres Herzens folgend, noch einmal in seine Arme warf und ihm den Mund zum Kusse reichte – eine Einladung, welche er nicht unbeachtet ließ.

»Das nimm zum Pfande,« flüsterte sie ihm zu. »Ich bin stärker als du glaubst.«

Mrs. Hampton trat mit einem zornigen Ausrufe einen Schritt vorwärts, änderte dann aber plötzlich ihre Meinung und rauschte mit dem Ausdrücke beleidigter Majestät zur Thür hinaus.



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