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Dreizehntes Kapitel.
Liebe und Pflicht.

Die lange Landreise, welche in einem Salonwagen zurückgelegt wurde, ging ohne jeden Zwischenfall von statten, welcher wichtig genug gewesen wäre, um einen Auflauf zu verursachen oder Veranlassung zu einer telegraphischen Depesche an befreundete Blätter zu geben. Es ist zwar eine wundervolle Sache, lieber Leser, neben einer schönen und liebenswürdigen jungen Frau zu sitzen, welche von Zeit zu Zeit emporblickt, an dem Schnitt deines Haares und Bartes allerlei zu tadeln findet und mit den eignen schönen Händen kleine Versuche anstellt, deine Frisur in Ordnung zu bringen, während du ein Schafsgesicht machst und hin und wieder versuchst, dich ihr und ihrer Thorheit zu entziehen. Diese Situation, wir geben es zu, wird dir ebensowenig unwichtig erscheinen, wie sie unangenehm ist, aber die Mitteilung dürfte sich unter den »telegraphischen Nachrichten« immerhin verwunderlich genug ausnehmen und die Nation wäre jedenfalls zu entschuldigen, wenn sie darüber nicht in besondre Aufregung geriete. Auch ist es keineswegs unwichtig oder unangenehm, sich zum erstenmal einer Art von Eigentumsrecht gegenüber einem herrlichen Geschöpf bewußt zu werden, das dir noch vor Monatsfrist als etwas ganz Ueberirdisches, Unerreichbares erschien, und zwei junge Leute, welche ein unvernünftiges Vergnügen an ihrer beiderseitigen Gesellschaft finden, sind wahrhaftig nicht zu bedauern, selbst wenn die Mitreisenden sie mit mitleidigem Lächeln betrachten sollten, was allerdings in der Regel der Fall ist. Alma und Harold vergaßen die Mitreisenden indessen nicht ganz und verrieten das junge, auf der Hochzeitsreise begriffene Ehepaar nur durch eine zuvorkommende gegenseitige Beflissenheit, durch die Aufmerksamkeit, mit der jedes den Bemerkungen des andern lauschte, durch die verstohlenen zärtlichen Blicke, die sie einander zuwarfen, und die häufigen heimlichen Händedrücke, die sie wechselten

Das Wetter war, wie es im April zu sein pflegt, rauh und feucht, der Himmel sah schiefergrau aus, und den heftigsten Regengüssen folgte verschleierter Sonnenschein. Der Saft stieg in die Bäume, die Knospen entwickelten sich, und hier und da, wo die Sonne besonders wirkte, zeigte die Gegend bereits einen Anflug von Grün. Dessenungeachtet machte die aus ungeheuern Prairien und zerrissenem Hügelland bestehende Landschaft des fernen Westens einen traurigen, öden Eindruck, und als die Reisenden die Eisenbahn verlassen hatten, um sich und ihr Leben der Vorsehung und der Geschicklichkeit eines Rosselenkers anheimzugeben, beeinträchtigten die Fährlichkeiten des halsbrecherischen Weges den Genuß der großartigen und malerischen Gebirgswelt.

Silvertown besteht aus sechs- oder achthundert Zelten, Bretterhütten und Blockhäusern, welche, zehntausend Fuß über dem Meeresspiegel, an einem steil abfallenden Berghange ohne Plan und Ordnung aufgebaut sind. Tannenwälder klimmen an den zerklüfteten Rücken der Berge in die Höhe, in deren Schründen und Spalten der schmutzige Schnee sich bis gegen die Mitte des Sommers hin hält, und aus den mächtigen Schornsteinen der Maschinenhäuser und Hochöfen entwickeln sich schwarze Rauchmassen, welche an klaren Tagen bis zu den Wolken der Sierras emporsteigen. Tag und Nacht erzittert die Luft von dem Lärm menschlicher Geschäftigkeit, dem taktmäßigen Geräusch der Dampfsägemühlen, dem Dröhnen der Pochwerke, den prasselnd aus vulkanischen Werkstätten entweichenden Funken, den hundert durcheinander schwirrenden, keuchenden und zischenden Tönen der Maschinen, dem Klappern und Rasseln eiserner Werkzeuge, und den damit vermischten Rufen der schläfrigen Maultiertreiber.

Für Harold war das Bild ein ungemein anregendes, und die Vorstellung, jahrelang in nützlicher Thätigkeit zwischen diesen öden Bergwänden zuzubringen, würde nichts Abschreckendes für ihn gehabt haben. Aber ein Blick auf seine Frau belehrte ihn, wie selbstsüchtig dieser Gedanke war. Sie, die Blüte einer vorgeschrittenen Civilisation war für ein so ursprüngliches Dasein wenig gemacht, und unwiderstehlich drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß eine nützliche Thätigkeit zu ihrem Glücke nicht erforderlich sei. Sie verlangte von der Welt nichts, als daß dieselbe sie amüsiere, und war ihresteils gern bereit, die Welt dafür wieder zu amüsieren. Die Idee, daß aus Arbeit und treuer Pflichterfüllung ein dauerhafteres Glück ersprießen könne, war in ihrem hübschen Köpfchen sicherlich niemals aufgetaucht.

Alma hatte von diesen Gedanken ihres Mannes keine Ahnung. Sie wünschte sich im Gegenteil Glück, daß sie sich dem thörichten Plane, in dieser Wildnis zu leben, von vornherein widersetzt, und hielt sich in aller Unschuld überzeugt, daß die Frauen doch um ein gutes Teil klüger und weitsichtiger seien, als die Männer. In einem Blockhause mit hölzernem Kaminmantel und mit billigen Teppichen unter den Füßen zu wohnen, erschien ihr nicht viel anders, als wenn sie gleich zu den ursprünglichsten Bedingungen des Lebens zurückgekehrt wären, Federn in die Haare gesteckt und sich von eigenhändig erlegtem Wild genährt hätten.

Harold hatte glücklicherweise einen alten Freund, Namens James Holden, in Silvertown gefunden. Derselbe hatte mit ihm in Freiberg studiert, und machte hier als Markscheider so gute Geschäfte, daß er für die Zukunft sorgen konnte, indem er jede Woche eine bedeutende Summe bei der Bank einzahlte. Dieser James Holden bestand darauf, sein Häuschen, das von unten bis oben mit Illustrationen aus englischen Zeitungen tapeziert war, Mr. und Mrs. Wellingford zur Disposition zu stellen, und war ein so vortrefflicher Wirt; daß sich Alma entschloß, ihm seinen schlechten Geschmack in Bezug auf die Verzierung der Wände zu gute zu halten. Schwerer wurde es ihr, ihm zu verzeihen, daß er hohe Wasserstiefeln sowie ein blaues Flanellhemd trug, und, außer bei Tisch, selten einen Rock anzog

Es war Harrys Absicht gewesen, die Mission, welche ihn nach Silvertown führte, geheim zu halten, um seinen Zweck um so besser und sicherer zu erreichen; aber zu seinem Erstaunen war der erste Mensch, der ihn nach seiner Ankunft besuchte, Mr. Cartwright, der Direktor der »Maid of Athens«, welcher seine Freude aussprach, ihn kennen zu lernen, und ihm jede Erleichterung und Unterstützung anbot, wenn er die Gruben besichtigen und in die Bücher Einsicht nehmen wolle. Harry bemerkte indessen bald, daß dem Manne daran liege, ein Privatgespräch mit Holden zu haben, und beschloß, dies zu verhindern. Er vermutete sogleich, daß Holden mit der Untersuchung der Erze betraut gewesen und folglich im stande sein müsse, über den durchschnittlichen Ertrag der Minen Auskunft zu geben.

Am Morgen nach seiner Ankunft fuhr Wellingford in Begleitung des Direktors und zweier irischer Vormänner in den Hauptschacht ein und brachte den Tag damit zu, Erzproben aus den verschiedenen Gängen und Stollen zu sammeln. Mit Erstaunen bemerkte er, daß Mr. Cartwright, entgegen dem gewöhnlichen Gebrauch, in solchen Fällen, wo es darauf ankommt, dem Werke ein gutes Ansehen zu erhalten, jede Ader vollständig ausgebeutet hatte, so daß sich dem Auge des Beschauers nur noch die kahlen Porphyrwände darboten, und es war deshalb sehr schwierig, sich Erzproben zu verschaffen, nach welchen sich der Durchschnittsgehalt an edlen Metallen annähernd beurteilen ließ. An einer Stelle dagegen bemerkte er, daß die Wände des Stollens künstlich mit Kalksteingeröll verschüttet waren, und als er den Männern befahl, den Schutt hinwegzuräumen, sah er an ihren Blicken deutlich, daß sie ihre Verhaltungsbefehle hatten und daß es ihm schwerer werden dürfte, seine Aufgabe zu erfüllen, als er sich anfänglich vorgestellt. Die verschütteten Wände zeigten, wie er ganz richtig vermutet, eine reiche Ader von rotbraunem Erz, welches, wie Wellingford sich auf der Stelle sagte, wenigstens zweihundertfünfzig bis dreihundert Unzen Silber auf die Tonne halten mußte.

Es würde zu langweilig sein, im Detail die Betrügereien und Täuschungen zu verfolgen, deren sich der Direktor und die Partei, welcher er diente, schuldig gemacht hatten, um den Glauben zu verbreiten, daß die Mine eine arme sei und niemals reiche Ausbeute verspreche. Es blieb kein Zweifel, Löwenthal hatte die Absicht gehabt, durch diese Mittel die Aktien herunterzudrücken, und hatte dadurch die Inhaber bestimmen wollen, sich derselben zu lächerlich billigen Preisen zu entledigen, um sie dann selbst aufzukaufen und die Kontrolle in die Hände zu bekommen. Wellingford gewann durch seine eignen sorgfältigen Untersuchungen wie durch Holdens Aussagen die Ueberzeugung, daß die Minen jeden Monat eine Ausbeute von hunderttausend bis hundertfünfzigtausend Dollar ergeben hatten, daß die Einträge in die Bücher falsch waren und daß man wenigstens noch auf einen Gewinn von sechs bis acht Millionen hoffen durfte.

Bewaffnet mit diesen Ziffern, die sämtlich auf den genauesten wissenschaftlichen Berechnungen und Prüfungen beruhten, kehrte Wellingford mit seiner jungen Frau nach New York zurück und erstattete seinen Auftraggebern Bericht. Die Folge war, daß man Mr. Cartwright – ohne seinem Gegenbeweisen Beachtung zu schenken – seiner Stellung enthob und auf Harolds Empfehlung Mr. Holden zum Direktor ernannte.

Die Einnahme, welche Wellingford dieser Hochzeitsreise verdankte, setzte ihn in den Stand, sein bescheidenes Haus hübsch einzurichten. Selbst das chinesische Porzellan und das Tafelgeschirr von Limoges fehlten nicht, und acht Tage nach seiner Rückkehr wurde die erste Nummer der »Zeitung für den Bergbau der Vereinigten Staaten« ausgegeben.

 

Ende des ersten Bandes.


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