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»Du leugnest also nicht, daß du auf eigne Rechnung an der Börse gespielt hast?« sagte Mr. Hampton zornig zu Alma, indem er sich in einem bequemen Lehnstuhle des Bibliothekzimmers niederließ.
»Warum sollte ich es denn leugnen?« gab Alma ruhig zur Antwort. »Thust du es nicht jeden Tag, und denkt deshalb jemand schlechter von dir?«
»Sprich nicht in diesem Tone zu mir, das will ich dir geraten haben,« fuhr Mr. Hampton auf, indem er mit der Messingzange wütend ins Feuer schlug. »Du weißt wohl, daß das etwas ganz andres ist.«
»Das sehe ich nicht ein,« entgegnete Alma. »Ich brauchte Geld und würde mir dasselbe von dir erbeten haben, wenn ich nicht eine Scene gefürchtet hätte. Du weißt, ich hasse heftige Auftritte. Es empört mich, wenn du zu mir sprichst, wie heute mittag, und ich beklage sehr, von dir abhängig zu sein.«
»Wenn das der Fall ist, warum, zum Teufel, hast du Cunningham nicht geheiratet? Du hättest dann das Geld mit Scheffeln messen, und nach deinem Wohlgefallen an der Börse spielen können.«
»Ich muß dich vor allem bitten, in meiner Gegenwart nicht zu fluchen,« gab Alma zur Antwort, indem sie sich zu ihrer vollen Höhe emporrichtete und einige Schritte nach der Thür that. Ihre schlanke, vornehme Gestalt sah in dem raschelnd über den Boden schleifenden Kleide vorzüglich aus, während sich die untersetzte Figur des Vaters daneben so ungeschickt ausnahm, daß man die beiden im Augenblicke kaum für Blutsverwandte halten konnte. Allem Anschein nach verfehlte ihre glänzende Schönheit diesmal selbst auf den Vater nicht ihren Eindruck und mit einer Art ärgerlichen und verwirrten Staunens sah er sie an.
»In meinem Hause rede und sage ich, was ich will,« fuhr er dann mit einer gewissen Anstrengung sich nicht unterkriegen zu lassen fort, »und so will ich dir auch noch sagen, daß es sich nicht schickt, mit unbekannten jungen Männern in der Stadt umherzulaufen –«
»Bedenke, was du sagst!« rief Alma halb bittend, halb beschwörend. »Es könnte leicht kommen, daß du deine Worte bereutest, wenn es zu spät ist.«
»Daß es sich nicht schickt, mit jungen unbekannten Männern in der Stadt umherzulaufen, und daß du damit nicht nur deinem Rufe zu nahe trittst, sondern auch dem meinigen!« rief Mr. Hampton mit noch größerem Nachdruck.
Alma blickte ihn einen Moment an und eilte dann der Thür zu. Ihr Vater warf die Zange weg, mit welcher er, um seinem Zorne Luft zu machen, krampfhaft auf die brennenden Kohlen im Kamin geschlagen hatte, wurde sehr rot im Gesicht, erhob sich nicht ohne Schwierigkeit aus seinem Stuhle und ging ihr bis ins Vorzimmer nach.
»Alma!« rief er, »Alma!«
Er erhielt keine Antwort.
Alma war die Treppe hinauf in ihr Zimmer geeilt, wo sie nun mit festgeballten Händen in stummer Aufregung stand. Ihr Busen hob und senkte sich stürmisch, ihre Züge waren von Schmerz und Zorn entstellt. Plötzlich fiel ihr Blick auf ihr eignes Bild in dem langen, bis zum Boden reichenden Pfeilerspiegel und eine Art Beschämung über ihren aufgeregten Zustand, sowie etwas wie ein halber Zweifel an der Echtheit desselben überkam sie. Sie wandte sich ab und rief sich den Auftritt mit ihrem Vater nochmals ins Gedächtnis. Die beleidigenden Worte, die sie hatte anhören müssen, klangen ihr noch einmal und diesmal nur mit noch schärferem Tone in die Ohren, und mit einem herzhaften Entschlusse warf sie alle feige Ueberlegung hinter sich. Schnell raffte sie einige ihrer einfachsten Kleider zusammen und versuchte, dieselben in einen Koffer zu packen. Zu ihrem Verdrusse gingen sie nicht hinein, und so nahm sie nur ihr Schmuckkästchen, rollte einige der Kleider zu einem kunstlosen Bündel zusammen, band ihren Pelzmantel um und stieg die breite Mahagonitreppe hinab, auf deren Absätzen Odalisken von Bronze, mit matten, ein mildes Licht ausstrahlenden Glaskugeln in den Händen, standen.
Vorsichtig und sich bei jedem Schritte versichernd, daß niemand sie beobachte, schlich Alma bis in die Vorhalle hinunter. Die Aufregung zuckte noch in allen ihren Nerven nach, und als sie den Riegel der Hausthür zurückschob, fühlte sie kaum den Boden unter ihren Füßen. Nachdem sie den Knopf gedreht, flog die Thür auf und ein Strom kalter, feuchter Luft schlug ihr ins Gesicht. Sie schauerte zusammen und fuhr zurück. In Romanen hatte sie oft gelesen, daß die Heldinnen aus dem Hause der Eltern entflohen, und hatte sich das immer sehr interessant und hübsch gedacht. Regen und Schneegestöber brachte, wenn man im warmen Zimmer, vor einem behaglichen Kaminfeuer davon las, stets einen so angenehmen Schauer hervor, der von dieser Wirklichkeit sehr verschieden war. Aber Alma nahm ihren Mut zusammen. Sie band den Hut, welchen ihr der hereinwehende Wind beinahe vom Kopfe gerissen hatte, wieder fest, trat entschlossen in die Dunkelheit hinaus und schlug, um alle Brücken hinter sich abzubrechen, die Thür zu. Allerdings – sollen wir es wirklich gestehen? – hatte sie für den äußersten Fall den Hausschlüssel bei sich.
Der Wind sauste mit Heftigkeit durch die Avenue daher und trieb Schneeflocken und kleine Hagelkörner prasselnd gegen die großen Spiegelscheiben des Hauses. Alma geriet noch einmal in Versuchung, unter das schützende Dach zurückzukehren, aber sie besiegte noch einmal die feige Regung. Auf den Stufen der Vortreppe stehend, blickte sie die Straße auf und ab und ein schmerzliches Gefühl des Verlassenseins überkam sie. Die zwei langen Reihen der Gasflammen, welche sich zu beiden Seiten in der Finsternis hinzogen, der Gedanke an die vielen die Avenue kreuzenden Straßen durchschauerte sie bis ins Mark und eine Empfindung von Hilflosigkeit und blindem Schrecken bemächtigte sich ihrer mit unwiderstehlicher Gewalt. Das Bewußtsein, sich inmitten dieses Oceans von Menschen wie in einer Wüste zu befinden und keinen Freund zu besitzen, drang schmerzlich auf sie ein. Der einzige, auf den sie sich hätte verlassen können, weilte in der Ferne, und unter den übrigen Hunderten von Bekannten war nicht einer ihr in wirklicher Freundschaft ergeben.
Durchbebt von Furcht und an allen Gliedern zitternd, zog Alma den Hausschlüssel aus der Tasche, öffnete leise und vorsichtig wie ein Dieb die Thür und schlich sich die Treppe hinauf in ihr Zimmer, aus dem ihr eine köstliche Wärme entgegenströmte. Nachdem sie ihren nassen Mantel von sich geworfen, ließ sie sich auf eine Chaiselongue niederfallen und weinte wie ein Kind. Sie fühlte sich tief erniedrigt, gedemütigt und zerschmettert. Man hatte sie beleidigt und sie besaß nicht die Kraft, sich der Beleidigung in weiblich heroischer Weise zu entziehen. Indessen, sie befand sich in einem warmen Zimmer und das war vorläufig aller Heldenhaftigkeit vorzuziehen. Lohnte es denn überhaupt der Mühe, um der spitzfindigen Ideen willen, für welche Märtyrer ihr Leben hingegeben, und welche die Poeten oft mit einem solchen Aufwand von Worten besungen, zu leiden und sich zu opfern? Das Feuer im Kamin flackerte für einen Moment hoch auf und warf seinen hellen Schein auf die reiche Ausstattung des Gemachs. Ein Gefühl des Behagens rieselte durch Almas Glieder; sie streckte sich bequem aus, faltete die Hände über dem Kopfe und lauschte mit der angenehmen Empfindung der Sicherheit und des Geborgenseins den von Zeit zu Zeit gegen die Fensterscheiben tobenden Windstößen. Nach einer Weile klingelte sie ihrem französischen Kammermädchen und befahl ihr, die auf dem Tische stehende Lampe anzuzünden. Dann nahm sie die frühere Stellung auf der Chaiselongue wieder ein und streckte den kleinen Fuß aus, der mit einem niedlichen, durch eine große Rosette verzierten Atlasschuh bekleidet war. Das Mädchen, welches dies Zeichen verstand, kniete auf dem Kaminteppich nieder, um sich die Hände zu wärmen und streifte dann mit einer leichten, streichelnden Bewegung die Strümpfe von den Füßen ihrer Herrin. Dieselben waren von Seide, genau von der Farbe des Kleiderbesatzes und von so feinem Gewebe, daß beide zusammen kaum eine Hand füllten.
» Mon dieu, Mademoiselle, wie naß Ihre Füße sind!« rief Delphine. »Mademoiselle sind bei diesem affreusen Wetter ausgewesen! Die Strümpfe sind ja ganz verdorben und Mademoiselle kann sie nie wieder tragen.«
»So behalte du sie, Delphine,« gab Alma zerstreut zur Antwort, während sie ihre zarten Füße, welche gegen das Feuer gehalten von rosiger Durchsichtigkeit erschienen, betrachtete. »Bringe mir nur ein andres Paar. – Die Füße einer Märtyrerin sind das sicherlich nicht,« setzte sie für sich hinzu, indem sie ihre Augen mit Wohlgefallen auf dem hoch gebogenen Spann ruhen ließ. »Solche Füße sind gemacht, um geküßt und geliebkost zu werden und in seidenen Strümpfen zu stecken, aber nicht, um durch Nässe und Schneeschlicker zu waten. Dazu hat der liebe Gott die großen, starken, platten Füße bestimmt. Von einem weiblichen Wesen, das er nach dem Modell einer Watteaufigur, wie man sie auf Fächer und Tassen malt, geschaffen hat, kann er doch solchen Heldenmut schwerlich verlangen. Wäre ich zu einem Arbeitstiere, zu irgend einer harten, praktischen Thätigkeit geboren, so würde ich anders ausgestattet sein. Eine höhere Civilisation bringt, wie Mr. Wellingford sagt, auch höhere, feinere Typen hervor, und er hat ganz recht, wenn er mich zu den neuesten Produkten unsrer Tage rechnet. Die Normannen zu Wilhelm des Eroberers Zeit haben gewiß kaum die Notwendigkeit von Schoßhunden und Kanarienvögeln eingesehen, wir aber haben das Bedürfnis, sie zu besitzen, und unser Leben würde ohne sie sehr trocken und öde sein.«
»Küsse meinen Fuß, Delphine,« fuhr sie laut in erheucheltem befehlshaberischem Tone fort, als das Kammermädchen, mit einem Paar trockner Strümpfe in der Hand, von neuem auf dem Kaminteppich niederkniete.
Delphine blickte überrascht auf, da sie aber das Aufblitzen heitersten Humors in den Augen der Herrin wahrnahm, umfaßte sie mit vergnügtem Lachen die fein geformten weichen Zehen und bedeckte sie mit Küssen.
» Dieu, Mademoiselle,« rief sie voll Entzücken, »was für einen wunderschönen Fuß Sie haben!«
»Das weiß ich, Delphine, ich bewunderte ihn gerade selbst, und er überzeugte mich, daß ich nicht das Zeug zu einer Heldin habe, viel eher zu einer – einer Epikuräerin.«