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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Ernste Folgen der Beredsamkeit.

Der Frühling war bereits ziemlich weit vorgeschritten und die Avenue stand in vollem Glanze, als ein Ereignis eintrat, welches der immer erregungsbedürftigen guten Gesellschaft zur äußersten Befriedigung gereicht haben würde, wenn es möglich gewesen wäre, der Sache auf den Grund zu kommen, In der Synagoge, deren frommes Mitglied Rachel Löwenthal bis dahin gewesen, machte der Vorfall das größte Aufsehen und man ging einige Zeit sogar damit um, eine ansehnliche Belohnung demjenigen zuzusichern, welcher über den Verbleib und den gegenwärtigen Aufenthalt des jungen Mädchens Nachricht zu geben vermöchte. Aber aus irgend einem Grunde ließ man diesen Plan wieder fallen. Die Voraussetzung, an die sich Simon mit Hartnäckigkeit klammerte, daß man es mit einer gewaltsamen Entführung und Bekehrung zu thun habe, erschien doch zu lächerlich, um allgemein Glauben zu finden, und ebenso hinfällig erwies sich die Annahme eines Mordes, da Rachel weder Geld noch Geschmeide, noch – soviel man wußte – einen einzigen Feind in der ganzen, weiten Welt besaß.

Simon, der jetzt, auf die vergangenen Monate zurückblickend, schärfere Augen bekam, erinnerte sich nun allerdings an hundert seltsame Dinge, die er, als sie vorgingen, nicht bemerkt hatte. Rachel hatte sich freilich hin und wieder auffallend benommen; aber er vermochte doch nicht zu glauben, daß sie, die er mit Güte überhäuft, ihm diesen Schlag mit Absicht beigebracht habe. Ruhelos irrte er im Hause umher, schlug die Thüren zu, riß die Fenster auf, öffnete alle Schubkasten wieder und wieder und beging eine Menge andrer zweckloser Handlungen. Sprach er mit jemand, so traten ihm Thränen in die Augen, oder er rang die Hände und schüttelte voll tiefer Bekümmernis den Kopf. Als das Hausmädchen durch einen Polizeibeamten verhört wurde, gestand sie halb widerstrebend ein, daß zuweilen ein Herr zum Besuch bei Rachel gewesen sei, und als sie dann Walther Hamptons Namen nannte, waren beide, Simon und der Beamte, fest überzeugt, den Schlüssel zu dem Geheimnis gefunden zu haben, bis man auf weiteres Befragen erfuhr, daß der junge Mann das Haus seit drei Monaten oder länger nicht mehr betreten hatte. Der Beamte versprach dessenungeachtet, Walther Hampton einige Zeit aufmerksam zu beobachten und Simon Bericht zu erstatten, wenn er irgend etwas Verdächtiges bemerke. Was er oder ob er etwas entdeckte, ist niemals bekannt geworden – aber er nahm einige Monate später seinen Abschied unter dem Vorgeben, nach Europa gehen zu wollen, that dies jedoch schließlich nicht, sondern kaufte sich ein feines Kaffeehaus mit Billardzimmer und allen sonstigen modernen Einrichtungen. Das Mädchen, welches sich im ersten Moment so weit vergessen hatte, Walthers Namen zu nennen, erinnerte sich bei späteren Befragungen an gar nichts mehr, kündigte den Dienst, ging nach Saratoga und heiratete einen feinen Hausdiener, welchem ihr inhaltreiches Sparkassenbuch in die Augen stach. Weitere Versuche, welche Simon und seine Glaubensgenossen noch machten, um Licht in die Sache zu bringen, hatten kein andres Resultat als erneuerte Kosten, und so blieb Simon nichts übrig, als sich, obwohl mit blutendem Herzen, in das Unabänderliche zu ergeben.

Dennoch stand – leider vermögen wir es nicht abzuleugnen – das Verschwinden der jungen Jüdin mit Walther Hampton in engem Zusammenhange. Schon nach einer Woche der Entsagung hatte der junge Mann gefunden, daß es ihm schwerer wurde, auf Rachel zu verzichten, als er sich gedacht. Sie war, trotz aller überflüssigen Gefühlsseligkeit, doch ein zu reizendes Geschöpf, um sich so leicht vergessen zu lassen, und Walther hatte sich zu lange in ihrer Bewunderung gesonnt, als daß er sich jetzt, fern von ihr, nicht einsam und unbehaglich fühlen sollte. Er hatte ihrer weichen, klangvollen Stimme zu oft gelauscht, um nicht alle andern dagegen hart und rauh zu finden, und stundenlang konnte er mit weit von sich gestreckten Beinen, die Hände tief in die Taschen versenkt, dasitzen und allgemeine Betrachtungen über die Frauen anstellen, die ihm, im Vergleich zu der einfachen und doch so würdevollen Erscheinung der jungen Jüdin, alle wie lächerliche, kleinliche Zierpuppen vorkamen. Dabei verlor er allen Humor und alle gute Laune und geriet einmal bei einer zufälligen Begegnung mit Wellingford dergestalt in Zorn und Wut, daß er den Vorsatz faßte, sich von diesem »verwünschten Federfuchser« nicht länger tyrannisieren zu lassen. Und war es nun der Wunsch, seine Unabhängigkeit auf der Stelle zu beweisen, oder folgte er einem tieferen Bedürfnis – genug, er fuhr sogleich nach Löwenthals Hause, um Rachel seinen Besuch zu machen. Ihre Blässe und augenscheinliche Traurigkeit rührten ihn so tief, daß er in der Erregung des Augenblicks Dinge sagte, die er bei ganz kaltem Blute jedenfalls nicht gesagt hätte. Daß er Rachel seine Hand antrug, war vielleicht nicht so verwunderlich, da er schon früher darauf hinzielende Anspielungen gemacht hatte, daß er aber mehrere Stunden damit zubrachte, gegen die religiösen Vorurteile der jungen Jüdin anzukämpfen, und ihr mit dem Scharfsinn und der Logik eines Liebhabers bewies, wie diese Vorurteile, sowie alle andern Rücksichten, im Vergleich zu ihrer Liebe, vollständig nichtig und hinfällig seien, das ließ auf eine Gabe der Beredsamkeit schließen, die ihm selbst seine besten Freunde nicht zugetraut hätten.

In Rachels Augen erschien Walther geradezu groß, und nach einigen Thränen und Bedenken ließ sie sich endlich überreden, ihn am nächsten Tage an einem bestimmten Orte zu treffen und sich mit ihm zu dem nächsten Geistlichen zu begeben, um sich trauen zu lassen. Sie war in der letzten Zeit so unglücklich gewesen, hatte sich so einsam und verlassen gefühlt, daß sie nicht den Mut fand, der langen, düsteren Zukunft ins Auge zu sehen, die vor ihr lag, wenn das Licht seiner Liebe ihr nicht mehr leuchtete. Nur Wahnsinn oder früher Tod konnte das Ende eines solchen Lebens sein. Seit ihrer Bekanntschaft mit Walther und ihren gemeinschaftlichen, herrlichen Ausflügen, seit seinen Erzählungen von der großen, heiteren Welt, hatte sich ihr Gesichtskreis erweitert und die kleinen häuslichen Obliegenheiten und Pflichten, die sie früher ausgefüllt, erschienen ihr jetzt trocken und nichtssagend. Sie hatte voll Verzweiflung erkannt, wie sehr der Sommeraufenthalt in der Farm und ihr dortiger Verkehr mit den Wellingfords sie verändert. Soviel Mühe sie sich auch gab, sie konnte Simons Erzählungen nicht mehr mit derselben Ehrfurcht lauschen, und Manieren und Sprache der Männer vom Stamme Israels, welche sein Haus besuchten, erschienen ihr lächerlich. Das Gefühl, mit dem sie Walthers Ueberredungskunst nachgab und sich entschloß, in Zukunft sein Leben zu teilen, war deshalb auch nicht das des Glückes und der Freude, sondern eher das einer verzweifelten Ergebung. Rachel überhäufte sich selbst mit Vorwürfen, nannte sich selbst undankbar und abscheulich – aber da es einen Menschen in der Welt gab, der sie trotz ihrer Schwächen und Fehler liebte, so würde es auf der andern Seite grausam vom lieben Gott gewesen sein, zu verlangen, daß sie, fern von ihm, in Elend und Unglück verkam, anstatt sich an seiner Seite des Lebens zu freuen.

Unglücklicherweise war der Geistliche, den Walther auserwählt, in dem entscheidenden Augenblicke nicht zu Hause. Walther vermutete, er sei durch ein Telegramm seiner sterbenden Großmutter nach Kanada gerufen worden, und hielt es zu gefährlich, sich an einen andern zu wenden, der sie wahrscheinlich verraten haben würde. Er seinesteils zog vor, zu warten. Währenddem brachte er Rachel in ein prächtig eingerichtetes Haus, dessen einzige gebietende Herrin sie war, und als sie eines Tages das Verlangen nach Büchern äußerte, schickte er ihr einige hundert Bände Romane, Biographien, und Geschichtswerke in reichen Ledereinbänden. Ueberhaupt machte Walther der Geliebten fast täglich Geschenke mit kostbaren Oelgemälden, Blumen, Schmucksachen, und schickte ihr alles Schöne ins Haus, was er bei seinen Gängen durch die Läden und Ateliers der Stadt nur fand, aber mit der Einsegnung ihres Bundes schien er keine Eile zu haben. Als Grund führte er an, der »Alte« sei augenblicklich in der schlechtesten Laune, es werde gewiß einen furchtbaren Auftritt mit ihm geben und es könne kommen, daß er den Sohn, wenn dieser ihm trotze, ohne einen Schilling aus dem Hause jage. Dieser Gefahr dürfe er sich aber um so weniger aussetzen, da er seine Stute Lola Montez gegen Cunninghams Islam habe rennen lassen, wobei er einen Haufen Geld verloren. Der Alte habe jedoch, obgleich er verwünscht unangenehm sein könne, auch seine guten Tage, und wenn Walther Zeit hatte, den richtigen Augenblick abzuwarten, wickelte er ihn um den Finger.

Rachel ließ sich um so leichter beschwätzen und bethören, da sie in einem Meer von Wonne schwamm, nicht imstande war, die Nachteile ihrer Lage zu beurteilen, und sich gern die Lippen durch einen Kuß schließen ließ, wenn sie sich zu einer lästigen Frage öffneten. Kamen ihr zuweilen, wenn sie ihr zweites Frühstück allein einnahm, trübe Gedanken, oder langweilte sie das zwecklose Hin- und Hergehen in den prachtvoll ausgestatteten Gemächern, so hatte sie doch auf den Abend zu hoffen, den Walther gewöhnlich bei ihr verlebte, und welcher ihr gelegentlich eine herrliche Spazierfahrt bei Mondenschein durch die langen, einsamen Straßen brachte. Walther war immer so freundlich und liebevoll gegen sie, daß sie es undankbar gefunden hätte, ihn zu quälen. Der alte Mr. Hampton konnte ja nicht ewig schlechter Laune bleiben, und sobald er wieder mit sich reden ließ, wurde ihr Schicksal ohne Zweifel in der günstigsten Weise entschieden. Bis dahin wollte sie versuchen, glücklich zu sein und sich in Geduld zu fassen.



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