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Die Frage, ob heiraten oder nicht heiraten, ist eine außerordentlich wichtige im Leben der Frau und eine nicht minder wichtige im Leben des Mannes. Jedes junge Mädchen, wenn es nicht etwa das Vassar-Lyceum Dies Lyceum für Damen huldigt einer extremen, auf gänzliche Emanzipation des weiblichen Geschlechts hinzielenden Richtung. – Anm. d. Uebers. besucht hat, beantwortet sich dieselbe, wie ich glaube, von vornherein mit ja, überläßt aber die Bestimmung des Zeitpunktes, sowie die Wahl des Opfers dem Schicksale oder der Fürsorge ihrer Mama. Stellt sich die Entscheidung dieser Autoritäten – welche in anständigen Familien so ziemlich in eins zusammenfallen – als nicht befriedigend heraus, so ist allerdings der Augenblick gekommen, eine etwaige persönliche Vorliebe geltend zu machen und zu verteidigen. Man wendet sich in solchen Fallen an Papa (was übrigens in wohlgeordneten Familien nur höchst selten geschieht), dieser lehnt sich in milder, bescheidener Weise gegen das Schicksal oder die Instanz auf, welche die Stelle desselben vertritt – man weint und klagt ein wenig, knirscht vielleicht sogar ein wenig mit den Zähnen, schließt allerlei Offensiv- und Defensivbündnisse, um schließlich – aber nein, ich greife meiner Geschichte vor. Miß Alma Hampton, welche sich augenblicklich in einer solchen aufregenden Lage befindet, ist von diesem »schließlich« noch sehr weit entfernt.
Sie saß auf einem Plüschpolster im Stern eines sogenannten Cat-Bootes, eines Mitteldinges zwischen Klipper und chinesischer Dschunke, und sann, sann, sann, bis ihr armer Kopf zu zerspringen drohte. Sie konnte in der Welt keinen Grund entdecken, warum sie die Bewerbung Mr. Cunninghams zurückweisen sollte. Sie hatte ihn im allgemeinen recht gern, bewunderte die strenge Eleganz des Coupés, in welchem er, hinter festgeschlossenen Fenstern, seine tägliche Spazierfahrt im Park machte, und widmete seinem braunen Traber »Islam«, welcher in der großen Allee mehr Aufsehen erregte, als die gefeiertste Schönheit des Tages, die aufrichtigste Bewunderung. Wenn Mr. Cunninghams Unterhaltungsgabe nicht sehr bedeutend war, nun, so ist es ja eine wohlbekannte Thatsache, daß unter der Geldaristokratie eine glänzende Konversation kaum zum »guten Ton« gehört, denn die Männer der Wallstraße In der Wallstraße befinden sich die Büreaus der Börsenfürsten. – Anm. d. Uebers. haben ganz andre Dinge zu thun, als Epigramme zu drechseln und Anleihen von tiefen Gedanken bei den großen englischen Schriftstellern oder bei den bedeutenderen Tagesblättern zu machen. Außerdem war Mr. Cunninghams äußere Erscheinung tadellos. Er hatte einen imponierenden Schnurrbart, welcher durch die beinahe nichtssagende Physiognomie noch gehoben wurde, und wenn seine Augen – offenbar der schwächste Punkt seines auswendigen Menschen – an die eines gekochten Fisches erinnerten, so konnte man ihnen doch einen gewissen schlauen und gleichzeitig gutmütigen Ausdruck nicht absprechen, welcher Biegsamkeit des Charakters und eine angenehme Leichtlebigkeit verriet. Ueberdies hatte Mrs. Hampton, Miß Almas Mutter, Mr. Cunningham für einen wünschenswerten Schwiegersohn erklärt; sie fing bereits an, ihn in gewisser mütterlicher Weise zu behandeln, und in Anbetracht aller dieser Umstände war Miß Alma gar nicht abgeneigt, dem Bewerber ihre Hand zu reichen und so viel von ihrem Herzen einzuräumen, als man vernünftigerweise verlangen konnte. Jedenfalls würde sie nicht gezögert haben, auf seine vor fünfzehn Minuten gestellte Frage, ein bebendes »Ja« in sein Ohr zu hauchen, wenn sie – ja wenn sie nur nicht so sehr gefürchtet hätte, er möchte sie küssen oder seine Liebe in andrer unangenehmer Weise an den Tag legen. Und deshalb hatte sie Bedenkzeit gefordert und verlangt, daß man sie während derselben allein lassen solle.
Die Nacht war ruhig und sternenhell. Gegen Abend hatte sich ein dichter Nebel über der Wasserfläche des Hafens gelagert, während die Luft etwa zehn Fuß über dem Spiegel derselben klar und durchsichtig war. An dem weiten Himmelsgewölbe schien plötzlich hie und da ein winziger Stern aufzuleuchten, einen Augenblick zu blitzen und zu funkeln, um dann aus reiner Bescheidenheit wieder zu verlöschen, und es war sehr hübsch, die Spitzen der Masten, die schlaff anschlagenden Segel aus dem Nebel herausragen zu sehen, sowie die grünen, roten und blauen Lichter der New Yorker Dampfschiffe zu beobachten, welche ihren Weg durch die regungslosen Gewässer pflügten und sie in aufschäumende Bewegung versetzten.
Miß Alma, welche, wie wir schon erwähnten, in tiefer Ueberlegung über ihre Heiratsprojekte versunken war, wurde plötzlich durch den Ruf: »Schiff ahoi!« aus ihren Gedanken aufgeschreckt und erblickte im nächsten Moment dicht vor ihrem Gesicht das eines Mannes, welcher in seinem Boote in die Höhe gesprungen war, und sich jetzt bemühte, durch Abstemmen mit den Händen die Erschütterung des unvermeidlichen Zusammenstoßes nach Möglichkeit abzuschwächen.
»Verzeihen Sie, wenn ich Sie belästige,« sagte er lachend, »aber wenn es nicht etwa der fliegende Holländer ist, mit dem ich hier zusammenrenne, so bitte ich mir zu sagen, wer es sonst sein kann.«
Die drei Herren in dem Cat-Boot, welche – nachdem sie ihre Unterhaltungsgabe erschöpft – sich schweigend dem Genusse ihrer Cigarren hingegeben hatten, sprangen jetzt bei dem Geräusch des Zusammenstoßes ebenfalls empor, um sich nach der Ursache der Störung umzusehen, und drei oder vier in dem Fahrzeuge befindliche Damen stießen jede ihren kleinen theatralischen Schrei aus und nahmen eine dem Vorgange angemessene bestürzte Haltung an, ließen sich aber durch die männlichen Versicherungen, daß keine Gefahr vorhanden sei, freundlich beruhigen.
»Holla, Harry!« rief einer der Drei, indem er mit einem angezündeten Schwefelholz das Gesicht des Mannes in dem herankommenden kleinen Boote beleuchtete. »Bist du es, der hier im Nebel herumkreucht, harmlose Fahrzeuge anrennt und unsre Damen erschreckt? Als Strafe für deine Unachtsamkeit sollst du an Bord kommen und uns helfen, die Damen zu unterhalten, von denen einige, wie ich fürchte, bereits in sanftem Schlummer lagen, als du mit uns zusammenstießest. Meine Damen und Herren, dieses mysteriöse Individuum, welches Sie, da mein Schwefelholz ausgegangen ist, nicht sehen können, ist ein intimer Freund und ehemaliger Schulkamerad von mir, und ich denke, einer weiteren Empfehlung bedarf es nicht. Um aber meiner so ziemlich verunglückten Segelpartie wenigstens einen Reiz zu verleihen, erlaube ich mir den kleinen Kunstgriff, Ihnen meinen Freund anonym vorzustellen, und überlasse es jedem einzelnen von Ihnen, herauszufinden, wer er ist, indem ich nur so viel verrate, daß wir in ihm eine unsrer Berühmtheiten vor uns haben.«
Diese Rede Mr. Daniel Timpsons schien zwar keinen irgendwie bemerklichen Eindruck auf seine männlichen Zuhörer zu machen, obgleich jeder von ihnen sehnsüchtig nach der Gunst einer oder der andern Dame der Gesellschaft strebte und die Reize jeder einzelnen jetzt plötzlich noch durch die Möglichkeit erhöht wurden, daß der Fremde sich gerade von ihr angezogen fühlen könnte; aber nur Cunningham blieb bei den geleerten Proviantkörben sitzen gleich einem zweiten Marius, der über den Trümmern seiner Hoffnung klagte. Er lehnte, seine langen Beine weit von sich streckend, am Maste des Fahrzeuges und starrte melancholisch nach der Gestalt Almas, welche nur in undeutlichen Umrissen durch den Nebel zu sehen war und in fast riesenhaften Dimensionen erschien. Es beschlich ihn ein sehr unangenehmes Gefühl, als er den namenlosen Menschen, der das offenbare Bestreben zeigte, sich angenehm zu machen, an ihrer Seite verweilen sah und das Murmeln einer Unterhaltung vernahm, aus welcher nur dann und wann ein einzelnes Wort verständlich an sein Ohr schlug, um ihm, gleich einem scharfen Pfeile in das argwöhnische, von Eifersucht gequälte Herz einzudringen. Erst als nach Ablauf einer Stunde – es hatte bereits zehn Uhr geschlagen – eine leise Brise anfing, die Oberfläche des Wassers zu kräuseln und die flappenden Segel zu blähen, sah Mr. Cunningham den Unbekannten wieder über den Bord des Fahrzeugs in sein eignes Boot hinabgleiten und hörte, wie er der Gesellschaft ein lustiges »Gute Nacht« zurief. Dann wurde der taktmäßige Schlag seiner Ruder vernehmbar, der sich weiter und weiter entfernte und sich endlich in der Nebelatmosphäre völlig verlor. Die Dünste ballten sich zu großen weißen Massen zusammen, welche sich – anfänglich noch langsam vor dem Winde hintreibend – nach und nach in kleinen Flocken auflösten, emporstiegen und verschwanden, während die Nebel nach dem Ocean hin noch immer einen dichten, grauen, undurchdringlichen Vorhang bildeten. Und als auch dieser endlich zerfloß und zerstob, geschah es in der blassen Beleuchtung der Mondsichel, welche hinter dem Wolkenschleier unbemerkt am Himmel emporgestiegen war.
Alma erschien es wie eine große Erleichterung, als sie das dunkle nächtliche Blau wieder über sich sah, welches sich vom Zenith bis zum Horizonte herab erstreckte und dem Blicke erlaubte, sich in ungemessene azurne Tiefen zu verlieren, aus denen die Sterne funkelnd herniederblitzten. Während des Gespräches mit dem Fremden, der lachend darauf bestanden hatte, sein Inkognito zu bewahren, war in ihrer Seele eine ähnliche Veränderung vorgegangen, wie die, welche sich am Himmel vollzogen. Sie schien sich aus der Nebelregion in die höheren klaren Luftschichten emporgeschwungen zu haben, und fast kam es ihr unbegreiflich vor, wie sie nur einen Moment hatte schwanken können. Der Entschluß, der ihr gekommen war wie eine Offenbarung, schien nun schon so tief in ihrem Wesen zu wurzeln, daß er sich ganz von selbst verstand. Wie es möglich gewesen, daß der Fremde so mächtig auf sie einwirkte, versuchte sie sich gar nicht zu erklären. Er hatte kein Wort gesprochen, das sich nur im entferntesten auf Ehe und Heirat bezog – sie hatte sein Gesicht nur sehr undeutlich gesehen, hatte nur seine Stimme gehört – aber diese Stimme zitterte noch durch ihre Nerven und versetzte sie in Aufregung. Daß dieselbe Bildung und gute Erziehung verriet, war das erste, was Alma klar wurde, daß ein Klang festen, männlichen Sinnes und Charakters darin lag, war die zweite Schlußfolgerung, zu der das junge Mädchen gelangte, und daß es die Stimme eines schönen Mannes sein mußte, welcher die ihm gezollte Bewunderung als etwas ganz Natürliches betrachtete, war vielleicht eine kühne Voraussetzung, die Miß Hampton dennoch mit Vorliebe festhielt. Es lag in der ganzen Atmosphäre seines Denkens etwas, das sie reizte, anzog und ein Echo in dem Teile ihres Wesens und Seins weckte, dessen sie sich bis jetzt abwechselnd geschämt hatte und mit Stolz bewußt geworden war, weil ihre Umgebung diesen Bestandteil ihres Ichs als Wunderlichkeit oder Affektation aufzufassen und zu beurteilen pflegte. Dieser Mann hatte es in einer kurzen Stunde fertig gebracht, sie mit Achtung vor dieser ihrer »Wunderlichkeit« zu erfüllen, welche so oft nach Verständnis verlangte, und welche, wie sie heimlich immer geahnt, die beste und edelste Seite ihres Wesens ausmachte.
In diesen Erwägungen und Gedanken wurde sie durch Mr. Cunningham gestört, dessen Näherkommen sie nicht bemerkt hatte. Jetzt stand er, sich auf den Zehen wiegend, mit den Händen in den Taschen, das Kinn auf die Brust gesenkt, vor ihr.
»Nun?« fragte er mit einem Versuche gleichgültig zu scheinen, der ihm indessen nicht ganz gelang.
»Es thut mir leid, Mr, Cunningham,« entgegnete sie, »aber –«
»Das übrige kann ich mir selbst sagen – Sie brauchen sich nicht weiter zu bemühen,« versetzte Mr. Cunningham kurz, drehte sich auf den Absätzen um und gesellte sich zu der lachenden Gruppe am andern Ende des Bootes.
Der Wind schwellte jetzt die Segel und im Zickzack verfolgte das Boot seinen Kurs, während es sich bald an der einen, bald an der andern Seite tief ins Wasser neigte und die Wellen bald rechts, bald links rauschend aufschäumten. Es war Mitternacht, als die Gesellschaft den Landungsplatz in Newport erreichte.