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Zwölftes Kapitel.
Eine Hochzeit neuesten Stiles.

Es lag etwas Festliches in der Luft. Die Avenue zeigte sich in ihrem besten Lichte; die Seitenwege waren trocken, die Welt schien mit Sonnenschein getränkt und jedermann war gut angezogen und in bester Laune. Der Himmel, welcher sich über alledem ausspannte, war hoch und klar, und die leichten Wölkchen, welche der See zuflogen, fanden das Schiffen durch die Lüfte offenbar sehr vergnüglich. Wer irgend ein Gefährt besaß, befand sich draußen, und für die plebejischen Fußgänger, welche weder Pferde noch Wagen ihr eigen nannten, war es gefährlich, die Straße anders als unter dem Schutze eines Polizeimannes zu überschreiten. Junge, elegante Mädchen, denen in achtungsvoller Entfernung Reitknechte in Livree folgten, trabten auf schlanken Rossen mit gestutzten Schwänzen auf und ab und die Leute blieben stehen, um ihnen nachzusehen, gleichsam als wäre man ihnen dankbar dafür, daß sie die Gewogenheit hatten, jung und schön zu sein. Stattliche, reiche Witwen, die sich nicht entschließen konnten, alt und häßlich zu werden, rollten majestätisch in ihren Kutschen vorüber, indem sie ihr Lächeln und die Beflissenheit ihres Grußes sorgfältig nach dem Grade abmaßen, nach welchem das Glück die ihnen begegnenden Bekannten begünstigt hatte. Herren in auffallenden, englischen Kostümen, mit bis in den Nacken gescheiteltem Haar, deren gesellschaftlicher Erfolg mehr von ihren Pferden, als von ihren persönlichen geistigen Fähigkeiten abhängt, stellen in der ihnen eignen, apathischen Weise sowohl ihre Verachtung für die Menschheit im allgemeinen, insbesondre aber für denjenigen Teil des Menschengeschlechts zur Schau, der sich nicht der gleichen glänzenden Mittel erfreut. Diese amerikanischen Pseudo-Engländer, welche sich ihrer Nationalität schämen, sind der Ansicht, Washington habe, als er sich gegen England auflehnte, einen großen Mißgriff begangen, und stellen sich blasiert und sprechen nur von Pferden, weil sie dies für Gepflogenheiten der englischen Aristokratie halten. Aber diese jungen Herren, die anstatt nach Dollar und Cent, nur nach Pfund und Schilling rechnen und in blöder Nachahmung der britischen »goldenen Jugend« ihre Zeit an den Fenstern der Klublokale vergähnen, betrachten sich selbst nichtsdestoweniger als den verfeinernden Gärungsstoff, als das Salz der groben, demokratischen Gesellschaft Amerikas und sind überzeugt, daß ohne sie und ihren bildenden Einfluß das Land zum Kuckuck ginge.

Vor der fashionabeln Nazarenerkirche stand eine lange Doppelreihe von Kutschen, und zu beiden Seiten des Baldachins von gestreiftem Stoff, welcher die Vortreppe der Kirche bis an die Thür derselben überdeckte, hatte sich eine dichte Schar von Dienstmädchen, Zeitungsjungen, Stiefelputzern und Austrägern aufgestellt, ohne sich von den Polizeileuten, die den Versuch machten, sie zurückzudrängen und den Platz frei zu halten, in ihren Rechten beeinträchtigen zu lassen, ja einige noch sehr jugendliche Bürger ließen es sich nicht nehmen, die aussteigenden Damen mit Hurras zu empfangen und laute Bemerkungen über ihr Aussehen zu machen, denn bekanntlich leben wir in einem freien Lande.

Den höchsten Grad erreichte die Aufregung der Menge, als an dem Portal der Kirche schnell nacheinander sechs geschlossene Kutschen vorfuhren, denen sechs reich gekleidete Brautjungfrauen mit ebenso vielen Brautführern entstiegen.

Ihnen folgten drei weitere Kutschen, aus deren letzter die in Perlen- und Diamantenpracht strahlende, in Atlas und Spitzen gehüllte Braut hervortauchte. Mr. Hampton sah, als er seine Tochter aus dem Wagen hob, sehr rot aus und blickte die Menge, als sie die Braut mit einem lang gezogenen Ah-h-h! der Bewunderung empfing, drohend an. Es würde ihm eine Erleichterung gewährt haben, jemand zu erdrosseln, nur war ihm kein passendes Individuum zur Hand, und der Bräutigam, den er am liebsten dazu auserkoren hätte, schien seine feindselige Miene gar nicht zu bemerken, sondern ließ seine Blicke nur ein wenig ängstlich auf allen den ihn umgebenden Schleppen ruhen, um nicht darauf zu treten.

Mrs. Hampton lehnte sich in schwarzem Samt und Diamanten auf Wellingfords Arm und schien nur besorgt, daß kein Zwischenfall die scenische Anordnung störe, und nachdem ein längeres Präludium von gestärkten Unterkleidern und rauschenden Atlasschleppen vorüber war, fiel die Orgel in triumphierender Weise ein und der lange von sechs Ceremonienmeistern geführte Zug, welchen die sechs Brautjungfern paarweise eröffneten, begab sich durch eine Reihe von grünen Ehrenpforten und inmitten einer unglaublichen Blumenfülle nach dem Altare.

Reverend Dr. Stylish, der in seinem wallenden Talare nicht weniger vornehm, als ehrwürdig aussah, richtete eine klangvolle Ansprache an den Allmächtigen und trug Sorge, alle unzarten Momente des Ceremoniells wegzulassen, um die zarten Empfindungen der Braut zu schonen. Der alte Professor Wellingford sah so glücklich aus, als wolle er sich selbst verheiraten, nahm aber dessenungeachtet sein Taschentuch wiederholt in Gebrauch, und Adelaide und Mabel Wellingford, welche sich unter den Brautjungfern befanden, und eine dunkle Vorstellung hatten, daß man irgend etwas von ihnen verlange, schluchzten in der ausgiebigsten Weise, was sie, da ihre Farben echt waren, ohne Gefahr konnten. Mrs. Wellingford verhielt sich so kühl und diplomatisch wie gewöhnlich, und obgleich sie sich, aus Schicklichkeitsrücksichten, mehreremal die Augen trocknete, war sie doch hauptsächlich mit dem Gedanken beschäftigt, ob ihr Sohn, mit seinem vorteilhaften Aeußeren, nicht doch besser gethan hätte, noch ein bißchen zu warten. Diese Hamptons waren doch Leute von zweifelhafter, dunkler Herkunft, und wer wußte, ob sie nicht einen größeren Reichtum zur Schau gestellt, als sie besaßen, um sich in einer alten Familie, wie die Wellingfords waren, einzuschmuggeln!

Die Stimme des Geistlichen, welche mit Vorliebe auf den vollen Vokalen ruhte, tönte laut und harmonisch durch die Kirchenwölbung; der Sonnenschein brach in bunten Streifen durch die große Rosette und die Seitenfenster und die Statuen der Apostel und Heiligen mit den Strahlenkränzen um den Häuptern schauten erstaunt von ihrer Höhe herab auf die prachtvollen Toiletten, indem sie sich vielleicht an das biblische Gleichnis von den Lilien auf dem Felde erinnerten, das so gut auf die jungen Damen von New York paßt, denn auch sie arbeiten nicht und spinnen nicht, und doch ist Salomon in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen wie ihrer eine.

Nachdem alle einleitenden Fragen gestellt und beantwortet waren, knieten Braut und Bräutigam auf dem Samtschemel nieder, und Dr. Stylish legte sanft seine Hand auf ihre Häupter und rief den Segen des Himmels auf sie herab. Alma kam, wie sie später gestand, um den großen Eindruck des feierlichen Augenblickes, erstens weil sie fürchtete, der Geistliche könne in seinem heiligen Eifer ihre Frisur zerstören, und zweitens, weil es eine schwere Sache ist und volle Geistesgegenwart erfordert, ohne Unfall aufzustehen, wenn man in einem steifen Atlaskleide in anmutiger Stellung auf einem Schemel kniet, und weil sie zu allem Ueberfluß bemerkte, daß die eine Ecke des Schleiers unter die Füße des Bräutigams geraten war. In der That ist es in unsern Tagen nicht so leicht, wie es aussieht, eine Trauung ohne Verstoß durchzumachen, selbst wenn man vorher eine Reihe von Proben abgehalten – und als das junge Paar sich später über die mannigfachen Ereignisse und Eindrücke aussprach, gestand Alma, sie habe bei dem Gedanken, Harry könne die Trauringe daheim vergessen oder ins Portemonnaie gesteckt haben, vom Kopf bis zu den Füßen gezittert, und sei, als er in dem gefürchteten Augenblicke wirklich mit zerstreuter Miene seine drei Westentaschen eine nach der andern durchsucht, einer Ohnmacht nahe gewesen.

Indessen verlief die heilige Handlung ohne den leisesten ärgerlichen Zufall. Alles war comme il faut. Man weinte gerade genug, um anzudeuten, daß die Braut in ihrem jetzigen Kreise eine nicht auszufüllende Lücke zurücklasse, obgleich man aus dem Umstande, daß die meisten Thränen von der Familie des Bräutigams vergossen wurden, einen häßlichen Schluß hätte ziehen können. Dr. Stylish zeigte sich von dem Gedanken, ein so geliebtes Lamm seiner Herde zu verlieren, in durchaus schicklicher Weise gerührt, drückte Alma voll Herzlichkeit die Hand, sprach im liebenswürdigsten, väterlichsten Tone zu ihr und hielt Harry die Verantwortlichkeit, welche er übernahm, indem er dieses zarte, seltene Wesen dem Schutze des Elternhauses entzog, so eindringlich vor, daß die Braut in ihrer eignen Wertschätzung noch um ein Bedeutendes stieg. Die Orgel tönte währenddem so laut und betäubend, daß es unmöglich war, zu vernehmen, was Harry antwortete, aber aus dem Ausdruck seiner Mienen ließ sich schließen, daß er sich seiner Verantwortlichkeit voll bewußt war. Nach einigen nur geflüsterten Bemerkungen und Glückwünschen setzte sich der ein wenig in Unordnung geratene Zug nach dem Portale in Bewegung, und Mrs. und Mr. Wellingford stiegen in ihren Wagen und fuhren davon.

Aus dem Hamptonschen Hause strahlte ihnen, als sie dort ankamen, durch alle Spiegelscheiben eine glänzende Erleuchtung entgegen; in allen Vasen standen Blumen, überall waren Namenszüge angebracht, seltene exotische Pflanzen füllten alle Ecken und die glänzenden Atlasstoffe, sowie der Schimmer edler Steine verwandelte die großen Räume in Feengemächer, wie sie sich einer orientalischen Phantasie nicht glänzender und prachtvoller darstellen konnten. Als Harold und Alma durch die Reihen der lächelnden und sie begrüßenden Gäste schritten, die sich alle beeiferten, ihnen die Hände zu schütteln und eine glückliche Zukunft zu prophezeien, war es ihnen, als wandelten sie auf Wolken. Ihre Pulse schlugen stürmisch und das Leben schien wie eine lange glänzende Bahn vor ihnen zu liegen. Dennoch sehnten sie sich aus dem festlichen Tumult hinweg, um allein zu sein und zu dem klaren Bewußtsein der Thatsache zu gelangen, daß sie jetzt wirklich Mann und Weib waren.

Für ihre Seelenruhe und ihren Frieden war es sehr ersprießlich, daß sie keine Ahnung davon hatten, wie die Mehrzahl der Gäste ihre Verbindung beurteilte. Daß Almas ehemalige Anbeter die Sache ziemlich spöttisch besprachen, war vielleicht kein Wunder, aber wenn Wellingford ihre Bemerkungen hätte hören können, würde er doch in der Schätzung seiner eignen Vorzüge sehr herabgestimmt worden sein. Was die Damen betrifft, welche in New York, ehe sie noch die Kinderschuhe ausgetreten haben, Poesie und Romantik abstreifen (vorausgesetzt, daß sie diese Dinge überhaupt jemals gekannt), so waren sie nicht abgeneigt, dem Bräutigam, um seiner schönen Erscheinung willen, persönlich Gnade angedeihen zu lassen, aber da sie nach dieser Richtung hin wenig an ihm auszusetzen fanden, hielten sie sich an sein wahrscheinliches Conto bei der Bank, und das war seine schwache Seite. Es unterlag gar keinem Zweifel, Alma hätte ein Haus in der Avenue mit Bildergalerie und angebauten Pferdeställen, oder einen vornehmen Ausländer, der nach einem amerikanischen Vermögen angelte, heiraten können, wenn ihre Mutter es nur richtig angefangen und sie selbst einen höheren Ehrgeiz besessen hätte. In der That mußte in der Natur einer Frau, welche mit einem armen Manne zufrieden war, wenn sie es »so viel besser treffen konnte«, ein Zug zum Gewöhnlichen liegen. Viele der guten Freundinnen Almas beschlossen deshalb schon jetzt, sie nach und nach fallen zu lassen, wenn sie später nach New York zurückkehrte und etwa in einer Stadtgegend wohnte, die nicht zu den eleganten gehörte.

Große Feste, mögen dieselben sich an Familienereignisse knüpfen oder nur zu geselligen Zwecken veranstaltet werden, leiden leicht an Ueberfüllung. Jede gute Familie besitzt einen so großen Kreis von Bekannten, daß man öffentliche Gärten oder Plätze mieten müßte, um den gehörigen Raum zu haben. Auch da würde wahrscheinlich noch ein Gedränge entstehen und die Leute würden ebenso müde und ärgerlich nach Hause zurückkehren, aber doch ebenso wie jetzt stolz darauf sein, daß es ihnen vergönnt gewesen, sich in den Gesellschaften einer tonangebenden Frau zu zeigen. Nach der großen Anzahl großer Leute, welche die äußersten Unbequemlichkeiten ertrugen, um bei Almas Hochzeit »gesehen« zu werden, hätte man glauben sollen, Mrs. Hampton habe das Ziel ihres Ehrgeizes erreicht und gehöre zu diesen tonangebenden Mitgliedern der Gesellschaft. Jedenfalls war es ihr gelungen, eine jener typischen New Yorker »Assembleen« zustande zu bringen, in welcher sich – neben dem Troß jener langweiligen Laffen, deren aufgebauschte und steifgestärkte Hemdenbruststücke schon eine lebhaftere geistige Beweglichkeit ausschließen – einige wenige angenehme und unterhaltende Menschen befinden. Merkwürdig war es zu beobachten, wie geringe Mühe es kostete, diese große, unpassend zusammengewürfelte Gesellschaft zu unterhalten, und mit welcher Gutmütigkeit jeder bereit war, seine eignen Leiden vom humoristischen Standpunkte aus zu betrachten. Miß van Twiller, ein reizendes Mädchen mit einem Gesicht voll Grübchen, fühlte sich vollständig beglückt, daß der junge Mr. Armstrong, ein »scharmanter Taugenichts«, der ihr alle fünf Minuten eine fade Bemerkung zuwarf, sie durch das Menschengedränge lotste, und Mr. Armstrong, der immer sehr zufrieden mit sich selbst war, genoß diese Selbstzufriedenheit im gegenwärtigen Moment doppelt, denn er hatte das Bewußtsein, Eindruck auf Miß van Twiller gemacht zu haben. Mr. Duncan – ein alter Beau, der sich bei dem Gedanken, wie viele Frauen sich eingebildet, er werde sie heiraten, um sich dann getäuscht zu sehen, immer vor innerlichem Lachen schüttelte – strahlte vor Vergnügen, denn die schöne Mrs. Gregory hatte ihm ein Kompliment über sein jugendliches Aussehen gemacht – und die schöne Mrs. Gregory, welche zu behaupten pflegte, daß die Männer zehnmal eitler wären als die Frauen, und mit Mr. Hamilton gewettet hatte, daß sie ihm das an dem ersten besten Manne beweisen wolle, der ihnen begegnete, war entzückt, ihre Wette so leicht gewonnen zu haben. Mr. Hamilton, von dem die dunkle Sage ging, er habe in früheren Zeiten einmal etwas mit dem Theater zu thun gehabt, der jetzt sein Interesse aber der Wohlthätigkeit und den theologischen Seminarien zugewendet hatte, war hoch erfreut, sich in so vornehmer Gesellschaft langweilen zu dürfen, und sah sich infolgedessen selbst mit größerer Hochachtung an. Mr. Tuller, welcher bei dem Bestreben, sich mit Hilfe seiner Ellbogen den Weg nach dem Speisezimmer zu bahnen, Miß Green sehr unsanft berührte, entschuldigte sich lachend und Miß Green nahm seine Entschuldigung lachend an. Genug, jeder schien geneigt, alles von der heitersten Seite anzusehen und sich zu amüsieren, obgleich nicht die geringsten Anstalten zu diesem Zwecke getroffen waren und die einzige Berechtigung der Gäste darin bestand, sich in einem hübschen Zimmer aufzuhalten, Ellbogenstöße mit gut gekleideten Leuten auszutauschen und mit einem zufälligen Nachbar geflügelte Gemeinplätze zu wechseln. Jede Unterhaltung im Sinne eines behaglichen Austausches von Gedanken und Meinungen gehörte zu den Unmöglichkeiten und machte ja einer oder der andre den Versuch, einen Freund in eine gemütliche Ecke zu ziehen, so trafen ihn gewiß die wachsamen Augen der Wirtin, und die Worte: »Mr. Q., darf ich Sie vielleicht Miß X. vorstellen?« störten ihn sofort auf.

Alma, welche heute zum erstenmal im Leben einen Menschen hatte, dem sie ihre Gedanken ohne Rückhalt offenbaren konnte, empfand es aufs angenehmste, die Gesellschaft mit der Ueberzeugung kritisieren zu dürfen, daß sie volle Beistimmung finde. Sie hatte urplötzlich die Empfindung der Zusammengehörigkeit mit dieser Gesellschaft verloren, und es erschien ihr wie eine große Erleichterung, zu wissen, daß sie in Zukunft etwas Bessres zu thun habe, als nach Herzen zu angeln, aus deren Besitz sie sich nicht das Geringste machte. Als Erziehungs- und Bildungsmittel war es, wie Wellingford behauptete, immerhin gut, die Gesellschaft zu kennen, und wenn man ihr entrann, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen, wenn man klug genug geworden war, um die Schlange, sobald man ihr begegnete, an der Zunge zu erkennen, dabei aber die Unschuld der Taube doch nicht ganz verloren hatte, dann war vielleicht keine Ursache, etwas zu beklagen. Ganz harmlose Tauben, bemerkte er, würden vor den Habichten der Berge sehr schwer zu hüten sein, Alma aber war, wie er lachend hinzusetzte, seit dem Zwischenfalle mit Alfonso gewitzigt; sie hatte ein wenig von ihrer ursprünglichen Taubennatur verloren; während der vier in der guten Gesellschaft von New York verlebten Jahre hatten sich ihre Klauen, die sie jetzt noch geschickt versteckte, recht hübsch entwickelt, und sie hatte gelernt, dieselben zu brauchen.

Während dieser oft von glückwünschenden Freunden unterbrochenen Bemerkungen hatten Alma und Harold ihren Weg nach dem Speisezimmer langsam fortgesetzt. Sie wollten sich, ehe sie mit dem Neun-Uhr-Zuge abfuhren, ein wenig stärken. Gerade als die Braut sich gesetzt hatte und der junge Ehemann ihr vorlegte, stand Professor Wellingford am oberen Ende des Tisches auf und schlug, zum Zeichen, daß er sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden erbitte, an, sein Glas. Mabel und Adelaide, welche die Besorgnis hegten, Papa möchte etwas Altmodisches sagen oder thun, wurden rot wie die Klatschrosen und Mrs. Wellingford hielt in der Zerstreuung dem Diener, welcher ihr Champagnerglas füllen wollte, die Kaffeetasse hin.

»Welch ein schöner, lieber Mann dein Vater ist!« lispelte Alma, indem sie ihr Auge mit Wohlgefallen auf der stattlichen Gestalt und dem offenen, gütigen Gesicht ruhen ließ.

»Mein Vater ist einer der besten Menschen, die ich je gekannt habe,« sagte Harold mit einer Wärme, welche Alma die Thränen in die Augen trieb. Sie hatte immer vermutet, daß zwischen Harold und seinem Vater ein besonders inniges Verhältnis bestehen müsse, und empfand nun plötzlich den dringenden Wunsch, in diesem Bunde die dritte zu sein, um doch auch einmal zu erfahren, was eine solche Familienzusammengehörigkeit zu bedeuten habe.

Der Professor hatte kaum angefangen zu sprechen, als die achtungsvollste Stille eintrat. Das Gedränge an den Thüren wurde erstickend, aber alle waren so begierig zu hören, was der Sprecher sagte, daß jeder die Unbequemlichkeit ohne Murren ertrug. Es war etwas so Seltenes, bei Hochzeiten eine wirklich gute Rede, namentlich eine solche zu hören, in welcher dem herrschenden Geschmack für billige Witze und zweifelhaften Humor nicht Rechnung getragen wurde. Der Professor hatte sogar den Mut, mit eigner ehrlicher Rührung jene Herzenstöne anzuschlagen, welche in jedem unverdorbenen Gemüt einen Widerhall finden. Er sprach mit Wärme von den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, und manches junge Mädchen wischte sich bei dem Gedanken, wie viel sie ihren Eltern schuldete, verstohlen eine Thräne aus den Augen – mancher alte verhärtete Krösus, welcher seine ganze Energie auf das Zusammenhäufen von Millionen gerichtet und den Sohn, der sie erben sollte, darüber vernachlässigt hatte, empfand einen flüchtigen Gewissensbiß bei dem Gedanken, was er seinen Kindern hätte sein können, wenn er nur die Zeit dazu gefunden. Als der Professor von der Braut sprach, an welche der Trinkspruch eigentlich gerichtet war, und mit einigen zarten Worten auf ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit hindeutete, fühlte Alma, wie sie in den Augen der Gäste stieg und plötzlich, als Gegenstand der Anbetung, über aller Kritik stand. Diejenigen Männer, welche sich um sie beworben, wünschten, sie hätten ihre Bewerbung länger fortgesetzt, denn die schließliche Entscheidung des jungen Mädchens lieferte ja den Beweis, daß es gar nicht so schwierig gewesen wäre, ihr zu gefallen – und diejenigen, welche sich nicht um sie beworben, verwünschten die Trägheit und Saumseligkeit, die sie daran verhindert.

Mabel und Adelaide, die anfänglich so besorgt gewesen waren und so sehr gewünscht hatten, Papa möchte sie um Rat gefragt haben, ehe er sie in solche peinliche Lage versetzt, vergaßen ihre Verlegenheit und blickten, als sie bemerkten, welchen Eindruck er hervorbrachte, mit von Stolz und Glück geröteten Wangen zu ihm hinüber. Selbst Mrs. Wellingford schien zufrieden und nickte von Zeit zu Zeit zustimmend mit dem Kopfe, als ihr Eheherr von den Gefühlen einer Mutter sprach, die er doch schwerlich aus eigner Erfahrung kannte. In Bezug auf die Eltern der Braut mußte der Sprecher sich allerdings auf seine Phantasie verlassen, aber sie half ihm das Richtige finden, und wenn Harold und Alma aus der schönen Rede eine unbeabsichtigte Ironie heraushörten, so war doch keiner der Anwesenden genau genug mit der Familiengeschichte der Hamptons bekannt, um die gleiche Bemerkung zu machen.

Die Gesundheit der Braut wurde mit einer in New York seltenen Begeisterung getrunken und das junge Paar zog sich nun zurück, um die Kleider zu wechseln. Die Unterhaltung wurde sofort lauter und belebter und schallte zu Alma, während sie vor ihrem Spiegel stand, wie ein fernes Wellenrauschen hinauf. Delphine, welche, die Augen voll Thränen und den Mund voll Stecknadeln, ihrer Herrin die letzten Dienste leistete, blickte von Zeit zu Zeit mit einer Art von dramatischem Interesse zu ihr auf. Da plötzlich mischten sich mit dem Geräusch der Stimmen die Klänge von einem halben Dutzend Geigen, Celli und Klarinetten; Delphine sah sich trotz ihres anfänglichen Sträubens bald in den Rhythmus hineingezogen und bewegte Hände und Füße im Walzertakte, während sie durch die Nadelbatterie zwischen den Lippen die Melodie nachsummte, und der Anblick war so komisch, daß die wehmütige Stimmung, welche Alma beschleichen wollte, davor nicht standhielt. Als Harold leise an die Thür klopfte, um zu fragen, ob seine junge Frau fertig sei, blickte er in ein heiteres, glückliches Gesichtchen. Im Gegensatz dazu befand er sich in einiger Aufregung, denn das Recht, an ihre Thüre zu klopfen, hatte ihm ihre veränderte Stellung zu einander ganz unvermittelt zum Bewußtsein gebracht. – In Almas Augen lag ein feuchter Schimmer und auf ihren Wangen eine helle Röte, als sie ihm in einem Reisekleide von olivenfarbigem Wollenstoffe, das ihre schlanke Gestalt vortrefflich hervorhob, entgegentrat – und eben wollte das junge Paar zusammen die Treppe hinabsteigen, als sie auf Mr. Hampton stießen, welcher die Stufen so schnell heraufkam, als seine Beleibtheit es ihm gestattete.

»O, ich fürchtete schon, ihr wäret bereits auf und davon!« begann er atemlos. »Ich möchte euch noch einen Augenblick sprechen.«

Nachdem er dann noch eine Minute, nach Atem ringend, still gestanden, öffnete er die Thür zu seinem Schlafkabinett und dem daran stoßenden Empfangszimmer und winkte den beiden, einzutreten.

»Mama sagt mir, daß deine Hochzeitsreise nach Silvertown in Colorado gehen soll,« begann er zu Alma gewendet in aufgeregtem Tone, indem er den Schlüssel im Schlosse umdrehte. »Ist das wahr?«

»Wir gehen dorthin, um mit dem Vergnügen ein Geschäft zu verbinden,« entgegnete sie in dem offenbaren Bestreben, den Abschied von dem Vater so freundlich als möglich zu gestalten.

»Es ist doch nicht wahr, daß Sie die Stelle eines obersten Direktors bei der ›Maid of Athens‹ angenommen haben?« fragte Hampton sich kurz zu Harold wendend.

»Ja, das ist allerdings wahr,« gab Harold mit augenscheinlicher Verwunderung zur Antwort. »Ich glaube, ich habe mich einer solchen Stellung nicht zu schämen.«

»Das hat noch niemand gesagt.«

»Dann bitte ich um Verzeihung, ich meinte etwas derartiges aus Ihrem Tone herausgehört zu haben,« versetzte Wellingford.

»Lassen Sie meinen Ton beiseite. Was ich sagen wollte, ist nur, daß ich meiner Tochter niemals erlauben werde, nach einer Gegend zu gehen, wo man seines Lebens nicht sicher ist. Sie müssen bedenken, daß es in jener Stadt kaum dreihundert Frauen zwischen etwa sechstausend Männern gibt. Ich habe meinem Kinde gegenüber eine Verantwortlichkeit und ich hoffe, Alma wird mir gehorchen, wenn ich ihr die Reise untersage.«

»Es thut mir herzlich leid,« entgegnete Wellingford ruhig, »daß ich mich, nachdem ich Ihnen schon allerlei Verdruß bereitet, auch in diesem Falle zu einer entgegengesetzten Meinung bekennen muß. Aber ich glaube, meine Nachrichten aus Silvertown sind neuer als die Ihrigen, und von glaubwürdiger Seite erhalte ich die Versicherung, daß, bei der allergewöhnlichsten Vorsicht, Leib und Leben dort jetzt ebenso geschützt sind, wie in New York. Es befinden sich gegenwärtig gegen eintausend Frauen in Silvertown und darunter zwanzig oder dreißig gebildete Damen aus dem Osten, welche ihren Männern gefolgt sind. Indessen will ich die Entscheidung ganz und gar in Almas Hände legen, obwohl wir die Frage reiflich überlegt und durchsprochen haben«

»Es schmerzt mich sehr, Vater, daß unsre Ansichten und Meinungen so oft auseinander gehen,« sagte Alma, indem sie auf Mr. Hampton zuschritt und ihm die Hand auf die Schulter legte.

»Du hast also die Absicht, ihm zu folgen?« rief Mr. Hampton, indem er ihr einen drohenden Blick über die Schulter zuwarf.

»Ja,« entgegnete Alma fest. »Nur Gewalt könnte mich zurückhalten.«

Peinliches Schweigen herrschte für einige Augenblicke in dem Zimmer, währenddem sich Mr. Hampton an einen kleinen mit Elfenbein eingelegten Schreibtisch setzte, ein Checkbuch aus der Tasche zog, ein Blankett ausfüllte und es mit gewichtigen Zügen unterschrieb.

»Hier,« sagte er dann, indem er Harold das Papier hinhielt. »Zwölftausend Dollar werden für ein Jahr genügen, und wenn das Geld ausgegeben ist, verlangen Sie mehr – aber geben Sie die Reise nach Silvertown auf.«

»Ich weiß Ihr großmütiges Anerbieten zu schätzen, Sir, und erkenne dasselbe an,« entgegnete Harold, ohne die Hand nach dem Papier auszustrecken oder sonst eine entgegenkommende Bewegung zu machen. »Aber es ist Ehrensache für mich, die Stellung, wenn auch nur für kurze Zeit, anzunehmen, und ich habe sie bereits angenommen. Ich hatte vor wenigen Tagen eine lange Unterredung mit Mr. Palfrey, der mir die ganze Sachlage erklärt hat. Es handelt sich da um große Summen –«

»Aber es ist schon ein sehr guter Direktor dort, wie man mir sagt – der Mann ist, glaube ich, aus Pennsylvanien und heißt, wenn ich nicht irre, Ca – Ca– Cartwright.«

»Ein infamer Gauner, Sir!« rief Harry. »Sie können mir glauben, ich bin gut unterrichtet; man hat mich in aller Form zum Nachfolger dieses Burschen ernannt, und ich werde den Platz wenigstens für einige Wochen ausfüllen.«

Hampton ließ einen langen Pfiff hören, und ein drohender Zug lag um seine Lippen, während er seine Tochter zum Abschied küßte und seinem Schwiegersohne steif die Hand reichte.

»Aha,« sagte er, während er die Unterlippe vorschob und die Brauen in die Höhe zog »Aha, jetzt fange ich an, dein Spiel zu verstehen.«

Diese Bemerkung wurde indessen erst dann gemacht, als sich die Thür hinter dem jungen Paare geschlossen hatte.



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