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Zwanzigstes Kapitel.
Eine wichtige Entscheidung.

Mr. Cunningham säumte nicht, Mrs. Wellingfords Befürchtungen zu rechtfertigen. Acht oder zehn Tage nach jener Unterredung erhielt sie ein Telegramm, in welchem er ihr anzeigte, daß ihre Spekulation einen Gewinn von zwölftausendfünfhundert Dollar ergeben habe und daß diese Summe jederzeit zu ihrer Verfügung stehe.

Alma fühlte sich bei dieser Nachricht von einer namenlosen Unruhe gepackt. Zuerst bemühte sie sich, die Ueberzeugung zu gewinnen, daß sie ein vollkommenes Recht habe, das Geld anzunehmen, und daß ihr Bedenken ein ganz lächerliches sei; aber ihr Gewissen, obwohl dasselbe sie in der letzten Zeit zuweilen im Stiche gelassen hatte, machte sein Dasein dennoch geltend, indem es ihr die Freude an dem Gewinn gänzlich verdarb. Sie verlebte, ehe Harry aus seinem Büreau zurückkam, drei qualvolle Stunden. Endlich erschien er und zwar in der allerbesten Stimmung. Vergnügt rieb er sich die Hände, als er auf Alma zuschritt, um ihr den »pflichtmäßigen Kuß« zu geben, wie sie es in unzufriedenen Stunden nannte. Als das Mittagessen vorüber war, folgte sie ihm wie gewöhnlich in das Bücherzimmer, wo er mit Muße und Genuß seine Cigarre rauchte.

Alma war inzwischen zu der Gewißheit gekommen, daß ihr Geheimnis für sie allein zu schwer sei, und so hatte sie eine kleine unschuldige Kriegslist ausgedacht, durch welche sie – davon hielt sie sich überzeugt – nicht nur hoffen durfte, Harrys Zorn zu entwaffnen, sondern vielleicht sogar seine Zustimmung zu erlangen.

»Harry,« sagte sie mit der Miene eines gekränkten Kindes, »du bist wieder den ganzen Tag fortgewesen und ich habe mich so schrecklich einsam gefühlt.«

Harry legte seine Cigarre weg und sah sie mit jenem Lächeln an, welches zwischen jungen Eheleuten eine Einladung an die Frau ist, sich auf die Kniee des Mannes zu setzen. Alma wenigstens legte es sich so aus, und indem sie die Arme um seinen Hals schlang, nahm sie den ihr gebotenen Platz mit einem Behagen und einem Gefühl sicheren Besitzes ein, welche nie verfehlten, ihren bestrickenden Zauber auf das Opfer dieser Vertraulichkeit auszuüben. Alma verstand die Kunst, sich einzuschmiegen und einzunesteln, wie wenige, und Harry strahlte, wie alle jungen Ehemänner in dieser Lage, vor Entzücken, obwohl er sich scherzend den Anschein zu geben suchte, als sei sie ihm unbequem.

»Harry,« begann Mrs. Wellingford, die etwas wie einen Gewissensbiß empfand, als sie sah, mit welcher kindlichen Unbefangenheit Harry in die ihm gestellte Falle ging, »du weißt gar nicht, welch ein falsches, heuchlerisches Geschöpf ich bin. Ich habe etwas sehr Schlechtes und Häßliches gethan, und als ich mich eben auf deinen Schoß setzte, hatte ich nur die Absicht, deine Verzeihung zu erschmeicheln.«

Harry lachte innerlich und seine Augen glänzten vor Vergnügen. Die Situation schien ihn außerordentlich zu belustigen.

»Nun, was ist denn so Lächerliches in dem, was ich gesagt habe?« fuhr Alma mit einem leichten Anflug von Ungeduld fort. »Ich spreche wirklich und wahrhaftig im vollen Ernste.«

»Du darfst mir das Lachen nicht übelnehmen,« entgegnete Harry mit schlecht verhehlter Heiterkeit, »denn du wirst zugeben, daß es sehr spaßhaft ist, erst einen schlauen Ueberfall zu planen, ihn dann, nachdem er zur Hälfte ausgeführt, dem Feinde zu verraten und diesen durch ein solches Gemisch von List und Offenheit zur Uebergabe bewegen zu wollen.«

»Wenn du nur wüßtest, wie dein Gleichmut einen zur Verzweiflung bringen kann, du würdest mehr Nachsicht für die Fehler andrer haben,« schmollte Alma.

»Ja, Liebling, ich glaube, ich setze deine Geduld manchmal auf harte Proben ;« gab Harry mit plötzlichem Ernste zur Antwort; »aber sei überzeugt, es geschieht nie mit Absicht.«

»Und willst du mir denn verzeihen, was ich gethan habe?« fragte Alma mit dem echt weiblichen Talent, günstige Momente sofort auszunutzen.

»Ich bin sehr neugierig, zu hören, was ich dir zu verzeihen habe.«

»Sei doch nicht so häßlich, Harry,« bat sie, mit Thränen in der Stimme.

»Na, gut, gut, ich verzeihe dir.«

Mehrere Minuten lang herrschte ein so tiefes Schweigen, daß das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims beinahe wie ein Lärm erschien und das Knistern und Prasseln des Holzfeuers wie ein schwaches Peletonfeuer klang.

»Ich glaube fast, es ist besser, wenn ich's dir nicht sage, Harry,« murmelte Alma, indem sie sich noch fester an ihn schmiegte. »Die Augenblicke wirklichen großen Glückes sind so selten, daß es Sünde wäre, einen zu verderben. So wie jetzt, möchte ich in Ewigkeit weiter leben. Ich hoffe nur, daß auch im Himmel Hikorybäume wachsen, so daß man sein Holzfeuer haben kann, und daß sie dort weit genug hinter der Zeit zurück sind, um große, schöne Lampen zu brennen, anstatt der abscheulichen Gasflammen, die, neben den schmutzigen Straßen, das Häßlichste in New York sind.«

Harry war unfähig, ihr bei diesem plötzlichen Sprunge auf ein andres Thema ohne weiteres zu folgen. Sie fühlte das und wurde dadurch nur um so hartnäckiger. Wie die meisten Frauen hielt sie die leichte Beweglichkeit ihres Temperamentes für eine Tugend und den verhältnismäßigen Mangel dieser guten Eigenschaft in dem Wesen des Mannes für Gefühllosigkeit und Stumpfheit.

»Was für ein Dickhäuter du bist, Harry,« sagte sie mutwillig.

»Wenn du damit meinst, daß meine Gedanken einer gewissen logischen Folge bedürfen, eine Notwendigkeit, von der sich die Frauen frei gemacht zu haben scheinen, so habe ich nichts dagegen, zu den Dickhäutern gezählt zu werden.«

»Bitte, bringe mich mit deiner Vernunft nicht zum Wahnsinn, Harry! Ich habe nicht geglaubt, daß du ein solch abscheulicher Mensch sein könntest.«

»Nun gut, Herzchen, so sage mir, was dich quält. Du siehst doch, daß dein Gewissen dir keine Ruhe läßt, bis du gebeichtet hast.«

»Nein, nein, ich kann es dir nicht sagen; wenigstens, könnte ich's dir nur ins Ohr flüstern.« Und durch sein Lächeln ermutigt, legte sie ihre Lippen dicht an sein Ohr und flüsterte ihm mit stockendem Atem zu: »Mr. Cunningham hat für mich an der Börse spekuliert – natürlich ohne meine Erlaubnis – und hat zwölftausendfünfhundert Dollar für mich gewonnen. Ich möchte nun wissen, ob du mir erlaubst, das Geld anzunehmen.«

Alma hatte erwartet, daß er sagen würde: »Nun, warum denn nicht, Liebling; was ist denn dabei so Schlimmes?« Statt dessen ließ er plötzlich die Arme, die sie umschlossen hielten, sinken und eine Wolke legte sich über seine Stirn. Es war das erste Mal, daß er ihrer Zärtlichkeit widerstand, und sie fühlte die Demütigung wie einen schmerzenden Stich. Hastig sprang sie auf die Füße und stand rot vor Trotz und Beschämung vor ihm.

»Darf ich fragen,« begann Wellingford mit ruhiger, aber etwas gepreßter Stimme, »darf ich fragen, woher du das Geld hast, mit dem Mr. Cunningham für dich spekulierte? Denn natürlich mußt du einen Einsatz gemacht haben.«

»Mr. Cunningham hat mir das Geld geliehen,« entgegnete sie schnell und trotzig. Denn wenn Harry die Sache so auffaßte, kam sie mit Entschuldigungen nicht weiter.

Wellingfords Gesicht wurde um einen Schatten finsterer und mit dem Kinn auf der Brust blieb er eine Minute lang schweigend sitzen.

»Dann willst du also Mr. Cunningham erlauben, dir mit diesen zwölftausendfünfhundert Dollar ein Geschenk zu machen?« fragte er. »Und was glaubst du wohl, welche Meinung er von einer Frau haben muß, die ihm derartige Freiheiten gestattet?«

»Er sieht solche Dinge nicht von dieser häßlichen und unangenehmen Seite an,« gab Alma zur Antwort, während sie erregt im Zimmer auf und ab schritt. »Er sagte mir, es mache ihm Freude, seinen Bekannten gefällig zu sein, und es koste ihm so wenig Mühe.« Und nachdem sie noch einigemale mit zusammengepreßten Händen im Zimmer hin und her gegangen war, rief sie mit einem plötzlichen Ausbruche von Heftigkeit: »Warum hast du einen solchen Abscheu vor dem Börsenspiel, Harry? Der größte Teil der Menschen in Amerika lebt doch davon.«

»Wenn du die Geduld hast, mich anzuhören, will ich es dir erklären,« entgegnete er ernst. »Glücklicherweise ist es falsch, wenn du sagst, daß die meisten Amerikaner vom Börsenspiel leben. Wenn das der Fall wäre, würden die Tage der Republik gezählt sein, denn der Staat kann nur durch eine Summe ordentlicher, stetiger und produktiver Arbeit gedeihen. Das Börsenspiel, welches nur auf künstlich herbeigeführten Kursschwankungen beruht, ist aber nichts weniger als eine produktive Arbeit, im Gegenteil, es schädigt die gesunde und folgerichtige Entwickelung des Handels und Verkehrs. Selbstverständlich muß in einem Lande von so gewaltiger Produktionskraft die Leidenschaft für das Spiel üppig wuchern, aber wir müssen uns immer bewußt bleiben, daß die Spieler der gesamten Nation großen Schaden zufügen. Sie bringen es dahin, daß die Arbeit des fleißigen Bürgers als gemein und untergeordnet erscheint, denn sie zeigen einen viel kürzeren Weg zu Reichtum und Ansehen. Sie setzen alle Werte in unruhige Bewegung, steigern, indem sie das natürliche Gleichgewicht der Dinge aufheben, den Preis der zum Leben notwendigsten Dinge und richten tausende von redlichen Kaufleuten und Arbeitern, die nicht in der Lage sind, den Kampf mit ihnen zu bestehen, zu Grunde. Das Schlimmste von allem aber ist, sie übertragen die Leidenschaft für das Spiel in alle Kreise, lockern dadurch unaufhörlich die allgemeine Moral und werden, indem sie das Bereich des Zufalls erweitern, nicht nur unsrer staatlichen Entwickelung verderblich, sondern halten die Fortschritte der Civilisation auf und sprechen der folgerichtigen Entwickelung der gesamten Schöpfung hohn. Wenn wir erst die Gesetze der Weltordnung besser verstehen lernen, wird der Zufall eine immer verschwindendere Rolle in unserm gesamten Leben spielen; jeder tüchtige Mensch wird voraussehen können, welche berechtigten Ergebnisse er von seinem Thun und Lassen erwarten darf, und diese klare Voraussicht wird ein mächtiges Hemmnis des Lasters und alles Schlechten bilden. Wenn du nun so die folgerichtige Entwickelung der Welt ins Auge fassest, wirst du begreifen, liebe Alma, warum ich alles hasse und verabscheue, was den Fortschritt hemmt und sich der Herrschaft der Vernunft und Ordnung hindernd in den Weg stellt.«

Alma hatte dieser einer glühenden Ueberzeugung entspringenden kleinen Rede mit Aufmerksamkeit gelauscht; aber der sich vor ihr entrollende Gedankengang war ihr so völlig neu, daß sie sich außer stande fühlte, ihm zu folgen. Sie empfand nur eins, daß derselbe sie ihrem Manne nur noch ferner rückte, und als sie ihn so ruhig und vernünftig, gleichsam als die Verkörperung einer unbeugsamen Schlußfolgerung vor sich sitzen sah, bemächtigte sich ihrer eine Abneigung gegen ihn, die sie vergeblich zu unterdrücken suchte. Was kümmerten sie die Gesetze der Weltordnung oder die Logik der Schöpfung, und wie sollte sie im stande sein, ihr kleines Leben mit solchen in der Luft schwebenden allgemeinen Begriffen in Einklang zu bringen? Mr. Cunningham mit seiner bequemen Vertraulichkeit und seinem nichtssagenden Geschwätz schien ihr in diesem Moment unendlich viel näher zu stehen, und mit dem Wunsche nach seiner Gesellschaft stieg ein wildes Verlangen in ihr auf, sich der verfeinerten geistigen Atmosphäre, die sie hier umgab, zu entziehen und zu dem alten bequemen Leben zurückzukehren, das nicht nach unerreichbaren Idealen strebte und dessen höchstes Charaktermaß die hergebrachte Mischung von kleinen Tugenden und Lastern war.

Harry, der keine Ahnung von diesen sie bestürmenden Gedanken hatte und durch seine eigne Beredsamkeit weich geworden war, stand langsam auf und näherte sich der Ecke des Kaminmantels, an dem Alma lehnte.

»Alma,« sagte er, ihre Hand in die seine schließend, »nicht wahr, du wirst mir die Liebe thun und noch heute an Mr. Cunningham schreiben, daß du sein Geld nicht annehmen kannst?«

Alma entzog ihm ihre Hand und blickte eine Weile starr ins Feuer.

»Du meinst also,« begann sie mit ärgerlichem Lachen, »daß ich arme kleine Person, um mich mit der folgerichtigen Entwickelung der Schöpfung in Einklang zu bringen und den Interessen des Weltalls zu dienen, zwölftausendfünfhundert Dollar aufgeben und fortfahren soll, in einer abscheulichen Mietkaserne zu wohnen, während mir die Mittel geboten werden, wenigstens für einige Jahre ein Haus in anständiger Lage zu haben. Ich soll jedes Vergnügen, Toilette und Gesellschaft entbehren, weil, wenn ich's nicht thue, die Civilisation um den Millionenteil einer Sekunde aufgehalten werden könnte! Habe ich dich recht verstanden?«

»Du hast eine wunderliche Art und Weise, die Dinge zurechtzulegen,« gab Wellingford kühl zur Antwort. »Aber selbst in dieser Form vorgetragen, kann ich mein Verlangen noch nicht so ganz unvernünftig finden. Außerdem habe ich noch einen, dich vielleicht unmittelbarer berührenden Grund dafür anzuführen. Jeder Mensch, der eine unwürdige Handlung begeht, schädigt sich dadurch in seiner eignen Achtung und verliert einen Teil der Achtung andrer. Merke nur auf, ob Mr. Cunninghams Benehmen gegen dich bei deiner nächsten Begegnung mit ihm nicht um einen Schatten anders geworden ist. Du besitzest für dergleichen eine feine Empfindung und wirst leicht herausfühlen, ob ich recht habe oder nicht.«

»Jedenfalls ist meine Empfindung nicht fein genug, um Dinge zu entdecken, die nicht vorhanden sind,« entgegnete Alma. »Du mußt bedenken, daß Mr. Cunningham kein so überfeiner, zart besaiteter Mensch ist, wie du. Wenn er sagt, es mache ihm Freude, seinen Bekannten einen Gefallen zu thun, so verbindet er damit gewiß keinen Hintergedanken.«

»Gerade weil er, wie du sagst, kein überfeiner, zart besaiteter Mensch ist, wird er auch dir grobe Beweggründe unterlegen und dich demgemäß behandeln. Aber wir haben bereits genug darüber gesprochen. Gleichviel, ob du meiner Ansicht zustimmst oder nicht, muß ich in diesem Augenblick darauf bestehen, daß du meinem Wunsche gehorchst. Sei also so gut, nimm diese Feder und schreibe in dir beliebigen Worten, daß du Mr. Cunninghams liebenswürdiges Anerbieten nicht annehmen kannst.«

Dabei reichte er Alma eine Feder, während er mit der andern einen Schubkasten aufzog und mehrere Bogen Briefpapier auf das Pult warf. Alma stand noch immer unbeweglich am Kamin und sah ihm mit verwunderter Miene zu. Als sie das Gespräch begonnen, war sie durchaus noch nicht fest entschlossen gewesen, das Geld von Cunningham zu nehmen. Sie hatte nur eine gewisse Sehnsucht nach dem Luxus gehabt, welchen dies Geld ihr verschaffen konnte, sie hatte gehofft, Harry werde ihr Gewissen beruhigen, und ihr Widerwille, sich dem Spekulanten zu Dank verpflichtet zu fühlen, war auch jetzt noch nicht geschwunden. Aber Harrys befehlender Ton hatte den Geist des Widerspruchs in ihr geweckt und sie war fest entschlossen, sich solcher Tyrannei nicht zu beugen.

»Soll das ein Befehl sein?« fragte sie leise und mit gepreßter Stimme.

»Wenn du es so nennen willst, ja,« gab er mit nachdrücklicher Betonung zur Antwort.

»Und wenn ich diesem Befehle nicht gehorche?«

Sie fühlte ein Hindernis in der Kehle, das ihrer Stimme einen unnatürlichen Klang gab.

»Wenn du nicht gehorchst, werde ich selbst an Mr. Cunningham schreiben und ihm sagen, daß du solche dich ihm verpflichtende Gefälligkeiten nicht annehmen kannst,« versetzte Harry mit ruhiger Entschiedenheit.

Alma hatte sich bis dahin Mühe gegeben, ihren Zorn zu bemeistern, jetzt wallte es heiß in ihr auf und sie war unfähig, sich länger zu beherrschen. Man hatte ihren Willen bis heute nie gekreuzt und derselbe war niemals mit einer stärkeren Gewalt zusammengeprallt. Aber die Furcht vor einer Demütigung und das unerträgliche Gefühl der Hilflosigkeit gaben ihrem Tone auch in diesem Augenblicke noch einen bittenden Klang und dämpften die leidenschaftliche Erregung.

»Das wirst du nicht thun, Harry; das wirst du sicherlich nicht thun!« rief sie.

»Du läßt mir keine Wahl, Alma,« versetzte er nachdrücklich. »Ich habe gewiß nicht die Absicht, dich zu demütigen, aber ich kann nicht zugeben, daß du meinem guten Namen zu nahe trittst.«

»Sie gehen zu weit, Mr. Wellingford,« sagte eine Alma selbst unbekannte Stimme. »Wenn ich Ihrem guten Namen zu nahe trete, so ist's besser, daß wir uns trennen, damit Ihr guter Name in Zukunft nicht mehr in Gefahr kommt.«

Wellingford ließ sich müde in seinen Armstuhl sinken und stützte die Stirn in die Hand. Er fühlte, daß sein Eheleben bei einem entscheidenden Punkte angelangt war. Gab er jetzt nach oder milderte er nur die Ausdrücke, die er gebraucht hatte, so war sein bestimmender Einfluß zum Guten auf Alma unwiederbringlich verloren. Der Unterschied zwischen den Grundsätzen seiner und ihrer Erziehung kam ihm zum schmerzlichsten Bewußtsein, aber er setzte doch ein unbedingtes Vertrauen in ihre Herzensgüte und die edle Grundlage ihrer Natur. Ueber gewisse Züge in ihrem Wesen, wie das Rechnen auf Glücksfälle, die Ehrfurcht vor dem Reichtum, die Unordnung und Vernachlässigung ihres Haushalts konnte er ihr ja eigentlich nicht zürnen. Er wollte sich noch einmal an ihre Vernunft wenden und ihr die Unzulässigkeit dieser scheinbar harmlosen Spekulation klar zu machen suchen, denn er war noch jung und thöricht genug, um zu glauben, daß sich eine Frau durch Vernunftgründe von einem einmal gefaßten Plane abbringen läßt. Hätte er sich an ihr Herz gewendet und ihre Zärtlichkeit angerufen, sie würde weiches Wachs in seiner Hand gewesen sein – aber wie Alma unfähig war, die Philosophie der Schöpfung zu verstehen, so war er in der ruhigen Zuversicht auf die Folgerichtigkeit und Ordnung der Dinge befangen, ohne von diesen Schranken ihres Verständnisses eine Ahnung zu haben.

Etwa zehn Minuten mochte Harry in Gedanken versunken dagesessen haben, dann blickte er auf. Er befand sich allein. Mit namenlosem Schrecken sprang er empor und eilte nach Almas Schlafzimmer. Finsternis und Stille überall. Er tappte sich bis zum Bett – es war unberührt. Ein Blick in den Wandschrank, in welchem Alma ihre Hüte und Mäntel aufzubewahren pflegte, überzeugte ihn, daß sie fort war.

Er kehrte nach dem Bücherzimmer zurück und blieb in düsteres Brüten versunken eine oder zwei Stunden sitzen. Es war ja unmöglich, Alma konnte ihn nicht verlassen haben! Mechanisch erhob er sich, sah sich noch einmal im Vorsaal und im Schlafzimmer um, ob sie wirklich nicht da sei, und ein kalter Schauer ging ihm durch die Glieder. Mechanisch fing er an, durch die Zimmer zu schreiten. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um die Hände zu ringen. Eine Art Nebel, etwas wie ein Mondring schien um die Lampe zu liegen und alle ihm vertrauten Gegenstände gewannen plötzlich ein seltsam fremdartiges Ansehen. Dabei erschreckte ihn das zwecklose Umherschwirren seiner Gedanken – nur an eins klammerte er sich verzweiflungsvoll fest, an die Hoffnung, daß sie zu ihm zurückkehren werde, zurückkehren müsse.

Die Uhr auf dem Kamin schlug zehn – er vermochte die Ungewißheit nicht länger zu ertragen, nahm Hut und Ueberrock und eilte hinüber nach der Avenue. Die Nacht war kühl, aber zuweilen strich ein Strom feuchter, warmer Luft durch die Straßen. Schwarze, phantastische Wolkenungeheuer jagten hintereinander am Himmel dahin, um in der Hitze der Verfolgung gelegentlich Köpfe, Schwänze und Klauen zu verlieren. Vor der Thüre des Hamptonschen Hauses stand ein Wagen, und Harry nahm denselben genau in Augenschein. Er hoffte, es sei eine Mietkutsche, mußte sich aber zu seinem Mißfallen überzeugen, daß es Cunninghams Equipage war. Schweren Herzens ging er rings um das Haus, begab sich in den Hof und lehnte sich hier an einen Wallnußbaum, von welchem aus man einen Teil des hell erleuchteten Wintergartens übersehen konnte. Die Glaswände desselben waren mit Schlingpflanzen überzogen und, mächtige Palmen erhoben ihre stolzen Wedel beinahe bis zur Decke. Nachdem Wellingford unter dem Baume einige Minuten gestanden, erblickte er durch das Blätterwerk hindurch zwei Gestalten, welche durch den Mittelgang nach dem Springbrunnen hingingen. Das Gaslicht fiel hell auf ihre Gesichter. Harry bedeckte seine Augen mit den Händen und stöhnte tief auf, Lachen und heiteres Gespräch drang von drinnen heraus bis zu ihm. Die Hoffnung in seiner Brust erstarb.



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