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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Blaubarts Kammer.

Während Hampton senior in Wallstreet umherschlenderte und sich innerlich vor Vergnügen über seine Schlauheit schüttelte, segelte Hampton junior in seiner wundervollen Jacht »Kokette« an der Küste von Neuengland entlang. Er hatte eine sechswöchentliche Vergnügungsfahrt vor und wollte dieselbe bis über Quebec, ja vielleicht bis Montreal ausdehnen.

Rachel hatte nie etwas so Reizendes, Zierliches und in jeder Beziehung Vollkommenes gesehen, wie das kleine Fahrzeug, welches gleichsam den Extrakt der gesamten Civilisation in einer Nußschale zu bergen schien. Kein nur erdenklicher Gegenstand fehlte – alles, was den Sinnen schmeichelte, irgend einer Laune dienen oder das Behagen erhöhen konnte, war bedacht und vorgesehen. In heiterer Laune fragte Rachel einmal den Besitzer aller dieser Herrlichkeiten, wo er eigentlich Aladins Wunderlampe versteckt halte, und fing an, im Scherz danach zu suchen. Das Wetter war herrlich, eine kühle Brise schwellte die Segel und ein klarer Himmel spannte sich vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis wieder zum Morgen, nur mit einem köstlichen Wechsel in den Farben und Wolkenbildungen, darüber aus. Die Stadt mit ihrer Hitze, ihrem Geräusch und ihren Sorgen schien in unendlicher Ferne zu liegen, und die frische Seeluft hielt Rachel alle trüben Gedanken fern.

Fest überzeugt, daß Walther, der gut und treu war und sie herzlich liebte, seine Pflicht gegen sie erfüllen und sich mit ihr durch den Segen der Kirche verbinden würde, sobald gewisse äußere Hindernisse aus dem Wege geräumt waren, fühlte sie sich glücklicher und heiterer, als sie jemals im Leben gewesen. Es war ja unmöglich, Walther zu mißtrauen, wenn sie so abends unter dem dunkeln Dome des Himmels, von plätschernden Wellen umspült, die schwachen Umrisse des Landes vor sich, zusammen auf Deck saßen. Die Stimme Walthers, der behaglich rauchend auf türkischen Teppichen und Polstern ausgestreckt lag, hatte für ihr Ohr einen so beruhigenden Klang, er begegnete ihr mit so zarter Rücksicht, daß es mehr als undankbar gewesen wäre, hätte sie sich beklagen wollen. Auch ein vortreffliches Pianoforte befand sich an Bord, und wenn die Jacht vor der Brise dahinschoß, mischte sich Rachels herrliche jugendfrische Stimme häufig mit dem Rauschen des Windes und der Wellen, um mit ihnen im unendlichen Raume des klaren Himmels zu verhallen. In solchen Momenten überkam Walther, der entweder auf Deck umherschlenderte, den Steuermann überwachte, oder auf schwellenden Kissen hingestreckt lag, ein unsäglich stolzes Behagen, obwohl er – zu seiner Ehre sei's gesagt – zuweilen etwas wie einen Gewissensbiß verspürte und sogar edelmütige Regungen in sich auftauchen fühlte. Aber alles dies hing, wie er sich einredete, vom Wetter und der Diät ab. Scharfe, in Essig eingemachte Früchte in einen leeren Magen stachelten stets sein Gewissen. Rheinwein machte ihn mürrisch und sauertöpfisch, wogegen ihn Champagner, sowie Xereswein mit heißem Wasser unverständig, weich und hochherzig stimmten.

Es war in der letzten Augustwoche, als die »Kokette« auf ihrem Heimwege in einem bekannten Hafen Neuenglands einlief, wo sich ein Dutzend andrer Jachten Stelldichein gegeben hatten. Das kleine Fahrzeug, welches in Bezug auf Jachtbau die »letzten Resultate der Neuzeit« verkörperte, erregte allgemeines Aufsehen und erfüllte die Eigentümer und Gäste der übrigen kleinen Luxusschiffe mit Eifersucht. Die stolzesten Wallstreet-Magnaten machten der »Kokette« ihren Besuch und besichtigten sie so genau, daß sie darüber – wie Rachel Walther zuflüsterte, als das Stern- und Streifenbanner eben wieder einmal zu Ehren eines solchen Besuches emporflatterte – bis zur Mastspitze errötete. Bewunderung und Eifersucht gereichten Walther in gleicher Weise zur Befriedigung und versetzten ihn in so heitere Laune, als sich mit seiner Würde nur immer vertrug. Wäre es seine Frau oder Geliebte gewesen, deren Schönheit man so angestaunt und gepriesen, es würde ihm nicht mehr geschmeichelt haben. Natürlich vertrug es sich denn auch nicht mit der Ehre der »Kokette«, unthätig liegen zu bleiben und nur die eigne Schönheit im Wasser zu spiegeln – sie mußte, in Anerkennung der ihr gezollten Bewunderung, irgend etwas thun, und so beschloß Walther, sie solle ein Fest geben.

Während der Vorbereitungen zu dem üppigen Mahle bemerkte Rachel, zu Walther gewendet, in zaghaftem Tone, sie werde sich unter all den Männern ziemlich verlegen fühlen. Walther entgegnete, daß auch Damen bei der Gesellschaft sein würden. Rachel schlug plötzlich die Augen zum Himmel empor und flüsterte einige Worte in hebräischer Sprache. Dann lehnte sie sich schüchtern an Walthers Schulter und sagte, während ein Strahl von Liebe aus ihren Augen brach, mit schüchterner Stimme: »Ich danke dir, Walther. Ich wußte ja, du würdest mich nicht betrügen.«

Walther sah sie einen Augenblick bestürzt an, stand dann auf, schnippte die Asche von seiner Cigarre und schlenderte zu dem Steuermann hinüber, an welchen er einige gleichgültige Fragen richtete. Rachels Freude bei der Mitteilung, daß sich auch Damen bei der Gesellschaft befinden würden, hatte ihn sehr unbehaglich gestimmt, denn er begriff wohl, daß sie in ihrer Unerfahrenheit dies als ein Zeichen ihrer Anerkennung vor der Welt betrachte und ihm die Absicht unterschob, sie bei dieser Gelegenheit als seine Frau vorzustellen. Solcher kindlichen Unwissenheit gegenüber war er beinahe hilflos. Alle seine Bemühungen, Rachel nach und nach die Augen über ihre Lage zu öffnen, waren also fruchtlos gewesen, ja sie hatten in gewisser Beziehung die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht, und er konnte nichts thun, als sich auf die zwingende Macht der Umstände zu verlassen, wenn sie eines Tages entdeckte, daß ihr keine Wahl blieb, als die Stellung zu ihm einzunehmen, welche er ihr anweisen würde.

Wohl fürchtete er den Moment dieser Entdeckung, sah aber eigentlich keinen Grund, ihn hinauszuschieben. Er war ja ein gutmütiger Mensch, der kein Vergnügen daran fand, andern weh zu thun – aber eine vorübergehende Wehthat war oft eine Wohlthat – so zum Beispiel in diesem Falle; denn begriff Rachel erst ihre Lage, so gewöhnte sie sich auch daran und schickte sich hinein. Die sich heute bietende Gelegenheit, ihr die Augen zu öffnen, war so gut wie eine andre. Hätte sie nur ein Fünkchen Verstand und Einsicht besessen, so würde sie gewußt haben, daß er sie in ihrer jetzigen Lage den Damen, die er eingeladen hatte, nicht vorstellen konnte; dies hätte sie ja mehr in Verlegenheit bringen müssen als ihn, und die Möglichkeit war gar nicht ins Auge zu fassen.

Mit dem Vorsatze, ihr alles das kurz und bündig zu erklären, begab sich Walther einige Minuten vor der Ankunft seiner Gäste auf Deck. Er hatte mit Absicht gewartet, bis er der ersten sich nähernden Boote ansichtig wurde, denn er wollte Rachel keine Zeit zu einer Scene lassen und hoffte, die Gegenwart der Schiffsmannschaft werde als Dämpfer auf ihre erregten Gefühle wirken.

Die Sonne ging eben zur Rüste und übergoß die westlichen Hügel des Gestades mit glänzendem Schimmer, als Rachel, glühend vor glückseliger Erwartung, auf Deck erschien. Sie war, wie gewöhnlich, mit der Einfachheit gekleidet, die zu ihrer stilvollen, ernsten Schönheit paßte, aber ihre Augen hefteten sich mit einer so flehentlichen Bitte um Billigung auf Walther, daß ihre ganze Erscheinung einen rührenden Ausdruck bekam. Sie hatte die Schleppe ihres Kleides mit der einen Hand aufgenommen, um sie vor der Berührung mit dem Fußboden zu schützen, und die dadurch bedingte halbe Wendung des Körpers ließ ihren schönen Nacken mit den kleinen Tuffs feinen, schimmernden Haares im vorteilhaftesten Lichte erscheinen. Walther, der nicht ohne Geschmack war und alles dies mit einem Blicke überschaute, fühlte seine Stimmung weicher werden. Die niederschmetternden Bemerkungen, mit denen er Rachels Ansprüche ein für allemal hatte zur Ruhe bringen wollen, blieben ihm in der Kehle stecken; er war nicht im stande, sie herauszubringen Der Anblick des jungen Mädchens mit dem süßen, flehenden Gesicht und der edeln Haltung ließ ihm alles in einem andern Lichte erscheinen, und er fing an – zu seiner Ehre sei's gesagt – sich vor sich selbst zu schämen.

»Wenn sie nur nicht dies verflucht vornehme Wesen hätte, man würde viel eher zum Ziele kommen,« murmelte er vor sich hin, als er auf Rachel zuschlenderte. »Gleichviel, für heute muß ich sie aus dem Wege schaffen. Aber was zum Kuckuck hat sie denn mit sich angefangen?«

Es war Rachels Frisur, welche diesen wenig schmeichelhaften Ausruf veranlaßte. Sie hatte früher die Gewohnheit gehabt, ihr Haar in einer keiner Mode entsprechenden Weise, zu ordnen, indem sie es glatt von der Stirn zurückstrich und die schweren Flechten auf dem Scheitel zu einer Art Krone zusammenwand. Walther hatte mehrfach Verbesserungen zu dieser Haartracht vorgeschlagen, und um ihn zu befriedigen, hatte sie heute den halben Nachmittag mit Probieren zugebracht. Was er vor sich sah, war das Ergebnis dieser Mühe.

»Ich komme mir in dieser Frisur sehr komisch vor,« sagte sie und blickte ihn an, als hoffe sie auf Widerspruch von seiner Seite. »Aber ich habe über mich selbst kaum ein Urteil. Magst du es so leiden, lieber Walther? Diese krausen, lustigen Puffen und Löckchen machen eine völlig andre Person aus mir und scheinen eine ganz andre Haltung, ein ganz andres Benehmen zu verlangen.«

»Ja, so scheint es mir auch,« gab Walther trocken zur Antwort. »Du müßtest dich wirklich sehr lächerlich benehmen, um zu dieser Frisur zu passen.«

Rachel blickte verwundert auf. Es war ein Ton in seiner Stimme, den sie noch nie gehört hatte.

»Du magst sie also nicht?« fragte sie ängstlich.

»Nein, das könnte ich nicht behaupten.«

»Und du würdest mich lieber deinen Freunden gar nicht vorstellen, als mit dieser lächerlichen Frisur?«

»So ist es. Ich muß sagen, daß du mich ausgezeichnet verstehst.«

Rachel hatte Thränen in den Augen, aber sie wollte es nicht merken lassen. Die Härte und wohlüberlegte Grausamkeit seiner Worte forderte sie zum Widerstand heraus, und ihr Stolz kam ihr zu Hilfe. Mit vornehmem Anstand drehte sie sich um, stieg die Kajütentreppe hinab, und einen Augenblick später hörte Walther, daß sich der Schlüssel in ihrer Thür von innen drehte. Der Klang verschaffte ihm eine unendliche Erleichterung.

»Das war geschickt ausgeführt,« sagte er, nicht ohne einen kleinen Gewissensbiß, zu sich selbst. »Noch einmal möchte ich's freilich nicht durchmachen. Ich hatte wirklich Furcht.«

Um diesen Gedanken zu entgehen, begann er auf dem Deck hin und her zu schreiten, bis er zwei mit geputzten Damen und lachenden Herren gefüllte Boote näher kommen sah. Die erste Gesellschaft, welche an Bord der »Kokette« anlangte, bestand aus Mr. Daniel Timpson nebst Mutter und Schwester. Der junge Mann hatte in letzter Zeit Glück in seinen Geschäften gehabt und war jetzt Besitzer einer Jacht.

Miß Timpson war eine kleine, lebhafte Person, die ohne viele Umstände zu Werke ging und mit großer Behendigkeit die Schiffstreppe emporklomm. Sie reichte Walther, der sie als Wirt bewillkommnete, die linke Hand und hatte, ehe er noch Zeit gefunden, den Mund auszumachen, wenigstens ein halbes Dutzend Fragen an ihn gerichtet.

»O, Mr. Hampton, ich bin so froh, daß Sie mich eingeladen haben,« sagte sie, indem sie mit reizender Schelmerei zu Walther aufblickte. »Ich war fast toll vor Neugier, Ihre ›Kokette‹ zu sehen. Man hat so viel von ihr gehört, wissen Sie. Mr. Carson soll schon fast grün vor Aerger geworden sein, denn seine ›Lady Fairfax‹ war im vorigen Jahre die Heldin der Saison. Aber sie liegt nicht halb so graziös auf, dem Wasser, wie die ›Kokette‹, die wirklich ganz entzückend ist,« fuhr Miß Timpson fort, indem sie ihre Blicke voll Bewunderung umherschweifen ließ. »Das Fahrzeug ist ja nach jeder Seite hin geradezu bezaubernd. Sie müssen mir aber auch versprechen, Mr. Hampton, mich überall umherzuführen und mir alles zu zeigen. Ich bestehe darauf, alles zu sehen, die Speisekammern, die Schlafzimmer, die Hängematten für die Matrosen und die Kabine des Kapitäns. Ich denke noch mit Vergnügen daran, wie wir einmal nach der ›Scythia‹ hinüberfuhren, nur um die Kapitänskajüte zu besichtigen! Nein, wirklich, Sie müssen uns alles, alles zeigen.«

»Laß nur den armen Walther ein wenig zu Atem kommen, Cora,« fiel der Bruder der jungen Dame lachend ein. »Du weißt, er ist kein Riese an Gesundheit –«

»Das, was ich nach einer schönen Jacht am meisten liebe, ist ein galanter Bruder,« unterbrach ihn Miß Cora. »Finden Sie nicht auch, Mr. Hampton, daß solche Brüder etwas sehr Hübsches sind?«

»Wenn Dan eine Probe dieser Gattung ist, so kann ich nicht sagen, daß sie mir mißfällt,« entgegnete Walther diplomatisch.

»Und Sie versprechen mir, mich in der ganzen Jacht herumzuführen, ehe wir wieder gehen?« fragte Cora.

»Gewiß, mit dem größten Vergnügen.«

Er konnte kaum eine andre Antwort geben, aber er hoffte in der Stille, daß die flüchtige junge Dame ihr Verlangen vergessen werde.

In kurzen Zwischenpausen langten nun noch vier oder fünf Boote an, und Walther, der an der Treppe stand, empfing seine Gäste mit mehr Würde als Freundlichkeit. Es lag etwas wie ein leichtes Unbehagen in seinem ganzen Wesen, das denen, die ihn genauer kannten, nicht entging.

Rachel, die sich in ihrer Verzweiflung aufs Bett geworfen hatte, hörte das Knarren der Herrenstiefeln, das Rauschen der Damenkleider, wie das Lachen und das Summen der Stimmen über sich sehr deutlich und vermochte selbst, einzelne Bemerkungen zu verstehen. Dann vernahm sie das Rücken der Tische und Stühle, das Knallen der Champagnerpfropfen, das Klingen der Gläser; das Festmahl hatte begonnen. Ein für diese Gelegenheit engagiertes Musikcorps fing an zu spielen und übertäubte momentan die Unterhaltung, welche nun in den Pausen nur um so lebhafter geführt wurde; unter diesen wirren Tönen verfiel Rachel in eine Art von fieberhaftem Schlummer, in welchem sich die Klänge der »schönen blauen Donau« in seltsamer Weise mit dem Gefühl ihres Elends verwebten. Sie erwachte daraus mit einem Gefühl unerträglichen Hungers und richtete sich auf den Ellbogen empor, um den wiegenden Takten des Walzers und dem Schleifen und Hüpfen der tanzenden Füße über ihrem Kopfe zu lauschen. Eine flüchtige Vision von heiteren Gesichtern, hübschen Toiletten, chinesischen Laternen, glücklichen Mädchen, die sich, vom Arm ihrer Anbeter umschlungen, im Kreise drehten, tauchte vor ihr auf und ein überwältigendes Gefühl beleidigter Würde bemächtigte sich ihrer.

Sie sprang auf, begann ihr Haar nach der früheren Weise vor dem Spiegel zu ordnen und verbrauchte eigentlich die erste Hitze ihres Zornes bei dieser unschuldigen Beschäftigung. Dann badete sie ihr Gesicht in kaltem Wasser und vertilgte die Thränenspuren von ihren Wangen. Sie ging offenbar mit einem großen Entschlusse um – aber was war das? Dicht vor ihrer Thür entspann sich ein laut und lebhaft geführtes Gespräch.

»Nein, Mr. Hampton, ich muß durchaus darauf bestehen, daß Sie diese Thür öffnen!« sagte eine Mädchenstimme. »Die Schlafstätten der Schiffsleute waren mir sehr interessant, aber dieser Teil der ›Kokette‹ ist mir doch noch interessanter. Ihre Vorratskammern sind sehr stilvoll und haben mein ganzes Herz gewonnen, um mich indessen ganz zu befriedigen, müssen Sie mir noch diese Thür öffnen.«

»Aber Cora, du bist wirklich zudringlich,« fiel eine Männerstimme ein. »Weißt du nicht, daß dies das Blaubartkämmerlein ist, in dem Walther die Gebeine seiner toten Frauen aufbewahrt.«

Diese Bemerkung rief ein heiteres Lachen hervor, in das Walther jedoch nicht einstimmte.

»Die Schlafkabinen sind heute nicht ganz in Ordnung, und ich möchte den Ruf der ›Kokette‹ nicht aufs Spiel setzen, indem ich sie in diesem Zustande zeigte,« hörte Rachel ihn sagen.

»Ach, mein armer Mr. Hampton, damit kommen Sie nicht durch!« rief die schelmische junge Dame, welche man Cora genannt hatte. »Ich sehe schon, Sie haben etwas zu verheimlichen. Auf, Mrs. Blaubart,« fuhr sie fort, indem sie an die Thür klopfte und die Stimme erhob, »auf, Mrs. Blaubart, öffnen Sie die Thür; ich sterbe vor Verlangen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Aber plötzlich schwand das Lachen aus ihrem Gesicht. Die Thür wurde von innen geöffnet und heraus trat eine wunderschöne Frauengestalt, deren Blässe ihrem ernsten Gesicht nur um so größere Vornehmheit verlieh. Miß Timpson fuhr mit einem Schrei zurück und sank in die Arme ihres Bruders. Walther stand rot vor Verlegenheit, mit den Schlüsseln in der Tasche klimpernd, da. Gern würde er seine Autorität geltend gemacht haben, wenn ihn nur das blasse Gesicht Rachels nicht im Schach gehalten hätte. Wie vornehm, ruhig und würdevoll sah sie der quecksilbernen, nervösen Miß Timpson gegenüber aus! Walther befand sich in einer verwünschten Verlegenheit; aber noch ehe er Zeit hatte, sich die Folgen des Vorganges klar zu machen oder zu wissen, wie er sich dabei benehmen solle, begegnete er Dan Timpsons Augen, die mit sehr unfreundschaftlichem Ausdruck auf ihn gerichtet waren.

»Wahrhaftig, Hampton, das ist etwas zu stark!« rief Coras Bruder, der noch immer die zitternde Schwester unterstützte. »Das wirst du mir bezahlen. Komm, Cora, wir wollen Mama suchen. Ihr dürft hier keine Minute länger verweilen.«

Miß Cora warf, als sie, von ihrem Bruder geleitet, die Treppe hinaufstieg, noch einen Blick, der mehr Neugier als Empörung verriet, über die Schulter zurück. Rachels Augen folgten ihr verwundert. Dann blickte sie Walther an, dessen Gesicht jetzt einen drohenden Ausdruck gewonnen hatte und aussah, als ob er die größte Lust hätte, allem Anstand und aller guten Lebensart ins Gesicht zu schlagen und nur nicht den Mut fände, diesem Wunsche zu folgen.

»Warum hast du mich nicht vorgestellt, Walther?« fragte Rachel einfach.

»Dir das erklären zu wollen, würde hoffnungslos sein,« entgegnete er. Dann fuhr er etwas sanfter fort: »Jetzt thu mir die Liebe, in dein Zimmer zurückzukehren; ich werde versuchen, dir die Dinge begreiflich zu machen, wenn diese Leute erst fort sind.«

»Ich werde dir nichts mehr zuliebe thun,« sagte sie ruhig. »Ich fange endlich an, dich zu verstehen.«

Die Trauer in ihrer Stimme rührte ihn, und schon war er drauf und dran, sich zu ergeben. Aber – war es denn nicht seine Absicht gewesen, ihre Illusionen zu zerstören, hatte er das Fest, von dem er sie ausschließen wollte, nicht gerade zu diesem Zwecke veranstaltet? Und jetzt stand er da wie ein Feigling und versuchte, die Folgen seines freien Entschlusses wieder aufzuheben. So jagte ein Gedanke in seinem Kopfe den andern, ohne daß er zu einem Entschlusse gelangte, als plötzlich zwei junge Damen, noch atemlos von einem eben beendigten Walzer, die Treppe herabstürmten und dem Wirte, als sie ihn gewahr wurden, lachend zuriefen: »Eine Nadel, eine Nadel, ein Königreich für eine Nadel!«

Rachel, welche eine weitere Demütigung fürchtete, schritt an ihnen vorüber und stieg die Treppe hinauf. Die Ruhe der Verzweiflung, welche sich in jeder ihrer Bewegungen aussprach, schnitt Walther ins Herz, und er würde ihr nachgeeilt sein, wenn die beiden jungen Mädchen ihn nicht zurückgehalten hätten.

»Wer war das?« rief die eine. »Sie sah ja aus, als ob sie einen Geist gesehen hätte oder selber einer wäret«

»Sie ist so wunderschön!« rief die andre. »Wie war doch gleich ihr Name?«

»Miß Carrie Smith von Cincinnati,« entgegnete Walther ernsthaft.

»Ich fürchte, wir haben ein tête-à-tête gestört!« rief die erste. Dann rauschten beide in den Salon zurück.

Walther hatte die Drohung Timpsons vollkommen verstanden und war deshalb nicht verwundert, als er, auf dem Deck ankommend, bereits ein halbes Dutzend Damen in den Booten und die Herren eben bereit fand, ihnen zu folgen. Einige brachten eine gezwungene Entschuldigung für den plötzlichen Aufbruch vor und reichten ihm mit eisiger Kälte die Hand, während andre davongingen, ohne auch nur von ihm Abschied zu nehmen. Die Musik spielte aus Leibeskräften, und ein einziges Paar war so versunken in das Vergnügen des Tanzes, daß es sich, ohne zu bemerken, was, vorging, noch immer im Kreise drehte.

Ein unaussprechlicher Ekel vor dem Pharisäertum, das sich da so tugendstolz von dem Fahrzeug entfernte, hatte sich Walthers während der letzten Scenen bemächtigt. Weit entfernt, Rachel zu zürnen, fühlte er sich in diesem Augenblicke vielmehr zu ihr hingezogen, und beherrscht von dem Eindrucke ließ er seine Blicke über das Deck schweifen. Mit gefalteten Händen, das Antlitz zum Himmel erhoben, stand sie in einiger Entfernung an der Balustrade und schien seine Annäherung nicht zu bemerken. Nur als er den Arm sanft um ihre Taille schlang, stieß sie einen leichten Schrei der Ueberraschung aus.

»Rachel,« flüsterte er, »es thut mir sehr leid, dich beleidigt zu haben. Du brauchst mich deshalb aber nicht für einen ganz schlechten Menschen zu halten, sondern mußt mich zu nehmen wissen. Nur wie du jetzt bist –«

»Bitte, laß mich allein,« unterbrach sie ihn mit einer Stimme, die befehlend klingen sollte, aber in kläglicher Weise bebte. »Du hast mich nicht beleidigt. Es steht gar nicht in deiner Macht, mich zu beleidigen.«

»Na, nimm Vernunft an, Rachel,« bat er. »Ich heirate dich morgen, wenn du es haben willst. Wirklich, du kannst dich darauf verlassen.«

Eine Minute verging, ehe sie antwortete.

»Ich wünsche nicht, dich zu heiraten, Walther,« flüsterte sie mit noch immer abgewendetem Gesicht. »Ich bitte dich nur, mich allein zu lassen.«

Dabei entwand sie sich seinem Arm mit unwiderstehlicher Kraft.

»Man kann heute nicht mit dir sprechen, Rachel,« sagte er, indem er sich auf dem Absätze umdrehte und ärgerlich davonging. Er fühlte, daß sie ihn verachtete, und darum verachtete er sich selbst, denn sie hatte ein volles Recht zu dieser Empfindung. Die Lebenszwecke, die er verfolgte, waren wertlos, die Genüsse, denen er nachjagte, waren mehr denn zur Hälfte eingebildet und ließen eine unerträgliche Leere hinter sich. Hatte er je ein echtes Gefühl gekannt, so war es die Liebe zu diesem Mädchen – warum fand er nun nicht den Mut, sie zu heiraten und damit die Sache in Ordnung zu bringen? Wahrhaftig, wenn es ihm nicht um seinen Vater gewesen wäre, den er als einen alten Hitzkopf kannte, er hätte Rachel morgen früh zum Traualtar geführt. Auf den Zorn des jungen Mädchens gab er nicht viel – sie ließ sich schon besänftigen, wenn er es darauf anlegte.

In solche Gedanken versunken, schlenderte Walther noch etwa zwanzig Minuten auf dem Deck hin und her, dann wurde er müde, ging hinunter und bereitete sich seinen Nachttrunk. Dies war ein sehr ernstes Geschäft, zu welchem er eine ruhige Hand und ein nach Graden abgeteiltes Glas bedurfte. Und, um aufrichtig zu sein, die ruhige Hand fehlte ihm heute. Der Tag war zu aufregend gewesen.



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