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Achtes Kapitel.
Simon zeigt die Zähne.

Es ist geradezu Erstaunen erregend, mit welcher Leichtigkeit in der amerikanischen Gesellschaft Beziehungen angeknüpft, eine Weile gepflegt und wieder abgebrochen werden. Sich zu verlieben, sich während der Zeit des Verliebtseins zu verloben und das Verhältnis, wenn die Liebe verfliegt, wieder zu lösen, erscheint als etwas ganz Gewöhnliches und fällt durchaus nicht auf. Mütter, welche einst vermutlich selbst an und unter diesen Mißständen gelitten, sind dessenungeachtet vollständig blind, wenn Cupido an die Thür ihrer Töchter anklopft, und würden um nichts in der Welt einem Freier Hindernisse in den Weg legen. »Junge Männer lassen sich so leicht abschrecken, wissen Sie!« und auch wenn die »Aufmerksamkeiten«, welche man den Töchtern erweist, zu nichts weiter führen sollten, so dienen sie immerhin dazu, den Marktwert derselben zu erhöhen, und geben ihnen in den Augen ihrer Freundinnen mehr Ansehen. Im allgemeinen handelt man nach dem Grundsatze, daß es jedenfalls besser sei, einen wertlosen Menschen zu ermutigen, als einen andern, der sich bei näherer Erkundigung als annehmbar erweisen könnte, zu entmutigen.

Glücklicherweise ist die Periode, in welcher sich die junge Amerikanerin durch ein Paar träumerische Augen und einen wohlgepflegten Schnurrbart bethören lassen kann, nur von kurzer Dauer. Während dieser gefährlichen Zeit ist der Nutzen elterlicher Wachsamkeit allerdings gar nicht hoch genug anzuschlagen, – sind die jungen Damen aber einmal mit der bei Frauen so entzückenden Leichtigkeit und Elasticität über diese Periode hinausgekommen, so richtet sich ihr Urteil und ihr Gefühl vollständig nach den in ihrem Gesellschaftskreise bestehenden Regeln und Ansichten, und sie verstehen es nun, den geistigen und finanziellen Wert eines Bewerbers mit einer Kälte und Genauigkeit abzuschätzen, um welche der Vorsteher einer höheren Unterrichtsanstalt oder eines Bankgeschäftes sie beneiden könnte. Es wäre nicht ohne Interesse gewesen, zu erfahren, wie viele der reizenden jungen Mädchen, an welche Wellingford bei den Nachmittagsspaziergängen in der Avenue seine Bewunderung verschwendet hatte, an den Meistbietenden zu verkaufen waren, und das Bankbuch des jungen Mannes würde genau den Punkt bezeichnet haben, bis zu dem er seine Blicke erheben durfte.

Indessen war die Zeit, da Harry seine Augen auf jedem schönen Mädchen ohne Unterschied mit Wohlgefallen ruhen ließ, vorüber. Nach dem Balle bei Palfrey schien er mit plötzlicher Blindheit geschlagen, etwa wie ein Mensch, der in die Sonne gesehen hat und das Bild dieses lichtstrahlenden Körpers, noch lange nachdem er den Blick abgewendet, auf der Netzhaut des Auges behält. Wohin er immer blickte und ging, Alma stand vor ihm, während daneben alle andern Gegenstände unsicher und nebelhaft erschienen.

So oft er bei ihr vorsprach, was sehr häufig geschah, fand er alles in der angenehmsten Weise zu seinem Empfange vorbereitet. Alma empfing ihn » sans cérémonie« in der Bibliothek, einem großen, eleganten, mit Möbeln von geschnitztem Eichenholz und gepreßtem Leder ausgestatteten Raume, brachte ihm ein Kistchen der besten Cigarren ihres Vaters (Walther hielt die seinigen unter Schloß und Riegel) und forderte ihn auf, sich's bequem zu machen. Trat irgend jemand während des tête-à-tête der beiden zufällig in das Gemach, so entschuldigte sich der Eindringling verlegen und zog sich hastig zurück. Nur Mr. Hampton kam ein- oder zweimal herein und blieb eine Weile sitzen, als wäre er neugierig, zu wissen, welche Art von Mensch dieser eifrige Gast wohl sei.

Mrs. Hampton, Almas Mutter, erhob keinerlei Anspruch, die Handlungen ihrer Tochter zu überwachen, sondern empfing Harold stets mit ausgesuchter Höflichkeit, beglückte ihn mit den beiden stehenden Bemerkungen über Mr. Beechers letzte Predigt und das ungewöhnliche Wetter und ließ ihn dann mit Alma allein. Sie hatte schon Dutzende von Männern, junge wie alte, um ihre Tochter herumschwärmen und schmachten gesehen, und betrachtete diesen Bewerber nur als ein neues armes Opfer. Seit Alma Mr. Cunningham, dessen Name eine Macht im Kreise der Geldleute war und der das Zeug hatte, ein zweiter Vanderbilt zu werden, thöricht genug ausgeschlagen hatte, erklärte sich ihre Mutter für unfähig, die Tochter und ihre Gedanken und Absichten zu begreifen – da sie aber trotzdem nicht die leiseste Besorgnis hegte, Almas Herz könne je die Oberhand über ihren Kopf gewinnen, sah sie auch keine Veranlassung, das junge Mädchen in seinen harmlosen und berechtigten Freuden und Amusements zu stören. Walther hatte während seiner Knabenzeit vorübergehend sein Vergnügen an Insekten gefunden, die er mit Nadeln aufspießte und in langen Reihen in Glaskästen ordnete. Warum hätte sich Alma, wenn sie es sonst der Mühe wert hielt, die von ihr gespießten Exemplare einer andern Gattung aufzubewahren, nicht eine ähnliche Sammlung anlegen sollen?

Wellingford hatte keine Ahnung, daß die Gesellschaft, oder was gleichbedeutend ist, der tonangebende Teil derselben seine Besuche in Mr. Hamptons stattlichem Hause aufmerksam beobachtete. Ebensowenig ließ er sich träumen, daß er zu einer viel besprochenen Persönlichkeit in den Kreisen wurde, welche Gesellschaften zu geben pflegen und Nachmittagsbesuche abstatten, um neue Moden und Kostüme auszustellen, sowie interessante Tagesneuigkeiten auszutauschen und zu verbreiten. Ein Teil dieser Gesellschaft war der Meinung, Alma habe den Verstand verloren, ein andrer neigte sich der Ansicht zu, ihrer Mutter müsse die gesunde Vernunft abhanden gekommen sein, um eine solche unverhohlene Courmacherei unter ihren Augen zu dulden, und ein dritter, allerdings der kleinste Teil fand es nicht unmöglich, daß Harold verrückt geworden sei, weil er sich sonst schwerlich allen Ernstes an eine so bekannte Kokette wie Alma Hampton hätte hängen können.

Eine der Damen, welche die letztere Anschauung vertraten, hatte allerdings Alma am Abende vorher zärtlich umarmt und geküßt und sie das herzigste Wesen auf der ganzen Welt genannt. Harold, welcher dabei gestanden und die kleine Scene voll Bewunderung mit angesehen, hatte sich gesagt, daß die Welt doch sehr schön sei, daß nur milzsüchtige Zweifler, inmitten so viel Schönheit, Liebe und Aufrichtigkeit, etwas daran zu tadeln finden könnten, und hatte sich der Repräsentantin dieser drei Tugenden, der kleinen Miß Whipple, unverweilt vorstellen lassen. Alma, welche die feinen Künste ihres Geschlechtes zu gut kannte, um sich durch solche Komödie täuschen zu lassen, empfand zwar die größte Lust, Wellingford die Augen zu öffnen, unterließ es aber, da ihr einfiel, es möchte nicht gut sein, ihn zu tief blicken zu lassen, ehe er im Hafen der Ehe eingelaufen. Ihr schärferer Blick hielt sie indessen keineswegs ab, Miß Whipples Liebkosung aufs zärtlichste zu erwidern.

Harold und Alma hatten jetzt jenes Stadium durchlaufen, welches von beiden Seiten als Probezeit betrachtet wird und in welchem es beiden Teilen noch frei steht, sich zurückzuziehen, falls sie unliebsame Entdeckungen machen sollten. Beide hatten die Prüfung glänzend bestanden, denn beide waren bemüht gewesen, keine ihrer weniger angenehmen Eigenschaften in Gegenwart des andern an den Tag kommen zu lassen, und waren nun in das zweite Stadium eingetreten, in welchem sich die Liebe, obwohl noch immer unausgesprochen, in Scherz und Ernst unzweifelhaft kundgibt. Sie suchten einander nicht mehr unter allerlei leicht zu durchschauenden Vorwänden, sondern gingen frank und frei dabei zu Werke und ließen die hergebrachten Formen der Gesellschaft täglich mehr fallen, um einander wie alte, gute Kameraden zu begegnen. Ihre Freunde kamen überein, daß sie »so gut wie verlobt« wären, und niemand zeigte die geringste Verwunderung, wenn man sie miteinander bei Delmonico fand, wo sie im köstlichsten tête-à-tête frühstückten, oder in der Gemäldeausstellung, wo sie, wie gewiegte Kunstkenner, leichte Bemerkungen über Bilder und Künstler austauschten, oder wenn sie gemeinschaftlich Konzerte und Theater besuchten, mit einem Worte die zahlreichen Gelegenheiten benützten, welche New York bietet und welche ganz eigens zur Bequemlichkeit solcher Liebespaare erfunden zu sein scheinen, die es nicht angenehm oder nicht angemessen finden, sich täglich unter den Augen der Eltern zu sehen.

Während dieser genußreichen Tage vergaß Harold zuweilen ganz und gar, daß er von Beruf Bergwerksingenieur war und ein Geschäftsbüreau im Broadway hatte. Sein Assistent, ein blasser junger Mann Namens Robbins, welcher die Eigenschaften eines Studenten der Chemie mit denen eines Schreibers vereinigte, verbrachte nicht selten den ganzen Tag in der tiefsten Einsamkeit und schloß das Lokal, wenn er ausging, um in einer benachbarten Speisewirtschaft – die sich sowohl auf ihr boeuf à la mode, wie auf ihre schöne Büffetmamsell etwas zu gute that – sein zweites Frühstück einzunehmen. Wellingfords Guthaben bei der Bank, welches, wenn man die Ziffer in den Zeitungen bekannt gemacht hätte, seine gesellschaftliche Stellung nicht verbessert haben würde, schlug eines Tages in ein Defizit um, und er empfing vor Sonnenuntergang eine abscheuliche kleine Abrechnung, aus welcher hervorging, daß er mit einem Betrage von fünfundvierzig Dollar Schuldner der Bank geworden war.

Alma einen Einblick in diese gemeinen Dinge zu eröffnen, hielt er nicht für notwendig. Im Gegenteil, es würde zu unzart gewesen sein, sie ahnen zu lassen, wie viele hundert Dollar er monatlich für Blumen, Wagen, Theaterbillets und andre Erfordernisse einer fashionabeln Courmacherei verausgabt hatte. Alma ihrerseits dachte keinen Augenblick an die Kosten ihres Vergnügens, sondern fand es nur sehr ärgerlich, daß Wellingford sie gerade zu einer Zeit, wo sie ihn am notwendigsten brauchte, verlassen wollte, um das Weihnachtsfest in dem abscheulichen Boston zuzubringen. Sie sprach diese Empfindung in seiner Gegenwart in sehr beredten Worten aus, und er fühlte sich ungemein geschmeichelt durch den Gedanken, daß ein Teil ihres Glückes von ihm abhängig sei – aber Familienrücksichten, kindliche Pflichten und dergleichen verlangten gebieterisch, daß er die Feiertage daheim verlebte, und nachdem ein gewisser gefährlicher Moment vorüber war, in welchem er ihre beiden Hände in den seinigen hielt und ihr flehend in die Augen blickte, nahm er ohne weitere Schwachheit Abschied. Alma schloß daraus, daß er einer neuen Ermunterung bedürfe, und nahm sich vor, sie ihm zu teil werden zu lassen. Inzwischen aber sollte sich für sie von einer Seite Unheil zusammenbrauen, von welcher sie es am wenigsten erwartet hätte.

Am Tage nach Wellingfords Abreise erschien Mr. Hampton mit gerunzelter Stirn bei Tische und blickte seine Tochter, als sie schlank, elegant, mit hoch erhobenem Kopfe und mit einer gewissen vornehmen Würde das Zimmer betrat, voll unverkennbaren Mißfallens an. Sie ließ, als sie an seiner Seite Platz nahm, einen kleinen Seufzer hören und ordnete mit leichter Hand das Spitzenfichu, welches ihren Nacken graziös einrahmte. Ein graues, mit kardinalroten Borten besetztes, viereckig ausgeschnittenes Kaschmirkleid umschloß ihre leichte Gestalt.

Der Diener reichte ihr die Suppe, sie kostete dieselbe und sagte: »Nehmen Sie den Teller fort – ich esse keine kalte Suppe.«

Mr. Hampton saß, seine eigne Suppe vergessend, mit eingestemmten Armen und blickte seine Tochter zornig an.

»Es hat eine Zeit gegeben, wo mein Fräulein Tochter nicht so verd- wählerisch war,« sprudelte er mit der größten Heftigkeit heraus

»Das kann wohl sein,« antwortete sie mit einer kühlen Ruhe, die seinen Zorn noch mehr reizte. »Wenn du eine Vorliebe für kalte Suppe hast, so wüßte ich in der Welt keinen Grund, warum du deinem Geschmack nicht folgen solltest, aber du wirst doch kaum verlangen, daß die übrigen Glieder der Familie unter deinen Sonderbarkeiten leiden.«

»Ich glaube, daß ich Herr im Hause bin, und werde auf keinen Fall dulden, daß man an meinem eignen Tische Widerworte gegen mich hat,« rief Mr. Hampton in drohendem Tone. »Ich sage dir, ich werde es nicht dulden!«

»Soviel ich weiß, hat dir auch noch niemand dein Hausherrnrecht bestritten,« entgegnete Alma mit derselben kühlen Gleichgültigkeit, während sie ein Stück Brot zwischen den Fingern zerbröckelte.

»Um Gottes willen, Vater, keinen Auftritt vor den Leuten,« flüsterte Walther bestürzt, indem er seine Hand beruhigend auf den Arm des Vaters legte.

»Wenn du irgend etwas mit mir auszumachen hast, so bin ich gern bereit, dich nach Tische in der Bibliothek zu sprechen,« bemerkte Alma, indem sie die Suppe, welche der Diener soeben wieder gebracht und ihr vorgesetzt hatte, mit prüfender Miene kostete.

»Sie ist gern bereit, mich in der Bibliothek zu sprechen! Ei, seht doch an!« rief Mr. Hampton mit ironischem Lachen.

Mr. Hamptons Laune hatte sich, seitdem er in Wallstreet Geschäfte machte, entschieden verschlechtert und die verschiedenen gemischten Schnäpse, welche die Wallstreetetikette vorschreibt, und welche man nicht ausschlagen kann, ohne kindisch zu erscheinen, hatten einen schädlichen Einfluß auf seine Verdauung ausgeübt. Seine Eitelkeit, die den Geschäftsfreunden nicht lange verborgen geblieben, war geschickt von ihnen benutzt worden, um ihn in Spekulationen zu verstricken, aus denen er nicht ohne große Verluste wieder herauszukommen vermochte, und seine Miene war nicht mehr die des unfehlbaren Erfolges, welche vordem in Saundersville Neid und Bewunderung erregt hatte. Der Unternehmungsgeist, der den Westamerikaner charakterisiert und von welchem Mr. Hampton ein gutes Teil besaß, war nicht im stande, ihm als Lotse durch die Klippen und Untiefen von Wallstreet zu dienen, im Gegenteil, derselbe gereichte ihm, solange er die hier auf dem Geldmarkte gebräuchliche Praxis nicht kannte, zum Nachteil. Trotz seiner unbestreitbaren Energie und seines rückhaltlosen Vorgehens, wenn es galt, einen Vorteil zu verfolgen, erwies sich Mr. Hampton hier nicht als der »schneidige Kerl«, für den er bei andern bis jetzt gegolten und für den er sich selbst hielt, und es würde ihm Hunderte und Tausende von Dollar erspart haben, wenn er sich erst von der Thatsache hätte überzeugen können, daß es eine Menge von Geschäftsleuten in Wallstreet gab, deren Hirn besser arbeitete und besser geschult war, als das seinige.

Allerdings waren drei oder vier unter ihnen, vor denen er einen beinahe unbegrenzten Respekt empfand, und zu diesen dreien oder vieren gehörte in erster Linie Cunningham, der in letzter Woche durch eine kühne Spekulation in Gold zweimalhunderttausend Dollar gewonnen hatte. Hampton, welcher an dem Unternehmen hätte teilnehmen können, wenn er die ihm gegebenen Winke und Ratschläge beachtet, war jetzt außer sich über seine Dummheit. Sein Aerger wurde noch dadurch gesteigert, daß ihm Cunningham im ersten Rausche des Triumphes verraten hatte, wie nahe daran er gewesen, sein Schwiegersohn zu werden. Sie hatten zusammen bei Delmonico ein feines Frühstück eingenommen, und die unbekümmerte, großartige Weise des jungen Spekulanten, sein Geld auszugeben, sowie die unbeschränkte Gastfreundschaft, mit der er jeden traktierte, der ihm in den Weg kam, hatten einen gewaltigen Eindruck auf den älteren Mann gemacht. Cunningham war, Mr. Hamptons Meinung nach, das Ideal eines Gentleman, und er knirschte mit den Zähnen bei dem Gedanken, daß ihm die Gelegenheit, einen solchen Menschen in die Familie zu bekommen, entgangen sein sollte. Jedenfalls wollte er seiner Tochter bei der ersten Gelegenheit seine Meinung über die Sache sagen, und es stimmte ihn nicht milder, als er, mit Cunninghams Champagner im Kopfe in sein Privatbüreau zurückkehrend, dort Simon Löwenthal fand, durch dessen Vermittelung er in letzter Zeit allerlei Geschäfte gemacht.

Der Jude stand im Vorzimmer und wischte sich mit einem seidenen, rot und gelb gemusterten Taschentuche den Schweiß von der Stirn. Nachdem der Agent zu der Ueberzeugung gelangt war, daß Alma ihn kaum je wieder mit ihrem Vertrauen beehren werde, hatte er beschlossen, wenn irgend möglich, als Mitwisser der heimlichen Spekulation des jungen Mädchens eine Summe Geldes von dem Vater zu erpressen. Aber er fand Hampton heute nicht in der Laune für solche Dinge, und entging mit genauer Not der Gefahr, mit einem Tritt zur Treppe hinabbefördert zu werden. Dennoch war es ihm gelungen, seinem Geschäftsfreund die Thatsachen, wenn auch nur in abgerissenen Worten und Sätzen, aber im häßlichsten Lichte mitzuteilen und Alma und Wellingford eines Einverständnisses zu beschuldigen, das in seiner Darstellung eine sehr unangenehme Färbung gewann. Kein Wunder, daß Mr. Hampton nicht in der besten Stimmung zu Tische kam – indessen nahm das Mahl ohne weiteren Zwischenfall seinen Verlauf.

Das Mittagessen hatte seit der Uebersiedelung der Familie nach New York einen durchaus feierlichen Charakter angenommen und dauerte sehr lange. Walther erschien – wenn er überhaupt erschien – in Frack und weißer Krawatte, und Alma und Mrs. Hampton hatten sich, nachdem sie sich überzeugt, daß der gute Ton Gesellschaftstoilette dabei vorschreibt, ebenfalls diesem tyrannischen Gebrauche gefügt. Nur Mr. Hampton sträubte sich noch krampfhaft dagegen und zog sich dadurch eine Menge Erinnerungen von seiner Frau zu, welche jetzt die höchste Gewalt im Hause repräsentierte. Das Gespräch drehte sich während der Mahlzeit nur um Wertpapiere und ihre Kurse. Mrs. Hampton wußte es stets auf diesen Gegenstand zu lenken und Walther, der in letzterer Zeit als Teilhaber in das Geschäft seines Vaters eingetreten, erging sich mit der ganzen Gesprächigkeit eines Anfängers über die geheimen Manipulationen auf dem Geldmarkte. Seine Mutter, welche in der Regel besser als ihr Mann und ihr Sohn um die unterirdischen Strömungen und Gegenströmungen an der Börse Bescheid wußte, hörte ihnen dennoch mit Interesse zu, verstand es, das Brauchbare aus ihren Mitteilungen herauszufinden, und benutzte dies in den nächsten Gesprächen mit ihren eignen Maklern, denen sie infolgedessen als eine außerordentlich scharfe Beobachterin und eine Frau von ungewöhnlicher geschäftlicher Begabung erschien.

Diese Privatmakler Mrs. Hamptons waren Mr. Cunningham und Mr. Rice. Auf den Rat und die Veranlassung dieser beiden Herren hatte sie sich auch in der Stille an der so erfolgreichen letzten Spekulation in Gold beteiligt, zu welcher ihr Gatte kein Vertrauen zu gewinnen vermocht. Sie trug nicht das leiseste Bedenken, ihren Wagen am hellen Tage vor Mr. Cunninghams Geschäftslokal halten zu lassen, und ihre gesellschaftliche Stellung erlitt, allem Anschein nach, keinerlei Schaden durch die Oeffentlichkeit dieser Beziehungen.

Uebrigens erschien Mrs. Hampton nicht allzu häufig in Wallstreet, sondern zog es vor, geschäftliche Angelegenheiten in ihrem bequemen, eleganten Boudoir abzumachen. Cunningham selbst hatte eine eingestandene Vorliebe für dies reizende Gemach, wo man in aller Ruhe sitzen und seine Befehle durch das Telephon nach dem Büreau in Wallstreet senden konnte, von welchem aus dann jede Anordnung ebenso pünktlich ausgeführt wurde, als ob man in eigner Person an der Börse anwesend wäre. Alles in diesem angenehmen Hause trug den Stempel des Reichtums, alles war leicht und bequem eingerichtet. In dem Speisezimmer befand sich ein Weinschrank, der für nähere Bekannte jederzeit offen stand, und der alte dunkelbraune Whisky in geschliffenen Karaffen war, nach dem Urteile eines so gewiegten Kenners wie Cunningham, von besondrer Güte. Cigarren der feinsten Marken standen überall umher, und die Damen rümpften nicht die Nase, wenn man Gebrauch davon machte, sondern gestanden ihre Vorliebe für ein wenig Tabakrauch offen ein. Alma hatte früher – in den guten alten Tagen, ehe sie sich in ihr launenhaftes Köpfchen gesetzt, ihn abzuweisen – sogar selbst mehr als einmal nach dem Mittagessen eine Cigarette geraucht, um Mr. Cunningham Gesellschaft zu leisten. In Wellingfords Gegenwart hatte sie allerdings diesen Versuch nie gemacht, denn sie hegte die geheime Befürchtung, er möge das Rauchen für Damen nicht so hübsch finden, wie ihr ehemaliger Anbeter, Mr. Cunningham. Die Meinung, welche letzterer von ihr hatte, schien sie, selbst zu der Zeit, als sie die Möglichkeit erwog, ihn zu heiraten, nie groß gekümmert zu haben, denn sie hatte ihn stets als so vollständig in ihrer Macht betrachtet, daß er kaum eine andre Meinung von ihr haben konnte als die, welche sie ihm vorschrieb. Mit Wellingford war das etwas andres; sie war stets in Unruhe darüber, was er wohl im Innersten seines Herzens von ihr denken möge. Daß er von ihr bezaubert, in sie verliebt war, wußte sie allerdings mit Sicherheit, aber sie verlangte von ihm mehr. Hunderte von Männern hatten sich schon in sie verliebt und ihr gesagt, daß sie ein Engel sei, aber diese geckenhafte Anbetung war es nicht, die ihr Herz begehrte. Sie verlangte nach einer großen, überwältigenden Leidenschaft, die einen guten und bedeutenden Mann zu ihren Füßen niederzwang und – ihn auch dort erhielt. Sie wußte, sie war fähig, eine solche Liebe einzuflößen, obwohl vielleicht nicht fähig, sie selbst zu empfinden. Aber hatte die Vorsehung nicht die weise Anordnung getroffen, daß den Männern die Anbetung zufiel, während die Frauen einwilligten, sich anbeten zu lassen!



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