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Einundzwanzigstes Kapitel.
Unter Palmen.

Als Alma aus dem Hause ihres Mannes ging, empfand sie eine Verhärtung des Herzens, welche die Möglichkeit einer späteren Versöhnung auszuschließen schien. Sie fühlte sich beleidigt und mißhandelt und war fest entschlossen, wenn Harry Versöhnungsversuche machte, was ja jedenfalls in den nächsten Tagen geschah, ihre Würde zu wahren. Ihr zu sagen, daß Mr. Cunningham oder irgend ein andrer Mensch aufhören könnte, sie zu achten! Nein, das war mehr, als sie zu ertragen vermochte. Eine so schwere Versündigung bedurfte einer strengen Buße, wenn sie nicht überhaupt zu schwer war, um je vergeben zu werden. Ihre Mutter hatte ganz recht gehabt mit ihrer Warnung vor Männern von Wellingfords Art. Alma sah das jetzt ein und beschloß, die Erinnerung an den ehemaligen Ungehorsam durch eine Folge reumütiger Handlungen auszulöschen. Um die Liebe und Verzeihung ihrer Mutter zu gewinnen, wollte sie versuchen, ihr eine liebevolle Tochter zu sein und sich ihr enger anzuschließen, als dies früher der Fall gewesen. Die Erfahrung hatte sie so viel klüger gemacht und sie in ihrer eignen Wertschätzung so ungemein viel höher gestellt, daß sich sicherlich auch andre, und vor allem ihre Mutter, nicht der Erkenntnis zu verschließen vermochten, wie hoch sie gegenwärtig über ihren ehemaligen Kindereien stand. Solange ihre zornige Erregung vorhielt, dachte sie gar nicht daran, daß ihr guter Ruf durch die Trennung von ihrem Manne befleckt werden könne, und daß es unmöglich war, ihr Leben mit all den Hoffnungen und glänzenden Aussichten von früher noch einmal zu beginnen. Die Erfahrungen, auf die sie pochte, gereichten ihr in dem Augenblicke, da sie sich ihrem Pflichtenkreise zu entziehen versuchte, in den Augen der Welt zur Unehre. Daß aber ihre eigne Mutter so denken könnte wie – hätte ihr das nur in den Sinn kommen sollen!

Es war ihr schon unangenehm, daß ihr, als sie die Klingel an dem elterlichen Hause zog, von drinnen Lachen und heitres Geplauder entgegenschallte. Sie hätte sich freilich denken können, daß Gesellschaft da war – man hatte hier ja stets Gesellschaft. Ein kalter Schauer durchrieselte sie, als sie plötzlich an die kalte bare Aeußerlichkeit des Zusammenhangs dachte, der zwischen Vater und Mutter, zwischen Walther und seinen Eltern, ja zwischen allen denen stattfand, welche die Atmosphäre des Hauses atmeten. Sie lebten nur zusammen, weil es der Gebrauch nun einmal will, daß die Familie unter demselben Dache wohnt, und weil dies, bei der gegenseitigen Voraussetzung, daß keiner dem andern in den Weg komme und sich in seine Angelegenheiten einmische, ja auch eine ganz passende und angenehme Einrichtung ist. Alma erinnerte sich, daß Walther einmal seinen Vater in ihrer Gegenwart einen »lustigen alten Sünder« genannt, und wie beschämt sie sich damals durch die Verlegenheit und hilflose Schwäche gefühlt hatte, mit welcher der Vater diese Frechheit hingenommen. Daß die beiden bloßstellende Geheimnisse miteinander haben könnten, war ihr damals nicht eingefallen, bei ihrer jetzigen Kenntnis der Welt vermochte sie sich des Verdachtes kaum zu erwehren.

Als Alma in das Bücherzimmer eintrat, fand sie ihre Mutter wie gewöhnlich in geschäftlichen Beratungen mit ihrem Freunde Mr. Cunningham und die Namen von Aktienpapieren aller Art schlugen an ihr Ohr, als sie sich unbemerkt näherte. Die Luft schien ordentlich dick von Tabaksrauch und Kursnotierungen.

»Verzeih, liebe Mutter, wenn ich dich störe,« sagte Alma in herzlichem Tone, »aber es liegt mir so viel daran, dich noch heute abend zu sprechen.«

Mrs. Hampton, welche von Diamanten strahlte und in Seide rauschte, erhob sich mehr erstaunt als erfreut, um ihrer Tochter die Hand zu geben, und Mr. Cunningham sprach – wahrscheinlich in der Absicht, den kühlen Empfang ein wenig auszugleichen – sein Vergnügen, Mrs. Wellingford zu sehen, in den lebhaftesten Worten aus, wobei er sanft ihre Hand drückte. Alma fühlte sich tief entmutigt und Thränen traten ihr in die Augen, denn beides, sowohl die ungewöhnliche, beflissene Zuvorkommenheit Cunninghams, wie die kühle Steifheit der Mutter, erfüllte sie mit Schmerz und Besorgnis. Wie konnte sie je wieder Glück und Frieden in diesem Hause und unter diesen Menschen finden? Traurig und verstimmt schritt sie durch die großen prächtigen Hallen, in deren Wände im letzten Jahre Figuren von rotem, gelbem und grünem Marmor eingelegt worden waren, warf Hut und Mantel auf einen Tisch und stieg hinauf in ihr ehemaliges Zimmer. Dort hoffte sie wenigstens das alte Heimatsgefühl wieder zu finden. Halb und halb erwartete sie, Delphine aus einer Ecke hervortreten zu sehen, um der Herrin mit sanfter Hand das Haar zu glätten, ihr die Strümpfe abzustreicheln und die Chaiselongue für sie ans Feuer zu schieben. Aber in der Mitte des Gemachs blieb die junge Frau stehen; dasselbe sah so seltsam kalt und öde aus. Wieder in das untere Stockwerk zurückkehrend, schritt sie von einem Raume in den andern, bis sie den Wintergarten erreichte. Auf der einen Seite erhob sich eine Art Terrasse von blühenden Kaktuspflanzen, aus deren flammender Farbenpracht sich die weißen Kelche der Kallas kühl, rein und jungfräulich abhoben. Das Gaslicht fiel, von Reflexspiegeln zurückgeworfen, voll auf jedes bemerkenswerte Exemplar und setzte dasselbe in eine Beleuchtung, welche den Blüten ein wächsernes Ansehen gab, während die grünen Blätter in geisterhafter Weise schimmerten und glänzten. Die Glaswände waren mit Weinranken bedeckt, aus denen große opalfarbige Trauben herabhingen. Sie sahen so reif und köstlich aus, daß Alma der Versuchung, sie zu kosten, nicht zu widerstehen vermochte. Halb mechanisch streckte sie die Hand aus, pflückte eine Traube und verzehrte sie mit einer Art verstohlener Hast. Es war ja ganz unmöglich, sich in einer Welt, die so köstliche Dinge enthielt, fortgesetzt unglücklich zu fühlen. Sie pflückte noch eine Traube und je mehr sie von den wundervollen Früchten verzehrte, je mehr fühlte sie ihren Kummer schwinden. So mochte etwa eine halbe Stunde vergangen sein, als sie durch Fußtritte auf dem Kieswege hinter ihr aufgescheucht wurde. Noch den Mund voll Beeren drehte sie sich um und sah Mr. Cunningham mit den Händen in den Taschen herangeschlendert kommen.

»Nun Frau Alma,« begann er, indem er die Cigarre aus dem Munde nahm und eine Rauchwolke nach dem Palmendache emporschickte, »wie geht es Ihnen?«

»Ich danke, ganz wie gewöhnlich,« gab Alma etwas steif zur Antwort. Es fiel ihr auf, daß sein Ton und seine Haltung auffallend nachlässig waren. Auch erinnerte sie sich nicht, daß er sie früher jemals »Frau Alma« angeredet hätte.

»Mrs. Hampton schickt mich her; damit ich hier möglichst viel Cigarren rauche,« fing Cunningham nach kurzer Pause wieder an, während er in seinem Notizbuche blätterte. »Sie behauptet, Cigarrenrauch vertilge die Insekten. Und da ist auch der Check, den ich Ihnen schulde,« fuhr er nachlässig fort. »Stecken Sie ihn in Ihr Portemonnaie, damit Sie ihn bei der Hand haben.«

Alma zögerte einen Augenblick. Sie stand keineswegs über der Versuchung und der Zorn gegen ihren Mann machte sie noch geneigter, zu thun, was er nicht wollte. Zitternd streckte sie die Rechte aus, und war eben im Begriff das Papier zu ergreifen, als sie plötzlich mit der Bewegung eines launenhaften, eigensinnigen Kindes die Hand zurückzog und sie auf den Rücken legte.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Mr. Cunningham,« sagte sie, dem inneren Antriebe folgend, »aber ich glaube nicht, daß ich Ihnen die Erlaubnis gegeben habe, für mich zu spekulieren – und, um ganz aufrichtig zu sein, ich bedarf Ihres Geldes nicht.«

Mr. Cunningham unterdrückte ein spöttisches Lächeln, das sich unter seinem Schnurrbarte hervorstehlen wollte. Er kannte die Frauen und ihre kleinen Kunstgriffe »Das liebe Ding ist zornig,« sagte er sich selbst. »Die Summe ist ihr nicht groß genug. Ich hatte von hunderttausenden gesprochen und nun sind's nur zwölftausend. Sie will mehr haben, das ist alles.« Und laut setzte er hinzu: »Wenn ich etwas formlos zu Werke ging, Mrs. Wellingford, so bitte ich demütiglichst um Entschuldigung Das nächste Mal werde ich's geschickter machen.«

»Es wird kein nächstes Mal geben.«

»Ah, sagen Sie das nicht so bestimmt. Es ist immer leichter, den ersten Schritt hinein, als wieder aus Wallstreet heraus zu thun. Sie glauben nicht, wie verführerisch solche gestempelte Papiere für junge Damen sind, wenn sie erst 'mal eins in den Händen gehabt haben – und ich möchte sie deshalb nicht tadeln. Das Geld regiert die Welt, und trotz allem, was uns die Geistlichen sagen, denkt im geheimen wohl jede, daß ein Haus in der fünften Avenue irgend einem guten Platze im Himmel bei weitem vorzuziehen sei.«

Alma, die sich durch den unverschämten Ton, in welchem Cunningham von den Frauen sprach, beleidigt fühlte, konnte sich – obwohl sie selbst für die Mehrzahl ihrer Freundinnen keine übermäßige Bewunderung empfand – dennoch nicht versagen, ihr Geschlecht gegen eine Beschuldigung zu verteidigen, die sie für ungerecht hielt.

»Ich bin überzeugt, Sie haben gar keine so schlechte Meinung von unsern jungen Damen, wie Sie da aussprechen,« entgegnete sie lebhaft. »Sie sollten versuchsweise eine heiraten – eher haben Sie nicht das geringste Recht, unser Geschlecht zu beurteilen.«

»Schlechte Meinung! Die habe ich in der That nicht. Im Gegenteil, ich hege eine sehr gute Meinung von unsern Damen und würde mich längst verheiratet haben, wenn die eine, die ich erwählt, mich nicht abgewiesen hätte.«

Dabei warf Mr. Cunningham einen sehr sprechenden Blick auf Alma, die sich noch immer angelegentlich mit einer Traube beschäftigte. Sie hatte im Moment ganz und gar vergessen gehabt, daß Mr. Cunningham einst um sie angehalten, sonst hätte sie schwerlich dies heikle Thema angeschlagen. Draußen goß der Regen in Strömen vom Himmel und in der Ferne ließ sich das leise Grollen eines heraufziehenden Frühlingsgewitters vernehmen. Die Gasflammen flackerten unruhig, als ob die großen tropischen Pflanzenblätter, von unsichtbaren Händen in Bewegung gesetzt, sie fächelten, und das Trommeln des Regens auf dem Glasdache gab Alma plötzlich ein Gefühl der Einsamkeit und Hilflosigkeit, als stünde sie mitten im Kampfe der Elemente. Sie dachte an Harry, den sie im Zorne allein gelassen, und ihr Herz wandte sich ihm mit unendlicher Zärtlichkeit und Innigkeit zu. Sie gehörte ihm, und dieser Gedanke, gegen den sie sich noch vor einer Stunde voll Entrüstung aufgelehnt, gereichte ihr jetzt zum Troste. Niemals, selbst nicht in den Momenten des heftigsten Zornes, hatte sie an seinem edelmütigen Charakter, an seinem inneren Adel gezweifelt – und gab es denn überhaupt außer ihm einen Menschen auf der Erde, dem sie ganz hätte vertrauen können? Ja, sie fühlte es, das Band zwischen ihm und ihr war nicht zerrissen, und dies Gefühl gab ihr Kraft und Mut. Sie wollte, mußte sich der Liebe würdig zeigen, die ein solcher Mann ihr geschenkt hatte.

Mr. Cunningham, der Almas Schweigen und ihre sichtliche Erregung zu seinen gunsten auslegte, rückte ihr näher und suchte ihre Hand zu fassen.

»Alma,« flüsterte er, »ich weiß, daß Sie sich unglücklich fühlen. Warum wollen Sie es vor einem alten Freunde verbergen, der Ihnen immer ergeben gewesen ist und Sie mehr liebt, als er je gewagt hat, Ihnen zu sagen?«

Der Regen schien in diesem Augenblicke noch stärker zu werden und schlug mit gleichmäßig prasselndem Geräusch auf das Glasdach. Die feuchte Wärme und der erdige Geruch des Wintergartens bildeten eine Art schwüler, drückender Sommernachtstraum-Atmosphäre, welche das Festhalten jedes klaren Gedankens unmöglich machte. Ein mit ihrem Willen und ihrer Empfindung im Widerspruch stehender Zauber schien sich Almas zu bemächtigen und umschlang sie wie mit eisernen Ringen – eine Art fieberhafter Benommenheit umfing Körper und Seele. Und dabei erfüllte ihre Feigheit sie mit heißer Scham, denn wie himmelweit verschieden war ihr Benehmen von der heroischen Haltung, die sie sich selbst hätte vorschreiben mögen. In diesem Augenblicke erhellte ein herniederfahrender Blitz die Stelle, auf der sie, unter einer tropischen Pflanzenwelt, standen, und ein mächtiger Donnerschlag rollte mit dumpfem Grollen durch das Himmelsgewölbe. Alma atmete hoch auf, blickte sich um und sah Mr. Cunningham mit einem Blicke an, vor dem er um mehrere Schritte zurückprallte.

»Mrs. Wellingford,« stammelte er, sich schnell wieder fassend, »Mrs. Wellingford, ich fürchte, Sie haben mich mißverstanden.«

»Ein Mißverständnis war hier wohl kaum möglich, Mr. Cunningham,« entgegnete Alma stolz. »Aber ich wünsche keine Erklärung. Nur um eins bitte ich Sie: sprechen Sie mich nie wieder an und erwarten Sie nicht, daß ich Sie ferner kenne. Ich wünsche nicht, Ihnen Dank schuldig zu sein, und Sie werden die Güte haben, mich mit weiteren Geldanerbietungen zu verschonen.«

Alma war sich jetzt ihrer Würde voll bewußt und hatte ihre königliche Haltung wieder gewonnen, aber als sie jetzt an Mr. Cunningham vorüberschritt, um sich nach dem Bücherzimmer zu begeben, fühlte sie sich dennoch tief beschämt. Wie weit war sie hinter ihren Vorsätzen zurückgeblieben! Sie hatte zwar eine Beleidigung zurückgewiesen, aber sie hatte es doch nicht mit dem Zorne und der Verachtung gethan, welche die weibliche Würde von ihr forderte; ja mehr als das, sie hatte sich diese Beleidigung durch ihr Vertrauen zu einem Schurken und durch den Leichtsinn zugezogen, mit dem sie sich dem Rat und Willen ihres Gatten widersetzt. In zitternder Aufregung legte sie Hut und Mantel an, und als die Hausthür hinter ihr zuschlug, fiel nur noch ein einziger, trauriger Blick auf die Schwelle zurück.

Wie froh war sie jetzt, keinen entscheidenden Schritt gethan zu haben, denn in diesem Hause hätte sie weder Schutz noch Anschluß gefunden. Die Bande des Blutes waren hier ein reiner Zufall, auf den man nicht rechnen durfte. Als Alma eben die Hand auf den Drücker der Hausthür gelegt, hatte sie noch durch die Glasthür des Vorsaals bemerkt, daß Mr. Cunningham wieder in den Salon trat und sich in seiner gewöhnlichen nachlässigen Haltung einer Gruppe der dort weilenden Gäste anschloß. Eine plötzliche Furcht durchschauerte sie und machte es ihr für einen Augenblick unmöglich, sich von der Stelle zu rühren. Es lag etwas geradezu Teuflisches in der Miene, dem spöttischen Lächeln, der ganzen Haltung des Mannes. Abermals schrie ihr Herz laut nach Harry, und seine gleichmäßige Güte, die sie zuweilen so trocken und langweilig gefunden, erschien ihr .jetzt als ein Eden, das der gequälten Seele Ruhe und Frieden versprach.

Mit einem heftigen Rucke riß sie die Thür auf und trat hinaus in die Finsternis. Die Schleusen des Himmels waren noch immer geöffnet. Der Regen strömte mit Heftigkeit hernieder; die Gaslaternen schienen von farbigen Nebelringen umgeben und ihr flackerndes Licht verbreitete in der Entfernung eine dämmernde Helle, während inmitten dieser Kreise tiefe Dunkelheit herrschte. Almas leichter Schirm schwankte unter den Stößen des Windes und den niederstürzenden Wassermassen bald rechts, bald links, und ihre im Moment durchnäßten Kleider wickelten sich hemmend um ihre Füße. Aber sie fühlte nichts, dachte nichts, sondern eilte nur, von heißer Sehnsucht und thörichter Furcht getrieben, vorwärts. Die langen Straßen lagen völlig einsam. Eine Droschke fuhr in rasendem Galopp vorüber, aber das Rasseln der Räder und das Rauschen des Regens übertönten Almas Rufen. Auch einige verdächtige Gestalten tauchten aus dem Nebel auf, ohne sie indessen zu erschrecken, denn sie war von ihren eignen Gedanken viel zu sehr eingenommen, um sich zu fürchten.

Endlich, fast um Mitternacht, stand sie vor der Thür, des großen Miethauses, unter dessen Dach sie im letzten Jahre so glücklich und so unglücklich gewesen. Es schien ihr fast, als sei sie, anstatt einiger Stunden, einen Monat fortgeblieben. Mit laut klopfenden Herzen betrat sie den Aufzug und ließ sich in das dritte Stockwerk befördern. Gern hätte sie den Portier gefragt, ob Mr. Wellingford daheim sei, aber sie fürchtete, der Ton ihrer Stimme möchte die Aufregung verraten, in der sie sich befand. Nun betrat sie den Vorplatz ihrer Wohnung und blieb in atemloser Angst an der Thür stehen. Drinnen im Zimmer brannte die Lampe, aber kein Laut ließ sich hören. Vorsichtig legte sie die Hand auf den Drücker und öffnete die Thür. Harry saß, den Kopf in die gefalteten Hände gestützt, am Tische. Sie hatte die Schwelle überschritten, ehe er sie bemerkte. Sein Gesicht drückte den tiefsten Schmerz aus – aber als er jetzt aufblickte, brach ein Freudenstrahl aus seinen Augen. Das war das Zeichen, auf das sie gewartet hatte.

»O, Harry!« rief sie mit einem Tone, in dem Freude und Reue sich mischten. Im nächsten Augenblicke lag sie schluchzend an seiner Brust.



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