Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ein stummer Freundschaftsantrag.
Bald darauf trat Ann Maples in die Stellung ein, welche sie im Haushalt der Lady Cranberry erhalten hatte und ich beschloß, meine Nachforschungen zu beginnen.
»Mrs. Shelfer, wissen Sie gut in London Bescheid?«
Meine Wirthin fütterte ihre Vögel; ich hatte sie wegen ihrer Enttäuschung in Bezug auf Lady Cranberry dadurch beschwichtigt, daß ich der lahmen Amsel einen Stelzfuß aus einem Speiler geschnitzt hatte, der unten mit einem platten Knopf versehen war. Allerliebst war es mitanzusehen, wie leicht und geschickt der Vogel das hölzerne Bein gebrauchen lernte und wie stolz er es betrachtete, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Seine Herrin hielt in ihrer Beschäftigung inne und schickte sich zu einer längeren Rede an.
»Ob ich in London Bescheid weiß, Miß Vaughan? Ich bin in der Red-Croß-Straße geboren und niemals weiter aus der Stadt hinausgekommen als nach dem Jahrmarkt von Chalk Tarm oder nach den Wasserwerken von Hampstead und werde mit Gottes Hülfe auch nicht weiter hinauskommen. Meiner Seel', wie schauderhaft ist es auf dem Lande, ganz schauderhaft. Nichts als Bäume, Gräben, Brennesseln und schwarze Bretterwände, obenauf mit Spießen –«
»Sie sollten sich schämen, Mrs. Shelfer, daß Sie sich vor Lattenzäunen ängstigen, noch dazu, da Ihr Mann Gärtner ist! Aber sagen Sie mir, wo ist die Grove-Straße?«
»Welche Grove-Straße, meine Beste?«
»Nun, natürlich die Grove-Straße in London.«
»Liebste, beste Miß, ich dachte, Sie wüßten Alles. Sie können den Jack und den Bully kuriren, Sie wissen, wann es regnen wird und warum Sandy, mein Eichhörnchen, die Haare verliert. Und nun wissen Sie nicht, daß es in London ein Dutzend Grove-Straßen giebt, so viel ich weiß. Ich kenne wenigstens vier.«
»Und wo sind diese vier, Mrs. Shelfer?«
»Bitte, meine Beste, lassen Sie mich doch erst eine Minute nachdenken. Es ist mir schrecklich, gehetzt zu werden, seitdem ich als sechsjähriges Kind die Treppe hinabfiel. Ich will mich besinnen, aber Charley weiß es. Können Sie nicht warten, Miß, bis er heimkehrt? Er komm heute Abend sehr früh mit zwei Freunden zum Essen.«
»Nein, Mrs. Shelfer, ich kann nicht warten. Wenn Sie es mir nicht sagen können, so muß ich ausgehen und mir ein Adreßbuch verschaffen.«
»Ach, die Bücher taugen gar Nichts, Sie haben Charley nicht einmal darin angezeigt und er hat doch schon 'mal den Garten auf dem Hollyhock-Platz in Pacht gehabt und die königliche Gesellschaft für Garten-Cultus hat sogar eine Georgine nach ihm getauft. Man hat mir auch erzählt, daß die Königin ihm den Ehrenpreis überreichen wollte (sein Gesicht hat ihr so gefallen), nur seine Nägel waren nicht sauber genug. Sie haben gewiß davon reden hören, Miß – und wie er darum betrogen ward.«
»Glauben Sie, daß ich den ganzen Tag warten werde?«
»Nein, nein, meine Beste, keineswegs. Sie wollen niemals auch nicht eine Minute lang warten, besonders, wenn ich die Kohlen nicht unnütz verbrennen lassen und das Fleisch mit Butter begießen will. Wie kann aber die Sauce gut werden –«
»Gestern, Mrs. Shelfer, haben Sie zu meinen anderthalb Pfund Hammelfleisch drei Pfund Kohlen verbraucht. Nun halten Sie mir aber bitte keine Abhandlung, sondern antworten Sie nur. Wo ist die Grove-Straße?«
»Wahrlich, Miß Vaughan, Sie geben Einem niemals eine Gelegenheit; und wir dachten, eine junge Dame vom Lande, die nur zwischen Lämmern, Spinnrocken, Schweinen und Heuhaufen aufgewachsen ist –«
»Würde leicht zu betrügen sein. Das war aber nicht mein Ernst, vergeben Sie mir, liebe Patty. Ich spreche oft etwas vorschnell. Ich meinte nur, daß Sie geglaubt haben, ich wisse gar Nichts. Nun weiß ich zwar nicht viel, aber so viel doch, daß Sie mich niemals sehr betrügen würden.«
Zu meiner Ueberraschung zeigte sie nicht die geringste Empfindlichkeit in Bezug auf diesen Punkt. Sie hatte schon so viele Miether gehabt, daß sie es in der Ordnung fand, mit Mißtrauen behandelt zu werden. Dennoch glaube ich, daß sie mich so wenig wie möglich betrog. Sie antwortete nach kurzer Ueberlegung ganz ruhig:
»Freilich, Miß, freilich, ich thue nur meine Pflicht. Vielleicht habe ich ein bischen Bratenfett oder einen Tropfen Milch für den alten Tom und ein Stück Seife, das Sie im Wasser liegen ließen, für Charley zum Rasiren behalten.«
»Nichts mehr darüber, Mrs. Shelfer. Lassen Sie uns auf die Grove-Straße zurückkommen. Ich habe Ihnen jetzt doch genug Zeit gegeben.«
»Ja, Miß, eine ist, wie ich weiß, hier ganz in der Nähe. Wenn Sie die Villa-Allee hinunter gehen, so sehen Sie rechts einen Fischhändler. Da wohnt nämlich der Schornsteinfeger Sam, und der junge Mann, der die Times für einen Pfennig verleiht, und seine sämmtlichen Geschwister damit ernährt –«
»Und wo sind die anderen drei, welche Sie kennen?«
»Eine ist in Hackney, eine in Bethnal Green, und dann ist noch eine in der Mile-End-Allee. Ja, das weiß ich ganz sicher. Dort war ich einmal mit meiner lieben Miß Minto, um eine verlorene Katze zu suchen. Sie war weißscheckig, mit einer Kerbe im linken Ohr und trug ein silbernes Halsband. Sie hätten gewiß geweint, Miß –«
»Danke, Mrs. Shelfer, das genügt vorläufig. Ich will jetzt in das Gesellschaftszimmer hinaufgehen.«
Einige Minuten später war ich in den dunkeln Plaid gehüllt, der meiner Mutter das Leben gerettet hatte, und der seitdem für mich geheiligt war. Zum ersten Mal ging ich ganz allein in London aus, und obgleich wir in der äußersten Vorstadt wohnten, war mir zuerst etwas ängstlich zu Muthe, doch wurde ich weder dieses Mal noch später von irgend Jemand belästigt, obgleich ich manche häßlichen jungen Damen schon habe erklären hören, daß sie in London nicht ausgehen können, ohne unangenehme Beachtung zu erregen. Es kam vielleicht daher, daß sie weder schicklich zu gehen, noch sich zu kleiden verstanden.
Ohne die geringste Mühe fand ich Nro. 19 in der Grove-Straße, klingelte und blickte mich dann um. Es war eine reinliche, bescheidene Straße, die sich in ihrer Bauart durch Nichts von tausend anderen Londoner Straßen unterschied. Auf mein Schellen öffnete ein sauberes kleines Mädchen, und ich fragte nach dem Besitzer des Hauses. Eine schlaue Taktik für eine Aufgabe wie die meinige!
Als mir gesagt wurde, daß der Hausherr abwesend sei, fragte ich, ob ich die Dame des Hauses sprechen könne. Das kleine Mädchen zögerte ein wenig, mit der Sicherheitskette in der Hand, dann führte sie mich in das Parterrezimmer, ein kleines, doch hübsches Gemach.
»Erlauben Sie, Miß, welchen Namen soll ich melden?«
»Miß Vaughan.« Dann sprach ich zu mir: »Ich bin in der That gescheidt! Ist das mein Talent zum Geheimpolizisten?«
Gleich darauf kam eine nette alte Dame mit schneeweißem Haar in das Zimmer.
»Miß Vaughan, Sie wünschen mich zu sprechen?« fragte sie mit einem angenehmen Lächeln.
»Ich wollte nur um die Erlaubniß bitten, einige Fragen über die Bewohner dieses Hauses an Sie richten zu dürfen.«
Trotz ihres freundlichen und feinen Benehmens starrte die Dame mich etwas verwundert an.
»Darf ich Sie um Ihre Beweggründe bitten? Kennen Sie mich denn? Ich habe nicht das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft.«
»Meine Motive kann ich Ihnen nicht sagen. Ich versichere Ihnen aber auf meine Ehre, daß es keine unschicklichen sind.«
Sie sah mich mit äußerstem Erstaunen und einem scharf prüfenden Blicke an. Dann erwiederte sie:
»Meine junge Dame, ich schenke Ihren Worten Glauben; es nicht zu thun, wäre unmöglich. Ob ich Ihnen antworte, wird aber von der Natur Ihrer Fragen abhängen. Sie haben, verzeihen Sie, daß ich es Ihnen sage, einen sehr ungewöhnlichen Schritt gethan.«
»Ich werde nicht viele Fragen stellen. Wie viele Personen wohnen hier?«
»Ich will Ihnen so kurz antworten, wie Sie fragen, doch nur, solange Sie Nichts zu wissen wünschen, worauf ich keine Auskunft geben will. Hier wohnen vier Personen, nämlich mein Mann, ich selber, unsere einzige Tochter, um derentwillen ich Ihnen nicht unhöflicher begegnet bin, und das Kind, welches Sie eingelassen hat. Außerdem kommt täglich eine Arbeitsfrau in das Haus.«
»Also mehr sind es nicht? Entschuldigen Sie meine Unbescheidenheit. Ist Niemand da, der nicht zur Familie gehört?«
»Wir haben gar keine Miether. Mein Sohn ist in der City beschäftigt und schläft hier. Meine einzige Tochter ist von sehr zarter Gesundheit und obgleich wir nicht das ganze Haus benutzen, sind wir nicht genöthigt, Miether zu nehmen. Dies würde ich niemals thun, weil sie stets vermuthen, daß sie betrogen werden.«
»Ist Ihr Herr Gemahl ein Engländer?«
»Ja und ein englischer Schriftsteller, der nicht ganz unbekannt ist.«
Sie nannte einen Namen, der in der literarischen Welt einen sehr guten Klang hat, wie selbst mir bekannt war. Sagen wir »Elton.«
»Sie haben mich ganz zufriedengestellt. Ich danke Ihnen von Herzen. Nur wenige Menschen würden so höflich und gütig gegen mich gewesen sein. Ich fürchte, Sie müssen mich für ein sonderbares Wesen halten. Doch meine Beweggründe sind höchst zwingender Art und ich bin ganz fremd in London.«
»Mein liebes Kind, das wußte ich im ersten Augenblick. Einer Londonerin würde ich keinenfalls die Auskunft über meine Familie gegeben haben, die ich Ihnen ertheilte; bei der ersten Frage hätte ich sie abgewiesen. – Danke, danke, mein Kind! Oh, die Muschel hat Ihnen die Stirn verletzt.«
Sie war, während sie die Blicke im Hinausgehen fest auf mich gerichtet hielt, über den Fuß eines Nippsständers gestrauchelt und ich hatte ihren Fall nur gerade verhindern können.
»Nein, Mrs. Elton, ich bin nicht im Geringsten verletzt. Meine Dummheit war allein schuld, daß Sie fielen. Ich hoffe, daß die Muschel nicht zerbrochen ist. Ach, ich bringe Allen Unglück, die gut gegen mich sind.«
»Die Muschel ist keinen Pfennig werth. Es war nur meine eigene Schuld. Wenn Sie mir nicht mit so wunderbarer Schnelligkeit zu Hülfe geeilt wären, so hätte ich gewiß einen schweren Fall gethan. Bitte, setzen Sie sich, um sich zu erholen, Miß Vaughan. Da haben Sie einen Brief verloren. Himmel, die Handschrift kenne ich! Verzeihen Sie, jetzt erscheine ich als unbescheiden.«
»Wenn Sie die Handschrift kennen, so theilen Sie mir gütigst die Ihnen in Bezug darauf bekannten näheren Umstände mit.«
Es war der anonyme Brief, der mich von Devonshire nach London geführt hatte. In der Idee, daß ich ihn gebrauchen könne, hatte ich ihn zu mir gesteckt. Er war mir, als ich der Dame entgegensprang, aus der Tasche gefallen und lag nun geöffnet auf dem Fußboden.
»Darf ich die Schrift mehr in der Nähe betrachten? Vielleicht täusche ich mich auch.«
Ich zögerte ein wenig. Es erschien mir indessen von so großer Wichtigkeit, über den Schreiber des Briefes Etwas zu erfahren, daß ich meine Zweifel beschwichtigte. Dennoch zeigte ich ihr den Brief nur in so weit, daß sie seine Bedeutung nicht zu errathen vermochte.
»Ja,« sagte Mrs. Elton, »jetzt bin ich meiner Sache ganz sicher. Es ist die Handschrift einer polnischen Dame, mit der ich einst sehr gut bekannt war. Mein Gatte hat ein Werk über Polen geschrieben, das ihn mit mehreren der Flüchtlinge in Berührung brachte. Unter denselben befand sich ein Herr von einiger wissenschaftlicher Bedeutung, der eine hübsche, lebhafte, warmherzige Gattin besaß, die ungemein gern tanzte und eine große Vorliebe für Hunde hatte. Wir haben manches liebe Mal mit einander und über einander gelacht, denn obwohl mein Haar ergraut ist, liebe ich lebenslustige Leute.«
»Wo befindet sich die Dame jetzt?«
»Mein Kind, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ihren Namen werde ich Ihnen nennen, wenn Sie es wünschen, aber erst, nachdem ich meinen Mann befragt habe. Doch wird Ihnen der Name nicht viel nützen können, um sie aufzufinden, da sie beim jedesmaligen Wechsel ihres Aufenthaltes andere Namen annehmen. Selbst hier in London vergessen sie, daß es nicht jedesmal gehört wird, wenn sie nießen. Das durch Unterdrückung entstandene verstohlene Wesen klebt ihnen Allen noch an.«
»Und wo wohnten sie zur Zeit, als Sie mit ihnen verkehrt haben?«
Von Ungewißheit und ängstlicher Spannung gepeinigt, hatte ich die Vorschriften der guten Lebensart vergessen. Mrs. Elton aber besaß ein gutes Herz, das weiß, wo dieselben zu entbehren sind. Dennoch erröthete ich ich über meine eigene Dreistigkeit.
»Nicht weit von hier, in einer Stadtgegend, die ›Agar Town‹ benannt ist. Das Ehepaar hat aber jetzt London und, wie ich glaube, auch England verlassen. Mehr darf ich Ihnen nicht mittheilen, da sie Gründe haben, in der Verborgenheit zu leben.«
»Eins nur sagen Sie mir noch: waren die Leute grausam oder heftig?«
»Das gerade Gegentheil, höchst menschenfreundlich und warmherzig. Sie würden nie Jemand beleidigen und hassen jede Art von Grausamkeit. Wie bleich Sie aussehen, mein Kind! Sie müssen ein Glas Wein trinken; das dürfen Sie nicht ablehnen.«
Da diese Anknüpfung, welche so vielversprechend schien, zu Nichts führte, kann ich füglich hier damit abschließen, um meine Geschichte nicht unnöthig zu verwickeln. Mr. Elton erlaubte seiner Gattin, mir Alles zu erzählen, was sie von den polnischen Emigranten wußte, denn sie waren nach Amerika gegangen und Nichts, was hier gegen sie unternommen werden konnte, hatte die Macht, ihnen zu schaden. Gleichzeitig aber forderte er mir das Versprechen ab, die mir von ihm mitgetheilten Umstände niemals vor der Polizei zu erwähnen. Wie ich schon bemerkte, wünschte er den Namen des Herrn nicht der Oeffentlichkeit preiszugeben. Nach der Versicherung, welche mir meine gütige Freundin, wie deren wohlwollender Gatte gaben, war der Pole ein Gentleman, dem nicht zuzutrauen sei, daß er ein gräßliches Verbrechen geheim halten würde, er müsse es denn auf eine Weise erfahren haben, die es ihm zur Ehrenpflicht mache, darüber zu schweigen. Mr. Elton war nie intim befreundet mit ihm gewesen, aber Mrs. Elton hatte die gutherzige und heißblütige Dame gern gehabt. Dieselbe war auch, wie ich erfuhr, in Momenten der Erregung häufig zerstreut gewesen und hatte die englischen Namen nicht gut im Gedächtniß behalten können. Hieraus schloß Mrs. Elton, daß sie ihre Adresse mit irgend einer anderen verwechselt habe, da es höchst unwahrscheinlich sei, daß sie die Bewohner von Nro. 19 in einer zweiten Grove-Straße gekannt habe. Dennoch war dem so, doch davon später an geeigneter Stelle. Vor sechs Monaten hatten sie England verlassen, vielleicht wegen des Klimas, denn der Herr sei einige Zeit durch Krankheit an das Haus gefesselt gewesen.
Ihre Spur in Amerika zu verfolgen würde nutzlos gewesen sein. Während ihres Aufenthalts in London hatten sie einen herrlichen Hund besessen, ein prächtiges Thier, das aber mit einem Balggeschwulst behaftet gewesen sei. Dieser Hund war plötzlich verschwunden, und sie hatten nicht sagen wollen, was aus ihm geworden sei. Die Dame hatte eines Tages, als von ihm die Rede gewesen, heftig geweint. Bald darauf waren sie mit kurzem Abschied außer Landes gegangen.
Dies Alles erfuhr ich bei meinem zweiten Besuch, denn Mrs. Elton war eine zu gute Gattin, um ohne das Urtheil ihres Mannes irgend Etwas zu thun. Ich lernte auch die Tochter kennen, ein liebenswürdiges, zartes Mädchen. Ich erzählte ihnen natürlich einen Theil meiner Lebensgeschichte und sie waren sehr gut und liebevoll gegen mich. Da sie indessen keine hervorragende Rolle in dem Drama meines Lebens spielen, werde ich sie nicht wieder auf der Bühne erscheinen lassen.
Als ich auf meinem Heimwege wieder durch die Villa-Allee kam, und mit schwerem Herzen über Alles nachdachte, was ich gehört hatte, fühlte ich plötzlich, daß etwas Kaltes meine unbehandschuhte Hand berührte. Mich erschreckt umsehend bemerkte ich einen riesigen Hund, der mich schweifwedelnd mit seinen prächtigen braunen Augen ansah. Diese großen braunen Augen baten unzweifelhaft um die Ehre meiner Bekanntschaft, und die umfangreiche Schnauze war mir als Liebeszeichen dargereicht. Als ich stehen blieb, um mich seiner Gefühle zu vergewissern, erhob er mit ernsthafter Miene seine mächtige Pfote und reichte sie mir ganz zart mit einem kleinen selbstgefälligen Seufzer. Ich nahm sie ohne Ziererei und bat ihm meine Bewunderung seines edlen Aeußern und seiner gewiß außerordentlichen moralischen Eigenschaften aussprechen zu dürfen, worauf er seine leuchtend rothe Zunge ausstreckte und mir einen herzhaften Kuß gab. Dann zuckte er die Schultern und blickte mit offenbarer Geringschätzung nach einer zierlich gekleideten jungen Dame, welche etwa siebenzig Schritt von uns entfernt ihre Lungen durch silberhelles Pfeifen anstrengte.
»Ach, lieber Hund,« sprach ich lächelnd, »Deine Herrin wünscht Dich sofort zu sprechen.«
»Laß sie nur warten,« sagten seine Augen, »ich habe es heute Morgen nicht eilig, und sie weiß auch nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll. Aber wenn Du meinst, daß es unhöflich von mir ist –« und hiermit nahm er einen langen Knochen, den er, um mit mir zu plaudern, bei Seite gelegt hatte, wieder auf, steckte das eine Ende wie eine Tabackspfeife in den Mund und ging nach nochmaligem Händedruck und einem »Vergiß mich nicht« gemessenen Schrittes davon, während sein stolz erhobener Schweif wie ein Büschel Pampas-Gras hin und her wehte. Am Ende des Geländers überholte er seine junge Gebieterin, deren Züge ich nicht unterscheiden konnte. Doch aus ihrer Haltung und ihrem Gang entnahm ich, daß sie ein hübsches Mädchen sein müsse. Jedenfalls schien sie gutmüthig, denn sie drohte dem Hunde nur leicht mit ihrer kleinen Peitsche, als er einen Abstecher über den Weg machte und einen Sandhaufen untersuchte.