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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Eine kurze Entlassung.

 

Ann Maples hatte sich nach Kräften bemüht, mich zu einem Besuch bei meiner Pathe Lady Cranberry zu bewegen, doch ich war fest entschlossen, dies nicht zu thun. Erstlich war Lady Cranberry sehr reich. Sie lebte so großartig, wie es junge Wittwen lieben, welche die alte Neigung vergessen haben und nach neuer Liebe ausschauen. Ich, welche die Treue als den Inbegriff aller Ehre schätzte, konnte deßhalb keine Zuneigung für solche wankelmüthige Dame fassen. Ohnehin würden meine Verhältnisse mir keinen Verkehr mit ihr auf gleichem Fuße gestattet haben, und ich war nicht dazu geschaffen, mich von irgend Jemand patronisiren zu lassen. Zweitens hatte diese liebenswürdige Dame uns die schönsten Trostbriefe geschrieben und die innigste Theilnahme an dem Verlust unseres Vermögens bezeigt, so lange die Sache ihr noch neu war, doch bald war ihr Interesse erkaltet, und als ich ihr den Tod meiner theuren Mutter mitgetheilt, hatte sie nicht einmal geantwortet. Doch davon abgesehen, habe ich sie niemals leiden können, weil mir schon in Vaughan Park ihr Wesen und Benehmen nicht zugesagt hatte.

So ließ ich denn meine gute Ann, welche hoffte, eine Empfehlung von ihr zu bekommen, allein hingehen, und während dessen mußte ich Mrs. Shelfers Morgenbesuch entgegennehmen.

Ihre abgerissene, wunderliche Redeweise, ihre merkwürdigen Biographien sämmtlicher Tische, Stühle und Kissen – ihre »Staatsmöbel«, wie sie dieselben nannte – werde ich nicht versuchen zu wiederholen, denn meine Geschichte ist keine humoristische. Mrs. Shelfer wird nicht öfter darin vorkommen, als der Zusammenhang es erfordert. Ein Zug der Sympathie aber ward sofort zwischen uns hergestellt, als sie mit einer lahmen Amsel auf dem Finger bei mir eintrat, und ich war ganz überrascht, als ich die große Zahl ihrer Hausthiere sah. Was die »prachtvollen Zimmer« betrifft, so waren es zwei kleine Stuben im ersten Stock, die neben einander lagen und nebst dem Flur und einer Kohlenkammer die ganze Etage bildeten. Die darüber liegenden Räume bewohnte eine junge Schneiderin, während Mr. und Mrs. Shelfer, die keine Kinder hatten, das aus einer Vorderstube und Küche bestehende Parterre und die beiden Giebelstuben inne hatten, von denen die eine zur Aufbewahrung von Zwiebeln, Rüben und Sämereien diente. Trotzdem die »Staatsmöbel« sehr alt und erst einigermaßen rein waren, nachdem ich sie abgewaschen hatte, auch das Gesellschaftszimmer, wie meine Wirthin es zu nennen beliebte, niedrig und klein war, und ich durch das Gitter eines schmalen Balkons die Aussicht auf einen gegenüberliegenden Käseladen anstatt auf ein lachendes Thal genoß, so war ich dennoch im Ganzen zufrieden. Und was die Hauptsache war, die Miethe überstieg meine Mittel nicht.

Am Nachmittag, als ich allmählich in Ordnung gekommen, hörte ich eine Kutsche schnell vorfahren, und gleich darauf wurde heftig an der Klingel gerissen. Es war Lady Cranberry, die unter dem Vorwande, Ann Maples nach Hause zu bringen, gekommen war, um ihre liebe Neugier zu befriedigen. Sie rannte in ihrer liebenswürdigsten Manier die Treppe herauf, ergriff meine beiden Hände und würde mich ungestüm geküßt haben, wenn ich sie nur im Geringsten dazu ermuthigt hätte. Darauf blieb sie stehen, um mich zu bewundern.

»Oh, Du liebliches Geschöpf! Wie groß Du geworden bist! Ich würde Dich nicht wieder erkannt haben. Wie reizend ist dies Alles!«

Ihre Bewunderung berührte mich zwar angenehm, doch nur im ersten Moment, dann empfand ich wieder die alte Abneigung gegen die Dame.

»Ich freue mich, daß Sie es reizend finden,« erwiederte ich kalt; »vielleicht werde ich das auch noch mit der Zeit lernen können.«

»Was würde ich nicht dafür geben, wenn ich unter so entzückend romantischen Umständen noch einmal in das Leben eintreten könnte. Himmel! Ich muß dich in die Gesellschaft einführen. Welches Aufsehen wirst Du erregen! Mit solcher Figur und so interessanten Schicksalen wirst Du uns Alle hinreißen. Wie geschmackvoll Du Dich zu kleiden verstehst, trotzdem Du aus solcher Einöde kommst! Du kannst übrigens von Glück sagen, daß Du mich noch in London angetroffen hast.«

»Ich bitte um Entschuldigung,« sprach ich, »es war durchaus nicht meine Absicht, Sie anzutreffen.«

»Oh, Du bist natürlich böse auf mich. Ich habe das damals in der That ganz vergessen aber, sage mir im Namen aller ländlichen Grazien, wer hat Dein Kleid gemacht?«

»Ich fertige meine Kleider stets selber an.«

»Dann sollst Du auch die meinigen machen. Kein Wort darüber! Du sollst bei mir wohnen, und am Tage beschäftigst Du Dich mit meiner Garderobe. Abends kannst Du mich dafür überall hinbegleiten, und ich verspreche Dir auch, daß ich nicht eifersüchtig sein will. Ich werde Dich in die Gesellschaft einführen; ›Meine Pflegetochter, Miß Vaughan, deren Vater – – ach, ich sehe, Sie kennen die romantische Begebenheit, die sich damals in Gloucestershire zugetragen.‹ Und ich sage Dir, ehe ein Jahr vergeht, wirst Du, besonders da wir in dieser Saison die Weltausstellung Aus der Zeitangabe zu Beginn des Romans ergibt sich, dass es sich hierbei um die Great Exhibition (Londoner Industrieausstellung 1851) vom 1. Mai bis 11. Oktober 1851 im Hyde Park in London handelt; es war die erste Weltausstellung. haben, Besitzerin einer Herrschaft sein, die zehnmal so groß ist, wie Vaughan Park. Wenn Du daran zweifelst, so sieh nur in den Spiegel. Ach, Du kennst die Welt ja nicht, das habe ich nicht bedacht, ich bin eine so warmherzige Seele. Du kannst es mir aber auf mein Wort glauben. Topp! Du schlägst ein, nicht wahr?«

Sie streckte die Hand aus, wie sie es bei den flotten Lebemännern gesehen hatte, deren Gesellschaft sie liebte. Ich nahm keine Notiz davon, ermuthigte sie aber zum Fortfahren. Der Zorn war schon lange in mir aufgestiegen. So tief ich sie auch verachtete, erstickte ich fast vor Empörung, als sie in solcher Weise von meinem Vater sprach. Doch wollte ich meine Selbstbeherrschung auf die Probe stellen, da dieselbe mir bei wichtigeren Gelegenheiten vielleicht nöthig sein mochte.

»Glauben Sie, daß ich mich nützlich machen könnte? Sind Sie überzeugt, daß ich meinen Unterhalt verdienen würde?«

»Oh, Ihr Vaughan's seid Alle so gewissenhaft. Ich gebrauche sogleich einen Stepprock von Eiderdunen zum Winter und ich wage nicht, ihn meiner Biggs anzuvertrauen, weil ich weiß, daß sie ihn so zusammenziehen wird. Das soll der erste kleine Auftrag für meine Clara sein.«

Ihr Maß war voll. Sie hatte dieselbe zärtliche Anrede gebraucht, die ich von meiner theuren Mutter gewohnt gewesen, und, wie ich glaubte, im Spott. Ich ließ mich nicht zu einer sarkastischen Rede herab. Sie würde dieselbe nicht verstanden haben. Ich öffnete nur die Thür und sagte ruhig zu meiner Wirthin, die, natürlich ganz »zufällig«, draußen war:

»Mrs. Shelfer, begleiten Sie die Frau Gräfin von Cranberry hinaus.«

Die arme Pathe war so erschreckt, daß sie mir beinahe leid that. Sie eilte, so schnell sie konnte, die Treppe hinunter und in ihren Wagen. Beim Einsteigen befahl sie dem Bedienten, beide Gardinen herunterzulassen.

Mrs. Shelfer war vor Entzücken außer sich gewesen, daß eine so vornehme Equipage mit zwei Lakaien vor ihrer Thür hielt. Damit dies den Nachbarn nicht entgehen sollte, war sie ein Dutzend Mal hinaus und hinein gelaufen, wobei sie stets mit der Thür geschlagen hatte. Dann wieder mußte sie dem Kutscher Etwas sagen und Bier aus dem Gasthofe holen lassen, obgleich sie welches im Hause hielt. Jetzt kam sie vor meine Thüre zurück, »in brennender Neugier«, wie sie sagte. Ich konnte sie indessen nicht anhören, sondern schloß mich ein und rang mit meiner leidenschaftlichen Natur, ihr abwechselnd nachgebend und sie wieder bekämpfend. Dennoch konnte ich sie nicht überwinden, wie ich glaubte, es gethan zu haben.



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