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Ein sehr sehr schüchterner Mann.
Als unsere Einrichtung beinahe in Ordnung war und ich mit staubigen beschmutzten Händen allein im Zimmer saß, klopfte es ganz leise und schüchtern, worauf ich ein unruhiges Scharren hörte, als sei Jemand draußen, der am liebsten wieder fortgelaufen wäre. Ich öffnete die Thür in dem Glauben, daß ein Kind Einlaß begehre, und war nicht wenig erstaunt, anstatt dessen eine gewaltige Männergestalt vor mir zu sehen, die mindestens sechs ein viertel Fuß in der Höhe maß und ich weiß nicht wie viel in der Breite, doch jedenfalls genug, um die ganze Thüröffnung auszufüllen. Er trat zögernd einen Schritt näher, so daß sein breites treuherziges Gesicht schüchtern auf mich heruntersah.
»Habe ich das Vergnügen, Mr. Huxtable zu sehen?« fragte ich.
»Jawohl,« stotterte er und wurde so roth wie eine Beetwurzel; »das heißt, Miß, ich sollte sagen, es ist kein Vergnügen für Ihresgleichen, sondern eine Ehre für mich. Man nennt mich hier in der Gegend Pächter Huxtable oder auch Pächter Jan, und Beany Dawe, der heißt mich ›Pflugketten-Brecher Pächter Jan, der alle Cornwaller werfen kann‹, und der bildet sich nicht wenig auf seine Dichtkunst ein, die der Herr ihm gegeben hat. Doch ›Muster‹ scheint mir der richtige Titel zu sein, das heißt, wenn Sie es nicht besser wissen, Miß – zum Teufel, ich verstehe mich gerade so viel auf das Gespräch mit großen Leuten, wie ein Stock.«
Diese letzten Worte waren »beiseite« gesprochen, aber auch wie auf dem Theater weithin zu verstehen.
»Ich gehöre aber nur zu den sehr kleinen Leuten, Mr. Huxtable, wenigstens im Vergleich mit Ihnen.«
»Ich bitte demüthig um Vergebung, Miß, aber ich bin nicht schuld daran, daß ich ein so großer plumper Kerl geworden bin, und ich frage auch Nichts darnach. Ich denke mir, es wird meiner Mutter Schuld gewesen sein, sie hat immer von Heumieten geträumt.«
Letzteres war wieder bei Seite gesprochen.
»Treten Sie näher,« sprach ich, »es freut mich, Sie hier zu sehen, und meiner Mutter wird es ebenfalls angenehm sein.«
»Nein, wirklich? Sie freuen sich zu mir, mein gutes Fräulein?« fragte er mit dem aufrichtigsten und schönsten Lächeln, das ich jemals gesehen habe. Ich stand beschämt dieser Herzenseinfalt gegenüber, die meine höfliche Redensart für lautere Wahrheit genommen hatte.
»Das sind die besten Worte, die ich seit manchem lieben Tag gehört habe, denn ich will verdammt sein, wenn solche Augen lügen können.«
Darauf ergriff er meine kleine schwache Hand mit seiner Eisenfaust, als wenn ein Nußknacker eine Mandel faßt und betrachtete sie voll mitleidiger Verwunderung.
»Ja, ja, es gibt Hände, die dazu gemacht sind, die Kühe zu melken und solche, die von der Sahne selber gemacht scheinen, aber solch winziges Pätschchen, wie dies, ist nicht gut zum Ringen zu gebrauchen! Und ich fürchte, Sie werden noch ein tüchtig Theil mit der Welt zu ringen haben, mein Kindchen. Hat man einen Feind besiegt, so steht schon ein anderer wieder da.«
»Oh, ich fürchte mich nicht, Mr. Huxtable.
Er dachte eine Weile nach und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, Sie fürchten sich nicht, doch ich will Ihnen beistehen. Meiner Treu, Sie sind ein beherztes Mädel. Aber wenn Ihnen jemals Einer zu nahe tritt (und oft kann ein Mädchen sich nicht davor hüten) dann rufen Sie nur den Jan Huxtable, mein Kind, und wenn es mitten in der Nacht ist und Sie auf der anderen Seite von Exmoor, so werde ich schneller bei Ihnen sein, als ich Jemand zu Boden werfen kann.«
Ehe ich ihm noch für seine angebotenen Ritterdienste danken konnte, trat meine Mutter in das Zimmer und sofort kehrte seine ganze Schüchternheit zurück und erstickte den Stolz auf seine Stärke.
Obgleich er nicht zitterte, denn dazu hatte er zu starke Nerven, so blickte er doch roth werdend und seinen Hut verlegen in der Hand drehend unsicher umher, als wisse er nicht, wo er mit seinen Augen und Gliedmaßen bleiben solle.
Meine Mutter sank erschöpft von ihrem Morgenspaziergang und überrascht durch die Anwesenheit, vielleicht auch etwas erschreckt über den riesigen Umfang ihres bäuerischen Gastes, halb besinnungslos auf unser neuhergestelltes Sopha. Nun zeigte der starke Mann eine merkwürdig zarte Rücksicht gegen ihren schwachen Zustand. Seine ganze Verlegenheit war wie mit einem Schlage verschwunden. Er sah, daß es Etwas zu thun gab, und ein Blick voll innigster Theilnahme belebte sein großes, blaues Auge. Seinen gewaltigen Körper auf den Fußspitzen balancirend, als wiege er kaum so schwer wie ein Vogel und so behutsam, als betrete er einen geheiligten Boden, ging er auf meine Mutter zu, und fast ohne sie anzurühren, schob er die harten Kissen zurecht und legte ihr schwaches Köpfchen bequem darauf hin, wie eine Wärterin ein Kind beruhigt. Dazu sprachen aus seinen Mienen und Geberden so viel Zartsinn und Mitleid, daß man ihm ansah, er wisse den Verlust einer Tochter oder einer Mutter zu ermessen.
»Die arme liebe Dame,« flüsterte er mir zu, »sie ist gewiß weichere Kissen gewohnt. Sie scheint schrecklich elend und heruntergekommen. Krankt sie schon lange so?«
»Ja, sie ist seit langer Zeit schwach und kränklich, doch fürchte ich, daß die letzten Monate ihren Zustand verschlimmert haben.«
Ich konnte mich weder enthalten, ein wenig zu weinen, noch verhindern, daß er dies sah.
»Schäme Dich, Jan Huxtable, was bist Du für ein garstiger schlechter, Kerl! Ach, liebes, gutes Fräuleinchen, nehmen Sie sich's doch nicht so zu Herzen. So, das ist brav. Sie sollen sehen, ehe sie noch eine Woche hier ist, wird sie wieder ganz lustig und vergnügt sein. Keiner von allen ausländischen Orten auf der Welt ist so dazu gemacht, einen Menschen wieder auf die Beine zu bringen, wie diese Gegend. Von der See kommt die Brise so frisch über Exmoor, als wie ein jung' Füllen über die Weide, und so lind und lieblich, wie der Hauch einer Kuh, die im Klee sitzt, und auf Ihre Backen wird sie sich setzen, wie ein Täubchen auf sein Nest. Bald werden Sie sich alle Beide so erholt haben, daß Sie Morgens, schon ehe sie aus dem Bett heraus sind, nach Kartoffeln, Eiern, Rahm und Zwiebeln schreien werden. Ja, darauf können Sie sich verlassen.«
Nach diesem wohlgemeinten Zuspruch und mit einem tröstenden Blick auf meine Mutter zog er sich zurück.
Hier muß ich erst eine Erklärung des homerischen Beinamens »Pflugketten-Brecher«, den der Dichter unserem Mr. Huxtable beigelegt, einschalten. Der Pächter hatte einmal gewettet, (wahrscheinlich in einer angeheiterten Stunde, denn zu anderen Zeiten war ihm jede Prahlerei verhaßt), daß er nebst seinem Arbeitsmanne Timothy Badcock einen halben Morgen Land umpflügen wolle, und zwar »ohne irgend welches Vieh vorzuspannen.« Zufällig war aber der Grobschmied von Parracombe in Barnstaple gewesen und dort mit Jemand zusammengetroffen, der gehört hatte, man könne jetzt vermittelst Dampf das Land umpflügen. Als nun des Pächters Vorhaben bekannt geworden und natürlich weit und breit herum geschallt war, da versammelte sich ganz Exmoor, theils ungläubig, theils in zitternder Erregung, um die Wunderthat mit anzusehen.
Bänke und Tische standen im »oberen Feld«, einem lockeren Stück Land, das gerade hinter dem Hause lag, und hier handthierten Mrs. Huxtable und Suke bei dem Ciderfaß, um die Landleute aus der Umgebung zu bewirthen. Aber weder der Pächter selbst, noch Pflug, Joch oder Riemenzeug waren zu sehen, und ein Gerücht begann um sich zu greifen, daß es bei der ganzen Geschichte auf eine Fopperei abgesehen sei, und der Anstifter sich jetzt nicht zu zeigen wage. Schon sprachen die Leute davon, zur Polizei zu schicken, die natürlich längst da war, schon begannen die Peitschenstiele und Knotenstöcke in unheilkündende Schwingungen zu gerathen, als Mrs. Huxtable dem Mr. Dave ein Zeichen gab, worauf dieser die murrende Versammlung an das äußerste Ende des Feldes führte. Dort war ein alter Leinwand-Plan seitwärts gegen die Hecke gebreitet. Während dieser fortgezogen wurde, wichen die beherzten Söhne Exmoor's zurück, in der Erwartung, ein schreckliches Ungeheuer zu erblicken, das ihnen Rauch und Flamme entgegen speien würde. Aber Alles, was sie sahen, war ein einspänniger Pflug, auf dem der Pächter saß und mit dem Pferdegeschirr angethan ruhig sein Pfeifchen rauchte, während Timothy Badcock geduldig mit der Hand am Pflugsterz stand. Unter lautem Hurrahruf seiner Freunde sprang Mr. Huxtable vor den Pflug und warf seine Pfeife über die Hecke. Dann schlang er sich den Riemen über die ihm beim Ringkampf zum Schutz dienenden Brustkissen und zog die beiden Pflugketten an.
»Hü, hott, jetzt kann's losgehen,« rief Tim Badcock lustig aus, und mit voller Kraft segelte das wackere Fahrzeug des Feldbaues davon, eine tiefe Furche hinter sich herziehend. Als das Ende des Feldes jedoch erreicht war, wendete der Pächter zu scharf um, und die rechte Pflugkette sprang mitten durch. Dieser Zufall rief einen noch stärkeren Begriff von seiner Riesenkraft bei der Menge hervor als seine primitive Methode, den Pflug zu regieren.
Nun aber wieder zu meiner Mutter. Als der Frühling herankam, das schöne Land um uns her sich erfrischte und es grünendes Leben aus der balsamischen Luft einsog, da wagte selbst ich zu hoffen, daß die Worte des biederen Landmannes sich erfüllen könnten. An diesem hatten wir jetzt einen großen Freund gewonnen, der sein Möglichstes that, um uns den Verlust von Thomas Henwood weniger fühlbar zu machen.
Der arme Thomas hatte uns sehr ungern verlassen, aber nachdem wir häuslich eingerichtet waren, hatte ich eingesehen, daß meine Mutter seiner nicht mehr bedurfte, und deßhalb wäre es ebenso unrecht wie thöricht gewesen, ihn noch länger bei uns zu behalten. Er legte seine Ersparnisse in einem Gasthofe zu Gloucester an, dem er den Namen »zum Hause Vaughan« gab, und verheirathete sich bald darauf mit Jane Hiatt, der Tochter unseres ehemaligen Wildmeisters.
Ann Maples war bei uns geblieben. Wir führten, wie man sich denken kann, ein äußerst zurückgezogenes Leben. Meine Zeit war hauptsächlich der Sorge für meine Mutter und den Bemühungen gewidmet, ihr einige von den zahlreichen Annehmlichkeiten zu schaffen, deren Werth wir erst dann erkennen, wenn wir sie verloren haben. Nach dem Frühstück pflegte meine Mutter ihre Lieblingsstellen aus der heiligen Schrift zu lesen und mich auf den Weg des Friedens hinzuweisen. Ihre Seele befreite sich mehr und mehr von dem Pilgerkleide und den Wandersorgen dieses niederen Erdendaseins, während das goldene Thor der Ewigkeit und die Herrlichkeit jenseits desselben sich ihren Blicken täglich in größerer Nähe zeigten. Ich sah ihre Augen davon überglänzt wie den klaren Himmel vom Leuchten des Sonnenaufgangs. Wie wahr ist der Ausspruch, daß Nichts in unserer materiellen Welt so lieblich ist, als eine schöne Frau, die gläubig zu den Engeln emporblickt, von denen sie weiß, daß sie ihrer harren.
Selbst ich, die ich nach der entgegengesetzten Richtung und einem entgegengesetzten Wesen ausschaute, konnte nicht anders, als die sanfte Demuth bewundern, deren Abwesenheit den Hauptfehler meines Charakters bildete. Nicht etwa, daß ich hartherzig oder störrisch gewesen wäre (Eigenliebe müßte mich denn verblenden), aber innere Unruhe und Haß arbeiteten fortwährend in mir, und stießen die milderen Gefühle zurück, wie der Zephyr vor dem Pfeifen der Kugel verstummen muß.