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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Kurzer Prozeß.

 

Als ich an demselben Abend einsam in meinem Zimmer saß (freilich nicht ganz allein, denn die kleine Sally, welche mir stets gehorsam war, verunzierte ihr bestes Schreibeheft unter meiner Leitung mit ihren Krähenfüßen und Klexen), da stürzte Mrs. Huxtable plötzlich herein, ohne wie sonst an die Thüre zu klopfen.

»Oh, Miß Clara, was haben Sie uns angethan? Der Pächter hat sich in große Noth gebracht; wir werden allesammt mit Kind und Kegel morgen ins Gefängniß kommen.«

Sie war sehr aufgeregt und außer Athem, aber trotzdem schien sie stolz auf das zu sein, was sie zu berichten hatte. Ich brauchte nicht erst lange zu fragen, denn sie hielt sich nicht wie andere Frauen mit unnützen Redensarten auf; sie erzählte mir die Geschichte kurz und ohne Umschweife und dann forderte sie mich auf, mir von Tim Badcock, dem Ackerknecht, der Alles mit angesehen habe, die Einzelheiten berichten zu lassen.

Tim saß in der Küche am Herdfeuer, und neben ihm auf dem runden Tisch stand ein Glas Cider – ein starker Beweis, daß seine Nachricht trotz alledem nicht ganz unwillkommen gewesen.

»Ja, sehen Sie, Miß,« sagte Tim, nachdem er sich erhoben und, wie es unter den Bauern jener Gegend üblich ist, zum Gruße in sein borstiges Haar gegriffen hatte; »sehen Sie, Miß, unser Herr kam heute Nachmittag so wüthig heraus, als hätte er Nichts zu Mittag gekriegt.«

Dabei blickte er verstohlen nach der Frau Pächterin hinüber, welche in dem Rufe stand, den Brodkorb hoch zu hängen, wenn der Pächter ein bischen über die Stränge geschlagen hatte.

»Hast Du Dich darum zu scheeren, Tim,« erwiderte sie, »was Deine Herrschaft zu Mittag ißt?«

»Ne,« sagte Tim, »wenn ich nur meines kriege und das hat meine Frau immer bereit. Na, so sage ich denn zu Bill, sage ich: ›paß auf, Junge, es kommt ein Donnerwetter rauf, so wahr ich Timothy Badcock heiße.‹ Der Pächter aber kommt heran und sagt kein Wort nicht zu uns, nimmt eine Schaufel und schafft immer drauf los und spricht kein Sterbenswort. Wir waren da oben, wissen Sie, wo der Reitweg zwischen dem großen Ginster und der hohen Doppelhecke durchgeht. Also wir roden alle vergnüglich d'rauf los, damit wir das Stück Land umpflügen und Klee säen können, will's Gott bekommen wir bald Regen.«

»Schon gut, Tim,« rief seine ungeduldige Herrin, »das wissen wir schon Alles. Kannst Du gar nicht schneller erzählen?«

»Ja, Miß,« fuhr Tim fort, ohne sich im geringsten zu beeilen, »kommt mit einem Mal ein großer Kerl auf einem Braunen dahergeritten und direktement auf uns los. (Tim war stolz auf dieses Fremdwort und hielt inne, damit wir es nicht überhören sollten.) »Na, dieser große Kerl kommt also direktement auf uns los und mit ihm noch ein Anderer zur Gesellschaft. Und wie nun die Beiden so weit heran sind, daß man sie verstehen kann, da schreit der Große, der zu Pferd sitzt: ›Heda, Ihr Leute, könnt Ihr uns wohl sagen, wo der Jan Huxtable wohnt?‹ Und ehe wir noch den Mund aufthun können, richtet sich unser Herr in die Höhe und sagt: ›Was wollt Ihr von ihm, mein Bürschchen?‹ ganz so, wie ich es hier wieder erzähle. ›Was geht's Euch an?‹ sagt der Andere, ›Ihr solltet lieber hübsch höflich antworten. Ich bin der Tom Gundry aus Cornwall‹. Und damit steht er in den Steigbügeln auf und einen größeren Kerl haben Sie Ihr Lebtage nicht gesehen, Miß. Na, der Herr wußte schon Bescheid, wer der Tom Gundry ist und was Der von ihm wollte, so gut wie ich und der Junge und alle Leute hier herum; denn unser Herr hat einen erschrecklichen Ruf als Ringkämpfer, vielleicht, Miß, daß Sie schon in London von ihm gehört haben.«

»Ich bin nicht in London gewesen, außer einmal als Kind, Tim, und vom Ringkampf verstehe ich Nichts.«

»Nun, Miß, das ist auch ganz egal. Dazumal aber, als unser Herr die Cornischen allesammt auf dem Jahrmarkt in Barnstaple zu Boden geworfen hat, da haben sie ein großes Geprahle über diesen Tom Gundry gemacht, daß Der unsern Herrn unterkriegen sollte. Nun wird's aber Zeit, daß ich weiter erzähle. ›Ja,‹ sagt der zu Fuß Gekommene, der ihm wohl den Rücken stärken wollte, ›das ist kein großes Kunststück für den Huxtable gewesen, mit unsern Leuten von der zweiten Sorte Fangball zu spielen; das hätten Chappell und Ellicombe auch gekonnt. Aber unser Tom Gundry hier, der wird's dem Jan Huxtable nicht so leicht machen.‹ ›Das mein ich auch,‹ sagt der Gundry darauf, ›und wenn er Frau und Kinder hat, so thäte er gut, einem Begräbnißverein beizutreten.‹«

»Ne, hat er das wirklich gesagt?« fragte Frau Huxtable in großer Erregung.

»›Gut,‹ sagte unser Herr, und duckt sich hinter der Hecke, um klein auszusehen, ›erst müßt Ihr mich niederwerfen, ehe Ihr den Jan Huxtable besiegt. Er ist ein tüchtigerer Mann, als ich. Aber ich bin heute nicht in der Laune, nur ein Spiel zu treiben, und wen ich anpacke, dem könnte ich einen Schaden thun.‹ ›Na, das ist nicht übel, nicht wahr, Sam?‹ spricht der Gundry zu dem kleinen Kerl ganz so, wie ich es hier wieder erzähle. ›Hält der Narr mich für eine Ratte? Ich habe Lust, ihn gleich über diese Hecke zu werfen. Halte mir den Gaul nur einen Augenblick.‹ ›Immer gemach,‹ spricht da der Pächter, und ich sehe, wie ihm die Backen roth werden, ›Gott weiß, daß es mir nicht darum zu thun ist, Euch ein Leides zuzufügen. Ich will Euch noch ein Warnungszeichen geben, und danach könnt Ihr's Euch noch einmal überlegen, Tom Gundry aus Cornwall. Könnt Ihr einen Fußsteig durch diesen Busch hier treten?‹ Und da geht er in den dichten Ginster hinein und greift nur so mit beiden Händen zu. Wohl an die hundert Schritte weit hebt er die dicken und hohen Büsche rechts und links so leicht heraus, als wenn Unsereiner Zwiebeln aufzieht. ›Nun, wollt Ihr mich jetzt zufrieden lassen?‹ sagt er, als er wieder zurückkommt, und die Luft war ihm von der Bewegung ein bischen kurz geworden, ›wollt Ihr nun Eurer Wege gehen?‹ ›Meiner Treu, ich kehre um,‹ sagt Der zu Fuß, aber Tom Gundry, der wohl in einem Schnapsladen vor gesprochen hatte, sagt: ›Ihr könnt ja ein ganzes Theil Arbeit verrichten, guter Mann, nehmet das als Bezahlung.‹ Und damit wirft er unserm Herrn einen leichten Eschenstock, den er in der Hand trug, mitten ins Gesicht und will an ihm vorbeireiten, ehe der wieder zu Athem kommen kann. Da aber faßt der Jan Huxtable zu und legt beide Hände unter den Bauch des Pferdes, ganz so, wie ich hier den kleinen Tisch nehme, und hebt Pferd und Reiter mit einem Ruck über die Hecke, daß sie in Pächter Joe's Rübenfeld hineinfallen. Darauf nimmt er auch den anderen Kerl und läßt ihn heidi hinterdrein purzeln, als wäre es der kleine Schemel hier vor diesem Tisch.«

Ich fürchtete, Tim würde in der Aufregung Tisch und Schemel über die Bank werfen, um seine Geschichte zu illustriren, und hätte er es gethan, so würde Frau Huxtable es ihm verziehen haben.

»›So,‹ sagt unser Herr so freundlich wie möglich, und ich denke, wir sollen uns todt lachen, ›so, und wenn der Eigenthümer des Ackers dadrüben Euch wegen unbefugten Eindringens anhält, so könnt Ihr ihm sagen, Ihr wäret von Jan Huxtable abgeschickt, um einen Cornischen zu suchen, der es ihm gleich thun kann.‹ Dann dreht er sich um, wischt sich die Hände an einem Farrenbusch ab, nimmt einen Schluck Cider und geht wieder an die Arbeit.«

»Ja, Tim, sage einmal,« fragte die Pächterin um Nichts von dem Effekt einzubüßen, »was war es denn für eine Hecke? Am Ende nicht höher, als die Bank hier?«

»So, glaubt Ihr das, Frau Pächterin?« fragte Tim. »Ihr wißt recht gut, daß es die höchste Hecke auf der ganzen Farm ist. Sie ist als Grenze zwischen die beiden Kirchspiele gepflanzt, und ich kann beschwören, daß sie in fünf Jahren nicht gestutzt ist.«

»Und wie steht es jetzt mit den Beiden, Tim? Hoch genug muß es gewesen sein, um ihnen einen Denkzettel zu geben.«

»Ja, Miß,« sprach Tim zu mir gewendet, denn seiner Herrin hatte er die ganze Geschichte schon zweimal erzählt. »Tom Gundry hat sich das Schlüsselbein gebrochen, und das geschah ihm recht, denn er hat es um Phil Dascombe verdient, als er ihm dazumal in Bodnim ein Bein gestellt und ihm auch das Schlüsselbein gebrochen hat. Das Pferd hat sich den Schweif verrenkt, aber der kleine Kerl hat sich Nichts gethan, weil er zum Glück auf seinen Hut gefallen ist, doch beim Peter Will, wo ich für meine Frau, die am Magen litt, einen Bittern geholt habe, da erzählten sie sich, daß die Polizei noch heute Abend zu unserm Herrn gekommen wäre, wenn die Cornwaller sie nur hätten dazu kriegen können; aber wissen Sie, was der Beamte gesagt hat? Es wäre Alles die Schuld der Cornwaller, sagte er. Die hätten den Krawall angefangen und den ersten Schlag gethan; wenn sie ihm nicht eine Ordre von Squire Drake vorzeigen könnten, so wollte er sich nicht dazwischen stecken, sagte er, und so wäre von Alters her das Recht in Devonshire und Cornwall.«

»Tim,« sagte Mrs. Huxtable, »ich möchte wetten, daß Du noch in Deinem ganzen Leben keine so lange Geschichte erzählt hast, und sehr gescheidt hast Du sie nebenbei auch erzählt, nicht wahr, Miß Clara? Suke, hier hast Du den Kellerschlüssel, hole noch ein Glas Cider für den Tim, und auch Du, Mädel, kannst Dir einen Schluck nehmen. Wische Dir aber erst den Mund ab.«

»He,« sagte Tim, mir im Vollgefühl seines Triumphes vertraulich zunickend, »ich wette, die Cornischen können Tossil's Barton das nächste Mal ohne Wegweiser finden.« Eine wahre Geschichte, nur die Namen sind verändert. ( Anm. d. Verf.)



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