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Elftes Kapitel.

Unversöhnlich.

 

Es war hohe Zeit, ja die allerhöchste Zeit, mich meiner Mutter zu widmen. Das Verlassen der Stätte, wo sie all' ihr Glück verlebt, (denn ihre Kindheit hatten Sorgen getrübt) bereitete ihr ein so stilles, tiefes Leid, daß meine leidenschaftliche Empörung sich beschämt vor demselben legte.

Jetzt endlich schien es, als ob mein Vormund erbittert sei und unsere Abreise wünsche. Er kam einige Mal während meiner Krankheit, um mich zu sehen und sich nach mir zu erkundigen. Auch brachte er mir, ohne daß es Jemand bemerkte, die Waffe zurück, nach welcher ich leidenschaftlich verlangte. Aber ehe ich noch ganz hergestellt war, schrieb er mir, daß er mich geschäftlich in seinem Arbeitszimmer zu sprechen wünsche. Ich konnte noch nicht ohne Schmerzen sprechen, denn ich hatte mir bei meinem Anfall scharf in die Zunge gebissen.

»Deine Mutter soll hier eine Heimath behalten,« sagte er, »so lange sie einer solchen bedarf. Was aber Dich in Deinem jetzigen Zustand betrifft, so muß ich es der Zeit überlassen, Dich zu besänftigen. Als kleines Kind schleudertest Du mir bei unserem ersten Zusammentreffen den Namen ›Mörder‹ ins Gesicht. Bald darauf durchstöbertest Du meine Schränke und entwendetest meine Stiefel, um sie mit gewissen Abdrücken zu vergleichen, welche Du aufbewahrt hattest. Du siehst mich erstaunt an. Ich habe es Dir nie gesagt, doch wußte ich es recht gut. Ich schenkte diesen Thorheiten keine sonderliche Beachtung, denn ich betrachtete sie als das Thun eines wahnwitzigen Kindes. Ich bemitleidete Dich innig und hatte Dich sogar wegen Deiner treuen Kindesliebe gern. Nun aber sehe ich, daß Du in diesem Glauben nicht allein zur Jungfrau herangewachsen bist, sondern ihn auch noch zu äußern wagst. Dein tolles Gebahren in jener Nacht und die Krankheit, welche es Dir verursacht –«

»Was wollten Sie mit jener Pistole?«

Seine Züge verriethen eine unangenehme Ueberraschung darüber, daß ich dieselbe bemerkt hatte.

»In einem Hause, wo so etwas verübt worden, halte ich es für recht, bewaffnet zu sein. Glaubst Du, daß ich Dir, wenn ich Dein Zeugniß fürchtete, den Dolch zurückgegeben hätte?«

»Wem hat er gehört?«

»Ich sagte Dir neulich Nachts, daß ich einst einen ebensolchen gesehen habe, für den ich diesen hielt, doch bei näherer Prüfung entdeckte ich den Unterschied.«

»Und worin besteht derselbe?«

»Es befand sich keine Schlange am Griff jenes anderen Dolches, obwohl dasselbe Kreuz auf der Klinge war.«

»Und wo sahen Sie jenen?«

»Eines Tages werde ich es Dir sagen. Es schon heute zu thun, würde nicht recht sein.«

»Sie meinen vermuthlich, es würde Ihnen nicht bequem sein.«

»Ich habe Dir auch schon gezeigt, daß die Locke, welche Du so sorgsam aufbewahrst, viel feiner und seidiger ist, als mein Haar. Du weißt, daß ich keinen so kleinen Stiefel auf meinen Fuß ziehen könnte, wie den, dessen Abdruck Du hast. Doch ich schäme mich, daß ich mich herablasse, in dieser Weise mit Dir zu reden. Hast Du wirklich den Muth, mir mit dem Verdacht in das Gesicht zu sehen, daß ich mit eigener Hand meinen Bruder getödtet haben könnte, einen Bruder, der stets so gut und liebevoll gegen mich gewesen und um dessentwillen allein ich so lange Geduld mit Dir gehabt habe?«

»Was ich denke, kann Ihnen gleich sein und ich wünsche, Sie gar nicht mehr zu sehen.«

»Du zweifelst also noch an mir? Du bist entschlossen zu gehen, wie es scheint. Hast Du bei diesem eigensinnigen Entschluß auch an das Wohl Deiner Mutter gedacht?«

»Ehe ich an das meinige gedacht habe, und ich hoffe und glaube, daß die Veränderung sie wiederherstellen wird, was hier nimmer geschehen kann.«

»Nun wohl, ich will nicht länger mit Dir streiten, da es Dich nur mehr gegen mich aufbringt. Aber ich versichere Dir, daß ich über Euch wachen und versuchen werde, Deiner Mutter jede mögliche Erleichterung zu verschaffen.«

»Ich bitte Sie, sich nicht in unsere Angelegenheiten zu mischen. Als Gentleman können Sie es nicht thun, da wir nur verlangen, Nichts mehr von Ihnen zu hören.«

»Wie wenig weißt Du, was Du thust!« erwiderte mein Vormund traurig. »Oh, Clara, wenn Du die Wahrheit ahntest, so würdest Du nicht so bitter gegen mich sein.«

»Nun, dann haben Sie es nur sich selber zuzuschreiben, weil Sie mir dieselbe vorenthalten.«

»Es hilft Nichts,« sprach er beinahe flüsternd, nachdem er einen Moment gezögert hatte, »ich handle in der besten Absicht und das wirst Du eines Tages einsehen. Was ich weiß, ist Nichts und meinen Verdacht muß ich verschweigen. Aber wie siehst Du mich nur an!«

Er hatte viel mehr gesprochen, als seine Absicht gewesen, vielleicht in der Hoffnung, mich zu rühren. Doch jetzt zog er sich vor meinem Blick zurück und that, als fürchte er, daß ich vielleicht wieder krank werden möchte. Er schellte hastig nach Ann Maples, und ich verlor jede Aussicht, mehr zu vernehmen. Doch zeigte er aufrichtiges Mitgefühl bei diesem kleinen Leid, wenn auch mein Stolz es bei dem großen nicht zuließ.



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