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Siebentes Kapitel.

Eine lange Frühjahrsdürre.

 

In den westlichen Grafschaften zeichnete sich der Frühling des Jahres 1849 durch eine besonders anhaltende Dürre aus. Ich weiß nicht, wie es sich im Osten Englands verhält, aber ich habe bemerkt, daß lange Dürre im Westen nur während des Frühjahrs und zu Anfang des Sommers vorkommt. Im Herbst vergehen mitunter sechs Wochen ohne Regen, im Sommer höchstens ein Monat, aber wirkliche Dürre tritt nur im Februar oder März ein, und auch dann äußerst selten. Der April hat einen so wahrhaft poetischen Ruf wegen seiner Regengüsse und der Juli wegen Hitze und Trockenheit, daß mein jetziger Bericht gänzlich von den allgemeinen Beobachtungen abweicht.

Wie dem aber auch sei, wir bekamen Mitte Februar 1849, um die Zeit des Valentintages Ostwind, nachdem das Wetter eine Zeit lang sehr veränderlich gewesen. Der Himmel war eine Woche lang einförmig grau. Darauf folgte klares schönes Wetter, scharfer Nachtfrost und bei Tage heller Sonnenschein. Je weiter der Frühling vorschritt, desto mehr verlor sich die beißende Kälte und desto mächtiger ward die Sonne. Einige trübe Tage ließen auf Regen hoffen, doch außer einem nebelähnlichen Geriesel fiel kein Tropfen.

Mit der mir jetzt vollständig zur Gewohnheit gewordenen Liebe zur Natur beobachtete ich den Einfluß der Dürre. Die Wiesen färbten sich wie Juchtenleder, die Kornfelder wie ein Messerbrett. Im Walde hingen die jungen Blätter zusammengedrückt und trocken, unfähig, ihre Röckchen zu entfalten, mehr Kätzchen als Blättern gleich, an den Bäumen. Die flachen trüben Teiche bedeckte ein kupferfarbener Schaum, aus welchem an den trockenen zerrissenen Uferrändern kleine Blasen hervorquollen und platzten. Die Pflanzen mit Pfahlwurzeln sahen am Morgen nach ihrem Trunk erfrischenden Thau's ganz hübsch und kräftig aus, aber am Abend waren sie welk und flügellahm, wie die äußeren Blätter an einem abgeschnittenen Kohlkopf; wohingegen die nur in der Oberfläche wurzelnden Pflanzen ackerweise vertrockneten und wie Asche in alle Winde zerstoben.

Der Boden war so hart wie Horn und zerbarst in Stern- und Zickzacklinien kreuz und quer wie eine schlecht gekalkte Wand. Es belustigte mich mitunter, wenn ein Käfer durch so einen Riß, der für ihn ein Erdbeben bedeutete, von seiner Behausung abgeschnitten wurde. Wie rannte er dann hin und her und wie verwundert blickte er in den Abgrund, bis er, durch die Noth erfinderisch gemacht, denselben mit einem Strohhalm überbrückte. Die Schnecken zogen sich ganz in ihre Häuser zurück und beschränkten sich auf den Platz, an dem sie festklebten. Die Vögel sah man wohl des Morgens über die Gruben der ausgetrockneten Teiche hüpfen und nach Würmern suchen, welche sich jedoch gleich Fliegenlarven tief unter der trockenen Erde verborgen hielten. Unser See, der am unteren Ende sehr tief war, diente allen wilden Enten, Wasserhühnern, der flinken Tauch-Ente und sogar der Wasserschnepfe mit ihrem wilden klagenden Pfeifen als Zufluchtsort. Der Uferrand war dicht mit trockengelegten Muscheln und Federn bestreut und dazwischen zeigten sich zahllose Spuren der verschiedensten Pfoten und Krallen von Sumpfvögeln, Wasseramseln und Bachstelzen, von Wieseln, Ottern und Füchsen.

Für meine Lieblinge, die Rothkehlchen, pflegte ich mit Wasser gefüllte Schalen an den Grasplätzen hinzustellen, denn ich kannte ihre Abneigung gegen die nie versiegende Mineralquelle. Zu diesen Schalen flatterten sie herab, tranken, warfen die kecken Köpfchen zurück und badeten ihre kleinen ganz bestaubten Flügel. Darauf dankten sie mir, da sie jetzt nicht singen konnten, mit vergnügtem Zwitschern.

Als die Dürre etwa drei Monate gewährt hatte, ward der bisher noch empfindlich kalte Ostwind plötzlich sengend heiß. Trocken und erstickend schnaufte er über die Ebene wie ein auf staubigem Wege dahin rennender Hund. Er fuhr über die Wiesengründe, wo sonst Hahnenfuß und wilder Sellerie wuchsen, er trank das Wasser aus dem seichten Strom und die trockene Schleuse bestreute er mit grauem Staube. Wie er den Wald durchstrich, fuhren die Blätter zitternd zurück gleich vom Zischen einer Schlange erschreckten Kindern. Der Sturm drang durch die Thüren unseres Hauses und seine dürre welke Hand legte sich auf Wände, Treppen und Panele. Verwüstung und Schmutz bezeichneten seine Spur und alle Frische verschwand vor seinem Hauch. Als er sich gleich einem Wüstendrachen auf unheilbringenden Flügeln herabließ, da mußte sich die schon so lange kränkelnde Vegetation verzweifelnd in ihr Geschick ergeben; welk und erstorben sank sie dahin. Zerstörend wirkte der dichte graue Staub auf alles Leben, er fraß sich in die Poren und erstickte den matten Odem. Alte Schwätzer prophezeiten Viehseuche, Hunger und Pest, während die Pächter zu übel daran waren, um zu klagen.

Doch jetzt endlich rückte auch der Umschwung heran. Der Himmel, welcher seit langer Zeit ein hartes, klares Blau und nur Morgens eine leichte Nebelschicht gezeigt hatte, überzog sich allmählich mit einem von Tag zu Tag zunehmenden, weißen Dunst. Die Sonne ward immer bleicher und ihre verschwimmende Scheibe trat hinter dünne, weiße Wolkenstreifen. Letztere wurden dichter und dunkler, dann flockig und faserig, bis sie sich zusammenballten. In einer Nacht legte sich der heiße Ostwind, und am Morgen trieben schwere Wolken von Südwest herauf. Doch trotz aller dieser Anzeichen währte es tagelang, ehe ein einziger Regentropfen fiel. Zwar thürmten sich schwarze Wolken am Himmel auf, wirbelnd stieg der Staub in die Höhe, als würden Strohmatten über den Baumwipfeln ausgeklopft, drei Tage und drei Nächte lang pfiff der Wind schneidend kalt, doch kein Regen kam. Wie der alte Whitehead, unser Thorhüter, richtig bemerkte, hatte der Himmel das Regnen verlernt. Dann klärte es sich plötzlich eines Morgens auf (es war am 28. Mai); im Westen war der Himmel mit rothen Wolken gestreift, die der Sonne herausfordernd gegenüber standen, der Wind verhielt sich still, und die Hügel erschienen greifbar nahe. So besuchte ich denn meines Vaters Grab ohne die kleine, grüne Gießkanne und den Handspaten, den ich zum Zuwerfen der Erdrisse zu benutzen pflegte, denn ich wußte, daß es noch heute regnen würde.

In den östlichen Gebüschparthieen befand sich ein Teich, den mein Vater angelegt, und an dessen Verschönerung derselbe viel Mühe gewandt hatte. Er wurde nicht von der Mineralquelle gespeist, da diese den Fischen vielleicht geschadet hätte, sondern von einem größeren und reineren Gewässer, dem sogenannten Hexenbach, der jetzt freilich ganz versiegt war. Dieser Teich war rund herum mit Silberkraut, Sonnenthau, Wasserlilien, Pfeilkraut, dem seltenen doppelten Froschbiß und anderen Wasserpflanzen umgeben, von denen manche aus entfernten Gegenden hierher verpflanzt waren. An der einen Seite des Ufers befindet sich eine mit porösem Gestein phantastisch bekleidete Grotte, in der eine kleine Fontäne spielte. Doch jetzt war ihr Plätschern verstummt, und der Teich fast bis zur Mitte ausgetrocknet. Die Silberaale, welche hier einst reichlich vorhanden gewesen, hatten sich, weil ihr Lebenselement ganz zu versiegen drohte, in einer thauigen Nacht auf die Auswanderung über Land nach dem See hinunter begeben. Die Fische, welche dies großartige Unternehmen neidisch mit ansehen mußten, waren sämmtlich in dem kleinen Rest von Wasser zusammen gepfercht, aus dem hier und dort ihre Rückenflossen hervorblickten. Wenn Jemand sich dem Teiche näherte, schossen sie fort und wühlten sich in den Grund hinein, wie ich es bei Meerbarben an seichten Strandstellen gesehen habe. Mehrmals hatte ich Wasser für sie hineingegossen, aber stets war es sofort wieder geschwunden. Die Erde, welche den noch vorhandenen Pfuhl umgab, war gedörrt, zerborsten und mit den schlammigen Ueberresten von Wasserkräutern bedeckt.

Dieser kleine, einst so klare, in tausend krystallhellen Fünkchen blitzende und schimmernde See sah jetzt so jämmerlich verkommen und alt aus, wie ein durch die Jahre getrübtes Menschenauge; die Bäume, welche ihn umgaben, standen dürre und jämmerlich da, die Silberpappel ihres Schmuckes beraubt, die Hängeweide ohne ihre Trauerkleider; das zierliche Laub der Birke lag todt am Boden. Der ganze Platz war so verödet, trübselig und kümmerlich anzuschauen, daß es mich um Dessentwillen, der ihn einst geliebt hatte, innig betrübte.

Deßhalb eilte ich, als sich der Himmel am Nachmittag wieder umwölkte, dorthin, um die ersten Wirkungen des Regens zu beobachten.

Ich hatte soeben den Muschelweg erreicht, der den Teich lose umgürtete, als der bleifarbige Himmel ein dunkleres, wolligers Aussehen erhielt, und sich dann oben schwarze Wolkengebilde zusammenballten, deren befranzte Ränder am Saume des Horizonts herabhingen. Als ich meinen Platz in der Grotte eingenommen hatte, fielen die ersten Tropfen mit klatschendem Ton auf das dürre Laub und rollten wie gedörrte Erbsen in den trockenen Sand. Ein langgezogenes Zischen folgte, eine Staubwolke stieg hoch empor, und die Bäume bogen sich, wie unter einer schweren Last. Da plötzlich erscholl aus dem Lorbeergebüsch der seit lange verstummte Gesang der Drossel, und Würmer, Insekten, kurz Alles, was sich nur regen konnte, kam eilends herbei, um sich zu erfrischen. Die Erde spendete den köstlichen Duft der zu neuem Leben erwachenden Natur, welcher uns an frische Milch, würzigen Klee und das Lächeln eines Kindes erinnert.

Doch am mächtigsten regten sich im Innern und im Umkreis des Teiches die Merkmale des neugeweckten Lebens. Als die Oberfläche sich zu kräuseln begann und unzählige Blasen darüber hintrieben, bedeckten sich Wasser, Schlamm und Ufer mit Unmassen von tanzenden, hüpfenden und schwirrenden Geschöpfen. Die Wasserfläche erzitterte unter den Fittichen der darüber hinstreifenden Schwalben wie ein grünes Kornfeld, das der Wind bewegt. Während ich alle diese Thiere beobachtete und mich an ihrer Freude ergötzte, machte ich eine wunderbare Entdeckung. Ich betrachtete einen riesigen Frosch, der aus seinem Schlammbau hervorkroch und mit Stolz seinen goldglänzenden Hals und seinen braun gefleckten Leib von einer aus getrocknetem Unkraut bestehenden grünen Matte emporrichtete, als mir plötzlich durch die Krautfasern etwas Glänzendes entgegenschimmerte. Neugierig, ob wohl der Glaube, nach welchem die Kröte Juwelen birgt, bei ihrem Vetter, dem Frosch Begründung finden könne, trat ich näher an den Rand des Teiches. Der arme Frosch glotzte mich furchtsam mit seinen großen, vorstehenden Augen an und flüchtete sich darauf, den grünen Buckel emporschnellend, mit einem Satz in das Wasser. Durch die schnelle Bewegung hatte er aber den blitzenden Gegenstand noch mehr enthüllt. Entschlossen, mich zu überzeugen, was es sei, warf ich mehrere Steine in das Wasser, und auf diesen schritt ich leicht darüber hin. Als ich das Unkraut aufhob, lag vor mir, als sei er soeben frisch polirt, ein glänzender, spitzer Dolch, dessen juwelenbesetzter Griff mir zugekehrt war. Mit einer Schnelligkeit, welcher der Gedanke kaum zu folgen vermochte, ergriff ich ihn und stürzte auf die Grotte zu.

Dort starrte ich mit dem ganzen, seit so langen Jahren ungestillten Sehnen meines Herzens, glühenden Auges und mit fest zusammengepreßten Zähnen voller Ingrimm und Schauder auf die Waffe, deren letzter Stich das Herz durchbohrt hatte, welches mir theurer war, als mein eigenes. Ich hob sie nicht gen Himmel, auch legte ich kein theatralisches Gelübde ab, das hatte ich nicht nöthig. Doch durchfuhr mich in jenem Augenblick ein Gefühl, als ob mir Leben und Seele schwänden, wie Leben und Seele meines Vaters an diesem scharfen, kalten Stahl dahingeglitten waren! Es war eine tückische, blauschillernde, dreikantige Klinge, spitz und scharf, wie ein Vipernzahn, im weißen Mondlicht glitzernd wie Eis, blutlechzend wie der Haß, unerbittlich wie der Tod. Vor meiner aufgeregten Phantasie schien sie sich zu winden, während der unstäte Mondschein gleich dem Lichtschimmer einer Todtenkerze darüber hinflackerte. Ich sah im Geiste, wie sie sich tief und scharf hineingebohrt hatte in die Todeswunde.

Endlich überwältigte mich die Aufregung, und ich blieb, wie lange weiß ich nicht zu sagen, gänzlich bewußtlos liegen. Als ich wieder zu mir kam, war das Wetter vorübergezogen, der ruhige Spiegel des Teiches bedeckte meine Uebergangssteine, Gesträuche und Bäume vergossen Dankesthränen im Mondschein, die Nachtigallen sangen in den Ulmen, die Luft durchwehte balsamischer Duft, Friede und Freude wandelten über die Erde. Der Maimond lagerte auf der Wasserfläche, und sein Schein strömte durch den Eingang der Grotte. Doch hier fiel er kalt und geisterhaft auf das Mordinstrument. Hastig warf ich meinen Châle darüber. Es mochte Feigheit sein, doch konnte ich es jetzt nicht berühren. Eilenden Schrittes floh ich nach Hause und suchte mein Lager auf, um mich einsamen Träumen hinzugeben.

Als ich den Dolch am nächsten Tage untersuchte, sah ich, daß er aus einer ausländischen Fabrik stammte. Die Worte »Ferrati, Bologna,« vermuthlich Name und Wohnort des Meisters, waren in den Griff gestochen. Oberhalb des letzteren war ein goldenes Kreuz in die Klinge eingelegt, von derselben Form, doch in kleinerem Maßstabe, wie dasjenige in der Fußspur. Der Griff selbst war mit einer Schlange von Smaragden umringelt, deren Augen aus Granaten bestanden. In Folge der feinen Politur zeigte sich kein einziger Rostfleck, und das Blut, das nach dem Zeichen jener Buchstaben noch daran gehaftet, war natürlich vom Wasser abgewaschen. Ich legte diese Waffe sorgfältig zu meinen anderen Reliquien in einen Kasten, welchen ich stets verschlossen hielt.

So gab Gott mir durch Seine Sonne, Seine Jahreszeiten, Sein Wetter und mein eigenes von Ihm geleitetes Gemüth den Faden an die Hand, und Er selber führte mich von Zeit zu Zeit eine Strecke meines dunkeln, verschlungenen Weges.



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