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Fünftes Kapitel.

Seltsame Zeichen.

 

Am fünften Jahrestag von meines Vaters Tode, als ich fünfzehn Jahre alt geworden, begab ich mich, wie immer an diesem Tage nach dem Unglücksgemach. Obwohl das Zimmer nicht bewohnt wurde, waren die Möbel unverändert an ihrem Platze geblieben, und ich bestand mit Heftigkeit darauf, sie unter meiner Aufsicht zu behalten. Was bisher als der Eigensinn eines Kindes erschienen, war jetzt der starke Wille eines nachdenklichen Mädchens.

Ich nahm den Schlüssel vom Halse, wo ich ihn stets trug und steckte ihn in das Schloß. Keines Sterblichen Fuß hatte die Schwelle überschritten seit ich die Thür vor drei Wochen in meinem letzten Paroxismus geöffnet hatte. Ich sah ein Spinngewebe, das von der schwarzen Schutzplatte bis über die kannellirte Thüreinfassung reichte. Die Thür war in Folge feuchten Wetters so angequollen, daß sie nur schwer und mit einem lauten Krach nachgab. Trotzdem ich an diesem Tage in beherzter Stimmung war, überkam mich ein Gefühl der Beklemmung, als ich eintrat. Dort hing die Gardine, welche der Mörder zuletzt zurückgezogen hatte, dort lag die Bettdecke, die er fortgenommen, um den Todesstreich zu führen, und die er dann über eine Leiche gebreitet hatte, und darunter befand sich das Kopfkissen, auf dem der Schlaf in Tod verwandelt worden. Dies Alles fesselte meinen angstvollen Blick, und der Athem stockte mir in der Brust.

Plötzlich zog eine leichte Wolke, welche die Sonne verhüllt hatte, vorüber, und das weiße Licht, das der am Morgen gefallene Schnee zurückstrahlte, fiel hell in das Zimmer. Meine Augen waren nicht so von Thränen getrübt, wie sonst, wenn ich hier stand, denn ich hatte gerade eine Geschichte von einem lange verborgen gebliebenen, doch schließlich entdeckten Verbrechen gelesen, und aus meinen Blicken sprühte eine wilde Hoffnung. Doch bald wieder zu der gewohnten Trauer herabgestimmt verminderte sich der ungestüme Schlag meines Herzens als ich an die genaue Untersuchung des Zimmers ging. Ich tastete an dem ganzen staubigen Wandgetäfel herum, öffnete die Garderobe und Schränke, schlug den Deckel des Fenstersitzes in der breiten Nische zurück und blickte schaudernd in die dunkle Kammer, wo der Mörder auf der Lauer gestanden haben mochte. Als mein Blick in den Spiegel fiel, schrak ich vor meinem Bilde zurück, so bleich und verkümmert sah ich aus. Dann näherte ich mich dem Bett, um meine Forschungen wie stets an diesem Platz zu beschließen, mein Haupt auf die Kissen zu legen, wo mein Vater gestorben war, und mich dort schluchzend auszuweinen. Schon hatte ich das Bettgestell und hinter die Pfosten gesehen, die Gardine gepackt, als wollte ich die Wahrheit herauspressen, und war im Begriff, mich über die Decke zu werfen, um mich dem so mühsam zurückgehaltenen Anfall zu überlassen, da wurde derselbe plötzlich durch Etwas gehemmt, das ich oben am Ueberfall des Betthimmels sah. Es war eine schmale, dunkelrothe Linie. In dem hellen Sonnenlicht hob sie sich so grell und feurig von dem verblichenen Damast ab, daß es mir schien, als glimme der Vorhang wirklich. Schleunigst zog ich einen Stuhl an den Pfosten, denn auf das Bett mochte ich nicht treten, sprang hinauf und betrachtete die Purpurstreifen in der Nähe.

Ohne darüber nachzudenken wußte ich, was es war – das Herzblut meines Vaters. Drei verschiedene Zeichen hatte die vom warmen Blute triefende Mordwaffe gezogen; das erste, auf das mein Blick fiel, war das größte und auch am deutlichsten zu erkennen. Zwei Striche, welche in einem rechten Winkel zusammentrafen, bildeten ein plump geformtes lateinisches L. Augenscheinlich war der Dolch zu reichlich mit Blut getränkt gewesen. Der zweite Buchstabe war ein lateinisches großes D, dessen senkrechte Linie deutlich hervortrat, während der kühn gezogene Bogen im oberen Theile nur schwach, unten jedoch scharf aufgetragen war. Der dritte Buchstabe schien nicht so deutlich. Erst hielt ich ihn für ein C, doch nach näherer Untersuchung für ein O, das aber wegen Mangel an Farbstoff nicht ganz ausgeschrieben war. Oder hatte meine Mutter den Missethäter in dem Moment an den Haaren ergriffen, als er sich niederbeugte, um seine Feder mit dem erforderlichen Blutstropfen zu benetzen.

So entzifferte ich diese blutige Schrift und verfolgte sie wieder und wieder mit den Fingern und Augen, bis sie mir vor den unverwandt darauf starrenden Blicken wie die Strahlen des Nordlichts flirrten und flammten. Ich richtete mich auf den Fußspitzen empor und küßte sie, denn ich dachte nur an das Herz, aus dem sie geflossen, nicht an die Hand, welche sie gezeichnet hatte. Als ich mich abwendete, gewannen erst Staunen und Ueberraschung, denen ich bisher keine Zeit gewidmet hatte, Raum in mir. Wie hatten mir diese Schriftzeichen trotz meines aufmerksamen Forschens so lange verborgen bleiben können? Weßhalb hatte der Mörder sein Leben in noch größere Gefahr gebracht und war hier geblieben, bis er seine That verzeichnet und vielleicht die Entdeckung derselben besiegelt hatte? Und was bedeuteten die Lettern? Die erste dieser drei Fragen war schnell gelöst, während die beiden andern mir dunkle Räthsel blieben. Verschiedene Ursachen hatten die Entdeckung der Zeichen bisher verhindert; erstens war in dem lila Grund der Damastgardine ein purpurnes Muster eingewirkt, das durch sein schillerndes Farbenspiel die blutigen Stellen zugleich überglänzt und verdunkelt hatte, bis die verblassenden Tinten der Kunst vor der bleibenden Farbe der Natur zurücktraten. Zweitens war durch mein schnelles Wachsen die Entfernung vermindert und meine Sehkraft in Folge der heutigen Ungetrübtheit meiner Augen stärker als sonst. Dann – und dies war vielleicht die Hauptursache – fielen die durch den Schnee in farblosem Lichte blinkenden Strahlen der Wintersonne fast horizontal auf diesen Punkt, eine Erscheinung, welche nur an wenigen Tagen eintreten und nicht länger als einige Minuten währen konnte, bisher aber bei keiner meiner früheren Forschungen stattgefunden hatte. Vielleicht rief auch eine chemische Kraft der Sonnenstrahlen die Farbe so leuchtend hervor, doch hierüber zu sprechen, fehlen mir die genügenden Kenntnisse. Genug, daß die Lettern sich dort befanden, und daß sie mir erst Aufregung und Entsetzen, später jedoch eine große Ermuthigung einflößten.

Mein erster Gedanke war, mir eine Kopie der Zeichen zu verschaffen, da ich nicht wissen konnte, wie vergänglich dieselben sein mochten. Ich rannte die Treppe hinab, und ohne mit irgend Jemand zu sprechen, holte ich ein Blatt Seidenpapier herauf. Dies legte ich auf den Damast, hielt eine Karte unter die linke Seite des Gewebes, zeichnete so viel von der Schrift durch, wie das Papier gestattete und bildete das übrige so genau nach, wie ich konnte. Doch lag es außer meiner Macht, das Zittern meiner Hände zu verhüten, und ein leichter Schleier legte sich über meine Zeichnung – oh, wie mir das Herz erbebte!

Sobald die Bleistiftskizze vollendet war, und noch ehe ich sie mit Tinte nachgezogen, (denn sie roth zu übermalen, konnte ich nicht über mich gewinnen) knieete ich an der Sterbestätte meines Vaters nieder und dankte Gott für diese Führung. Als ich meine Augen getrocknet hatte, war die Sonne weiter gezogen und die blutige Schrift wieder verschwunden, obgleich ich mir die Stelle mit einer Stecknadel bezeichnet hatte. Ich maß die Höhe, in der die Zeichen angebracht waren, und bemerkte, daß sie sich gerade drei ein viertel Fuß oberhalb der Stelle befanden, wo meines theuren Vaters Haupt gelegen hatte. Der größte Buchstabe war drei Zoll hoch und ein achtel Zoll stark; die beiden andern waren fast so hoch, doch lange nicht so dick.

Jetzt aber schwand mit dem Sturm der Leidenschaft, der den Körper beherrscht, auch meine Kraft, und ich zitterte, als ich leise durch das stille Zimmer auf das tiefe, dunkel umrahmte Fenster zuschritt und hinauszuschauen versuchte. Vielleicht trieb es mich nach dem innern Aufruhr, welcher mein einsames Herz durchtobt hatte, einen Blick in die Welt dort draußen zu thun. Mein abgespanntes Gehirn, und meine ermatteten Augen spiegelten mir jedoch überall auf dem Schnee und am Himmel die drei feurig flimmernden Buchstaben vor. Der Abend, ein Winterabend, senkte sich herab. Die Sonne tauchte in grauen Nebel unter, kalt und öde erschien die Landschaft. Weiß und todt lag die Erde da, so weit ich sehen konnte, ohne ein Merkmal, das auf Leben deutete. Kein Fuß schritt über den Schnee, kein Luftzug bewegte die Bäume. Die schneebedeckten Hecken, Büsche und Hügel glichen den Falten in einem Leichentuche, und jeder starre Zweig hatte wie ich seine kalte Last zu tragen.

Doch links, gerade dem Giebelfenster gegenüber, zeigte sich inmitten der Schneefläche ein nachtschwarzer Punkt. Das war die Quelle, welche mir die Fußspuren bewahrt hatte. Vielleicht war ich in abergläubischer Stimmung, ich sah ein willkommenes Omen darin. Plötzlich flog noch ein letzter Strahl der siegreichen Sonne durch die alten gemalten Scheiben und warf einen purpurleuchtenden Fleck auf meine Brust. Es war das unter Richard Löwenherz gewonnene rothe Herz in unserm Wappenschilde.

Diesen stolzen Schmuck auf der Brust, das finstere Rachegelübde im Herzen, die jugendliche Gestalt hoch aufgerichtet, stand ich, eine würdige Tochter der Kreuzfahrer, da.



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