Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Still-Leben.
So aufrichtig, einfach und zutraulich war Mrs. Huxtable, daß wir schon immer vorher wußten, was sie zunächst sagen oder thun würde. Ihre stete Geschäftigkeit erstreckte sich sogar auf die Mahlzeiten, ausgenommen des Sonntags. An diesem Tage legte sie zugleich mit ihrem besten Kleide ein würdevolles Aussehen an, das ihr aber höchst unbehaglich war, und das sie auch sofort nach dem Abendgottesdienst wieder abstreifte. Sie schien eine recht gefühlvolle Frau und gleich gut, auf welcher Seite das Recht war, hielt sie es stets mit der schwächeren Partei. Am nächsten Morgen fragten wir sie, wie es gekommen sei, daß sie uns nicht erwartet zu haben schien, da ich doch am vergangenen Sonnabend geschrieben und den Brief selber zur Post gebracht hatte.
»Ja, das muß wohl so sein,« erwiderte sie, »und das papierene Geschreibsel ist auch richtig Montag angekommen; wir können aber nicht gut Geschriebenes lesen, und der Pächter sagte, es würde wohl der Steuerzettel von der Königin sein, weil ihr Kopf darauf ist. So legten wir das Papier in den großen Mörser, bis Beany Dawe einmal herüber kommen würde, oder bis wir nächsten Sonntag den Pastor nach der Kirche fragen konnten, was drin steht. Aber,« fügte sie hinzu, indem sie fortrannte, »jetzt weiß ich, daß es Ihnen gehört, Miß Clara, weil Sie ja hintendrein gekommen sind.«
Also hatten sie nur gewußt, daß wir kommen würden, doch nicht zu welcher Zeit. Am folgenden Tage langte Thomas Henwood mit unseren Kisten auf einem Karren an, wie sie in dortiger Gegend zur Beförderung von Lehm benutzt werden.
Nachdem wir unsere wenigen Luxusgegenstände ausgepackt hatten, stellten wir ein etwas plumpes, doch bequemes Sopha für meine Mutter auf und versuchten, ihre Traurigkeit durch mancherlei Aenderungen und Pläne zur Ausschmückung unseres kleinen Reiches zu zerstreuen.
Wir entfernten die schreckliche Lithographie »Der Tod und die Dame« Ein in Devonshire beliebtes Bild, ein Skelett darstellend, das mit einer Lanze auf eine Dame am Spiegel zielt. – Anm. d. Uebers., welche über dem Kamin hing, verschiedene bunt geklexte Darstellungen des Heilandes und der Apostel, die Samariterin mit einem französischen Sonnenschirm, Eli wie er von einem Zaunthor fällt und den darunter hängenden Great Western Steamer. Alle diese Aenderungen bemerkte die arme Mrs. Huxtable nicht ohne ein paar betrübte Seitenblicke, und zuletzt, als ich mich anschickte, eine einfache Zeichnung der St. Marienkirche zu Vaughan aufzuhängen anstatt einer herrlichen Darstellung des verlorenen Sohnes, der einen weißen Hut mit einer Pfeife daran gesteckt trug und sich mit einem Taschentuche, auf dem ein Pferd abgebildet war, die Thränen trocknete, da konnte sie mit ihrer Meinung nicht länger zurückhalten.
»Aber Miß Clara, liebstes, bestes Kind, was machen Sie da? Das sind die schönsten Bilder diesseits von Coom. Der Pächter hat ein Gericht Würste, einen Porzellan-Theetopf und ein paar Sonntagshosen dafür gegeben. Wenn die Sonne darauf scheint, so blinken und schimmern sie wie ein ganzes Feld voll lauter Mohnblumen und rother Wicken. Aber Ihr armseliges kleines Blatt Papier da, das hat ja nicht eine Spur von Farbe. Meiner Seel', da kann ich ja mit meinen Holzschuhen in der Ciderpresse ein schöneres Bild zurechtstampfen.«
Mit einer solchen Kunstkennerin zu streiten, würde mehr als nutzlos gewesen sein. So beschwichtigte ich sie denn damit, daß ich das verschmähte Prachtstück in ihrer eigenen kleinen Stube neben der Milchkammer aufhing. Es währte nicht lange, so gewann unser Wohnzimmer ein freundliches, ja behagliches Ansehen. Natürlich waren die Möbel nur gewöhnlich, doch ich frage nicht viel nach Polstern, und auf französische Politur lege ich nicht den geringsten Werth. Meine einzige Besorgniß bestand darin, daß die Feuchtigkeit des Lehmfußbodens durch den dürftigen Filzteppich dringen und meiner lieben Mutter die Füße erkälten möchte. Der Kamin war hell und alterthümlich mit bunten Kacheln ausgelegt, der graue Anstrich der Wände beleidigte das Auge weniger, als es eine von der guten Mrs. Huxtable gewählte Tapete gethan haben würde, und das hübsche Gitterfenster, das selbst jetzt noch von blühendem Geißblatt umgeben war und durch seine Myrthenbäume dem Winde Trotz bot, konnte Jeden mit dem ärmlichsten Stübchen in ganz England versöhnen. Durch dasselbe sah man auf einen einfachen Garten mit Laubengängen und strohgedeckten Bienenstöcken und dahinter auf ein, von einem krystallhellen Strom durchflossenes Thal hinab, zwischen dessen reichem Baumschmuck der Bristolkanal hindurchschimmerte.