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Ein Poet sonder Gleichen.
An einem kalten Märztage, als der Winter uns noch einen letzten Sturm als Abschiedsgruß zuheulte, ging ich, nachdem ich das Sopha im Wohnzimmer für meine Mutter an das Kaminfeuer gerückt hatte, in die Küche, um an dem großen kräftig duftenden Holz- und Ginsterfeuer mit Mrs. Huxtable zu plaudern, weil die Wärme des Kamins in der Stube nicht über das Sopha hinausreichte.
Die Pächterin lehrte mich einige seltsame Ausdrücke ihrer Mundart, mit der ich mich gern vertraut machen wollte, und die sie für die einzig richtige und gescheidte Sprache erklärte.
»All' das Zeugs und Gewäsch, was die Cornwaller und Sommersetter und Londoner reden, ist nichts weiter als dummes Kauderwälsch, Miß Clara, kein bischen gescheidt und nicht einmal englisch.«
Noch war sie in ihrer Lektion begriffen, als eine seltsame Figur den Eingang verdunkelte und geradewegs auf den Herd zuschritt, an welchem wir saßen.
Als ich mich umblickte, sah ich einen etwa fünfzigjährigen Mann von mittlerer Größe, hagerem Wuchs und mit schlotternden Gliedmaßen, der durchaus gleichgültig gegen seine Kleidung zu sein schien. Sein Gesicht war lang und mager, eckig geformt und mit einer scharf hervortretenden Adlernase ausgestattet. Ein fortwährendes Zucken und Verzerren der Gesichtsmuskeln ließ die schroffen Linien und Kanten noch stärker hervortreten. Die Haut war ihm so straff von der feierlich ernsten Stirn über die Backenknochen bis zu dem lippenlosen, herabgezogenen Munde gespannt, wie die Blase über einen Geleehafen Hafen: süddt. ›Topf‹.. Seine wasserblauen Augen schienen immer neugierig umherzuspähen, und sein langes, melancholisches, mit grauen Haarbüscheln bedecktes Kinn war zwar bestimmt, ihm den Mund zu schließen, doch hing es, seinen Zweck verfehlend, mürrisch herab. Um die Schultern hatte er einen alten, geflickten Kartoffelsack geworfen, der über der Brust von einer hölzernen Speile Splitter, Splint. zusammengehalten wurde. Seine Beinkleider waren so zerrissen wie seine Verse. In seinem ganzen Auftreten und seinen Mienen machten Selbstgefälligkeit und feierliche Zurückhaltung einander den Rang streitig. Im Ganzen machte er mir den Eindruck eines Uhus, der sein Herz an eine Javanshenne Im Original: » bantam hen«: Zwerghuhn. verloren hat. Ich verstehe ihn nicht besser zu beschreiben, aber diejenigen, welche ihn gekannt haben, mögen trotzdem in meiner Schilderung Beany Dawe, den Holzsäger und anerkannten Barden des nördlichen Devonshire, wiedererkennen.
Mr. Ebenezer Dawe griff ohne sich mit einem Gruße aufzuhalten, nach einem dreibeinigen Sessel und setzte denselben zwischen unsere beiden Stühle.
Dann blickte er von Mrs. Huxtable zu mir und führte sich mit folgendem Spruche ein:
»Da sitzen wir zu Drei'n,
Das wird gemüthlich sein.«
»Gemüthlich, das wäre noch besser,« rief Mrs. Huxtable; »seht Ihr alter Narr denn nicht, daß ich hier vornehmen Besuch habe?«
Darauf fuhr sie zu mir gewendet fort: »Aengstigen Sie sich nicht, Miß Clara. Das ist nur der alte verrückte Landstreicher Beany Dawe. Er macht Gedichte, wie studirte Leute Ihresgleichen das Zeug jawohl nennen. Er kann nicht den Mund aufthun, ohne Verse zu reden. Verse! Dummes Zeug. Auf die Fersen würde ich ihn bringen, wenn ich seine Frau wäre. Da thut er sich wer weiß was auf seine schnickschnacksche Reimerei zu gute und Alles, was er davon hat, ist, daß die Leute ihn ›ßi ßa, Beany Da‹ heißen und der Name ist auch gut genug für ihn! Klipp klapp wie ein paar Dreschflegel auf der Tenne! Meiner Seel! Und er hätte zwei Schillinge den Tag und seinen Cider dazu verdienen können!«
Der Gegenstand dieser anmuthigen Kritik hatte sie unterdessen mit jenem spöttischen Mitleid betrachtet, das nur ein großer Dichter in solcher Lage empfinden kann. Dann drehte er sich langsam auf seinem Dreifuß herum und sich gegen den Kamin wendend sprach er:
»Die Thörin weiß nicht, was sie spricht,
Sie sieht den Dichter in dem Säger nicht.«
Vielleicht schmeichelte diese erhabene Strophe Mrs. Huxtable's unkultivirtem Ohr, denn sie zeigte jetzt wenigstens friedfertige Gesinnungen.
»Na, Mr. Dawe, so kommt nur her und eßt etwas Brühsuppe.«
Er ging auf diesen Friedensantrag mit einer Bereitwilligkeit ein, die eigentlich unter seiner Würde war.
»Kartoffeln und Fleisch, auch Cider und Brüh'
Verschmäht', kann er's haben, der Dichter, nie.«
»Cider sollt Ihr nur haben,« antwortete seine Wirthin, »wenn Ihr einmal wie ein vernünftiger Christenmensch reden wollt, ich meine, ohne den Singsang, der sich liebster Welt anhört wie das Sägen, das Euch immer vor den Ohren summt; ßi ßa – hier und da, schrag, schrag – auf und ab; so macht Ihr's, und die Arme gehen Euch immer dabei auf und ab, auf und ab, die Augen und den Mund habt Ihr voll Staub und das Gesicht leckt Euch, wie 'n Theetopf, und kein Tropfen macht Euch den steifen Hals geschmeidig. So geht's Euch Sägern, wenn Ihr zugleich Dichter sein wollt.«
Während dieser Erklärung wiegte sie sich auf ihrem Stuhl hin und her, um eine schwache Nachahmung der taktmäßigen Bewegung zu geben, mit denen er seinen Versen mehr Schwung zu verleihen suchte. Dieses Plagiat ärgerte ihn mehr noch, als ihre Worte; doch er vertheidigte seine Sache wie ein echter Sohn des Gesanges.
»Kann ich es ändern, daß ich bin Poet?
Ihr keift nur, weil Ihr's besser nicht versteht;
Denn wie 'ne Glocke oder Weiberzung'
Schweigt der Poet nicht still, wenn mal im Schwung.«
Ein mächtiges »Hahaha«, welches gleich einem lustigen Erdbeben von der Thür her erschallte, bewies, daß sein letzter Treffer in irgend einer weiten Brust ein Echo gefunden hatte.
»Du sollst so viel zu essen haben, wie Du nur immer herunterschlucken kannst«, sprach der eintretende Pächter. »Du bist, so wahr ich lebe, ein verteufelt schlauer Bursche. Würde auch noch fast ebenso gern ein Dichter sein, wie ein Weibsbild, wenn's der liebe Herrgott so gewollt hätt'. Groß ist der Unterschied wahrhaftig nicht; aber sie finden Beide an einer Menge Sachen Gefallen, aus denen wir andern Leute uns Nichts machen. Dahingegen trinkst Du im Leben kein Bier, Beany, nicht wahr?« Diese Neckerei traf, denn Mr. Dawe war ein Trinker von Ruf.
Er entgegnete mit einem tiefen Seufzer und schwermüthig ernstem Blick:
»Ach nein, ach nein! Nur wenn mein schwacher Magen
Braucht eine Stärkung, wie mein Doktor pflegt zu sagen.«
»Was hat der Doktor Ihnen gesagt, Mr. Dawe,« fragte ich, denn ich bemerkte, daß er eine Nachfrage wünschte. Seine Augen waren mit einem forschenden Blick auf mich gerichtet, und es schien mir, als hoffe er, endlich eine verständnißvolle Seele gefunden zu haben.
»Es waren wohl drei Monde schon verflossen,
Seit ich den letzten Tropfen hatt' genossen,
Da mußt' ich hin zum Arzt: ›Ach hier
Hilft weiter Nichts,‹ sprach
der, ›als Bier.‹«
Diese Worte wiederholte er mit eindringlichem Ernst, wobei er den Kopf seufzend schüttelte, wie in Entrüstung über dieses schlimme Mittel.
Dennoch besaß der Gegenstand vielleicht einen melancholischen Reiz, und seine Stimme zu einem salbungsvollen Ton herabdämpfend, fuhr er fort:
»›Bier,‹ sprach ich, ›oh, wo soll ich das wohl finden?‹
›Such's nur,‹ sprach er, ›Du mußt Dich überwinden.
Oh, Ebenzer Dawe, ich rathe ernstlich Dir
Zu trinken, da's noch Zeit. Dein Zustand fordert Bier.‹«
»Ich wette, Du hast Dich zu der Medizin nicht lange nöthigen lassen,« sagte der Pächter. »Zeig' dem Kalb den Weg zur Kuh!«
Ohne diese boshafte Anspielung zu beachten, ließ Mr. Dawe sich weiter vernehmen:
»D'rauf ging ich einst zur späten Abendstund',
Wohl einen Monat später heimwärts, und
Da für den Pächter Toe zersägt ich hatt'
'Ne große Ulme, fühlt' ich mich recht matt.
Mein Kopf war wüst, mein Rücken steif, und ein Gewimmer
Erhob mein Magen, wie ein Kind im dunkeln Zimmer.
Da führt mein Weg mich gerade an den Ort
Wo eine Schenke hält der Peter Will; und dort
Im Schein des Feuers winkten mir von fern
Die Gläser freundlich wie der Abendstern.«
Hier mußte er, überwältigt von seiner eigenen Beschreibung, eine Pause machen.
»Nun,« fragte der Pächter, vom Gegenstande erwärmt, denn auch er wußte seinen Trunk Bier zu würdigen; »nun, Du kehrtest also ein und nahmst einen tüchtigen Schluck, wie es einem braven Kerl geziemt? Und nachdem Du so lange auf dem Trockenen gelegen hast, muß er Dir unmenschlich gut geschmeckt haben.«
»Er glitt wie Oel so sanft hinab die trockene Kehle,
Ein königliches Labsal für die durst'ge Seele.«
»Die durst'ge Seele, die durst'ge Seele,« wiederholte er, sich schmatzend über den Mund fahrend und einen bedeutsamen Blick nach der Kellerthür werfend.
Der Pächter erhob sich, nahm ein schweres, zinnernes Quartmaß vom Anrichtetisch und stieg damit in den Keller. Alsbald ließ sich ein plätschernder, rieselnder Ton vernehmen, der dem gefühlvollen Mr. Dawe ins innerste Herz drang. Als sich aber die mit Ale gefüllte und mit einer weißen Haube bedeckte Kanne den Blicken des durstigen Barden zeigte, ließ der Wirth das Gefäß noch nicht aus der Hand, sondern stellte dem Gast, wie Pluto einst dem Orpheus, erst eine schwere Bedingung.
»Hier, Beany Dawe, trinken darfst Du aber nicht eher, als bis Du Etwas gesagt hast, ohne Verse zu machen.«
Als der arme Ebenezer diese barbarische Maßregel hörte, da rollten seine Augen mit dem Ausdruck höchster Tragik und er wiegte sich seitwärts hin und her, nicht wie sonst vor- und rückwärts. Die eine Hand griff nach den Fetzen des um seine Schulter geschlungenen Sackes, die andere nach dem Henkel des Kruges. Offenbar mit großer Anstrengung und sehr langsam sagte er dann:
»Könnt Ihr die Verse denn durchaus nicht leiden,
So will versuchen ich, sie zu –«
Hier packte ihn ein Reim mit unwiderstehlicher Gewalt. Man sah es an dem heftigen Zucken in seinem Antlitz. Er wollte die Strophe mit dem Worte »unterlassen« beenden, doch die Natur siegte und er sprach das verhängnißvolle Wort »vermeiden«. In demselben Augenblick preßte der Pächter seine Riesenfinger zusammen und zerdrückte das Metallgefäß, als wäre es von Silberpapier gewesen. Das verscherzte Naß floß über des Poeten Kniee und verschwand zischend in der Asche zu seinen Füßen. Ich ergriff, einen Sturm in Versen von ihm und in Prosa von Mrs. Huxtable über die Hauptzierde ihrer Küche voraussehend, schleunigst die Flucht.
Von der Zeit an wendete ich unserem eitlen doch harmlosen Barden meine Theilnahme zu. Niemand von seinen Nachbarn schien zu wissen, seit wann er von seinem unseligen Uebel befallen war, das offenbar dem Ton der Säge entstammte. Bei Gelegenheit unserer ersten Bekanntschaft waren aber seine Reime und sein Rhythmus besonders rund und fließend gewesen, wohl Folge des stolzen Gefühls, eine neue Zuhörerin gefunden zu haben. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich gestehen, daß seine späteren Erzeugnisse wenig oder gar nicht über den Leistungen seiner bekannteren, doch minder verständlichen Genossen standen und ich nicht so stolz auf seine Beziehung zu meiner traurigen Lebensgeschichte bin, wie er es von mir erwartet.