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XXXV.

Meyring mußte noch Genaueres berichten. Stone hatte inzwischen zur Sicherheit beim Polizeihauptquartier angerufen und erfahren, daß alle Angaben des jungen Mannes stimmten.

»Der Arbeiter gab beim ersten Befragen an«, erzählte Meyring, »er sei an jenem Abend eine Stunde früher weggegangen, ohne jemand etwas zu sagen. Er unterhielt nämlich mit einem Mädchen ein Verhältnis, und dieses Mädchen war krank geworden. Sie hatte es ihm geschrieben, doch als er zu ihr kam, war sie schon tot. Da ging er in eine Kneipe und betrank sich. Er traf einen Freund, einen Arbeiter Gromows, der ihn zur Nacht zu sich nahm. Dieser Freund hatte Urlaub, und Perkins wandte nichts gegen seinen Vorschlag ein, am nächsten Tage weiterzutrinken. Er hatte nämlich Angst, nach Hause zu gehen. Schließlich tranken die beiden drei Tage und Nächte lang, und zwar im Zimmer des Freundes, denn Perkins fürchtete die Kneipen, in denen ihn bestimmt seine Frau suchen würde. Als dann in dieser Angelegenheit eine Untersuchung gegen die Jordanwerke eingeleitet wurde, kam dem Freund der wunderbare Einfall, aus dieser Sache Kapital zu schlagen. Er sprach mit Gromow, und Perkins wurde in der Nacht im geschlossenen Wagen in die Fabrik gebracht, die er bis heute nicht wieder verließ. Und dann setzte der Angriff gegen die Jordan werke ein. So war es.«

Jordan nickte.

»Und ohne Sie, lieber Meyring, wäre ich jetzt erledigt gewesen«, sagte er ernst.

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Meyring gefaßt. Dr. Stone lachte herzlich.

»An allzu großer Bescheidenheit krankt Ihr ... Generalsekretär nicht«, meinte er schmunzelnd. »Aber nun, Mr. Jordan, können wir wohl wieder an die Arbeit gehen. Die Aufträge sind Ihnen jetzt natürlich sicher. Und ich darf wohl meiner Freude Ausdruck geben, daß ich nicht gezwungen war, sie den Herren Gromow und Genossen zu erteilen.«

»Das wäre ein schöner Reinfall gewesen!« rief Meyring triumphierend. »Da wären Sie erst richtig in des Teufels Küche gekommen.«

Jordan schüttelte trübe den Kopf.

»Lieber Meyring, werden Sie denn nie lernen, sich etwas gewählter auszudrücken?«

»Nein«, sagte Meyring und senkte etwas verlegen den Kopf. »Ich bin immer für das Natürliche. Meinte ideale Weltanschauung ...«

»Lassen wir das jetzt«, unterbrach ihn Jordan ungewöhnlich sanft. »Mr. Stone, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie alles Nötige mit Mr. Jenkins vereinbaren wollten. Ich bin augenblicklich etwas ... nicht ganz beisammen, und dann möchte ich noch ein paar Worte mit diesem jungen Mann sprechen.«

»Verstehe« sagte Stone freundlich. »Selbstverständlich können wir jetzt mit Mr. Jenkins allein fertig werden.«

Jordan und Meyring verabschiedeten sich von Stone. Dann nahm Jordan den immer noch etwas schwankenden Meyring unter den Arm und führte ihn in das kleine Nebenzimmer. Hier setzte er ihn auf einen Stuhl, schloß sorgfältig die Tür und trat dann langsam vor seinen ehemaligen Sekretär.

»Warum haben Sie mir diesen Schmerz bereitet, Meyring?« fragte er zornig. »Konnten Sie nicht mir, wenigstens mir, die Wahrheit sagen? Oder meiner Tochter, Ihrer Braut?«

Meyrings Lippen zuckten. Er hatte alles eher als Vorwürfe erwartet.

»Das ist nun der Dank!« rief er schmerzlich aus. »Fromme ehrwürdige Menschen sagen: Der Zweck heiligt das Mittel. Ich sehe, Sie sind gar nicht fromm und ehrwürdig. Ihnen hätte ich es sagen sollen? Gut, und was hätten Sie getan? Sie hätten es Jenkins ins Ohr geflüstert. Jenkins aber konnte ein Verräter sein. Oder er hätte es einem anderen ins Ohr geflüstert, dem er vertraute. Der aber konnte Verräter sein. Oder aber der hätte es jemand ins Ohr geflüstert, dem er vertraute. Der, dem der es zuflüsterte, aber konnte Verräter sein. Oder er hätte ...«

»Hören Sie auf!« rief Jordan und setzte sich erschüttert auf einen Stuhl. »Der, dem der ... Menschenskind! Meiner Tochter haben Sie es aber auch nicht gesagt!«

»Nein«, versetzte Meyring fest. »Weiber ... entschuldigen Sie: Frauen brauchen erst recht nicht alles zu wissen. Ich werde Mary einen innigen Liebesbrief schreiben – das wird ihr bestimmt verständlich erscheinen.«

»Wie einfach ist doch das ganze Leben in Ihren Augen!«

»Das Leben ist nur schwierig, wenn man es durchaus schwierig machen will«, sagte Meyring mit weiser. Miene.

»Hätten Sie mir gleich die Wahrheit gesagt«, begann Jordan wieder.

Da riß Meyring die Geduld.

»Hätten! Hätten! Hätten!« rief er gekränkt. »Denken Sie, meiner Seele tat es wohl, als Sie mir die Faust ins Gesicht pflanzten? Aber ich habe nicht gejammert, habe wie ein Held das Entsetzliche erduldet, zu sehen, wie Ihr Vertrauen bei der Feuerprobe zusammenschmolz ...«

»Mein Freund«, unterbrach ihn Jordan bewegt.

»Dieser Ton gefällt mir besser«, sagte Meyring ruhig.

Jordan lächelte verzweifelt.

»Wir werden uns mit Worten nie verstehen, lieber Meyring«, sagte er leise. »Sie sind ein Mensch wie Gold, aber Ihre Sprache ist Blech.«

»Besser als umgekehrt«, entgegnete Meyring etwas verstimmt.

»Allerdings.« Jordan stand auf und reichte ihm die Hand. »Wollen Sie mir mein Mißtrauen verzeihen, lieber ... Generalsekretär?«

»Ihre Sprache ist Gold!« antwortete Meyring glückstrahlend. »Diesen feierlichen Augenblick werde ich nie vergessen. Und jetzt möchte ich Sie bitten, mir Ihr bestes Schreibfräulein auszuleihen: ich muß den Liebesbrief an Mary diktieren.«


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