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IV.

Der »Kakadu« war ein Lokal im sogenannten »Haarlem-Viertel«, einem Viertel, in dem es von Negern, Spaniern und Mulatten wimmelte. Der Besuch der meisten Lokale im Haarlem war für Leute, die nicht zu diesen Kreisen zählten, durchaus nicht ungefährlich, Der »Kakadu« hatte ein Publikum, das zwar auch sehr gemischt war, aber in diesem Lokal hatte man die Gewähr, daß nichts Gefährliches geschah. Das war auch der Grund, warum stets gegen elf Uhr oder noch später am Abend Besucher hierher kamen, die zu den besten Gesellschaftsschichten zählten. Sie wollten sich unter das »Volk« mischen, dabei aber sicher sein, daß es ihnen nicht an den Kragen ging.

Als Jordan und sein neuer Sekretär den Saal betraten, zeigte es sich, daß der Raum gesteckt voll war. Eine gar nicht schlechte Kapelle spielte einen Tango, bunte Scheinwerfer durchleuchteten den abgedunkelten Raum, und in den etwas höher an der Seite gelegenen Logen herrschte ein angenehmes Dreivierteldunkel.

Ein prächtig gewachsener Neger in blitzender Uniform befragte die neuen Gäste nach ihren Wünschen. Ein ebenso großer Ober in einwandfreiem Frack eilte auch schon herbei.

»Eine Loge« sagte Jordan nachlässig.

»Leider alle besetzt ...« begann der Ober. Er verschluckte die weiteren Worte und folgte gespannt der Handbewegung Jordans nach der Tasche. »Sofort. Bitte, folgen Sie mir«, sagte er, da er mit der Höhe des Geldscheins zufrieden war. Er führte die Gäste zwischen den kleinen Tischen hindurch in einen Gang. Hier schloß er eine kleine Tür auf, und Jordan konnte die gewünschte Loge betreten.

»Eigentlich war sie vorbestellt«, sagte der Ober entschuldigend. Dann nahm er mit Ehrfurcht die Bestellungen der Gäste entgegen.

Jordan sah sich um. Sein Blick glitt gleichgültig über die Gestalten der tanzenden Paare hinweg, verfolgte einige für Sekunden und kehrte dann wieder zu seinem Gegenüber, dem Sekretär, zurück.

Meyring saß mit funkelnden Augen in bester Laune da und grüßte munter bald hierhin, bald dorthin. Er schien sich hier zu Hause zu fühlen. »Unterlassen Sie die blöde Grüßerei«, tadelte Jordan. »Sonst denken die Leute noch, ich sei ein Oberbriefträger.«

»Würde Ihnen in der Achtung dieser Leute nicht schaden«, bemerkte Meyring sorglos und grüßte wieder. Der Gruß galt einem schrecklichen jungen Mann mit verlebtem Gesicht und eng an den Schädel geschmiertem Haar.

Jordan unterließ einen neuerlichen Tadel.

»Wer ist die Dame dort?« fragte er plötzlich.

»Welche?« fragte Meyring zurück und suchte unter den Tanzenden.

Der Ober brachte den bestellten Kaffee und Likör, und Jordan wartete, bis er gegangen war, dann erst sprach er wieder:

»Ich meine die Kleine dort im schwarzen Spitzenkleid ... Die Blonde ... Sehen Sie? ... Dort ... Sie tanzt mit einem Schwarzhaarigen ... dort ... tanzt sehr gut, scheint mir.«

»Aha, die!« Endlich hatte Meyring sie erblickt.

»Nein, die kenne ich nicht ... Aber sehen Sie die daneben im grünen Kleid ... Auch blond ... Die könnte ich ihnen empfehlen ...«

Jordan schnaubte wütend, und Meyring verstummte. Die Blicke Jordans verfolgten die Dame im schwarzen Spitzenkleid. Sie war sehr lebhaft, lachte oft und tanzte wirklich ausgezeichnet.

Meyring nahm einen neuen Anlauf zur Unterhaltung.

»Diese Musik geht einem richtig in die Beine«, erklärte er fröhlich und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte den Takt. »Ihr Gedanke, ein paar Mädchen hierher zu bestellen, ist großartig ...«

Jordan sah seinen Sekretär vernichtend an.

»Sie vergessen, daß ich nur geschäftlich hier bin«, sagte er böse. »Nur geschäftlich.«

»Na, gut, dann nicht«, antwortete Meyring enttäuscht und trommelte weiter.

Der Tanz war zu Ende, und die Paare begaben sich auf ihre Plätze. Jordan beobachtete immer noch die blonde Dame. Sie saß jetzt mit ihrem Tänzer und noch einem Herrn in einer Loge ihm quer gegenüber.

»Ich werde die Dame drüben hierher bestellen«, sagte er plötzlich, und es klang sogar etwas erregt. Meyring schnitt eine Grimasse.

»Wenns schon mit dem Geschäft nichts ist, dann lieber eine andere. Ist sicherer«, sagte er wohlwollend.

Jordan antwortete nicht. Er hatte geklingelt, und der Ober erschien.

»Bitten Sie die blonde Dame aus der Loge da drüben zu uns«, bestimmte Jordan kalt.

»Ich weiß nicht, ob das möglich sein wird ...« meinte der Ober zweifelnd.

Ein Geldschein verscheuchte seine Zweifel. Es war ein hoher Geldschein, um dessentwillen es sich für einen Ober schon lohnte, sich einigen Unannehmlichkeiten auszusetzen.

Jordan beobachtete mit scheinbar teilnahmslosen Blicken, wie der Ober gleich darauf in die Loge gegenüber trat und der blonden Dame ein Briefchen hinlegte. Sie nahm es mit einem verwunderten Achselzucken, riß es auf, las. Jetzt wandte sie sich mit einer Frage an den Ober. Ah, jetzt erklärte er ihr leise, um wen es sich handelte. Jetzt würde sie gleich hierher blicken. Jordan sah schnell weg.

Erst nach einer geraumen Weile wandte er den Blick wieder hin. Der Ober war aus der Loge verschwunden, und die blonde Dame unterhielt sich sehr lebhaft mit ihren Tischherren.

Da stand der Ober wieder neben Jordan.

»Es ist mir sehr unangenehm«, sagte er, »aber die Dame weigert sich.«

Jordan war dunkelrot geworden.

»Wissen Sie, wer ich bin?« stieß er wütend hervor.

»Nein ...«

»Jordan.«

Der Ober knickte sichtlich zusammen.

»Mr. Jordan, der Besitzer ...«

»Ja«, unterbrach ihn Jordan unwillig. »Und jetzt gehen Sie noch mal hinüber und laden die Dame nebst den Herren in meinem Namen ein.«

»Jawohl, Mr. Jordan.«

Jordan sah diesmal nicht hinüber. Er wartete. Er brauchte aber nicht lange zu warten, da war der Ober wieder da.

»Mr. Jordan«, sagte er zerknirscht. »Es ist hoffnungslos. Die Herren wollten schon, aber die Dame sagte: ›Nun grade nicht‹.«

Jordan schoß einen Blick hinüber. Die Herren saßen stumm und steif da, mit geistlosen, förmlich erstarrten Gesichtern, aber die blonde Dame schien sehr vergnügt zu sein. Sie sprach in einem fort und lachte, aber sie sah dabei nicht hierher. »Gehen Sie weg!« fuhr Jordan den Ober an. »Meyring!« rief er. »Rufen Sie sofort Burns Detektei an. Drei der besten Leute augenblicklich hierher! Das soll den Herrschaften teuer zu stehen kommen!«

Meyring schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Glauben Sie, Mr. Jordan, die Herren von der Burns Detektei werden Ihre Dame mit Gewalt hierher schleppen?« fragte er.

»Tun Sie gefälligst, was ich Ihnen sage!« herrschte ihn Jordan an. »Widerspruch vertrage ich nicht. Es ist bisher noch immer alles so geschehen, wie ich es wollte. So oder so!«

»Na, gut«, sagte der Sekretär und sprang auf. Aus dem Blumenglas auf dem Tisch nahm er eine Marguerite, steckte sie ins Knopfloch und eilte davon.

In diesem Augenblick setzte die Musik wieder ein. Als Jordans Blick zufällig auf die Loge gegenüber fiel – es war keineswegs seine Absicht, hinzusehen – gewahrte er dort seinen Sekretär. Meyring verneigte sich erst vor den Herren, dann vor der Dame, wie immer übers ganze Gesicht strahlend. Die Dame schüttelte den Kopf, Meyring sprach, sie schüttelte noch einmal den Kopf.

Jordan biß sich zornig auf die Lippen. Hatte man es nötig, sich noch ein drittes Mal eine Absage zu holen? Dieser Sekretär sollte nachher für sein eigenmächtiges Vorgehen was erleben ... Doch da stand die Dame plötzlich auf, legte ihre Hand in den Arm Meyrings und begab sich mit ihm hinaus, zur Tanzfläche.

Meyring tanzte großartig. Er unterhielt aber seine Dame noch großartiger, denn sie kam aus dem Lachen gar nicht heraus. Jordan starrte sie an, und statt sich darüber zu freuen, daß ihn sein Sekretär der Erfüllung seines Wunsches näherbrachte, ärgerte er sich. Er kannte dieses sonderbare Gefühl nicht, denn es war kein gewöhnlicher Aerger. Der gewöhnliche Aerger schmerzte doch nicht, dieses fremde Gefühl aber tat weh. Und plötzlich mußte Jordan an sein Alter denken. Ja, er war alt geworden ... Das war es. Man merkte es selten, wenn man reich war; merkte man es dann aber doch, so tat es weh.

Die Musik hatte geendet. Die Leute forderten eine Wiederholung. Meyring klatschte, und seine Dame – wahrhaftig! – klatschte auch – ganz lebhaft, förmlich begeistert.

Auch der zweite Tanz war beendet. Meyring begleitete die blonde Frau an ihren Tische sprach ein paar Worte mit ihren Tischherren, dann eilte er zu Jordan.

»Sie kommt«, sagte er mit stolzer Selbstverständlichkeit und setzte sich.

Jordan antwortete nicht. Er blickte in Gedanken versunken auf seine klobigen, dicken Hände, auf die mit Ringen geschmückten Finger, die die Zigarre hielten. Dort lagen auch die Hände Meyrings, ohne Ringe, aber um wieviel schöner sahen sie aus! Mit einer heftigen Gebärde streifte Jordan alle Ringe, bis auf den Ehering, von den Fingern und steckte sie in die Rocktasche.

»Wie haben Sie denn das bewerkstelligt?« fragte er. Der Sekretär tat ihm ein wenig leid. Er hatte sicherlich ein Lob erwartet.

»Ich schwatzte Unsinn« sagte Meyring freudig.

»Bei Mädchen ist das so: Will man etwas Sinnvolles von Ihnen, so muß man Unsinn reden. Spricht man sinnvoll, so machen sie Unsinn.«

»Briefträgerphiliosophie«, sagte Jordan spöttisch. Meyring lachte. Er war gar nicht gekränkt.

Jetzt öffnete sich die Tür der Loge. Die Dame in Schwarz und ihre Begleiter traten ein. Meyring sprang auf und stellte vor. Er machte das ganz gewandt, keineswegs wie ein Briefträger. Jordan überhörte die Namen. Nur den Namen Hornung merkte er sich. Das war ihr Name! Und Mrs. Hornung hatte der Sekretär gesagt. Also war sie verheiratet oder war es gewesen.

Ihr Name kam Jordan sonderbar bekannt vor, aber es wollte ihm nicht einfallen, wo er ihn gehört hatte. Es mußte ganz kürzlich gewesen sein ... Hornung, Hornung ...

Alle saßen am Tisch, und niemand schien zu wissen, was hier zu sagen sei. Doch, der Sekretär wußte es.

»Vier Herren und eine Dame!« rief er munter.

»Wollen wir nicht doch ein paar Mädchen holen?

Mrs. Hornung lachte hell auf. Und das war der Grund, warum Jordan seinem Sekretär diese blödsinnige Bemerkung nicht nachtrug.

»Wir erwarten sogar noch einen Herrn«, sagte sie.

»Meinen Mann.«

»Ich erwarte sogar noch einen Herrn«, äußerte Jordan. Als niemand lachte, wurde er etwas traurig. Er hatte den Satz für komisch gehalten. »Entschuldigen Sie bitte«, wandte er sich an Mrs. Hornung, die der Sekretär zwischen ihn und sich gesetzt hatte. »Ich war vielleicht etwas ...«

»Ist schon entschuldigt« sagte sie schnell[?]. »Ihr Sekretär hat mich über das ... Mißverständnis sehr nett aufgeklärt.«

Jordan schwieg. Er wußte nichts mehr zu sagen. Aber er sah sie so an, daß sie den Blick abwandte. Der Ober kam auf Jordans Klingelzeichen und vermerkte die neuen Bestellungen.

Die beiden fremden Herren machten ein paar gezwungene Bemerkungen, offenbar bemüht, Jordans Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dann stockte das Gespräch.

Jordan wollte etwas sagen, aber es fiel ihm nichts ein. Ganz leer kam er sich vor. War er denn wirklich nicht imstande, irgend etwas vorzubringen, was Menschen unterhielt.

Wieder ergriff Meyring das Wort:

»Lieben Sie Affen?« fragte er seine Nachbarin. Sofort lachte sie.

Jordan fühlte einen Ingrimm in sich aufsteigen. Warum war es nicht ihm eingefallen, sie zu fragen, ob sie Affen liebe? Warum mußte dieser Gedanke dem dummen Briefträger kommen?

»Welche Affen meinen Sie?« plauderte Mrs. Hornung. »Die echten oder die – anderen«

»Ich finde beide reizend«, sagte Meyring. »Wir hatten zu Hause ein kleines nettes Äffchen. Einmal waren Anstreicher bei uns. Alls wir zwei Tage später nach Hause kommen, was sehen wir? Unser Affe schmiert das türkische Sofa mit Butter ein, immer hübsch langsam hin und her, hin und her ... Seitdem liebe ich Affen besonders heiß.« Natürlich lachten wieder alle. Und Jordan fand diese Geschichte doch gradezu einfältig. Mit solch sinnlosem Zeug unterhielt man also eine Dame ...!

Die Tür bewegte sich. Gleich darauf schob sich Norfolk herein, eine Aktenmappe an die Brust gepreßt.

Jordan wollte vorstellen, aber Norfolk kam ihm zuvor.

»Ah!« rief er freudig. »Ich sehe, Sie haben sich schon bekannt gemacht. Guten Abend, Mrs. Hornung, guten Abend ...«

Er begrüßte alle, und Meyring stellte sich selbst vor.

»Aber ich verstehe nicht«, sagte Jordan erstaunt.

»Woher kennen Sie Mrs. Hornung und diese Herren?«

»Sie scherzen, Mr. Jordan!« wehrte Norfolk lächelnd ab. »Wir sind doch nur deswegen hier, um Mrs. Hornung und ihrem Gatten Gesellschaft zu leisten. Ah, da kommt er ja!«

Jetzt wußte Jordan plötzlich, woher ihm der Name Hornung bekannt war.

»Ihr Gatte ist Untersuchungsrichter?« fragte er seine Nachbarin gedehnt.

»Ja«, antwortete sie, und zum ersten Mal lachte sie über etwas, was er gesagt hatte. Aber dieses Lachen bereitete ihm keine Freude.

»Dann ...« meinte er nachdenklich. »Dann wußten Sie doch, daß wir uns hier treffen sollten?«

»O ja«, sagte sie vergnügt. »Aber ich hatte eine etwas andere Form der Einladung erwartet.«

Jordan sagte nichts mehr. Steif erhob er sich, um den eben eintretenden Untersuchungsrichter zu begrüßen.


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