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XVII.

Bis sechs Uhr hatte Jordan wie ein Pferd gearbeitet. Jetzt wollte er nicht mehr. Er lehnte sich erschöpft in seinem Sessel zurück und sah den treuen Norfolk mit Augen an, die auffallend klein und alt erschienen.

»Ich mag nicht mehr, lieber Norfolk«, sagte er aufatmend. »Machen Sie das Uebrige.«

»Es geht nicht, Mr. Jordan«, widersprach Norfolk. »Da sind noch einige Sachen ...«

Jordan machte eine abwehrende Handbewegung.

»Erledigen Sie das«, sagte er müde und schwieg eine Weile nachdenklich. »Wissen Sie, Norfolk«, fügte er dann hinzu, »ich glaube, die ganze Geschichte würde auch ohne mich gehen. Sie kennen den Betrieb so genau, wissen so gut, was hier und was dort unternommen werden muß ... Ich bin gar nicht so unentbehrlich, wie ich immer dachte.«

»Das ist ein Irrtum«, versetzte Norfolk eifrig.

»Sie sind doch die Seele des Ganzen. Ohne Sie ist es nichts. Ich kann wohl in vielen Fällen das Richtige treffen, aber zuweilen, in entscheidenden Angelegenheiten, da fühle ich mich hilflos wie ein Kind. Und dann kommen Sie und beseitigen die Schwierigkeiten so leicht, daß man sich nachher verblüfft an den Kopf faßt und sich fragt, warum man nicht selbst auf den Gedanken kam ...«

»Mag sein«, gab Jordan sinnend zu. »Ich dachte auch bis vor wenigen Tagen nicht daran, meinen Posten je zu verlassen. Aber jetzt ... Ich weiß nicht, manchmal möchte ich alles wegwerfen, alles aufgeben ... Ich glaube, ich bin zu alt geworden.«

Norfolk schüttelte heftig den Kopf.

»Ich bin noch um einige Jahre älter als Sie«, erinnerte er. »Und um zwei Jahrzehnte verbrauchter. Sie werden sich bald nach Ersatz für mich umsehen müssen.«

»Sie wollen mich verlassen?« fragte Jordan schnell.

»N ... nein ... Ich kann es mir nicht vorstellen, wie ich Sie verlassen sollte. Aber ... sehen Sie, Mr. Jordan, ich habe solche Sehnsucht danach, noch ein paar Jahre für mich zu leben. Ich hatte mir das immer so schön vorgestellt, wie ich meinen Lebensabend beschließen würde. Den ganzen lieben Tag nichts tun, nur ausruhen und ... Schach spielen ...«

»Schach spielen?« rief Jordan überrascht aus und lachte.

»Ja«, sagte Norfolk ernsthaft. »Das war schon in meiner Jugend mein Traum. Ich wollte ein großer Meister werden. Das ist ja nun nicht mehr möglich. Aber es ist doch schön, so ruhig dazusitzen und sich nicht mehr über Wertpapiere, Farbverfahren und Gasherstellung aufzuregen, sondern nur über Bauern, Türme, Damen und Könige.«

»Das Leben ist packender als das Schachspiel«, sagte Jordan und schüttelte nachsichtig lächelnd den Kopf. »Wie lange arbeiten Sie schon bei mir?«

»Achtundzwanzig Jahre.«

»Dieser Betrieb hat Ihr Leben gefressen, kann man wohl sagen. Ich möchte gern Ihren Wunsch erfüllen und Sie gehen lassen, aber ich kann Sie grade jetzt nicht missen. Wir müssen uns mal nach einer jüngeren Kraft umsehen. Jenkins ist nicht schlecht ... Ja ... Was halten Sie übrigens von Meyring?«

Norfolk zuckte die Achseln.

»Wenn man ihm nicht sagt, daß er sehr tüchtig ist, wird er mich einmal ersetzen können.«

»Und wenn man es ihm sagt?«

»Ich glaube, das würde ihn verderben. So etwas vertragen die meisten jungen Leute nicht. Den älteren schadet es viel weniger.«

Jordan nickte. Dann lachte er plötzlich auf.

»Wissen Sie was, alter Freund!« rief er munter.

»Ich möchte heute irgend etwas Verrücktes unternehmen. Wie denken Sie darüber: Wir spielen jetzt eine Partie Schach?«

»Wer?« fragte Norfolk ungläubig.

»Wir: Sie und ich.«

»Aber, Mr. Jordan!« rief Norfolk erschrocken.

»Ich habe gar keine Zeit ...«

»Ich auch nicht. Grade das ist ja das Verrückte dabei. Aber wer besorgt uns schnell Brett und Figuren?«

Norfolk seufzte.

»Ich finde keine Worte, Mr. Jordan«, jammerte er. »Aber wenn es schon sein muß ... Am schnellsten besorgt uns das Nötige jedenfalls Mr. Meyring«

»Natürlich!« rief Jordan. »Wer könnte dazu besser geeignet sein.« Er gab durch den Fernsprecher die Weisung, Meyring herzuschicken.

»Gestatten Sie, daß ich wenigstens noch eine einzige Sache mit Ihnen durchspreche«, bat Norfolk flehend.

»Nein.«

»Nur eine einzige Sache, Mr. Jordan ...«

Jordan runzelte die Stirn.

»Wenn Sie mir versprechen, nachher beim Spiel nur über Bauern, Springer und ähnliches zu sprechen – dann meinetwegen ja«, sagte er.

Es klopfte, und Meyring trat ein.

»Mein lieber Sekretär«, wandte sich Jordan an ihn. »Besorgen Sie uns bitte schnellstens ein Schachbrett und Figuren.«

Meyrings Gesicht leuchtete auf.

»Sie wollen ein Spielchen machen?« rief er freudig.

»Fragen Sie nicht lange, sondern tun Sie, was ich sagte!« befahl Jordan streng, aber nicht unfreundlich.

»Jawohl, Mr. Jordan.« Der Sekretär war schon wieder draußen.

»Also was ist es, Norfolk?« erkundigte sich Jordan mit einem Seufzer.

»Die Montana-Kupfer Werke haben angefragt, ob wir ihnen den besprochenen Kredit gewähren würden ... Sie wissen, diese Werke werden fallieren, sofern wir nicht eingreifen. Nun besitzen wir aber soviel Aktien dieser Betriebe, daß die Einbuße für uns ganz empfindlich wäre ...« Jordan sah auf.

»Hornung wurde ununterbrochen überwacht?« fragte er.

»Ja.«

»Und er hat seine Papiere nicht verkauft?«

»Nein.«

»Dann gewähren wir den Kredit nicht. Noch nicht. Sie geben den Leutchen zu verstehen, es sei nicht ausgeschlossen, daß wir es doch noch tun: Schon diese Mitteilung wird die Pleite aufhalten.«

»Die Sache kostet uns ungeheure Beträge«, warnte Norfolk. Aber dann ging er gehorsam zum Fernsprecher und gab die nötigen Weisungen.

»So«, sagte Jordan. »Und jetzt steht nichts mehr unserem Spiel im Wege. Ah! Da ist ja auch schon unser tüchtiger Sekretär!«

Meyring war mit strahlendem Gesicht eingetreten, eine Schachtel und ein Brett in den Händen.

»Hier, Mr. Jordan«, sagte er stolz. Schnell räumte er alle Papiere und Mappen vom Tisch, legte das Brett auf und ordnete die Figuren. Dann rückte er sich einen Stuhl heran und setzte sich wie selbstverständlich neben den Tisch.

»Sie verstehen wohl auch was davon?« fragte Jordan etwas unzufrieden.

»Ich war im Schachklub der Briefträger Brooklyn-East' der zweitbeste Spieler«, erwiderte Meyring. »Und der beste spielte auch nicht besser. Er gewann nur öfter.«

»Ich denke, das ist doch die Hauptsache dabei«, brummte Jordan und loste die Figuren aus. Er bekam die weißen Steine und zog sofort einen Springer.

»Ein weitblickender Zug«, äußerte Norfolk und zog ebenfalls einen Springer.

»Schon verkehrt«, bemerkte Meyring kopfschüttelnd.

»Hier wird nicht geraten!« rief Jordan böse.

»Habe ich geraten?« widersprach Meyring gekränkt.

Jordan zog seinen zweiten Springer.

»Nein, so was!« platzte Meyring heraus.

»Schweigen Sie, sonst fliegen Sie raus!« drohte Jordan zornig.

Norfolk zog ebenfalls den zweiten Springer.

»Gott sei Dank!« rief Meyring. »Jetzt weiß ich wenigstens, warum es nur vier Springer gibt. Ich bin riesig gespannt auf Ihren nächsten Zug, Mr. Jordan.«

Jordan warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Wissen Sie, was Sie sind.« rief er ärgerlich.

»Ein Kiebitz sind Sie, ein gewöhnlicher kleiner Kiebitz, der keinen Dunst vom Schachspiel hat.

Erste Regel für den Zuschauer ist, daß er schweigt!«

»Daß er schweigend leidet«, verbesserte Meyring.

»Mr. Jordan, Sie müssen jetzt unbedingt den Königsbauern ziehen.«

»Das ist geraten!« schrie jetzt Norfolk aufgeregt auf. »Das dulde ich nicht!«

»Beruhigen Sie sich«, sagte Jordan. »Ich ziehe den Damenbauer.« Und er machte den Zug.

»Darauf gibt es nur eine einzige Erwiderung ...« begann Meyring.

»Halten Sie den Schnabel!« schnaubte Jordan.

»Wenn er Ihnen raten darf, warum mir nicht auch?« fragte Norfolk spitz.

»Sie sind wohl nicht ganz bei Trost!« rief Jordan wütend. »Ich habe doch seinen Rat gar nicht befolgt.«

»Geraten ist geraten«, beharrte Norfolk eigensinnig.

»Geraten ist nur geraten, wenn man den Rat befolgt.«

»Geraten ist geraten!«

»Nein, geraten ist nur ...«

»Sie sind spitzfindig, Mr. Jordan, mit Verlaub gesagt.«

»Und Sie sind eine verbiesterte Nachteule, Mr. Norfolk, mit Verlaub gesagt!«

»Meine Herren!« rief Meyring dazwischen. »Nur keinen Streit!«

Jordan und Norfolk sahen ihn an, dann sahen sie einander an, und dann lachten sie beide.

»Es ist eine herrliche Erholung«, meinte Jordan.

»Wirklich herrlich«, stimmte Norfolk zu.

»Nun haben Sie sich aber bestimmt genug erholt«, tadelte Meyring. »Sie sind am Zuge, Mr. Norfolk. Und wenn Sie jetzt ebenfalls den Damenbauer ziehen ...«

»Jetzt schmeißen wir ihn raus!« rief Jordan mit funkelnden Augen.

Es klopfte.

»Gehen Sie hin, Mr. Meyring, und sagen Sie, daß uns jetzt niemand, niemand stören darf«, rief Norfolk aufgeregt, und Jordan nickte eifrig. Meyring ging zur Tür, verhandelte eine Weile mit jemandem im Flüsterton, dann schloß er die Tür, kehrte zu den Spielenden zurück und legte vor Jordan ein Kärtchen hin.

»Abweisen« befahl Jordan und starrte aufs Brett.

»Abweisen, abweisen!« rief Norfolk und winkte heftig ab.

»Bitte, erst den Namen lesen, Mr. Jordan!« sagte Meyring sehr entschieden.

»Was erlauben Sie sich!« rief Jordan erbost. Dann las er aber doch den Namen:

Halja Hornung

Er stand schnell auf.

»Nehmen Sie das Brett und gehen Sie ins Nebenzimmer, lieber Norfolk«, sagte er mit etwas heiserer Stimme. »Sie müssen die Partie mit Mr. Meyring weiterspielen.«


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