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XI.

Zwei Stunden später fuhr der große Wagen Jordans vor dem Hause vor, in dem Hornung wohnte. Der Untersuchungsrichter hatte es richtig vorausgewußt und sich nur in einem Punkte geirrt: Jordan brachte keinen großen Blumenstrauß mit. Doch beruhte dieser Irrtum Hornungs nicht auf mangelnder Menschenkenntnis. Er hatte nur übersehen, daß Jordan den Rat eines anderen befolgen konnte.

Der Diener Bill nahm die Karte des Besuchers in Empfang und spähte verwundert nach dem großen Blumenstrauß. Er war nicht da. Jordan hielt nur ein kleines Päckchen in Seidenpapier in der Hand, das er aber dem Diener nicht abgab. »Melden Sie mich Mrs. Hornung«, sagte er, nachdem ihm der Diener Pelz und Fellmütze abgenommen hatte, und blieb erwartungsvoll stehen. Der Diener Bill betrat mit steifem Schritt das Zimmer der Hausherrin. Halja saß an ihrem kleinen Schreibtisch, schrieb aber nicht, sondern blickte nur nachdenklich vor sich hin.

Stumm überreichte ihr der Diener die Karte des Besuchers. Für alle Fälle merkte er es sich, daß beim Lesen ihre Miene unmutig wurde.

»Ich empfange nicht. Ich bin nicht zu Hause«, sagte sie rasch.

Er verneigte sich wortlos, ging zur Tür.

»Halt!« rief sie. »Führen Sie den Herrn in den Salon. Ich werde gleich kommen.«

Der Diener richtete ihre Worte Jordan aus und führte ihn in den Salon. Dann beeilte er sich, zum Fernsprecher zu kommen.

Jordan sah sich im Salon aufmerksam um. Dieser Raum war der Raum, in dem sie lebte. Dieser Flügel – der Flügel, an dem sie spielte; dieser Kamin – der Kamin, an dem sie in einsamen Stunden träumte. Jordan betrachtete alle diese toten Gegenstände, und sie waren nicht mehr tot für ihn. Sie erzählten ihm von Haljas Leben, von Haljas Gedanken und von den Berührungen ihrer kleinen, zarten Hände.

Dann aber fiel Jordan ihr Mann ein. Nicht allein lebte sie ja in diesem Raum. Auch er hatte ja Rechte darauf, dieser fremde Mann, dieser lächerliche, schläfrige Mensch, an den sie irgendwie gekettet war und den sie doch unmöglich lieben konnte. Wenn es ihm gefiel, konnte er eintreten, seine Hand – die Hand des Besitzers – auf ihre Schulter legen; er durfte ihr ins Notenblatt sehen, wenn sie am Flügel saß; durfte den Duft ihrer Haare einatmen und durfte verlangen, daß sie ihm die Lippen zum Kuß hinhielt ... Ja, verlangen Undenkbar war es, daß sie es je freiwillig ...

Jordans Gedankengang wurde unterbrochen: Halja war eingetreten. Sie stand da – in einem ganz leichten hellblauen Kleid, das locker und duftig ihre Gestalt umhüllte. Die dunkle Eichentür, die Halja hinter sich geschlossen hatte, unterstrich das Helle, Leuchtende ihrer Erscheinung, und Jordans bemächtigte sich ein Gefühl der Ehrfurcht, als stände er vor etwas Heiligem. Auch dieses Gefühl kannte er nicht. Seit gestern aber hatte er aufgehört, sich über seine Empfindungen zu wundern.

»Guten Tag, Mr. Jordan«, sagte sie, da er immer noch schwieg, und trat lächelnd auf ihn zu.

Er tappte ungeschickt zwei Schritte vorwärts, ergriff ihre Hand, wollte sie küssen und wagte es nicht.

»Guten Tag«, preßte er mühsam hervor. Dann hielt er ihr seine eingewickelte Blume hin. »Das ... das hier ...« Er fand keine Worte. Wie ein Schuljunge kam er sich vor, der beim Examen versagt. Er schämte sich.

»Was für eine herrliche Rose!« rief sie aus, und ihre Augen leuchteten. »Mr. Jordan, ich hätte nicht gedacht, daß Sie mich schon so gut kennen.«

»Wieso?« fragte er furchtsam.

»Sie, einer der reichsten Männer New Yorks, schenken mir eine einzige Blume! Ich danke Ihnen.« Sie streckte ihm lebhaft ihre Rechte hin.

»Mrs. Hornung«, stammelte er und drückte ganz vorsichtig ihre schmale Hand. »Ich verdiene Ihren Dank nicht. Ich wollte Ihnen einen riesigen Blumenstrauß bringen, aber mein Sekretär riet mir ab. Ich muß Ihnen das sagen, denn ich möchte nicht, daß Sie in mir etwas anderes sehen, als ich wirklich bin ...«

»Bitte, nehmen Sie doch Platz, Mr. Jordan«, bat sie freundlich und höflich, aber dieser Blick war es nicht mehr. Sein Leuchten war erloschen.

Er setzte sich schwerfällig.

»Ich muß Ihnen das erklären ...« fuhr er fort, obwohl er fühlte, daß er seine Worte nicht mehr ungeschehen machen konnte. »Mir geht das Gefühl für den feinen Unterschied ab zwischen einem teuren Blumenstrauß und einer einzigen Blume. Deswegen ist ein Geschenk von mir doch nicht wertloser ... Verstehen Sie ... Ich meine ... Worin liegt denn der Unterschied? Sie glauben, man ist reich, man wirft eine Note auf den Tisch, und der Diener besorgt den teuersten Strauß ... Sehen Sie ... das ... ist es nicht. Ich bin jetzt eine Stunde lang in New York herumgefahren, ich, dessen Minuten gezählt sind, und habe diese eine schönste Blume für Sie gesucht. Schicken Sie Ihren Diener zu meinem Wagen. Der Wagen ist voll von einzelnen Rosen. In jedem Geschäft kaufte ich die schönste, bis ich diese hier fand. Aber der Gedanke stammte von meinem Sekretär! Das ist es! Darum ist diese Blume nichts in Ihren Augen. Ich hasse diese Blume jetzt, ich hasse alle Rosen, die es gibt ... ich hasse ...«

»Hören Sie auf!« rief sie mit einem schwachen Versuch zu lächeln. »Die unschuldige Blume! Was hat sie Ihnen getan?« Sie nahm die Blume wieder vom Tisch. »Wenn Sie sie so hassen, dann ... dann muß ich diese arme, verachtete Blume sehr lieb haben«, sagte sie. Sie hielt sie flüchtig an die Lippen, dann befestigte sie sie an ihrem Kleid.

Er sah sie an, keines Wortes mächtig. Die Blume, seine Blume war also doch noch zu Ehren gelangt. Und diesmal war nicht der Sekretär daran schuld. Ihm, ihm selbst zuliebe war sie gut zu seiner Blume.

Sie fühlte seinen brennenden Blick, obwohl sie ihn nicht ansah.

»Spielen Sie Klavier?« fragte sie schnell, schon wieder auf der Flucht vor den Empfindungen, die sie fürchtete und doch immer wieder heraufbeschwor.

»Nein«, sagte er enttäuscht. »Macht das viel aus in Ihrer Meinung?«

»Nein, gar nichts«, antwortete sie. »Ich habe gefunden, daß manchmal die besten und musikalischsten Menschen auf keinem Instrument spielen. Vielleicht tun sie es unbewußt deswegen nicht, weil sie die Musik zu sehr lieben, als daß sie sie selbst stümperhaft ausüben wollten; und um es zum Beherrschen eines Instruments zu bringen, fehlt es ihnen an Zeit.«

»Spielen Sie?« fragte er.

»Ja«, sagte sie und trat sofort an den Flügel. »Aber ich spiele jetzt für Sie unter einer Bedingung: daß Sie mich nie in Gesellschaft bitten, etwas vorzutragen. Meine Musik habe ich nur für mich und für die wenigen Menschen, die etwas davon verstehen.«

»Ich verstehe nichts davon«, sagte er traurig.

»Sie?« Sie sah ihn an und lachte kurz auf. »Sie verstehen mehr davon, als Sie glauben. Sie fühlen die Musik.«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Gestern ... als Sie so merkwürdige Worte sprachen ... Sie sprachen! das aus, was die Musik im selben Augenblick spielte ... Ich meine nicht die Worte, nein, die Stimmung ... Diese Sehnsucht nach etwas Wahrhaftigkeit, diesen Widerwillen gegen das Lügenhafte dessen, was wir geselliges Beisammensein nennen ... Ueber hundert Menschen hörten diese Musik, und nur auf zwei wirkte sie.«

»Auf zwei?«

»Auf Sie und mich.«

»Aber Sie ... Ich merkte an Ihnen keine Veränderung.«

»Ich beherrschte mich. Vielleicht habe ich mich ans Lügen auch schon besser gewöhnt.«

Jetzt spielte sie. Sie spielte nach Gehör, nicht nach Noten. Und sie spielte gut, das merkte er sofort. Er lauschte den Klängen, versuchte zu enträtseln, was sie ihm sagen wollten. Doch er begriff die Klänge nicht. Halja mußte sich irren: Er hörte nichts heraus, außer, daß es eben gutes Spiel war.

Da schloß er traurig die Augen und gab es auf, den Klängen nachzuforschen. Er spürte nur eine dumpfe Traurigkeit, die langsam, mehr und mehr in ihn eindrang, ihn ganz erfüllte – eine gegenstandslose Trauer, ohne Ziel, bewußtlos und leer. Er lag zurückgelehnt in seinem Sessel und fühlte dieses Fremde, dieses beängstigend Unbekannte in sich, und der kleine freudige Schreck, daß es ja ihre Musik war, die das in ihm bewirkte, berührte ihn jetzt kaum. Und dann war es ihm, als sei dieses Fremde etwas ihm längst Vertrautes, etwas vor langer Zeit Verlorenes, das er nun wiedergefunden.

Langsam, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, was er tat, stand er auf, ging auf sie zu.

Sie spielte weiter, und er sah die zwei kleinen Tränen, die im ihren Augen glänzten. Da legte er wie selbstverständlich seine derbe, große Hand auf ihr Haar, und sie duldete es, als sei es wirklich ganz selbstverständlich. Ganz leise strich er über dieses Haar, das sich wie Seide anfühlte, – einmal und noch einmal.

»Ich liebe dich, Halja«, sagte er einfach, und seine Stimme klang klar und ruhig, gar nicht mehr rauh wie gestern.

Sie brach mitten im Spiel ab und stand schnell auf.

»Ich danke dir«, sagte er ruhig und lächelte ein wenig.

Sie lächelte auch, aber es war etwas traurig, dieses Lächeln.

»Warum haben Sie gesprochen?« fragte sie leise.

»Es war schön ...«

»Ich mußte ...« Er stockte. Ein Geräusch an der Tür hatte ihn gewarnt.

Gleich darauf öffnete sich diese Tür fast lautlos, und der Untersuchungsrichter Hornung kam freudig lächelnd herein.


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