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XXXI.

Als Hornung Halja und Jordan allein ließ, stockte für eine Zeitlang ihr Gespräch. Durch sein plötzliches Eintreten hatte Hornung den Faden des Gesprächs zerrissen, und obwohl beide das Gefühl hatten, etwas Wichtiges sei ungesagt geblieben, wagte es keiner von ihnen, den jetzt gewaltsam erscheinenden Schritt zurück zu dem unterbrochenen Gespräch zu machen. Halja wollte es nicht tun, weil sie wußte, daß man nicht dasselbe in ganz verschiedener Stimmung sagen konnte; Jordan wußte das nicht, aber er fühlte die Unmöglichkeit.

»Ihr Gatte ...« begann er nach einem etwas peinlichen Schweigen, »... ist sehr sonderbar geworden.«

»Das war er immer«, antwortete sie. »Ich glaube, er ist jetzt sogar natürlicher als je bisher.«

»Sie meinen, jetzt offenbart er erst seinen wahren Charakter?«

»Nein, aber daß er keinen hat.«

»Sie urteilen sehr hart über ... Ihren Gatten.« Sie schüttelte den Kopf.

»Nicht härter, als ich über ihn urteilen würde, wäre er nicht mein Mann.«

»Ja ...« sagte Jordan nachdenklich und schwieg eine Weile. Dann, etwas lebhafter, fuhr er fort: »Ich möchte die Spannung zwischen Ihrem Gatten und mir beseitigen. Er verlangt einen hohen Preis. Aber ich werde ihn zahlen.«

»Tun Sie es nicht«, bat sie hastig.

Erstaunt blickte er auf.

»Warum nicht?«

»Ich ... ich will nicht. Verstehen Sie: ich will einfach nicht. Ich kann das nicht erklären, aber ... mich widert das an. Muß denn immer das Böse siegen? Geben Sie nicht nach! Zerbrechen Sie ihn! Strafen Sie seinen Hochmut, seine Habsucht ...«

»Halja!« rief er vorwurfsvoll. »Was ich gegen ihn unternehme, trifft im gleichen Maße Sie und ... das Kind. Haben Sie denn alles vergessen?«

»Nichts habe ich vergessen! Ich weiß, er wird mich quälen, mich zugrunde richten ... Ach, tun Sie, was Sie wollen ... Ich weiß nichts mehr ... Ich begreife nichts mehr ...«

»Wenn ich mit Ihrem Gatten einig wäre, könnte ich Sie zuweilen sehen ...«

Sie antwortete nicht. Den Kopf in die Hände gestützt, sah sie geradeaus, vor sich hin, mit einem teilnahmslosen, traurigen Blick.

»Ist das Ihnen gleichgültig?« fragte er.

Er hoffte auf eine Antwort, die ihn aufrichten würde, doch die Stimmung in diesem Raume ließ eine solche Antwort nicht zu. Noch vor Minuten war Hornung in diesem. Zimmer gewesen, und es war, als hätte er etwas Feindseliges hier hinterlassen, das wie ein Wächter die Gemüter Haljas und Jordans umlauerte und das Erwachen jeder weicheren Regung verhinderte.

»Es muß mir gleichgültig sein« antwortete Halja tonlos.

»Aber wenn nun ...« Jordan unterbrach sich, denn die Tür hatte sich geöffnet, und Hornung trat schnell ein. Ihm folgte der Diener, der auf einem lackierten japanischen Brett Likör und Gebäck brachte.

»Entschuldigen Sie meine lange Abwesenheit«, sagte der Hausherr liebenswürdig und machte dem Diener ein Zeichen, schneller zu verschwinden. Der Diener wollte die Scherben der Kristallschale aufräumen, aber Hornung winkte so nachdrücklich ab, daß er es unterließ. »Hatte einiges zu besorgen ... Habe jetzt sehr viel zu tun ...«

Der Diener war jetzt weggegangen »... Halja, würdest du uns das ganz besondere Vergnügen bereiten und uns etwas vorspielen?«

»Nein«, sagte sie schnell und ein wenig erschrocken.

»Aber ich bitte dich sehr, Halja«, drängte er. Das klang so ganz anders als sonst. Sie sah ihn überrascht an. Dann gewahrte sie Jordans Blick und las darin eine stumme Frage.

Mit einem Ruck stand sie auf und trat an den Flügel.

»Was soll ich spielen?« fragte sie und griff nach den Noten. »Mozart, Wagner, Bach ...«

»Nein, nein«, sagte Hornung leise. »Spiel so ... was du willst ... Wie du sonst gespielt hast, wenn ich in meinem Zimmer saß ... Ich hielt mir die Ohren zu, um das nicht zu hören, aber heute will ich es hören ... Nicht wahr, Mr. Jordan, wir wollen das hören?«

Jordan fühlte sich unbehaglich. Am liebsten wäre er aufgestanden und gegangen, aber der Ausdruck von Angst in Haljas Gesicht bannte ihn auf seinen Platz.

»Ja«, sagte er stirnrunzelnd. »Wir bitten sehr, Mrs. Hornung.«

Sie strich mit den Fingern leicht über die Tasten, dann griff sie stark einige Akkorde. Ihr Spiel war heute hart, fast grausam. Jordan empfand sofort den Unterschied. Es war ganz anders als an jenem Nachmittag, nur die Technik war dieselbe – die vollendete Technik einer ausgebildeten Künstlerin.

Hornung saß auf dem Sofa, trank in kleinen Schlucken vom Likör und wiegte den Kopf im Takt hin und her. Er lächelte. Empfand er nicht das Finstere, Feindselige dieser Musik. Er lächelte. Es sah etwas einfältig aus und etwas kindisch.

Jordan rauchte. Er sah Halja nicht an. In ihm war ein Zorn gegen sie, ein Zorn, den ihr Spiel mehr und mehr steigerte. Sie, die viel Empfindsamere als er – verspürte sie denn nicht die sehnsüchtig weiche Stimmung dieses Menschen hier? Plötzlich stellte Hornung sein Glas so schnell auf den Tisch, daß es beinah umfiel, und hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu.

»Nicht so, Halja!« schrie er. »Nicht so, hörst du?«

Halja fuhr zusammen, und für einige Sekunden war es sehr still.

»Ich bitte Sie«, sagte endlich Jordan. Es graute ihm vor diesem Hornung, den er heute zum erstenmal nicht begriff. Was war mit ihm geschehen, das ihn so jäh verändert hatte? Halja sah ratlos, furchtsam bald in die ungewohnt strengen Augen Jordans, bald in die unnatürlich bettelnden Augen ihres Mannes. Das faßte sie nicht: Noch nie hatte sie ihren Mann so gesehen. Aber plötzlich spielte sie das, was er hören wollte – etwas von dumpfer Traurigkeit und gequälter Anklage. Hornungs Hände sanken in den Schoß, sein Gesicht verklärte sich, und er starrte mit einem fast andächtigen Ausdruck zur Wand empor.

Jordan bemerkte, daß im Blickfeld Hornungs ein Bild hing, das eine Gänseherde darstellte, doch der Gegensatz zwischen dem andächtigen Ausdruck Hornungs und dem auf dem Bild Dargestellten wirkte nicht lächerlich, eher grauenhaft. Jählings griffen die runzligen Finger Hornungs nach der derben Hand Jordans.

»Ich möchte Frieden schließen«, flüsterte er. »Verstehen Sie, Mr. Jordan, ich bin ein sehr schlechter Mensch ... Aber jetzt möchte ich Frieden schließen ...«

»Sie sind krank«, sagte Jordan, und etwas wie Entsetzen bemächtigte sich seiner.

»Ich war ein ganzes Leben lang krank«, antwortete Hornung eifrig. »Aber jetzt bin ich gesund, ganz gesund. Ich begreife alles. Verstehen Sie? Hören Sie, wie sie spielt? So hat sie oft gespielt, aber ich saß in meinem Zimmer, stopfte mir die Finger in die Ohren und wollte und wollte nicht gesund werden. War das nicht schrecklich? Was habe ich aus ihrem Leben gemacht? Wissen Sie es? Nein. Aber ich weiß es jetzt ... Sechs Jahre lang habe ich sie gepeinigt. Sie wollte Frieden, aber ich nicht ... Erst heute will ich ... Frieden ...«

Hornung lächelte und bückte sich. Er hob eine von den Scherben der Kristallschale auf.

»Ein Glas ist zerbrochen«, flüsterte er. »In diesem Glas war mein Herz. Jetzt ist es zerbrochen. Lauter Scherben ... Sie schneiden! Ein Gedanke, sie schneiden; eine Erinnerung, sie schneiden ... Ich muß sie zusammenfügen ... Vielleicht werden sie ... dann nicht mehr ...«

Und plötzlich ließ er sich auf die Knie fallen und suchte die Scherben zusammen. Er griff sie ohne Rücksicht an, seine Hände bluteten, aber er suchte weiter, legte sie alle auf den kleinen Marmortisch. Halja hatte aufgehört zu spielen und starrte, bleich vor Schrecken, ihren Mann an. Jordan, ebenfalls fahl im Gesicht, hatte sich zurückgelehnt, die Hände in die Sessellehne verkrampft und blickte auf den am Boden Kriechendem wie auf ein Reptil, das ihm im nächsten Augenblick den tödlichen Biß beibringen würde.

»Dünnes, schönes Glas«, murmelte Hornung, der weder Halja noch Jordan beachtete. Er hatte sich wieder gesetzt und versuchte, die Glasstücke zusammenzufügen. Das Blut tropfte ihm dabei über die Finger, beschmutzte den Tisch und das Gebäck in der Schale. »Rund, immer rund ... wie eine Kugel ... Eine Kugel muß es doch gewesen sein ... Sind Kugeln tödlich? Ha, nur aus Blei, nicht aus Glas ...«

Jetzt kam Leben in die erstarrte Gestalt Jordans. Er stand hastig auf, trat auf Hornung zu, faßte mit seinen starken Händen nach seinem Kopf und sah Hornung scharf in die Augen.

»Telefonieren Sie sofort nach einem Arzt!« befahl Jordan. Er sprach es ganz ruhig aus, aber sekundenlang war Halja wie gelähmt.

»Was ist denn.« ... flüsterte sie ratlos.

»Schnell!« sagte Jordan ernst.

Da stand sie auf und wankte zur Tür hinaus. »Wissen Sie, wer ich bin?« flüsterte Hornung geheimnisvoll. »Sie glauben, ich sei Untersuchungsrichter? Nein, ich bin Teilhaber bei Gromow! Und ich habe die Spitzbuben in der Hand! Wo ist Meyring? Er ist auch ein Spitzbube! Silberlinge hat er gesagt! Silberlinge will er haben! Silberlinge! Wer sind Sie? Sie sind Jordan, ich weiß es ganz genau. Mir machen Sie nichts vor. Gibt es eine Aktiengesellschaft der Hohepriester, Mr. Jordan? Nein? Sie glauben: nein? Doch, das gibt es. Sie sind auch ein Hohepriester ... Nein, Gromow ist einer. Und Sie sind ... Wer sind Sie? Wer sind Sie? Warum wollen Sie es mir nicht sagen?«

Er sprang auf und schüttelte die Faust. Seine Augen funkelten.

Halja trat ein und blieb an der Tür stehen.

»Gehen Sie sofort hinaus!« sagte Jordan finster.

»Und kommen Sie unter gar keinen Umständen wieder hierher, bis ich Sie rufe.«

»Ich will den Frieden«, murmelte Hornung, plötzlich wieder ganz ruhig. »Warum schicken Sie meine Frau weg? Ach, Mr. Jordan, mir ist so wirr im Kopf ... Lauter Ameisen ... Halja, ich bin ein schlechter Mensch ... Judas ... war auch ein schlechter Mensch ...«

Halja lehnte immer noch an der Tür. Sie zitterte am ganzen Körper.

»Das ... ist entsetzlich«, stöhnte sie.

»Gehen Sie hinaus!« befahl Jordan.

»Nein«, sagte sie entschieden. »Ich bleibe. Es ist mein Mann. Vielleicht braucht er mich.« Hornung taumelte auf Jordan zu, faßte ihn beim Arm.

»Haben Sie gehört? Sie will auch den Frieden ... Und Wohlgefallen ... Hören Sie ... die Ameisen? Sie sind überall ... Mein Kopf ... Ha! Sehen Sie? Sehen Sie?«

Er hielt krampfhaft Jordans Arm fest und deutete auf die gegenüberliegende Wand.

»Ich sehe«, sagte Jordan mühsam.

Die Tür öffnete sich, und ein älterer Mann, offenbar der Arzt, trat schnell näher.

»Sehen Sie?« flüsterte Hornung aufgeregt. »Dort ... die Wand ... ist verkehrt ... Verkehrt! Die Decke ist auch verkehrt! Ach! Warum verkehrt? Warum verkehrt?«

Der Arzt stand sekundenlang starren Blickes vor Hornung, dann faßte er nach seiner Hand, winkte Jordan, ihn zu halten, packte mit einer Hand Hornung beim Kopf und schob mit der anderen seine Augenlider empor. Dann trat er rasch zurück.

»Halten Sie ihn fest«, sagte er hastig. »Ist die Dame ... seine Gattin?«

»Ja!« rief Halja. »Sagen Sie ... Sagen Sie alles!«

»Ich kann jetzt noch nichts sagen«, erwiderte der Arzt zurückhaltend. »Aber lassen Sie Ihren Gatten sofort in eine Nervenheilanstalt bringen. Sofort. Es dürfte sich nur um Minuten handeln. Und ... schicken Sie ein paar kräftige Diener her.«

Es schien, als würde Halja zusammenbrechen. Sie wankte ein paarmal hin und her, dann nickte sie stumm und eilte hinaus. Noch ehe sie die Diener herbeigerufen, vernahm sie aus dem Zimmer wütende, verzweifelte Schreie und das dumpfe Poltern umgeworfener Möbelstücke. Da fiel sie hin, wo sie gestanden hatte, im Gesinderaum, und die Diener trugen sie in ihr Zimmer.


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