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XXVI.

Am nächsten Tage brachten die Blätter weitere »Enthüllungen« über die Jordanwerke und ihren Besitzer. Jordan las diese Nachrichten in seinem Arbeitszimmer mit einer Miene tiefer Verachtung. Es war ein solches Gemisch von Wahrem und Unwahrem, daß es ihn ekelte. Als echter amerikanischer Geschäftsmann war er selbst ziemlich rücksichtslos, wenn es galt, ein Ziel zu erreichen; dieses Ausbeuten der geheimsten Vorgänge seines Innenlebens aber widerte ihn an.

Er klingelte und Jenkins erschien.

»Wie geht es Norfolk?« fragte Jordan kurz.

»Schlecht, Mr. Jordan. Er hat die ganze Nacht phantasiert.«

»Haben Sie die Blätter da gelesen?«

»Ja, Mr. Jordan. Das gehört zu meinen Pflichten.«

»Schön, was?«

Jenkins nickte.

»Das Schönste ist der Kurszettel«, sagte er ruhig.

»Alle Papiere, an denen wir einigermaßen interessiert sind, fallen stark.«

Jordan riß die Blätter auf und las mit grimmiger Miene die Kurszettel.

»Nichts zu machen«, knurrte er. »Hornung war nicht zu haben. Teilhaberschaft verlangt er.«

Jenkins sagte nichts dazu. Er fing plötzlich von etwas ganz anderem zu sprechen an.

»Sind Sie Meyrings völlig sicher, Mr. Jordan?« »Selbstverständlich.«

»Ich dachte auch so«, meinte Jenkins ein wenig unsicher. »Leider scheinen wir uns beide getäuscht zu haben. Gestern fiel mir zum ersten Mal seine ungewöhnliche Teilnahme für alle geheimen Angelegenheiten unseres Betriebes auf. Sicherheitshalber ließ ich ihn daraufhin sofort von einigen Leuten der Burns Detektei beobachten.«

»Sie sind verrückt!« rief Jordan heftig. »Meyring ist mir so treu ergeben, daß ...«

Jenkins unterbrach ihn leise, aber bestimmt:

»Leider teilt uns die Burns Detektei mit, Meyring sei gestern zweimal in der Fabrik Gromows gewesen. Das erste Mal hielt er sich dort eine Stunde und zehn Minuten lang auf, das zweite Mal – drei Stunden und zwanzig Minuten. Sie verstehen?«

Jordan stöhnte verzweifelt.

»Jenkins!« rief er gequält. »Das ist doch nicht möglich! Ich glaubte, der Mann sei treu wie Gold ...«

»Vielleicht irre ich mich«, bemerkte Jenkins vorsichtig. »Es ist immerhin möglich, daß er dorthin ging, um zu versuchen, etwas zu Ihren Gunsten zu erreichen ...«

»Das wird es sein!« rief Jordan, wie von einem Alpdruck befreit, aus. »Meyring hat mir schon mehrfach gezeigt, daß er sehr selbständig vorzugehen liebt. Rufen Sie ihn sofort her! Ich werde ihm Gehorsam beibringen.«

Jenkins verneigte sich und ging.

Jordan stand auf, kreuzte die Hände auf dem Rücken und ging mit gesenktem Kopf zum Fenster. Er hatte es sich Jenkins gegenüber nicht anmerken lassen wollen, wie sehr ihn der Verdacht quälte. Gewiß, es war möglich, was Jenkins da zum Schluß vorgebracht hatte, aber wahrscheinlich – nein, wahrscheinlich war es nicht. Viel wahrscheinlicher war es, daß auch ein Menschenkenner wie er, Jordan, sich einmal getäuscht hatte und einem gewöhnlichen kleinen Gauner ins Garn gegangen war. Aber dann sah er wieder die treuherzigen blauen Augen Meyrings vor sich, und er konnte nicht mehr glauben, dies sei der Blick eines Betrügers.

Es klopfte, und Meyring trat in Begleitung Jenkins' herein.

»Guten Morgen, Mr. Jordan«, grüßte der junge Mann mit frischer, munterer Stimme.

Jordan blickte ihn nachdenklich an.

»Sagen Sie mal, Mr. Meyring«, begann er zögernd.

»Waren Sie gestern bei unserer Konkurrenzfirma Gromow?«

Für Sekunden schien es, als drücke das Gesicht Meyrings eine besondere Spannung aus – Spannung, nicht Schrecken. Dann antwortete er ruhig:

»Jawohl, Mr. Jordan.«

»Wie oft?«

»Zweimal, Mr. Jordan.«

»Was machten Sie dort?«

»Ich wollte feststellen, wer der Firma alle die Nachrichten gibt, die in so gemeiner Weise gegen Sie ausgebeutet werden.«

»Das wissen wir: Es ist Hornung.«

»Nicht nur Hornung«, widersprach Meyring. »Es müssen noch mehr Leute am Werke sein, und zwar Leute aus unserem Betrieb.«

Jordan lächelte milde. Er war sehr nachsichtig gestimmt, nun, da er sah, daß er sich in diesem jungen Menschen, der ihm seltsam ans Herz gewachsen war, nicht geirrt hatte.

»Das ist vielleicht der Fall«, sagte er leise. »Aber glauben Sie wirklich, Sie könnten etwas darüber erfahren, wenn Sie einfach hingehen und fragen?« »Mr. Jordan«, antwortete Meyring. »Ich bin durchaus nicht einfach hingegangen und habe gefragt. Ich bot den Leuten dort meine Dienste an. Ich schlug ihnen vor, mich als Spion in den Jordanwerken zu verwenden ...«

»Aber das ist doch ...« begann Jordan unruhig. »Zum Schein schlug ich das vor«, verbesserte Meyring vorwurfsvoll. »Ich wollte auf diese Weise erfahren, wer hier im Betrieb gegen uns arbeitet. Leider lehnten die Leute meine Vorschläge ab. Sie durchschauten die Sache, glaube ich.«

»Das war auch zu erwarten«, knurrte Jordan. »Hören Sie mal, junger Mann! Für die Zukunft verbitte ich mir derartige selbständige Handlungen. Noch einmal etwas Aehnliches, und ich entlasse Sie, auch wenn es mir leid täte.«

Er trat auf Meyring zu und klopfte ihm väterlich auf die Schulter. »Na«, sagte er. »Es war ja gut gemeint! Den Rüffel haben Sie allerdings verdient.«

Meyring verneigte sich und wollte gehen.

»Einen Augenblick, bitte«, bemerkte Jenkins sehr sachlich. »Dürfte ich Mr. Meyring der Ordnung halber bitten, seine Brieftasche auf den Tisch zu legen?«

Meyring fuhr herum. Einige Sekunden lang starrte er Jenkins fassungslos an, dann brauste er jäh auf:

»Das ist eine Beleidigung! Halten Sie mich für einen Dieb? Mr. Jordan, ich ... Wollen Sie das dulden?«

Jordan hatte die Stirn gerunzelt, und es sah ganz so aus, als würde sich gleich sein Zorn entladen. »Mr. Jenkins«, sagte er scharf, doch immer noch beherrscht. »Sie gehen entschieden etwas zu weit.«

»Dann bitte ich um meine Entlassung«, sagte Jenkins bestimmt. »Ich tue nur das, was ich für meine Pflicht halte.«

»Hören Sie mal, lieber Meyring«, sagte Jordan plötzlich sehr freundlich. »Nachdem Sie gestern zweimal bei Gromow waren, können Sie es schließlich unserem pflichttreuen Jenkins nicht verübeln, wenn er Verdacht geschöpft hat. Er ist mir genau so treu ergeben wie Sie, und darum möchte ich nicht, daß zwischen Ihnen beiden Feindseligkeit und Mißtrauen herrscht. Aus diesem Grunde, lieber Meyring, bitte ich Sie – ich bitte, sage ich! – dem Wunsche Jenkins nachzukommen.«

Meyring antwortete nichts. Er zuckte nur die Achseln und legte die Brieftasche auf den Tisch. Jenkins nahm sie sofort an sich, zählte die Geldscheine und besah sich jedes Papier sehr aufmerksam. Dann meldete er in seiner gleichförmigen Art das Ergebnis:

»In barem Geld etwa fünftausend Dollar, ferner ein Scheck über dreißigtausend Dollar, ausgestellt von Gromow ...«

Jordan schrie auf. Dann wurde es sehr still.

Mit weit aufgerissenen Augen stand Jordan da und starrte Meyring an. Der junge Mann wich zum ersten Mal dem Blick aus. Er hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt und stand in gerader Haltung mit seitwärts gerichtetem Kopf vor Jordan.

»Also doch!« stöhnte Jordan auf. Langsam ging er auf Meyring zu, Schritt für Schritt, aber Meyring wich nicht zurück. Plötzlich hob Jordan die Rechte und schlug den jungen Mann mit aller Kraft ins Gesicht.

Die Wucht des Schlages war so heftig, daß Meyring zu Boden stürzte. Mühsam richtete er sich wieder auf und lehnte sich ans Fenster. Aus seiner Nase tropfte Blut, aber er wischte es nicht weg.

»Lassen Sie uns allein, Jenkins«, ordnete Jordan an, schon wieder äußerlich ruhig. Sein Zorn war geschwunden und übrig geblieben war nur eine müde Traurigkeit.

Jenkins legte den Scheck, den er immer noch in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch, verbeugte sich höflich vor Jordan und ging davon, ohne Meyring noch einmal anzusehen.

Jordan hatte sich schwer in seinen Sessel fallen lassen.

»Wie konnten Sie das tun, Meyring?« fragte er leise. »Was war es, das Sie dazu trieb? Habgier?« Meyring schwieg, und aus seiner Nase tropfte es noch immer rot.

»Was war es?« fragte Jordan wieder. »Ich begreife das nicht ... Oder hatten Sie von Anbeginn an die Absicht mich zu verraten? Sind Sie von Gromow hierhergeschickt worden, um zu meiner Vernichtung beizutragen?«

Meyring antwortete nicht.

»Sehen Sie, mein Freund«, sagte Jordan gequält, und er sprach das Wort ›Freund‹ so zart aus, wie es ihm niemand zugetraut hätte. »Ich habe ein ganzes langes Leben als Wolf unter Wölfen gelebt. Ich habe die Wölfe gefressen, um nicht selbst gefressen zu werden. Ist es nicht seltsam, daß ich an ein und demselben Tage die beiden Menschen kennenlernte, die mir fortan etwas bedeuten sollten: Halja und Sie ... Meine Tochter. Sie war mir nie mehr als eben meine Tochter. Halja und Sie ... das war etwas anderes. Ich begriff, daß es Menschen gibt, und ich begriff, daß ich auch Mensch bin. Es ist sonderbar, daß mit dem Augenblick, da ich es entdeckte, auch mein Abstieg begann! Woran es liegt, weiß ich nicht ... Vielleicht, weil meine Feinde spürten, daß ich plötzlich verwundbar geworden bin – im Herzen. Und dahin zielt jeder Schlag. Und nun Sie? Verrat, mein ... Freund? Warum?« Auch jetzt schwieg Meyring. Er hielt den Kopf gesenkt, so daß Jordan seinen Blick nicht sehen konnte, und aus seiner Nase fielen einer nach dem anderen, ganz regelmäßig, die roten Tropfen. Jordan sprang plötzlich auf.

»Wischen Sie sich die Nase ab!« kreischte er wild auf. »Und dann hinaus mit Ihnen! Raus, raus, raus! ...« Und jählings schluchzte dieser große, starke Mann auf und konnte nicht weitersprechen. Meyring zögerte einen Augenblick, dann nahm er vom Schreibtisch seinen Scheck und ging wortlos zur Tür hinaus.


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