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XXXIII.

Die Uhr war drei, und Jordan saß an seinem Schreibtisch, bereit, die entscheidende Schlacht zu schlagen. Neben ihm stand Jenkins, der ihm dabei helfen sollte. Auf dem Tisch lagen Stöße von Akten und Zeitungen. Das alles sollte gegen den Vertreter des Staates angeführt werden. Jordans Sache stand sehr schlecht: er wußte es, aber er wollte sich nicht kampflos ergeben.

Fünf Minuten nach drei Uhr wurde die Karte des erwarteten Besuchers gebracht. Jordan warf einen flüchtigen Blick darauf und sah Jenkins bedeutsam an:

»Es ist Dr. Stone«, sagte er.

»Gefährlich«, antwortete Jenkins.

»Ja.« Jordan gab das Zeichen, den Besucher vorzulassen.

Dr. Stone war ein noch verhältnismäßig junger Mann mit spärlichem strohgelben Haar und einer dunkelumrandeten Hornbrille mit sehr starken Gläsern. Um seine Lippen spielte ein gemachtes Lächeln, und er schien sich nicht zu bemühen, es für echt auszugeben.

»Guten Tag, Mr. Jordan! Ah, Mr. Jenkins! Wie geht's?« Schon saß er in dem Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, Bügelfalten geordnet, Mappe mit silbernen Ecken flach auf dem Knie.

»Guten Tag«, antwortete Jordan. Er zögerte nur einige Sekunden, dann fügte er hinzu: »Können wir sofort beginnen?«

»Ich bitte darum«, antwortete Stone und nickte freundlich.

Jordan deutete mit einer Handbewegung auf Jenkins.

»Bitte, erstatten Sie Bericht, Mr. Jenkins.«

Jenkins stürzte sich in die Aktenstöße. Er sprach kalt und gleichmäßig, als handle es sich um sehr alltägliche Dinge; er berichtete kurz, schüttelte dabei die Zahlen nur so aus dem Ärmel und hatte bald das eine, bald das andere Aktenstück in den Fingern. In dem Wirrwarr dieser Zahlen und Formeln fand er sich mit einer solchen Leichtigkeit zurecht, daß man sofort erkannte, wie verwachsen er mit dem Betrieb war.

Dr. Stone hörte aufmerksam zu. Sein Gesicht war so auffallend aufmerksam, daß Jenkins begriff: dieser Mann gab sich überhaupt nicht die Mühe, etwas zu verstehen. Das Schicksal der Jordanwerke mußte also schon entschieden sein. Der Krach war unvermeidlich.

Jenkins schöpfte Atem. Er hätte am liebsten seinen nun zwecklosen Bericht einfach abgebrochen, aber ein Blick auf Jordan gab ihm die Kraft fortzufahren. Nein, diesem Mann hatte er fünfzehn Jahre lang redlich gedient, und dieser Mann hatte ihn fünfzehn Jahre lang wie ein Vater behandelt – rauh und streng wie ein Vater. Nein, diesem Mann würde er treu bleiben bis zum letzten Augenblick.

Mit noch mehr Eifer versuchte er das Unmögliche: die Aufmerksamkeit eines Menschen zu fangen, der mit dem Vorsatz hergekommen war, das alles gar nicht zu hören. Aber Jenkins merkte bald, wie wenig es nützte. Und an dem gesenkten Kopf Jordans erkannte er, daß auch sein Herr das Hoffnungslose der Lage begriffen hatte. Da, jetzt machte ihm Jordan ein Zeichen abzubrechen. Jenkins beendete den angefangenen Satz und schwieg.

»Ich habe den Eindruck«, sagte Jordan grimmig, »als seien Sie nur gekommen, um uns bestimmte Beschlüsse mitzuteilen, Mr. Stone. In diesem Falle bitte ich Sie, uns unumwunden zu sagen, wozu Sie beauftragt sind.«

Dr. Stone sah Jordan an. Man merkte, daß er seine Lage als peinlich empfand.

»Ich bedaure«, sagte er mit einer etwas schnarrenden Stimme. »Sie haben die Sachlage aber beinah richtig gekennzeichnet. Ich habe an Sie eine bestimmte Frage zu richten, und von Ihrer Antwort hängt es ab ...«

»Bitte!« unterbrach ihn Jordan finster.

»Sie können nicht beweisen, daß der Arbeiter Dick Perkins nicht in Ihrem Betriebe verunglückte?«

»Nein.«

»Ich möchte hervorheben, daß uns dieser Vorfall an und für sich sehr wenig kümmern würde, wäre im Zusammenhang damit nicht so viel Staub aufgewirbelt worden. Jetzt sind wir jedenfalls nicht in der Lage, Aufträge an eine Fabrik zu vergeben, die irgendwie an diesem unangenehmen Vorkommnis ... mitschuldig sein könnte.«

Jordan stand auf.

»Ich nehme Ihre Mitteilung zur Kenntnis, Mr. Stone«, sagte er beherrscht. »Gestatten Sie mir, mein Bedauern darüber auszudrücken, daß ein jahrzehntelanges Zusammenarbeiten nun sein Ende gefunden hat.«

Auch Stone hatte sich erhoben.

»Nun«, sagte er beiläufig. »Es braucht ja nicht ein Bruch für immer zu sein.«

»Doch«, antwortete Jordan kühl. »Denn ich muß nun natürlich liquidieren ... Das ist Ihnen bekannt.«

»Oh!« sagte Stone, und es klang zum ersten Mal etwas wärmer. »Das tut mir aufrichtig leid, Mr. Jordan. Das haben Sie nicht verdient. Uebrigens ... unsere offizielle Unterredung ist ja beendet ... Gestatten Sie zwei Worte privat?«

»Bitte sehr. Soll Mr. Jenkins ...«

»Er stört gewiß nicht. Ich nehme an, Mr. Jordan, Sie wissen oder ahnen, daß nicht die Sache mit Dick Perkins Ihnen die Aufträge gekostet hat, sondern ... die andere.«

»Dann war also Ihre Frage nach dem Arbeiter gar nicht entscheidend?« fragte Jordan stirnrunzelnd.

»Doch, denn wir glauben, falls diese Sache bereinigt wäre, würden Sie mit der anderen – viel unangenehmeren – fertig werden. An Ihren Sieg auf zwei Fronten gleichzeitig glauben wir nicht.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Jordan, und sein Gesicht glich an Unbeweglichkeit einer Maske.

Dr. Stone verneigte sich.

»Also, Mr. Jordan, nochmals mein aufrichtig ...« Lärm an der Tür ließ alle aufhorchen. Stone hielt erstaunt in seiner Rede inne. Nicht zum ersten Mal war er bei Jordan, aber noch nie hatte er erlebt, daß irgend etwas die mustergültige Ordnung in diesem Hause störte.

Jordan, dieser große geschlagene Mann, verfärbte sich. Er schämte sich vor diesem Besucher mit dem einwandfreien Benehmen.

Der Lärm an der Tür ließ nicht nach, nahm zu.

»Bitte, Mr. Jenkins«, sagte Jordan wütend, »schaffen Sie Ordnung.«

Jenkins eilte zur Tür, riß sie auf. Ein Ausruf des Schreckens entfuhr ihm: Ein Mensch taumelte herein, das Gesicht schweißbedeckt und blutig, Hemd und Kragen aufgerissen – Meyring.


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