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XIX.

Jordan hatte eine Stunde allein in seinem Zimmer verbracht. Die Tür hatte er abgesperrt und auf kein Klopfen und auch auf kein Klingeln des Fernsprechers geantwortet, so lange nicht, bis Norfolk hinter der Tür rief, er würde sie aufbrechen lassen, wenn Jordan sich nicht meldete. Da hatte er eine Antwort gebrüllt, nach der es im ganzen Hause totenstill geworden war. Jetzt störte ihn kein Klopfen mehr und kein Klingeln des Fernsprechers.

Die Stille war unheimlich. Nichts hörte Jordan mehr außer seinem eigenen schweren Schritt. Immer auf und ab, denselben Weg: Fenster, Schreibtisch, Tür, Schreibtisch. Fenster ... Minuten, Viertelstunden, eintönig, stumpfsinnig ... Was hatte er ihr getan? Was war geschehen? Warum war sie heute so anders als letzthin? Fragen, Fragen! Er fand keine Antwort. Es konnte nur sein, daß sie sich vor der Armut fürchtete, die ihrem Mann drohte. Warum aber dann dieses Verächtlichmachen des Reichtums? War es nicht gut, daß er, Jordan, reich war und ihr helfen konnte, wenn sie es nur wollte? Er hätte sie kaufen wollen? Nein, nein, nichts wollte er von ihr, nur ihr Lächeln und ab und zu einen Blick aus ihren Augen, der ihn glücklich machte. Sein Entschluß war plötzlich gefaßt. Es war nicht einmal ein richtiger Entschluß, es war einfach die Erkenntnis, daß er gar nicht anders handeln könne. Noch heute mußte er diese Augen wieder glücklich sehen, noch heute, gleich, sofort, mußte das gutgemacht werden, was er, ohne es zu wollen, an ihr verbrochen hatte. Gleich würde er hinfahren und ihrem Mann sagen, daß er alles wieder rückgängig machte. Hornung sollte befördert werden, sein kleines Kapital sollte verdreifacht werden. Dann, dann ... würde sie bestimmt wieder glücklich lächeln, ihre Augen würden wieder froh sein, und aus seinem Herzen würde dieses beklemmende Angstgefühl verschwinden. Er öffnete die Tür, begab sich beinah laufend zum Fahrstuhl. Vor dem Hause wartete wie immer sein Wagen. Jordan stieg ein.

»Zu Hornung!« befahl er. Der Fahrer wußte schon, wo Hornung wohnte. »Schnell!« Unterwegs überlegte Jordan, ob er eine Blume mitnehmen solle, aber er beschloß, es zu unterlassen. Halja hatte so sonderbare Ansichten über Geschenke. Es war wohl am sichersten, nichts zu schenken.

Der Untersuchungsrichter war zu Hause. Er empfing den großen Jordan mit allen Anzeichen eines freudigen Erschreckens.

»Sie kommen selbst!« rief er staunend. »Nein, das habe ich wirklich nicht zu hoffen gewagt. Sie selbst kommen! Halja ...«

Jordan unterbrach ihn:

»Ich möchte vor allen Dingen mit Ihnen allein sprechen«, sagte er kalt.

»Bitte!« Hornung wurde sehr klein bei diesem abweisenden Ton. »Bitte«, wiederholte er und führte seinen Gast durch das Eßzimmer in sein Arbeitskabinett. »Nehmen Sie Platz ... Eine Zigarre ...«

»Danke.« Jordan rauchte sie an. »Also, Mr. Hornung, die Verhältnisse zwangen mich leider. Sie ein wenig hart anzupacken. Ich bin gekommen, Ihnen mitzuteilen, daß ich morgen alles rückgängig machen werde, was gegen Sie unternommen wurde.«

»Ach«, rief Hornung aus, und er hatte Tränen der Freude in den Augen. »Ach! Alles rückgängig ...?«

»Ja. Ihre Aktien nehme ich Ihnen zu dem Kurse ab, der vor drei Tagen galt. Sehr weit in die Höhe zu bringen ist das Papier bis auf weiteres nämlich nicht. Es sind wirklich Riesenunterschlagungen vorgekommen, die lediglich so lange geheimgehalten wurden, wie ich es wünschte. Für den Betrag können Sie bei mir ein Papier kaufen, das in den nächsten Wochen sehr anziehen wird ...«

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ...«

»Sagen Sie gar nichts. Haben Sie Ihr Abschiedsgesuch schon eingereicht?«

»Nein, noch nicht.«

»Reichen Sie es morgen ein ...«

»Aber Sie sagten doch ...«

»Reichen Sie es morgen ein! Elsworthy wird Sie bitten zu bleiben ... wird Ihnen Beförderung zusichern ...«

»Wird er sich auch entschuldigen?«

»Er wird sich auch entschuldigen. Genügt das, um Sie voll zu befriedigen?«

»Ja, nur ...«

Jordan sah unverwandt vor sich hin auf die Tischplatte. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht.

»Bitte, melden Sie Ihre Wünsche«, sagte er. »Mir liegt viel daran, Sie vollkommen zu befriedigen.«

»Mr. Jordan«, stotterte Hornung verlegen. »Sie sind so großmütig, daß es mir wirklich schwer fällt, es auszusprechen ... Aber diese Sache mit dem Verschwinden des Arbeiters ... Ich hoffe doch ... Sie verstehen ...?«

»Ich verstehe«, versetzte Jordan, und nur ein feines Ohr hätte die Verachtung herausgehört. »Lassen wir diese Sache in Elsworthys Händen. Sie erhalten von mir fünfzigtausend Dollar. Soviel hatten Sie doch verlangt?«

»Ja.« Hornung hatte sich einmal noch viel mehr eingebildet, aber er war inzwischen etwas bescheidener geworden.

»Sind Sie jetzt völlig zufriedengestellt, Mr. Hornung?«

Der Untersuchungsrichter nickte.

»Vollkommen, Mr. Jordan«, sagte er freudig. »Dann ist unsere Unterredung damit beendet«, antwortete Jordan und erhob sich. »Ich habe nur noch eine kleine Bitte an Sie, die Sie mir gewiß nicht abschlagen werden. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nun für einen Augenblick Ihre Gattin herbäten, damit wir ihr mitteilen können, daß nun alles in Ordnung sei.«

Hornung sah seinen Gast überrascht an.

»Halja herbitten ... ja ...« murmelte er ratlos.

»Verzeihung, Mr. Jordan, ist denn ... Halja ... meine Frau nicht ... bei Ihnen?«

»Sie war vor ...« – Jordan sah nach der Uhr – »... vor zwei Stunden bei mir, kaum zehn Minuten lang.«

»Ja, aber ...« Hornung faßte sich an den Kopf.

»Ach, entschuldigen Sie mich doch bitte für einen Augenblick.«

Er ließ Jordan allein. Dessen hatte sich eine leise Unruhe bemächtigt. Offenbar war Halja von ihm aus nicht gleich nach Hause gefahren. Ach nein, sie würde gewiß zu Hause sein und hatte es nur vermieden, ihrem Mann zu begegnen. Sicherlich war es so. Aber als Hornung mit ratloser Miene wieder eintrat, wußte Jordan plötzlich, daß er gar nichts anderes erwartet hatte: Halja war nicht zurückgekehrt.

»Wir müssen etwas warten«, sagte Hornung mit einem krampfhaften Lächeln. »Halja ist nicht da. Aber sie muß natürlich jeden Augenblick kommen.«

»Natürlich«, sagte Jordan und setzte sich wieder. Auch Hornung setzte sich. Er nahm die Brille ab und putzte eifrig an den Gläsern.

»Sie ist immer nach Hause gekommen«, sagte er etwas einfältig und merkte es nicht einmal. »Sie wird gleich kommen.«

»Sie wird wohl zu einer Freundin gefahren sein«, mutmaßte Jordan.

»Ganz bestimmt«, sagte Hornung eifrig.

Sie schwiegen. Träge schlichen die Minuten.

»Halja ist manchmal sehr töricht«, meinte Hornung plötzlich.

Jordan schoß einen Blick zu dem Mann hinüber, der ein Recht hatte, ungestraft Derartiges über Halja zu sagen.

»Ich wüßte nicht«, versetzte er unfreundlich.

»Doch, doch«, beharrte Hornung. »Ich bat sie schon gestern, zu Ihnen zu gehen und Sie um Hilfe zu bitten. Aber sie wollte nicht. Dabei wußte sie ganz genau, daß Sie ihr die Bitte nicht abschlagen würden. Aber sie wollte einfach nicht. Erst heute, nach langem Überreden, entschloß sie sich, Sie zu bitten ...«

»Sie irren sich«, unterbrach ihn Jordan. »Ihre Gattin hat mich um nichts gebeten.«

»Aber dann ... Entschuldigen Sie, aber dann begreife ich nicht, warum Sie erst das alles gegen mich getan haben und jetzt noch mehr für mich tun wollen.«

»Ich habe bestimmt nichts getan, damit Sie es begreifen.«

Hornung duckte sich. Er sagte nichts mehr, lange Zeit, ... Beide schwiegen, und die Viertelstunden vergingen.

»Darf ich für Sie etwas bestellen?« fragte Hornung, als die Uhr zehn schlug.

»Danke, nichts«, lautete die kurze Antwort.

»Jetzt muß sie bestimmt gleich da sein«, sagte Hornung.

Jordan schüttelte plötzlich grimmig den Kopf.

»Ich glaube«, sagte er langsam, »wir müssen uns jetzt mit dem Gedanken vertraut machen, daß sie nicht zurückkehrt.«

»Nein, nein!« rief Hornung erschrocken. »Das ist unmöglich. Unmöglich, Mr. Jordan! Halja, und nicht zurückkommen ...?«

»Schweigen Sie!« herrschte ihn Jordan an. »Einer von uns beiden hat sie vertrieben. Danken Sie Gott, daß ich nicht genau weiß, wer es war.« Hornung ließ den Kopf auf die Brust sinken. Nun, da es ausgesprochen war, glaubte auch er nicht mehr an ihre Rückkehr.

»Mr. Jordan!« stöhnte er. »Das ... das ist entsetzlich ...«

Jordan antwortete nicht. Er saß, die Taschenuhr in der Hand, regungslos da und beobachtete den Sekundenzeiger.

»Warum ist sie weggegangen?« jammerte Hornung. »Hat sie bei mir nicht alles gehabt, was sie brauchte? Ich habe sie doch geliebt, wenn ich auch vielleicht nicht immer ... gut zu ihr war. Aber ich liebe sie doch ... Man muß sie ja lieben! Warum ist sie davongelaufen? Was habe ich ihr getan. Das Kind! Ich hatte es zu Pflegeeltern gegeben ... Das ist doch kein Verbrechen! Und es sollte ja auch nicht für immer sein! Sie wollte wissen, wo es sei Das durfte ich ihr nicht sagen, nicht wahr, Mr. Jordan, das sehen Sie ein? Das durfte ich ihr keinesfalls sagen. Sie hätte es ja doch gleich wiedergeholt. Sehen Sie, Mr. Jordan ...«

»Das Kind haben Sie ihr genommen?« fragte Jordan, seltsam klar und hell.

»Genommen? Zu Pflegeeltern gegeben ...«

»Warum?« fragte Jordan.

»Warum? Es sollte richtig erzogen werden ... ja ... Und dann wollte Halja Sie nicht bitten ...« Jordan winkte ihm mit der Hand zu schweigen. Er wußte genug. Hier half kein Warten mehr hier konnte nur Handeln helfen. Er steckte die Taschenuhr ein und nahm den Hörer vom Fernsprecher.

»Hallo, hallo! Ist dort die Burns Detektei? Hier spricht Jordan. Ja, Jordan selbst. Wer ist dort? Mr. Hobkins? Aha! Hören Sie mal, Mr. Hobkins, habe da eine sehr wichtige Sache. Muß sofort in Angriff genommen werden. Wieviel Leute können Sie zur Verfügung stellen? Vierzig? Gut, vierzig. Passen Sie auf: Eine Dame ist seit sechs Uhr spurlos verschwunden. War um sechs Uhr bei mir im Büro. Ja ... Seitdem nicht mehr gesehen worden. Ja ... Lichtbilder kann ich Ihnen verschaffen. In einer Stunde, bei mir zu Hause ... Ja, ich werde sicherlich die Lichtbilder haben. Wie? Wir haben gar keine Vermutungen. Entführung? Nein, nicht anzunehmen. Was? Ja, das ist zu berücksichtigen. Ja, sie befand sich in seelischer Depression. Verständigen Sie die Flußpolizei ... Ja, ja ... Ihr Name ist Halja Hornung, ja, blond, ja, nicht groß. Alter? – Wie alt ist sie, Mr. Hornung? –«

»Fünfundzwanzig«, antwortete Hornung mit erstickter Stimme.

»Alter fünfundzwanzig«, meldete Jordan durch den Fernsprecher. »Alle Nachrichten unmittelbar an mich. In dieser Sache können Sie mich zu beliebiger Zeit am Tage und in der Nacht anrufen. Guten Abend.«


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