Paul Zech
Deutschland, dein Tänzer ist der Tod
Paul Zech

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XXI   Vertrauensräte-Wahlen

Nach dem einstündigen Vortrag des Betriebsingenieurs Grimm, in der letzten Belegschaftsversammlung der Waggonfabrik, über das Thema: »Mehrleistung am Arbeitsplatz ist Dienst am Volk!« sprach einer von den am Schluß der Rede zur Diskussion aufgeforderten Fragestellern den Referenten in direkter Rede an. Genauso, wie der Ingenieur vorher die Wendung »Du, Arbeiter« gebraucht hatte, sagte dieser Fragesteller jetzt »Du, Betriebsleiter«.

Zuerst hatte der Referent unwillig die Lippen verkniffen. Als der Fragesteller aber immer wieder dieses »Du, Betriebsleiter« anbrachte, flüsterte der Referent dem Obmann der Versammlung ein paar erregte Worte zu. Und als schließlich auch der Versammlungsleiter nicht reagierte, schlug der Ingenieur Grimm mit der Faust auf den Tisch und schrie in den Saal hinein: »Ich verbitte mir ein für allemal dieses plumpe Du. Wir sind hier nicht am Stammtisch oder auf der Kegelbahn!« Worauf unten im Saal ein schallendes Gelächter einsetzte, mit den Stühlen geschurrt, den Füßen aufgetrampelt und schließlich auch gepfiffen wurde.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Glocke des Versammlungsleiters die Ruhe wieder herstellen konnte. Er empfahl dem Fragesteller, dieses Du zu unterlassen, der Herr Betriebsleiter fasse das als eine beabsichtigte Kränkung seiner Ehre auf und als eine grobe Verletzung der Disziplin.

Der Fragesteller aber kehrte sich nicht an die Zurechtweisung, er gebrauchte das Du weiter, und es störte ihn auch nicht, daß die Glocke ununterbrochen Sturm läutete. Seine Stimme war mächtiger. Und als er schließlich auf die neue Dienstwohnung des Ingenieurs Grimm zu sprechen kam und die Frage stellte, aus welchen Mitteln eigentlich die pompöse Inneneinrichtung bezahlt worden sei und ob es seine Richtigkeit damit habe, daß aus der Hilfs-Sterbekasse des Betriebes Darlehen an Werkmeister und Ingenieure ohne Sicherheitsleistung und 268 Verzinsung gegeben würden, was ohne Zweifel gegen die Statuten verstoße, denn diese Kasse sei ausschließlich für Lohnarbeiter da und nicht für die pensionsberechtigten Beamten . . . da verließ der Ingenieur Grimm den Raum durch die Tür gleich hinter dem Podium. Und er befand sich in einer Erregung, als würde er jetzt den Teufel zu Hilfe holen oder mindestens ein Spezial-Rollkommando, was so ziemlich auf das gleiche herauskommt.

Der Beifall, der den Fragesteller umbrauste, als er sich setzte, dauerte minutenlang. Viele schrien: »Weiterreden!« Andere riefen herauf: »Endlich einer, der den Mut hat, die Wahrheit zu sagen. Gebt den Bonzen Zunder!«

Der Mann aber ließ sich nicht mehr bewegen, noch einmal zu sprechen. Und der Obmann schloß die Versammlung, obwohl noch fünf Wortmeldungen vorlagen. Die Situation war ihm doch zu mulmig geworden. Es sah beinahe schon nach einer Demonstration aus. Nach einem Komplott. Und dieser Bohle muß wohl doch ein Hetzer sein.

Auf der Straße setzten sich die Diskussionen fort. Die Leute gingen die breite, dunkle Straße hinunter in Gruppen zu fünfen und sieben. Und Richard Bohle sagte zu seinen beiden Kameraden: »Ihr könnt an diesem kleinen Vorfall sehn, daß, wenn die Masse einmal etwas gerochen hat, was ihr früher gut geschmeckt hat und heute rar geworden ist, dann ist auch die revolutionäre Stimmung wieder da, von der viele meinen, sie kehre vorläufig nicht wieder. Die Stimmung war da, wenn auch zunächst nur als eine Gefühlswallung. Die Bewegung aber und die Empörung über diese Zustände hier in unserem Betrieb . . . das ist wieder vorhanden. Und man verspürt, daß der Kontakt, den man sucht, sich schließt. Ich hätte gewiß gern noch eine Stunde lang gesprochen, um mir gründlich Luft zu machen. Warten wir ab bis zum nächsten Mal. Ich weiß jetzt Bescheid. Und spreche ich wieder, werde ich so weit gehen als nur irgend möglich. Ich bin mit dem Erfolg von heute sehr zufrieden.«

»Erst mal abwarten, Richard, welche Folgen der heutige Abend haben wird. Glaube ja nicht, daß der Betriebsleiter das so ruhig einsteckt.«

»Der Betriebsleiter ist ein ergebener Soldat dieses totalen Staates. Er bekleidet sogar eine Charge. Er kann morgen oder übermorgen Bürgermeister, Statthalter oder sogar ein Spezial-Botschafter in den Vereinigten Staaten von Nordamerika werden. Ich habe aber diesen totalen Staat nicht angegriffen. Ich habe den Führer nicht verächtlich 269 gemacht. Ich habe nicht ins Blaue hinein gemeckert oder, wie man heute sagt, ›heimtückisch‹ gehandelt. Ich habe nur in der gleichen Form von Gemeinnutz und Eigennutz gesprochen wie auch der Ingenieur. Nur meinte der Ingenieur ausdrücklich und ausschließlich die Arbeiter. Ich hielt mich an die Bonzen. Und ich denke: Wir sind in einer Volksgemeinschaft. So heißt es doch überall, wo man hinspuckt. Ich habe von dieser Volksgemeinschaft gesprochen. Aber so, wie ich sie auffasse und nicht wie die Wortmacher.«

Drei Tage nach diesem Vorfall in der Betriebsversammlung hing am »Schwarzen Brett« ein Plakat, bedruckt mit zentimeterhohen Buchstaben, in einer fetten Blockschrift, als stünden ausgerichtet ein paar Batterien schwerer Geschütze:

»Das bei Werkfeiern und anderen festlichen Anlässen ausgesprochene Du zwischen Betriebsführer und Gefolgschaftsmitglied ist bei Diskussionen in Betriebsversammlungen und während der Arbeitszeit nicht am Platze. Zwischen dem Führer des Betriebes und seinen Gefolgsleuten muß ein Vertrauensverhältnis bestehen, aber kein vertrauliches Verhältnis. Arbeiter sind Soldaten. Und Dienst ist Dienst. Das wußten früher die Millionen deutscher Krieger. Im Dienst ist der Vorgesetzte eben der Führer. Genauso ist es heute im Betrieb. Heil Hitler!«

Es war schade, daß die Betriebsleitung kein Mikrophon an dem sogenannten Schwarzen Brett hatte aufstellen lassen. Was hier, beim Lesen der Bekanntmachung, aus den Kumpels herausfuhr, das war in einer solchen Form schon lange nicht mehr geäußert worden. Und es würden dem Ingenieur noch tagelang die Ohren geklungen haben von dem, was er zu hören bekam. Aber vielleicht auch hätte er einen Spezialtrupp der Gestapo beordert und den Betrieb von den »Hetzern« säubern lassen. Denn auf das »Reinigen« verstand sich diese von Göring installierte Geheime Totschläger-Gruppe.

Jeden Tag mußte das Plakat neu geklebt werden. Entweder war es 270 abgerissen oder mit roter Farbe beschmiert. Und zuletzt hatte sich die »Geheime Betriebsüberwachung« so postiert, daß sie den Anschlag und wer ihn passierte, genau übersehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Und die beiden Leute blieben so lange auf ihrem Posten (doch gleich am ersten Tage schon von den Arbeitern erkannt), bis der Wahlaufruf zu den Vertrauensräte-Wahlen angeschlagen wurde und auch gleichzeitig die Bekanntgabe des Termins für die nächste Betriebsversammlung. Thema: »Wer im Betrieb ist unseres Vertrauens würdig?«

Jetzt wurde Richard Bohle von allen Seiten bedrängt: »Du mußt dich unbedingt wieder zum Wort melden. Du hast den Bogen heraus wie keiner von uns. Du kannst sagen: Hitler! Und wir wissen doch, wen du meinst. Du nur kannst die Abstimmung in die richtige Bahn lenken. Wir verlassen uns ganz auf dich, Richard. Wer sonst noch kann hier den Laden so schmeißen, daß wir nicht zu kurz dabei kommen?!«

Das ging eine ganze Woche lang so. Und oft wußte Richard Bohle nicht, ob er den Kopf noch oben trug oder schon unter dem Arm. Es war ihm aber klar: Wenn er sich zum Sprachrohr macht und alles das herausstößt, was ihm in diesen Tagen zugeflogen war von den Kumpels und was er sonst noch mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommen hatte, dann fällt die Gesellschaft vom Stuhl herunter und er mit ziemlicher Gewißheit in die äußersten Finsternisse des Bunkers hinein, in die Schlinge, die ihm so geknüpft werden würde, als habe er sie sich um den Hals gelegt, ›ein feiger Selbstmörder, aus Furcht vor der Verantwortung und Strafe‹. So hieß es nämlich oft in den Berichten, die aus dem Konzentrationslager kamen und einen Todesfall meldeten.

Er brachte die Sache beim nächsten Zusammentreffen der Bezirksleiter zur Sprache. Er wollte nicht allein darüber entscheiden, wie weit man heute, und unter diesen besonderen Umständen, gehen könne mit der offenen Opposition.

In dieser geheimen Versammlung führte er aus: »Angenommen, ich habe zwei Drittel der Belegschaft hinter mir: vor dem Verschwinden können sie mich nicht schützen. Sie hätten vielleicht die Möglichkeit, in einen Sympathie-Streik zu treten, drei Stunden, sechs Stunden, eventuell auch einen ganzen Tag. Damit aber wäre auch das Äußerste getan. Und die Lage im Betrieb kann sich bedeutend verschoben haben, das heißt: verschlechtert für uns.

Die Wände im Bunker sind aus Eisen, ich fürchte den Bunker nicht. 271 Ich habe die Abreibung im Zimmer 31 der Kaserne Chausseestraße noch deutlich auf der Haut kleben. Und ich werde auch nicht viel verloren haben, wenn sie mir die Rübe abhacken. Gewinnen aber die Betriebsgenossen etwas damit? Springt der revolutionäre Funke, der bei uns sich eventuell entzündet, auch auf die anderen Betriebe über? Können wir heute schon eine großangelegte Aktion riskieren? Das ist eine Frage, die ich allein zu entscheiden nicht wage. Bei euch laufen viele Fäden zusammen. Ihr werdet euch über die Situation im allgemeinen nicht im unklaren sein. Kann und darf man das Maul schon so aufreißen, wie man es gern möchte? Ist überall die Enttäuschung schon so mächtig, daß sie die Masse verwirrt und ratlos gemacht hat? Und daß sie hochspringt, wenn eine neue, von ihren Gedanken schon lange bewegte Parole öffentlich endlich laut werden darf?

Man hört oft sagen: ›Aber gewiß wartet die Masse auf den Ruf. Der Betrunkenheit, verursacht durch den miserablen Fusel der Naziotie, ist bereits der Katzenjammer gefolgt. Die wirtschaftliche Verelendung ist nicht mehr zu vertuschen, auch wenn jetzt tausend Klumpfüße Tag und Nacht ihre Trommelfeuer-Schnauzen in Bewegung setzten und uns weismachen wollten, daß das Sichsattessen eine Erfindung von Zion sei, um das deutsche Volk auszurotten und die jüdischen Mißgeburten an unsere Stelle zu setzen.‹

Die Versklavung nimmt gewißlich immer schlimmere Formen an. Und es beginnen selbst dort oben, im Vorhof von Walhall, die Un-Geister sich zu scheiden, mit Geräuschen, die niemandem entgehen, der noch Ohren hat zu hören. Das blubotumbe Ammenmärchen von der Volksgemeinschaft hat sich als ein ganz plumper Schwindel erwiesen, als der tollste Betrug, der jemals einem Volk, von dem man früher sagte, daß es denkt und dichtet, zugemutet worden ist.

Ich, für meine Person, bin im Bilde, ich verspüre es, wohin der Weg geht und was an Grauenhaftem uns noch bevorsteht, ehe die Braunen fertig sind mit ihren Kenntnissen. Aber die Masse . . . die Masse!«

»Wenn die Stimmung bei euch wirklich so ist, wie du sie eben geschildert hast, Richard, dann wundert mich allerdings eins: nämlich, daß es mit der Zellenbildung bei euch noch nicht so recht klappen will. Ich gebe zu: es sind Großbetriebe, da liegen die Dinge für uns noch ungünstiger. Aber bei euch, da war früher einmal unsere Hochburg. Du weißt, wenn wir zu Demonstrationen aufriefen, blieb niemand mit einer faulen Ausrede zurück. Aber das kann ja noch alles wieder werden. Und der alte Stamm ist ja so ziemlich intakt geblieben. Überall 272 eigentlich. Obwohl dieser ewig besoffene Ley neulich bei Borsig trompetete: ›Unsere treueste Gefolgschaft, die unbedingtesten Anhänger des nationalen Sozialismus, finden wir in den älteren Jahrgängen des Proletariats, bei den einstigen unentwegten Sozialisten und Kommunisten. Nicht bei den Kleinbürgern. Und schon gar nicht bei den feinen Leuten. Dafür sei euch gedankt, Volksgenossen!‹

Wir haben in allen U. B.-Zeitungen diesen infamen Schwindel und diese freche Verleumdung eines notorischen Trunkenbolds und Geschäftemachers so zurückgewiesen, daß er sie wohl nicht mehr wiederholen wird. Und wenn er es in einem Großbetrieb doch noch einmal riskieren sollte, wird ihm das Wort im Halse stecken bleiben. Wir haben ein wirksames Mittel dafür. In Deutz, wo er vor acht Tagen sprach, hatte dieses Mittel seine Feuerprobe zu bestehen und klappte großartig. Das Geheul, das dem Ley um die Ohren flog und die Katzenmusik, als er den Schwindel auf die Spitze trieb, das war auf der anderen Seite vom Rhein noch zu hören.«

»Das sind alles keine vorwärtstreibenden Aktionen, Martin!« rief mit scharfer Stimme der Schuster dazwischen. »Das ist Jahrmarkt und kein Kampf. Das ist Theater und kein: Ran, an den Mann!«

»Du vergißt immer wieder«, antwortete Martin, »daß wir am Wiederaufbau sind und nicht auf dem Marsch. Wir haben alle Positionen, alle Stützpunkte, alle Reserven und die Betriebsmittel verloren. Die Panik ist kaum vorüber, und schon haben sich wieder starke Gruppen gebildet. Es werden sich auch die Reihen wieder schließen, aber nicht heute schon. Man kann nichts erzwingen. Und wenn dir so etwas Ähnliches vorschwebt, dann verkennst du die Situation.«

»Ich habe noch ein gutes Stück von der Zeit des Sozialistengesetzes erlebt, Martin. Es ist nicht viel Unterschied zwischen dem Damals und diesem Heute. Auffressen mit Haut und Haaren wollte Bismarck uns genauso wie heute dieser Pinselfritze. Ich sehe auch noch nicht einmal einen Unterschied, das heißt, von unserer Lage aus gesehen, zwischen Bismarck und Hitler, obwohl der eine ein forscher Junker war und deutsche Sätze schreiben konnte und der andere ein qualliges Nichts mit einem großen Maulwerk und schlechter Schulbildung ist. Klüger mag der Bismarck schon gewesen sein, und in seiner Art auch ein Kerl, sogar ein Charakter. Ein ehrlicher Gegner. Aber ein Agent des Militärs, des Kgl.-Preußischen Militärs, war Bismarck genauso, wie es heute dieser böhmische Rattenfänger für die Reichswehr ist. Vom Militär ging das Sozialistengesetz damals eigentlich aus, aus Furcht vor der 273 aufgeklärten Arbeiterschaft. Soldaten dürfen nicht aufgeklärt sein. Je dümmer sie sind, um so mehr kann man sie drillen und schurigeln, dressieren und zu Automaten machen.

Ich wollte sagen: illegal haben wir auch damals arbeiten müssen. Zwar hießen die Gefängniszellen noch nicht Bunker, aber Kindermädchen sind die Aufseher gewiß nicht gewesen. Ein halbes Jahr lang dreißig Pfund Eisen an den Knochen hängen haben . . . das spürt man noch zehn Jahre nachher. Und ein Schlüsselbund haut auch ganz anständige Löcher in den Kopf. Das bleibt sitzen fürs ganze Leben.

Ich will in dem alten aber nicht länger herumbuddeln. Ich wollte nur sagen: Was uns heute immer noch fehlt, obwohl dieser braune Skandal nun bald schon in das dritte Jahr hineinstinkt, das ist die große und allgemeine Idee, die wir einsetzen müssen, um die Masse aufzurütteln. Eine Idee, die jedem verständlich ist und eingeht. Es fehlt uns auch immer noch der neue August Bebel, der die mitreißende große Idee, die alle sammeln soll, in die Masse hineinwirft.

Nieder mit Hitler! Nieder mit dem Faschismus! Das den Leuten einzuhämmern ist gewiß eine unmittelbare Notwendigkeit. Nur müßt ihr der Masse auch sagen können, was an die Stelle von Hitler und seinem deutschen Faschismus gesetzt werden soll. Darüber seid ihr euch leider noch nicht einig. Und deswegen streitet ihr euch noch herum und vergeudet Zeit und Kraft. Der eine sagt: ›Wir wollen jetzt alles oder nichts!‹ Der zweite sagt: ›Vorläufig etwas weniger!‹ Und der dritte schreit: ›Zum Teufel, wozu brauchen wir noch eine Übergangsidee, unsere urewige proletarische genügt doch. Sollen wir sie durch Verwässerungen wirkungslos machen?‹ Jungens, die Masse hat für solche Dinge ein feines Gehör. Macht die Masse nicht wieder kopfscheu.«

»Wir wollen das gleiche, Schuster, was ihr uns seit 1917 fort und fort eingehämmert habt, wir stehen heute in einer ähnlichen Situation«, erwiderte Hillmann.

»Nein, Hillmann!« gab ihm der Schuster zurück. »Ihr geht um den Brei herum und meint, das sei Taktik. Und von dieser Taktik sagt ihr: Die ganz besonderen Umstände zwingen uns, mehr allgemeine Losungen auf die Masse loszulassen. Zum Beispiel: Wiederherstellung aller politischen Parteien, Arbeiter- und Bauernorganisationen. Reinigung der Armee und des Staatsapparates, insbesondere der von den Faschisten bevorzugten privilegierten Posten im Auswärtigen Dienst. Gewissens- und Glaubensfreiheit. Gleichheit aller Staatsangehörigen unabhängig von Nationalität und Religion. Vollständige 274 Wiederherstellung der Sozialversicherung. Rückforderung sämtlicher an die Großindustriellen und an die Agrarier gewährten Subventionen. Fehlt nur noch die feierliche Einholung der Hohenzollern aus der Verbannung.

Ein bißchen viel Taktik auf einmal, Genosse Hillmann! Und das kommt mir beinahe schon so vor wie die Werbeplakate vom November 1918: ›Ruhe und Ordnung schaffen Brot und Frieden‹. Oder: ›Die Sozialisierung ist auf dem Marsch!‹ Was in Wirklichkeit aber marschiert ist, das haben wir ja in Lichtenberg, an der Ruhr und in Bayern und Sachsen erfahren.

Nach der Einbringung des Sozialistengesetzes hieß die Losung von Bebel kurz und bündig: Freiheit! Das verstand jeder. Das war kein Schwindel, kein Sand in die Augen. Und damit haben wir schließlich auch das Sozialistengesetz zerschlagen.«

»Richtig, Schuster! Eure Parole hieß ganz eindeutig: Freiheit! Denn sie war ja auch nur euch genommen. Die anderen Parteien hatten sie und ruhten sich darauf aus. Heute aber geht es um die Freiheit aller. Um das große Entweder-Oder der Freiheit auf allen Gebieten des geistigen und wirtschaftlichen Lebens. Und das ist nicht auf eine Formel zu bringen, denn jeder stellt sich diese Freiheit anders als der andere vor. Und das, was der eine will und der andere verabscheut, reicht von der Wiederkehr des Kaisers bis zur Wiedereinführung der Kleinstaaterei, vom Dreiklassenwahlrecht bis zur vollkommenen Anarchie. Uns hat man noch einen anderen Knüppel zwischen die Beine geworfen, das Schreckgespenst vom Bolschewismus. Den Teufelspakt. Das hat die Luft total verstänkert. Und das Entgasen kostet uns viel Arbeit. Vielleicht verstehst du jetzt, daß Umwege zu machen sind, daß man sich nicht an Buchstaben klammern darf und nachgeben muß da und dort.«

»Ich wünsche nur, daß ihr euch einmal von sogenannten Regierungs-Sozialisten nicht so abwürgen laßt, wie die Meute uns damals abgewürgt hat. Weiter will ich nichts gesagt haben.«

»Schuster, wir werden deinen Rat immer anhören. Du mußt aber auch Geduld mit uns haben. Immer wieder Geduld. Und daß wir alles noch vor uns haben. Du bist ja auch nicht an einem Tag alt, klug und weise geworden. Und das Sozialistengesetz hat euch doch lange genug die Kehle abgeschnürt, obwohl ihr die große Idee und den August Bebel noch dazu hattet. Ich denke, wir werden schneller zum Ziel kommen.«

Und jetzt mischte sich Arthur Menges ein und beschwor Richard 275 Bohle: »Du mußt unter allen Umständen versuchen, daß du in der entscheidenden Versammlung vor der Wahl noch einmal zu Wort kommst. Du darfst kein Blatt vor den Mund nehmen. Aber du mußt das Ding auch so schieben, daß sie dir nicht an den Wagen fahren können. Ich weiß, es ist nicht einfach. Und frischweg von der Leber zu reden ist kein Kunststück, besonders wenn man unter sich ist. Wenn wir aber zur Masse sprechen, die im letzten Jahr mit faustdicken Lügen bis zum Umfallen bombardiert worden ist, will sie von uns etwas anderes hören. Etwas, das nach Wahrheit schmeckt und zu fühlen ist. Wer einmal gebrannt ist, der scheut das Feuer.

Ich meine: wenn du im Betrieb zu den Kumpels, die nicht von gestern sind, sprichst, dann muß jedes deiner Worte ein Pfeil sein und mitten ins Schwarze hineinfahren. Du kannst und darfst nur solche Dinge anreißen, die haarscharf bewiesen werden können, und zwar durch Äußerungen, Verfügungen und Handlungen der Naziführer. Immer wieder mußt du Hitler zitieren, alles das, was er früher gesagt und versprochen hat. Und dazu das, was heute dasteht und sich in das Gegenteil verkehrt hat. Aus den sechs seidenen Hemden, die sich ein kleinsozialistischer Bürgermeister hat schenken lassen und womit die Nazis damals zehntausend Menschen Woche für Woche, bis es Millionen wurden, im Sportpalast und ähnlichen Lokalen unterhalten haben unter Begleitung von Trommeln, Tobsucht und Fanfaren, aus diesen sechs seidenen Hemden sind heute bei den braunen Bonzen Speicher voll Gold, Silber und Brillanten geworden, Rittergüter und Millionenkonten bei ausländischen Banken. Das flüstert sich die Masse zu, die ein feines Gehör hat für das Schalten und Walten von Schiebungen. Aber sie muß auch noch mit der Nase darauf gestoßen werden. Sie hat es schon vor Augen, aber sie muß erst darüber stolpern. Die Masse liebt Skandalgeschichten, darüber wollen wir uns mal klar sein und diese Schwäche ausnutzen. Nicht zimperlich vorgehen, dann werden wir auch verstanden.«

»Das ist viel gesagt und wenig«, fing Hillmann jetzt wieder an. »Ich kann dir nur sagen, Richard, du darfst deine Position und deinen Kopf in keinem Fall mutwillig riskieren. Noch ist es nicht soweit, daß wir den letzten Einsatz wagen können. Was du an Fragen an die Kumpels richtest (diese Taktik ist heute in solchen Fällen die einzig mögliche), das werden wir durch die Zeitungen und Flugblätter beantworten, die wir in den Betrieb hineinbringen. Das Draufhauen, das die Genossen von dir wollen, auch das werden wir ihnen nicht vorenthalten. Auf illegalem Wege aber sollen sie es erfahren. Wir haben, denke ich, reichlich genug an 276 den Hunderttausenden, die in den Bunkern und im Moor krepieren. Wer heute noch auf die Rolle genommen wird, der reißt uns ein Stück aus der Lunge heraus. Gewiß, es muß getragen werden, wenn das Schicksal in solch einem Fall gegen uns entscheidet und die Besten uns immer wieder weggeholt werden. Wir wollen uns aber auch nicht für jede Kleinigkeit die Rippen zerquetschen lassen. Es muß so gehandelt werden, daß die Zahl der Opfer immer geringer wird und der Erfolg nachhaltiger. Denn das Volk wird einst Rechenschaft von uns fordern. Und für jeden Mann, den wir eingesetzt haben und der uns verlorenging, müssen wir geradestehen können.

Was man dir sonst noch sagen könnte, Richard . . . ich wüßte nichts mehr. Du bist lange genug in der Bewegung. Du weißt, wer uns in der Zange hat, du kennst deinen Betrieb und wirst wohl auch deine Leute kennen. Tu, was du kannst und was du vermagst. Wir rechnen mit deiner Klugheit und der notwendigen Vorsicht.«

Und als Richard Bohle, genau acht Tage nach dieser Sitzung, in der Wahlversammlung sich zum Wort meldete und an die Sätze anknüpfen wollte, die der Betriebsingenieur Grimm mit dem hohlen Pathos und den Armverrenkungen Hitlers in den Saal hineingebrüllt hatte: »Unsere Gegner wissen, daß sie inaktiv bleiben müssen und zwar deshalb, weil sie, die Gegner, nicht in der Lage sind, ein neues Ideal zu schaffen, das sich der gleichen Volkstümlichkeit erfreut, wie das nationalsozialistische Ideal von einem größeren Deutschland, das geeint ist durch den Sozialismus des Blutes und des Bodens . . .«, da fuhr der Versammlungsleiter den schon bereitstehenden Richard Bohle an: »Die Betriebsorganisation wünscht, daß Sie das Wort heute nicht nehmen.«

»Das verstößt gegen die Satzungen; ich bin Mitglied der NSBO.«

»Die Betriebsleitung ist in diesem Fall der NSBO vorgesetzt.«

»Es handelt sich hier nicht um Werkangelegenheiten, sondern um eine freie Aussprache über die Wahl.«

Und erst nachdem der Versammlungsleiter aufgestanden war und Richard Bohle vom Podium herunterdrängen wollte, merkte die Versammlung, daß einer der Ihren am Sprechen verhindert werden sollte. Es begann sofort eine murrende Unruhe. Und als Richard Bohle schließlich die Treppe vom Podium hinunterstieg (er tat es, weil er um die Wirkung dieses taktischen Manövers wußte), schrillten von hinten her Stimmen: »Bohle . . . soll . . . sprechen . . . Bohle . . . soll . . . sprechen!«

Es pflanzte sich fort bis nach vorn, in einem hämmernden, chorischen Takt: »Bohle . . . soll . . . sprechen!« 277

Die Glocke des Versammlungsleiters kam gegen diese Sprechchor-Gewalt nicht mehr an. Schließlich besprach der Obmann sich mit seinen beiden Stellvertretern und dem Betriebsleiter. Man sah, daß sie sich nicht einigen konnten und hin und her feilschten. Die Unruhe im Saal wuchs und wuchs. Mit der wütend hin und her bewegten Glocke in der Hand, schrie der Versammlungsleiter: »Ruhe!«

Nach ihm erhob sich einer der Stellvertreter: »Die Betriebsleitung hat beschlossen, dem Fragesteller Bohle sowie den anderen, die sich nach ihm noch zu Wort melden sollten, zehn Minuten Redezeit zu gewähren.« Aus dem Saal herauf schrien einige Kumpels: »Bravo!« Und als Richard Bohle das Podium wieder bestieg, dauerte das Zurufen und Händeklatschen minutenlang. Er wartete so lange, bis die Erregung sich gelegt hatte, die linke Hand in der Hosentasche, die rechte ein wenig vorgestreckt. Und in dem Moment, als er anfangen wollte, zischte ihm der Ingenieur Grimm zu: »Sie haben jetzt nur noch acht Minuten!«

Und Richard Bohle antwortete ihm ganz ruhig: »Zehn Minuten, Herr Ingenieur!«

Was Richard Bohle in diesen zehn Minuten hinlegte, das wog, getragen von der ganzen Situation, eine Stunde auf. Er wiederholte nur alle die sozialen Forderungen, die Hitler auf dem ersten Nürnberger Parteitag an die Adresse der damaligen Reichsregierung gerichtet hatte. Es hörte sich an wie eine fromme Legende aus urchristlichen Tagen. Und wenn sie nicht zum Ausspeien übel gewesen wären, diese rhetorischen Seifenblasen von vorgestern, nachdem sie zerplatzt waren in das Nichts von heute, würden sich die Leute gewälzt haben vor Lachen. Denn der Unterton, der in Richard Bohles Fragen mitschwang, reizte direkt dazu. Aber genauso, wie sein Gesicht steinern blieb, beharrte auch die Versammlung in einem eisigen Schweigen. Es fiel kein Zwischenruf. Sie verstanden Richard Bohle. Sie unterstützten ihn in seinem Wollen.

Er schloß mit den Worten: »Wenn der Führer sagt: ›Ich habe als ein einfacher Arbeiter angefangen, und ich kann heute noch nicht sehen wenn mein Chauffeur ein anderes Essen hat als ich‹, dann wird dieser, aus dem Arbeiterstande hervorgegangene Führer es auch nicht verstehen können und vor allem nicht dulden dürfen, daß die Dividenden immer höher klettern und die Löhne immer tiefer sinken, bei Lebensmittelpreisen, die um 50 Prozent höher liegen als 1932. Dann wird und kann dieser gelernte Führer der Arbeiter nicht dulden, daß die Betriebsleiter 278 gebratene Hähne zum Frühstück essen und den Arbeitern jetzt sogar schon die Margarine zum Brot fehlt.«

Wie diese wenigen, aber von niemandem mißverstandenen Sätze gewirkt hatten, das zeigte sich deutlich im Resultat der Wahl. Von den 1040 Wahlberechtigten stimmten für die von der Betriebsleitung aufgestellte Liste: 210, für die Liste der SPD-Zellen: 190; 80 Scheine waren weiß geblieben und 560 Zettel trugen die ominösen dicken Kreuze. Gegenüber der letzten Wahl bedeutete der Stimmverlust der Nationalsozialisten fast 65 Prozent.

Aber erst nach drei Wochen hatte die Betriebsleitung sich dazu bereitfinden lassen, das Resultat am Schwarzen Brett bekanntzugeben. Und viele von denen, die Kreuze geschrieben hatten, sagten sich, als sie die Ziffern lasen: Wir haben der Zahl nach die Mehrheit erhalten. Eine den Nazis unheimliche, unterirdisch wirkende Mehrheit. Wann endlich werden wir Namen schreiben dürfen? Unsere Namen, und keine Kreuze mehr malen brauchen?

Und als manche von diesen Leuten Richard Bohle in der Mittagspause zu treffen gedachten, da hieß es, er sei in das Verwaltungsgebäude gegangen, in Begleitung des Betriebsingenieurs.

Ein Uhr war schon längst vorüber, da saß Richard Bohle immer noch an dem runden, grünen Konferenztisch, dem Direktor, den beiden Vertretern der DAF, den Vertrauensleuten und dem Betriebsingenieur gegenüber. Es war nicht nur der Ausfall der Wahlen das Faktum, zu dem sich Richard Bohle ausführlich hatte äußern müssen, denn man versuchte, ihn für die 560 Kreuze verantwortlich zu machen. Nein, der Betriebsingenieur Grimm kam immer wieder auf Bohles Ausführungen am Vorabend der Wahl zurück, auf den aufreizenden und agitatorischen Ton der Fragestellungen. Er hatte sie nachstenografieren lassen. Und vor jedem der Konferenzteilnehmer lag die Übertragung auf großen, griffigen Bogen.

Den Direktor interessierten diese Dinge herzlich wenig; er war verantwortlich für die Werkleitung und nicht für die Stimmung der Arbeiter. Er hatte die Tabellen und Rentabilitätskurven im Kopf, die tatsächlichen Leistungen hatten sich nicht gesenkt. Er hätte einem Lohnabbau oder einer Erhöhung der Stundenzahl bei gleichbleibenden Löhnen sofort zugestimmt. Aber dieser Streit hier um Kreuze und um Redewendungen . . . Er war deutschnational, Hauptmann der Reserve. Die braune Wirtschaft hatte nur ein bedingtes Interesse für ihn. Es paßte ihm auch nicht, daß der Ingenieur Grimm hier im Betrieb häufig in einer 279 Uniform herumlief, die mit silbernen Raupen und Schnüren Oberstenrang markierte.

Und die beiden DAF-Leute waren SA-Soldaten in einem subalternen Rang, schon seit 1925 bei der Partei, während Grimm erst im Herbst 1930 sich das Mitgliedsbuch geholt hatte. Ihnen waren die Versprechungen Hitlers noch sehr geläufig. Wie kann man, dachten sie, von jemandem als einem Hetzer sprechen, der doch nur das wiederholte, was der Führer tausendmal geäußert hat, oft mit Wutschaum vor dem Munde und mit Tränen in den Augen. Und diesem Gedanken gaben sie nachher auch offen Ausdruck und zogen damit auch die Vertrauensleute halb und halb auf ihre Seite.

Der Direktor wollte endlich zum Schluß der Verhandlung kommen. Er fragte jetzt Richard Bohle: »Lag es in Ihrer Absicht, die Versammlung, zu der Sie sprachen, zu Aufruhr, Streik und Sabotage aufzureizen? Dachten Sie, als Sie von unzureichender Ernährung und niedrigen Löhnen sprachen, an eine Aufbesserung der Löhne durch Bekämpfung der jetzigen Staatsform? Wollten Sie Ungehorsam gegen die vom Führer erlassenen Gesetze entfesseln?«

»Herr Direktor, ich habe die Versammlung nur daran erinnert, daß wir das noch alles vor uns haben, was an Glückseligkeiten für uns im Parteiprogramm aufgezeichnet steht. Und daß der Führer gewiß ein Mann ist, der es sich nicht nachsagen lassen will, er löse gegebene Versprechungen nicht ein. Und er würde wohl auch nicht als ein Wortbrüchiger oder gar Meineidiger in die Geschichte eingehen wollen. Zumal in dieser Zeit, wo alles, was geschieht, Geschichte ist. Wir leben schon seit Jahren von diesen Versprechungen. Und wir sind ärmer geworden dabei. Wir haben das Gefühl, daß man uns im Drang anderer Geschäfte total vergessen hat. Darüber machen wir uns alle, nicht etwa alleine ich, Gedanken. Diesen Gedanken wollte ich Ausdruck geben in der Versammlung. Das ist alles.«

»Sie haben gehetzt. Jedes Ihrer Worte war darauf angelegt, zu hetzen. Die Versammlung aufzureizen. Und hier, in diesem Augenblick, haben Sie wieder gehetzt. Sie sind ein notorischer Hetzer. Ein Schädling für diesen Betrieb. Und noch mehr für den Staat.«

»Herr Ingenieur Grimm, von einem politischen Hetzen kann man wohl nicht sprechen. Ich glaube, daß ich auch Ohren habe«, antwortete ihm der Direktor. Und Richard Bohle fuhr fort: »Ich habe von dem, was Sie unter politischer Verhetzung verstehen, Herr Ingenieur, nicht ein Wort fallen lassen; Sie werden es in den stenografischen Aufzeichnungen auch 280 vergeblich suchen. Ich habe aber von dem Leerlauf mancher Positionen im Betrieb gesprochen, und nach Paragraph 14 der Betriebsordnung bin ich verpflichtet, auf Schäden mit allem Nachdruck hinzuweisen, will ich mich nicht strafbar machen durch Unterlassung der Anzeige. Ich denke bei diesen Schäden vornehmlich an die vier neuen Personenkraftwagen, die seit einem Jahr in den Dienst gestellt worden sind und die gewiß dem Betrieb nicht dienen, ihn aber belasten. Das schmälert unseren Anteil an den Betriebsüberschüssen.

Ich habe ferner davon gesprochen, daß wir bei gleicher Werkleistung im Frühjahr 1933 zwei Ingenieure in meiner Abteilung hatten, heute sind es deren vier, die einander sich angähnen. Hingegen sind die Leistungspensen der Dreher um 25 Prozent erhöht worden, bei gleichgebliebenen Lohnsätzen.

Das sind alles Dinge, worüber ein Mensch, der nicht stumpfsinnig vor den Maschinen steht und dem die Erfahrungen von zwanzig Betriebsjahren zur Seite stehen, sich Gedanken macht. Gedanken über die Rentabilität des Betriebes. Denn dieser Betrieb ist schließlich ja auch unsere Angelegenheit; nicht, um noch und noch aus ihm herauszuziehen, sondern um ihn leistungs- und konkurrenzfähig zu erhalten, damit uns wenigstens unser Brot bleibt.«

»Die Gedanken um die wirtschaftliche Gestaltung des Betriebes überlassen Sie ruhig uns, Bohle. Nur wir können das übersehen. Sie, von Ihrer Maschine aus, haben nur einen ganz kleinen Einblick. Und nun . . . was die Versprechungen anbelangt, die der Führer, ich weiß nicht wann, gemacht haben soll: die sind wahrscheinlich so gedacht gewesen, daß die Erfüllung nicht von heute auf morgen vom Himmel herunterfallen kann. Es wird überall mit Wasser gekocht, und das braucht bekanntlich Zeit, um sich zu erhitzen. Dem Führer kam es auf das Prinzip an; ohne Prinzipien geht es nirgendwo ab. Auch in Moskau nicht, das werden Sie auf Ihrer Montagereise vor drei Jahren wohl erfahren haben. Warten Sie also ab, bis die Weltwirtschaftskrise überwunden ist. Dann wird es auch Gelegenheit geben, Prinzipien in die Tat umzusetzen. Und geschieht es nicht nach Wunsch, dann haben Sie ja immer noch Zeit zu reklamieren. Heute, denke ich, lassen wir es lieber sein mit Reklamationen. Ich möchte aber nicht, daß hier noch einmal Klagen über Sie erörtert werden müssen. Sie können jetzt gehen.«

Der Betriebsingenieur Grimm hatte sich eine glatte Niederlage geholt. Es war nur einer, der mit ihm stimmte, nämlich: für die fristlose Entlassung Bohles. Die Haltung des Direktors hatte bei den anderen den 281 Ausschlag gegeben, daß Bohle blieb und auch keinen Verweis bekam. Im Betrieb lief es von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz, was sich im Verwaltungsgebäude abgespielt hatte. Und es gönnte jeder dem Ingenieur Grimm den Reinfall. Die U.B.-Zeitung, die den Vorfall ausführlich behandelte und alles klar und eindeutig beantwortete, was Bohle in der Wahlversammlung an Fragen aufgeworfen hatte, wurde in 800 Exemplaren umgesetzt; eine bisher noch in keinem Großbetrieb erreichte Ziffer. Es vermehrten sich auch die Betriebszellen. Und als von den Nazis eine Liste in Umlauf gesetzt wurde, Geldbeträge für ein Jubiläumsgeschenk zu sammeln, das dem Betriebsingenieur Grimm aus Anlaß seines Dienstjubiläums überreicht werden sollte, schrieben sich nur einhundertzehn Leute ein, mit Beträgen von zwanzig Pfennigen bis zu einer Mark. Der Betriebsobmann hatte aber mit einer Summe von mindestens 1000 Mark gerechnet. Vom Ingenieur war der Wunsch geäußert worden, daß man ihm sinnigerweise einen Silberkasten schenken möchte. Für 68 Mark konnte man natürlich keinen Silberkasten kaufen; ein halbes Dutzend Teelöffel vielleicht. Der Obmann lief noch einmal im Betrieb herum: man möchte sich die Sache doch genau überlegen. Er hatte aber kein Glück damit bei den Kumpels. Oft genug hieß es: »Verklopp eins von den vier Autos, dann reicht es vielleicht für den Silberkasten.«

Darauf ging er zur Direktion hinauf und schnorrte die Herren an. Mit Ach und Krach trommelte er noch 100 Mark zusammen. Hintenherum hatte man gehört, daß der Ingenieur außer dem Silberkasten sich auch noch einen Picknick-Koffer für das Motorboot gewünscht habe. Auch dafür reichten die 168 Mark nicht. Der Obmann mußte zwölf Mark aus seiner Tasche zulegen. Am Jubiläumstag überreichte die »Vertretung der Gefolgschaft« dem allverehrten Herrn Oberingenieur Grimm das Präsent mit einem kräftigen »Sieg Heil!«

Der Dank bestand darin, daß von dem zweiten Tage ab die Arbeiter beim Schichtwechsel von einer aus acht Mann bestehenden SA-Abteilung körperlich durchsucht wurden. Meist griff man sich zwanzig, dreißig Mann heraus, ließ sie in die Kantine marschieren und durchsuchte sie bis auf die nackte Haut. Und immer gehörte Richard Bohle zu den in der Kantine Visitierten.

Trotzdem schwirrten Flugblätter in solchen Mengen im Betrieb herum wie niemals vorher. Die Zellen verdoppelten sich in dieser Zeit. Man konnte jetzt davon sprechen, daß 70 Prozent der Belegschaft in den illegalen revolutionären Zellen organisiert waren. 282

Terminmäßig hätte schon längst zu einer neuen Betriebsversammlung aufgerufen werden müssen. Es erschien aber kein derartiger Anschlag am Schwarzen Brett. Man wollte vorerst Richard Bohle nicht mehr sprechen lassen. Das allein war der Grund. Und den diskutierten auf den Latrinen und wo es nur möglich war die Kumpels. Und eigentlich war man auch darüber verwundert, daß Richard Bohle immer noch so in Ruhe gelassen wurde von den Drahtziehern der politischen Abteilung.

Er hatte aber längst schon seine Warnung weg. Und zwar erhielt er sie von dem vierten Ingenieur Merzbach. Direkt und offen. Der Zufall hatte es so gefügt, daß sie auf dem Stettiner Bahnhof, als jeder auf seinen Zug wartete, zusammentrafen. Und es war der Ingenieur Merzbach, der Richard Bohle ansprach und ihn fragte, ob er zu einem Glas Bier mitgehen würde. Richard Bohle überlegt nicht lange und sagte Ja. Sie gingen darauf in die Bahnhofswirtschaft, die ziemlich leer war, und setzten sich in eine Ecke.

Der Ingenieur machte in seiner Befangenheit Bohle gegenüber zuerst eine kleine Einleitung, worin er betonte, daß er diesen ganzen Hitler-Schwindel ja nur gezwungenermaßen mitmache und daß er über weltanschauliche und ähnliche Dinge sich hier nicht unterhalten möchte. Er besäße aber ein starkes Gerechtigkeitsgefühl, vor allem sei er für den geraden Weg. Und dieser gerade Weg sei heute in lauter krumme und noch krümmere Umwege umgewandelt. Kurz: »Ich muß Sie warnen, Bohle, Grimm kann die Niederlage nicht vergessen. Er ist überhaupt ein Mensch, der nur aus Habgier, Neid und Rache zusammengesetzt ist. Hinzu kommt auch noch persönliche Feigheit. Was ich mit ihm habe, das geht Sie nichts an. Ich rechne an anderer Stelle mit ihm ab. Aber Sie haben heute keine Gelegenheit, Ihre Kräfte mit ihm zu messen. Außerdem stehen Sie seit Wochen unter scharfer Beobachtung, im Werk und außerhalb. Man wollte Sie in der vorigen Woche schon beseitigen. Die Kolonne stand schon parat. Der Leiter der Überwachung will aber einen ganz großen Fischzug machen. Er will Sie und Ihre Freunde mit einem Schlage hochgehen lassen. Ich rate: Verschwinden Sie heute schon. Warten Sie nicht erst bis morgen damit. Wenn Sie verheiratet sind, bringen Sie Ihre Frau und Ihre Kinder nach außerhalb. Und begeben Sie sich in ein fremdes Viertel, wo Sie niemand persönlich kennt.«

»Sie haben etwas riskiert, Herr Ingenieur.«

»Das haben auch Sie, jeden Tag.«

»Sie stehen natürlich nicht zu uns?«

»Die Antwort ersparen Sie mir bitte.« 283

»Schade!«

»Vielleicht werden Sie einmal von mir hören, später.«

»Dann verstehe ich, und ich danke Ihnen.«

Sie gaben sich die Hände. Sie sahen sich in die Augen. Und dann stand Richard Bohle auf und ging. Und der Ingenieur Merzbach rief noch hinter ihm her: »Denken Sie immer an Waggon grün, Breitspur.«

Auf der Fahrt nach Hause überlegte Bohle, ob es eine Falle sein könnte, die ihm hier gestellt wurde. Bei der ersten Überlegung schien es ihm auch so. In der Bahn aber dachte er weiter, und er konnte sich nicht schlüssig werden. Er kaute noch drei Tage lang daran herum, bis er endlich dahintergekommen war, was es für eine Bewandtnis hatte mit dem Waggon grün, Breitspur: Lieferung für Sowjetrußland. Ein Jahr drüben auf Montage . . . also das hatte der Ingenieur gemeint? Was aber soll das heute noch für einen Sinn haben? Damals war dieser Ingenieur ja noch gar nicht im Betrieb. Vielleicht sogar noch auf der Hochschule, denn älter als dreißig Jahre konnte er wohl nicht sein. Sonderbar: Grüne Wagen . . . Rußland . . . denken Sie daran . . .

Am dritten Abend nach dem Gespräch, als er die schmale dunkle Gasse zum Bahnhof passierte, drückte ihm die alte Zeitungsfrau, die seit Menschengedenken schon mit dem »Achtuhrabendblatt« an der Ecke stand, diesen Zettel in die Hand: »Grüne Waggons. Eilen Sie. Höchste Gefahr.«

Nun blieb ihm wohl nichts mehr anderes übrig. Er mußte sich entscheiden: Entweder-Oder. Er kam schließlich zu dem Entschluß, den Betrieb nicht mehr zu betreten. Und als er nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau alles das, was gesagt werden mußte. Sie war nicht wehleidig. Sie hatte jeden Tag schon mit solch einem Ausgang gerechnet.

»Ich werde mit den Kindern natürlich hier bleiben. Aber du mußt verschwinden. Der Mann hat recht; ich wollte es dir auch schon angeraten haben. Illegale Arbeit ist nicht so, als wenn man zum Fischfangen geht. Willst du weiter so arbeiten, und davon wirst du dich ja auch nicht abbringen lassen, dann mußt du eben die Konsequenzen ziehen, es hilft nichts. Der Lohn wird uns gewiß fehlen. Aber ich bringe mich schon durch mit den Kindern; das laß deine geringste Sorge sein.«

»Wenn ich es nur genau wüßte, ob es dieser Ingenieur ehrlich mit mir gemeint hat. Stimmt es, dann sympathisiert er auch mit uns. Und man muß sagen, wir stehen nicht mehr allein im Kampf. Es scheint jetzt aufs Ganze zu gehen, und vielleicht sind wir schon weiter, als wir ahnen.«

»Würde man dich bloß aus dem Betrieb heraushaben wollen, dann 284 hätten sich gewiß einfachere Gründe finden lassen. Vor allem solche, die jedem deiner Kameraden einleuchten und ihnen keine Ursache zum Meckern geben. Verschwindest du aber heimlich und ohne daß du mit deinen Kollegen eine Rücksprache gehabt hast, dann ist mit einer Unruhe im Betrieb zu rechnen. Und man wird mit Recht annehmen, du bist hochgegangen. Diese Unruhe im Betrieb zu schaffen, kann nicht der Wille vom Ingenieur Grimm sein. Und deshalb glaube ich auch nicht, daß der junge Mann, der dich gewarnt hat, ein Beauftragter von Grimm ist. Du sagtest, er hieße Merzbach. So heißt auch ein Verwandter vom Stadtrat, und der hat auf Ingenieur studiert, das erzählte mir Bertha, die ja Köchin beim Stadtrat war. Wenn du anders über die ganze Sache denkst . . . ich jedenfalls bleibe bei meiner Meinung, daß die Warnung keine Falle ist.«

»Gewiß, ich werde morgen früh nicht gehen. Die Unruhe im Betrieb wird sein, aber nur ein paar Stunden. Es sind Möglichkeiten vorhanden, den Kumpels sofort Aufklärung zu geben. Meinen Posten in der illegalen Arbeit werden andere übernehmen; es sind genug da, die Angstzeit ist vorüber. Aber ich will mich zunächst doch noch einmal mit Hillmann besprechen.«

»Wie und wo willst du den treffen?«

»Es sind nur drei Stellen, wo er sein kann; die muß ich eben aufsuchen. Wir haben jetzt acht Uhr. Mach schnell das Abendbrot, um halb zehn kann ich wieder in der Stadt sein.«

Und während die Frau in der Küche hantierte, überlegte Richard Bohle, ob etwas im Hause sei, was bei einer nochmaligen Haussuchung seiner Frau schaden könne. Es war nichts da; kein Buch, keine Zeitung, kein Zettel. Es war alles sauber. Er zog sich ein paar andere Stiefel an, ein reines Hemd, vertauschte die Weste mit einer Strickjacke und steckte auch noch ein zweites Taschentuch ein.

Während sie aßen, die beiden Kinder saßen mit am Tisch, sprachen sie kein Wort von dem Vorhaben. Und auch nachher, als die Kinder zu Bett gebracht wurden, geschah nichts, was auf eine Ungewöhnlichkeit hätte schließen lassen.

Die Frau sagte nur, als sich Richard Bohle zum Gehen anschickte: »Wenn du mir einen Bescheid zukommen lassen willst, dann am besten durch Emma. Du weißt ja, wo sie wohnt. Und dort können wir uns fürs erste auch treffen. Und wenn ich von dir schnell etwas wissen möchte?«

»Dann fährst du in die Stadt und suchst das Haus Innsbrucker Straße 285 Nr. 21 auf. Der Portier dort ist ein Kollege von mir im Betrieb. Der wird über mich und alle Dinge unterrichtet sein.«

Sie verabschiedeten sich nicht anders als sonst, wenn Richard Bohle früh in den Betrieb fuhr. Sie blieb heute nur eine Weile länger in der Haustür stehen. Er ging auf dem geraden Weg zum Bahnhof.

Und dort, als er die Sperre schon passiert hatte und die Treppe hinaufging, lief er vier SS-Soldaten und einem Zivilisten in die Arme. Den Zivilisten kannte er, es war ein früherer Parteigenosse, ein Mann namens Schweitzer, ein Kerl, der seine Frau auf die Straße geschickt hatte und deshalb aus der Partei ausgeschlossen worden war. Das war um 1931 herum geschehen. Ein böses Subjekt, dieser Schweitzer. Blitzschnell erfaßte Richard Bohle die ganze Situation und wollte mit einem Satz durch die Sperre wieder zurück. Der Knipser stellte sich ihm entgegen, der Hund! Es war nur ein kurzer Kampf. Die SS-Soldaten sprangen hinzu und schlugen mit Stahlruten auf Richard Bohle ein. Einen Ohnmächtigen schleppten sie zu einem Taxameter und fuhren ihn nach der Stadt.

Nach vierzehn Tagen bekam Frau Martha Bohle eine der jetzt in Deutschland üblichen, aus einer grauen Steinmasse gegossenen Urnen ins Haus geschickt. Dazu den amtlichen Totenschein, worin verzeichnet stand, daß ein Gehirnschlag die Todesursache von Richard Bohle gewesen sei.

Sie war auf diese Art von Rückkehr ihres Mannes längst gefaßt und durch ähnliche Fälle in der Kolonie vorbereitet. Auch den »Gehirnschlag« nahm sie so auf, wie er aufgenommen werden mußte. Es hätte auch ebensogut heißen können »Herzschwäche« oder »Auf der Flucht erschossen!« Es gab heute schon ein halbes Dutzend solcher Floskeln, die in einem widerlichen Zynismus sich stets wiederholten.

Es war in der Früh um zehn, als der Revierwachtmeister Müller die Urne und den Totenschein brachte und Quittung verlangte. Und nur noch sagte: »Frau Bohle, wenn im nächsten Herbst die Blätter fallen, dann wird Ihr Mann wiederauferstehn.«

Sie hatte ihn verstanden. Die Kinder waren in der Schule. Sie ging in den Garten hinaus, nahm den Spaten und grub unter dem Pfirsichbaum, den Richard sich aus einem Kern gezogen hatte, die Urne einen halben Meter tief ein. Und harkte die Erde wieder glatt.

Am selben Abend um acht Uhr klingelte sie bei dem Pförtner des Hauses Innsbrucker Straße 21. Die Portierfrau wollte Martha zuerst nicht hereinlassen, weil sie ihren Namen nicht nennen wollte. Als sie aber sagte, es handele sich um eine wichtige Sache mit der Waggonfabrik, 286 kam Wilhelm Stutzky hinzu und zog Martha Bohle in das hintere Zimmer.

Es war nicht viel zu reden. Ein Zustand wie im Krieg; fast in jedem Haus ein vom Unglück betroffener Mensch. Sie saßen bis um zehn Uhr in der kleinen dumpfen Stube beisammen, mit dem Leidvollen, für das die üblichen Trostworte nicht ausreichten. Der Schatten des Verhängnisses lastete zu schwer; und nicht nur hier in den Proletarierstuben, auch in vielen Bürgerwohnungen.

Ein Schatten, den man nicht fortscheuchen konnte, der immer da war und bedrückte, der das Denken schwer machte und der Zeit den besonderen Ausdruck gab. Die Scheu, offen einander in die Augen zu sehen, bezog die Ursache aus dem, daß keiner dem anderen mehr über den Weg traute. Und das Zurückkriechen der Menschen, ganz nach innen, mit plötzlichen, hysterischen Ausbrüchen dazwischen, um sich Luft zu schaffen und an dem eigenen Schrei sich zu entzünden, war eine natürliche Folge. Es blieb jedem nur das Hoffen auf eine baldige und wie vom Himmel heruntergefallene Wendung. Ein ganz dünner, fast hingehauchter Schein von Hoffnung. Und damit versuchte man das Grauen der schlaflosen Nächte abzutöten. Was galt ein Mensch dem anderen noch? Über die Grenze der Haut hinaus war nichts als Finsternis und jeder Schritt eine Reise in das Unbekannt. Sich vor dem Absturz zu schützen, war jedermanns Sorge, aber er wußte nicht, mit welchem Mittel. Es geschah alles aus einem vagen Vielleicht heraus. Dieses Vielleicht-vielleicht-auch-Nicht war die krankhafte Spannung aller Menschen in diesem neuen Deutschland, die nicht Komplizen der großen Betrüger waren.

Schon am nächsten Mittag gingen im Betrieb der Waggonfabrik die Handzettel herum: »Richard Bohle von der Gestapo ermordet!« Und auf dem Zeichentisch, an dem der Betriebsingenieur Grimm arbeitete, war auf dem Reißbrett, in seiner ganzen Höhe und Breite, das Wort »Mörder« eingebrannt. Und auf dem Bretterzaun, der das Fabrikterrain nach der Bahn hin abschloß, stand in großen, weithin sichtbaren, schwarzen Buchstaben: »Der Mörder von Richard Bohle heißt Grimm!«

Acht Tage lang fuhren die Züge daran vorüber. Zehntausende von Arbeitern und Angestellten lasen morgens und abends die anklagende Schrift, ehe sie endlich abgehobelt wurde. Zehntausende von Arbeitern lasen die Anklage und wußten zu handeln. 287

 


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