Paul Zech
Deutschland, dein Tänzer ist der Tod
Paul Zech

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XI   Der vierte April 1933

»Es ist ganz ausgeschlossen, daß der Jude etwas von mir erfahren hat, denn ich sprach mit ihm über diese Sache nicht. Und daß er Gedanken nicht lesen kann, hat er doch zugeben müssen. Wir haben ihn nicht einmal, wir haben ihn x-mal auf die Probe gestellt, und jedesmal ist ihm das Experiment glänzend mißglückt.

Überhaupt: ich bin in den letzten drei Wochen höchstens zweimal bei ihm zum Essen gewesen. Ich kann mich nicht erinnern, daß wir pro Nase mehr als eine Flasche Schampus getrunken haben. Und davon besoffen sein? Blamage, wenn so etwas von uns behauptet wird. Wer damit hausieren geht, der hat uns noch keine Mengen vertilgen sehen. Du . . . zu wem soll sich der Jude in dem Sinne, wie du es hier interpretiert hast, geäußert haben?«

»Heute vormittag zu einem Prager Journalisten im Romanischen Café. Und als wir den Kerl nachher in seiner Wohnung still und leise fassen wollten, da hieß es, er sei seit ein paar Tagen schon nicht mehr nach Hause gekommen. Und der Jude ist auch nicht aufzufinden gewesen.«

»Das besagt doch noch gar nichts, mein Lieber!«

»Wir werden aber damit rechnen müssen, daß in den nächsten Tagen schon gewisse Andeutungen in der europäischen Judenpresse gemacht werden. Und diese Andeutungen werden so gefixt sein, daß etwas an uns hängenbleibt. Und der Herr Kleiderschrank bringt es fertig, alles das, was an uns hängen bleibt, eines schönen Tages höher zu hängen, zugleich mit unseren Hälsen.«

»Erst mal haben und dann hängen, Pröpke! Außerdem bin ich der Meinung, daß ihm der Strick näher liegt als uns. Es ist alles Quatsch mit Soße, was du uns da in Aussicht stellst. Hat der Jude wirklich gequasselt, dann wird ihm auch das Maul gestopft. Ich weiß, wo er zu finden ist.« 128

»Um diese Zeit? Das wird nicht ganz einfach sein. Oder willst du etwa nach bewährtem Muster die Aktion auf eigene Rechnung nehmen?«

»Unter Umständen . . . ja! Und nun bitte noch einmal, aber nur das Konkrete: Haben unsere Gewährsleute Namen aufgefangen? Und hat der bekoberte Schmierfink von Reporter diese Namen, als der Jude sie nannte, notiert?«

»Der Jude nannte nicht die vollen Namen. Es war bloß die Rede vom Grafen und von den Gruppenführern H. und E.«

»Es gibt außer mir noch einen zweiten Grafen bei der Gruppe Brandenburg, den Grafen von Arnim. Und aus einem H. und aus einem E. kann sich niemand einen verkäuflichen Vers machen. Hat der Jude aber die vollen Namen genannt, nicht bloß die Anfangsbuchstaben, dann muß er natürlich ab dafür, radikal.«

»Ich denke: je schneller, um so besser!«

»Also hat er doch die vollen Namen genannt? Oder bloß so, wie du das eben sagtest? Mensch, sei doch nicht so aufgeregt. Haben wir jetzt die Macht, oder wer hat sie?«

»Du scheinst immer noch anzunehmen, ich habe mir die ganze Spucke aus den Fingern gesogen. Welcher Grund dafür läge vor?«

»Dann wollen wir mal glauben: Er hat! Schön, wir werden auch haben! Du bleibst jetzt hier im Lokal. Wir werden in dauernder Verbindung sein, bis ich den Juden ausfindig gemacht habe.«

»Und wer soll nachher die Ausrottung fingern?«

»Wer? Tumbich; niemand anderes sonst. Das kostet aber was, Pröpke. Ich bin blank. Du mußt vorschießen. Sagen wir mal: drei Mille.«

»Das habe ich nicht . . . privat.«

»Zieh das Geheimfach auf: Spesenvorschuß! Ausgleichen wird es der Jude. Ich kenne den Geheimtresor. Den Schlüssel dazu trägt er in der linken Gesäßtasche.«

»Ich habe Bedenken, daß Tumbich die Sache machen soll. Er bullert mir zu sehr darauflos.«

»Mensch, hast du aber eine lange Leitung! Bullern, das soll er ja gerade. Ein Mann, der bis vor sechs Wochen in der Irrenanstalt als gemeingefährlich interniert war . . . der ist gefeit gegen jede Untersuchung. Ich habe das letzte Befund-Zeugnis, unterschrieben von dem Anstaltsarzt Doktor Grätz, in den Akten. Das genügt. Das sichert uns vor jedem Gericht.«

»Wie du meinst!« 129

Der Graf ging ins Nebenzimmer und zog sich um. Er vertauschte die Uniform mit einem Abendanzug, kämmte sich einen scharfen, pomadisierten Scheitel, dunkelte die Augenbrauen nach, klemmte sich das Glas ein und schlüpfte in einen weichen, leichten Mantel.

Als er wieder ins Bürozimmer zurückkam, konnte Ernst sich kaum das Lachen verbeißen. Er holte die Scheine aus der Schublade und hielt sie dem Grafen hin: »So wie du jetzt aussiehst, müßte man dich auf der Stelle verhaften und in den Blutwurstkeller schicken.«

»Bißchen zuviel Jüdisch aufgelegt? Ich wüßte keinen, der so aussieht. Ich glaube aber, daß ich ein wenig nach Zaster rieche. Und darauf kommt es mir jetzt an. Also: Du bleibt an der Strippe. Und für Tumbich steht der kleine Wagen parat.«

Er ging die schmale Wendeltreppe hinunter, die reserviert war für die ›Herren vom Stab‹. Unten, am Straßenausgang, hatten sich zwei SA-Männer mit entsicherten Pistolen postiert. Ein größerer Trupp war in der früheren Portierloge untergebracht. Durch das kleine, hellerleuchtete Fenster sah der Graf die vom Kartenspielen erhitzten Köpfe. Vier Stunden Dienst, zwei Stunden Ruhe; in der Pause soffen und spielten die Schläger sich wieder Mut an. Aus den Kellern unten knarrte Geschrei herauf. Die beiden Posten stutzten einen Moment. Dann rissen sie sich zusammen und reckten die Arme. Der Graf berührte mit dem Zeigefinger den obersten Hemdknopf des einen Mannes. Und hauchte den Kerl an: »Dem Wachthabenden sofort Bescheid geben, daß die Tür nach unten besser abgedichtet wird. Filz aufnageln. Das Auwei-Geschrei hat unten zu bleiben, verstanden?«

Der Chauffeur, ebenfalls in Zivil, riß den Wagenschlag auf. Der Graf warf sich in das weiche, knallrote Lederpolster. Durch den Sprechschlauch gab er dem Chauffeur das Ziel an.

Die untere Friedrichstraße war fast menschenleer. Ein paar abgetakelte Strichvögel flanierten im Schatten der Häuser. Was mit ihnen anband, trug Uniform. Es kam selten zu einem Geschäft. Die braunen Burschen zahlten wenig oder gar nichts. Und wollten dafür auch noch das Noch-nie-Dagewesene des Bettvergnügens erleben – das Dritte Reich im Beischlaf.

Am Halleschen Tor wurde das Auto von einer Streife auf Motorrädern mit Beiwagen aufgehalten. Der Chauffeur legitimierte sich. Ein Lastwagen, vollbepackt mit Zivilisten, die meisten barhäuptig, ohne Mäntel in diesem frostig-feuchten Wetter, von einem halben Dutzend SA mit schußbereiten Karabinern bewacht, kam aus der Gegend 130 Blücherstraße und rasselte vorüber. Und im Abstand von kaum fünfzig Metern kam noch ein zweiter Wagen mit der gleichen Fracht.

Der Graf stieß den Rauch der Zigarette aus dem halboffenen Fenster und nahm kaum Notiz von den Vorgängen auf der Straße. Das Auto zog wieder an und sauste das Ufer entlang. An der Kreuzung der Potsdamer Straße stellte sich noch einmal eine Kontrolle quer. Diese Gegend war belebter, die breite Straße heller. Aber fast leer fuhren Busse und Straßenbahnen in das Zentrum der Stadt hinein.

In dem kleinen, soliden Weinlokal auf der Brücke, ohne Musik, ohne Animierweiber, konnten sich die Juden schon lange nicht mehr sehen lassen, obwohl sie sonst hier wie zu Hause gewesen waren. Bürooffiziere der Reichswehr in Zivil und Vertreter der großen Industriekonzerne wickelten jetzt hier im stillen, bei auserlesenen Rheingewächsen und französischer Küche, die Gespräche und Geschäfte ab. Der Graf hatte vor acht Tagen einmal hineingerochen und, weil nicht alles gleich aufsprang, geurteilt: »Muffige Bude. Hochnäsige Bande. Nie wieder!« Er dachte in diesem Augenblick daran und warf den Zigarettenstummel auf die Straße.

Das Weinlokal Horcher in der Martin-Luther-Straße hatte heute Hochbetrieb. Die Wagen standen bis in die Motzstraße hinein. Der Graf ließ in einer Nebenstraße halten und ging das Stück bis zum Lokal zu Fuß.

Der Portier von Horcher kannte die Maskerade des Grafen schon, grüßte militärisch und riß die Tür auf. Alle Tische und Stühle waren besetzt. Die Kellner schleppten sich schief an Speisen und Wein. Hier wurde gefressen und gesoffen, als stünde Deutschland wieder mitten in einer Hochkonjunktur. Was hier herumsaß, hatte die Taschen voll und hoffte sie noch voller machen zu können. Alles, was zu den Repräsentanten der SA und SS Beziehungen suchte oder die alten auf den Generalnenner zu bringen trachtete, war versammelt mit alten und jungen Ehefrauen, mit Pupenjungens und Vosen.

Sah man früher hier oft den Generaldirektor Minoux, Hugo Simon und Stresemann, manchmal auch Breitscheid und Scheidemann, so lagen heute die anderen in Front. Solide und Halbseidene, Geldgeber und gewiefte Nehmer. Leute, die den braunen Aufmarsch finanziert hatten, und die anderen, die ihn kommandierten. Zwischendurch Abend für Abend die Speisekarte: Was kostet die Welt. Schnepfen und Rebhuhn auf silbernen Schüsseln, Hummer und Haifischflossen, chinesische Schwalbennester und Känguruhschwanz-Suppe. Französische Küche, 131 die edelsten und ältesten Weine von diesseits und jenseits des Rheins. Die erwachte deutsche Seele fettglänzend und heiterwütend auf allen Gesichtern niedergelassen.

Es war zu sehen das Ponem von Gottfried Benn und das von dem Klumpfüßigen. Es saßen da die Riefenstahl mit der Emmi Sonnemann, der Bariton Wilhelm Rode, der jetzt die Charlottenburger Oper kommandierte, mit der Rosalind von Schirach und Heinrich Pfeiffer, dem Pressemanager der UFA. Der Graf sah die Margarete Eggerth, die ihm zublinzelte, er sah den Verlagsdirektor Amman und Herrn Götz Otto Stoffregen, von den Intimen meist nur von hinten nach vorn gelesen. Er sah den Gründgens mit der Dorsch, Hilpert und Laubinger. Er sah aber nicht den Juden, auch seine kleine, mollig-blonde Freundin nicht. Es saß nur eine der Gewesenen da: die Trude Berliner mit ihrem neuen Galan, einem Herrn von den I.G. Farben.

Der Graf winkte den Ober heran und flüsterte ihm zu, was er wissen wollte von diesem Mann, der über alles und jeden Bescheid wußte. Und er erfuhr von ihm auch, wo der Jude steckte: Monbijou, Hardenbergstraße. Nepplokal. Weiber, mit denen man am ersten Abend schon aufs Ganze gehen konnte. Und dann vielleicht morgen noch und übermorgen. Und wenn es die Brieftasche zuließ, einen ganzen Monat lang. Dieses Lokal mit dem pompösen Namen war von dem Juden mit Absicht gewählt. Wollte er sich schon verbergen?

Der Graf mußte den Chauffeur wachrütteln. Der Junge schlief. Kein Wunder: seit heute früh um sieben dauernd im Dienst. Kaum drei Stunden Bettruhe gehabt. Sobald er aber das Steuer in der Hand hat: der Teufel würde nicht schneller und sicherer fahren können.

Drei Minuten, und schon waren sie da. Der Graf überlegte einen Augenblick: Habe ich hier, in meinen löchrigen Tagen, nicht schon einmal den Gigolo gespielt? Fette Judenweiber herumgeschaukelt? Moschus geschluckt noch und noch? Zum Kotzen!

Nein, das war ein Stück weiter oben. Leuchtfontänen auf dem Tanzparkett und Kassa pro Nacht dreißig . . . fünfzig . . . hundert Eier. Der Rest: Jungens von der Stempelstelle, in der Windjacke den Geruch von Sauerkohl und grüner Seife. Auch zum Kotzen! Man sollte gar keine Vergangenheit haben, wenigstens keine Erinnerungen daran.

Er fragte den blauuniformierten Boy nach einer freien Loge. Und Glück muß man nun einmal haben in diesem irdischen Jammertal: Die kleine Zwei-Personen-Loge mit der Aussicht über das ganze Lokal wurde gerade geräumt. Er drückte dem Jungen ein Fünfmarkstück in die Hand 132 und befühlte das glatte, mädchenhaft runde Kinn. Er sah die Augen, die sich zu ihm aufschlugen, lange, getuschte Wimpern. Ein Mund, der Bescheid wußte.

Warte bis morgen, mein Schäfchen, dann sollst du auf einer grünen Weide geschoren werden!

Er verspürte Hunger, der Durst aber quälte ihn noch mehr. Er ließ sich eine halbe Ente à la Rouen kommen und einen spritzigen Chablis dazu.

Und jetzt schnell den Juden aufstöbern. Ist er nicht schon da, dann muß er jeden Augenblick kommen.

An den Tischen rund um das Tanzparkett war nichts von dieser im Leben nur einmaligen hebräischen Fresse zu sehen. Aber der Fiedler, das Schwein, saß da unten in Uniform. Und zwei Puppen, blond die eine und rot die andere, kicherten zu seinen frechen Witzen. Und lagen ihm auf der Tasche herum. Der Geier soll wissen, wer den Jungen mit den vielen Zechinen versorgt! Mit einem Juden, der ihn hätte aushalten können, hat man ihn nie gesehen. Aufträge an die Industrie hatte er nicht zu vergeben, das war den anderen, flinkeren vorbehalten. Und mit wem sollte er Kippe machen? Jedenfalls hat er in der Brieftasche dauernd und noch und noch große Scheine. Und grast nachts alle Lokale ab, wo es hoch hergeht und die Nutten groß verdienen wollen.

Der Graf suchte jetzt den Halbkreis der Logen ab. Hier drückten sich rotzfrech noch ein paar Judenbengels herum. Und es kochte in ihm: Wie die Schmeißfliegen sind diese Krummnasen hinter dem Blond her. Und alle Mädchen, die sie beschmusen, berotzen und abgreifen mit den klebrigen Knoblauchfingern, sind geliefert für ihr Leben. Dabei zahlen sie nur das, was nach langem Schacher übrigbleibt an Schäbigkeit. Aufhängen, die Bande! Die Juden mit den Schweißfüßen nach oben und diese pflichtvergessenen, fleischigen und stupsnäsigen Weiber, die alle aus den marxistischen Vierteln herstammen, daneben; aber vorher ein Hakenkreuz auf den besudelten Leib gebrannt.

Er hatte sich mit der Betrachtung und den Gedanken darüber in eine solche Wut hinaufgehitzt, daß nur noch Schampus den Brand im Gehirn kühlen konnte. Er trank hintereinander zwei Gläser leer und suchte jetzt wieder die Tanzfläche ab. Schlanke, rassige Bembergbeine aus dem Schlitz des Tanzkleides, pfauenblauer Pann: das war die Rothaarige von Fiedler. Immer wieder die. Und dieser grobe Kerl von der Plumpe schiebt das Püppchen vor sich her, als bewege ein Luftzug leise eine Daunenfeder. Und die Jazzband klappert dazu einen Tango 133 herunter, die Geige oft abgelöst vom Saxophon, und die Stopftrompete vom Bandonion. Nach dem Tango wieder der übliche Affenschmalz aus Hawaii: wie das wehmütig wimmert und plärrt aus diesen Stimmen des Banjos!

Und Fiedler, dieser deutsche Mann, Gardemaß, olympischer Preisringer: in den Beinen knickrig wie ein Nigger, das Gesicht voller Zucker für diesen gelenkigen, ausgekochten roten Racker, für diese rachitische proletarische Saugspinne . . . hol ihn der Teufel!

Mit einem Male, mitten in einem Paroxysmus von Erregungen, verspürte der Graf einen leichten Druck auf der Schulter. Und als er sich herumdrehte, blitzte ihn ein Gebiß an aus einem kohlschwarz umhaarten Gesicht. Wundervolle Augen. Und der Akzent war russisch, als die Stimme jetzt laut wurde: »Darf ich?«

»Fünf Minuten. Und trinken, soviel du hinunterschlingen kannst!«

Sie setzte sich und berührte ihn mit dem Knie. Die Augen ließen das ganze Feuerwerk, das sie in sich hatten, los. Der Kellner brachte eine neue Flasche und ein zweites Glas. Und die Frau hatte es jetzt endlich heraus, daß er nicht reagieren konnte. Schade, dachte sie: er sieht aus wie ein Mann, den man für eine Weile einwickeln könnte. Und sie überlegte, was man sonst noch mit ihm anstellen müßte, um ihn weich zu machen.

Er hielt ihr die Zigaretten hin und bediente. Sie bohrte sich mit ihren Gedanken tief in sein Gehirn hinein und versuchte, ihm ihren Willen aufzuzwingen. Sie sah das nervöse Zucken in seinen Mundwinkeln. Sie ordnete diese Unruhe jedoch falsch ein.

Der Jude ging ihm nicht aus dem Kopf. Er überlegte: Wenn der Hund heute nicht mehr kommt, blüht mir morgen noch einmal der Krampf. Er wurde unvorsichtig und ließ das Mädchen näherrücken. Er klemmte ihr vorgestelltes Bein fest und flüsterte: »Nun hör mal gut zu, Puppe, wenn du mir die Wahrheit sagst, bezahle ich dir einen Monat die Pension.«

»Ich habe eine eigene Wohnung; sechs Zimmer, Westend.«

»Teure Gegend. Aber trotzdem, für vierzehn Tage zahle ich dir die Miete.«

»Das Haus gehört uns.«

»Also . . . verheiratet? Schön. Dann lautet jetzt die erste Frage: Jude oder Christ?«

»Falsch geraten; mohammedanisch!«

»Damit kann ich nichts anfangen; gehen wir also über zur zweiten Frage: Es gibt einen Mann hier in Berlin, der tritt in Varietés auf. Im vorigen Monat war er im Wintergarten, pardon, in der Scala. Auf den 134 Plakaten, in Lebensgröße, an den Säulen heißt es von ihm: ›Das Gehirn, dem kein Geheimnis verborgen bleibt. Der Mann, der alles sieht und alles weiß!‹ Wenn du ihm die Hand gibst, liest er dir den Inhalt der Schneiderrechnung oder des Liebesbriefes vor, ohne daß er einen Blick in deine Handtasche getan hat. Kennst du diesen Mann?«

»Bist du eifersüchtig? Er bevorzugt blonde Mädchen. Kleine Pagen kommen nicht in Betracht.«

»Kleine Pagen? Du bist gut! Nein, ich habe sonst etwas mit ihm.«

»Ein verträglicher Mensch!«

»Du übertreibst.«

»Ich rede meinen gewesenen Freunden nie etwas Schlechtes nach.«

»Darauf kommt es hier auch gar nicht an, Puppe. Ich mische mich in fremde Romane nicht ein, auch wenn ihre Pornographie noch so reizend ist. Also du kennst ihn?«

»Kann sein.«

»Wahrscheinlich hat er prophezeit, daß der junge Thyssen dir sicher ist. Und sollte der dir nicht liegen, hast du die Auswahl zwischen einem Herrn Sobernsohn und einem Katzenellenbogen. Kinder nach Wunsch und den Kronprinzen zwischendurch als Hausfreund.«

»Ich war im ersten Jahr, als er hier in Berlin auftrat, sein Medium. Nicht das offizielle, das er in öffentlichen Lokalen zur Schau stellte. Sondern jenes, das ihm ermöglichte, in Privatgesellschaften aufzutreten. Du nanntest schon einen Namen, in dessen Behausung wir häufig waren: Katzenellenbogen. Ich sollte auch auf der Piscatorbühne auftreten, als Tänzerin, in einem Stück von Brecht. Das, was dieser Junge gedichtet hatte, gefiel mir, nackt aber war er mir zu ordinär. Auch agitierte er für die Kommune. Mein Mann ist nämlich an der Börse, mußt du wissen. Er hat seine Geschäfte. Und ich habe meine Zeit. Mal kommt er auf seine Kosten, mal ich auf meine. Was dazwischenliegt: ödeste Langeweile! So wie hier mit dir.«

»Du hast mehr gesagt, als du verantworten kannst. Es ist heute nicht die Zeit für solche Offenherzigkeiten, und zum Glück bin ich nicht dienstlich hier. – Außerdem interessiert mich vorläufig nur ER. Der, bei dem du Medium warst. Wahrscheinlich hast du seinen Geruch noch in der Nase, einen, den man nie mehr los wird. Hast du hier schon etwas bemerkt davon?«

»Wenn du ihn anpumpen willst . . . Da wirst du kein Glück haben. Er rechnet mit Pfennigen. Er stammt aus kleinen, aus allerkleinsten Verhältnissen. Das Geld ist der Gott, zu dem er betet.« 135

»Wenn du keine Frau wärst . . . Teufel noch mal, dann könntest du mir gefallen. Ich bin etwas derangiert in puncto Umgang. Mit dir aber könnte man sich fortbildend unterhalten. Du erinnerst unsereinen wieder an die Kinderstube, die man hatte, ehe die Juden ihren Gestank darauf losließen.«

»Mich wundert es natürlich, dich hier zu sehen. Der Jazz unten ist auch nicht nach deinem Geschmack. Es sind aber immerhin noch Leute hier, die es nicht lieben, nach Militärmärschen zu tanzen.«

»Du bringst mich vom Thema ab. Es steht Wichtiges für mich bevor. Ich muß den Hellseher sprechen. Wann kommt er?«

»Er war bereits früher da als du. Er hat sich heute eine Dame aus uraltem Adel ausgesucht. Und dieser Typ ist so unerhört neu für ihn, daß er kein Licht hineinscheinen lassen will.«

»Das sind orientalische Hieroglyphen. Du willst damit sagen: er ist hier?«

»Er ist hier.«

»Ja, zum Teufel, wo denn? Ich habe doch auch Augen im Kopf!«

Sie führte mit ihren Augen die seinen nach links, nach der äußersten Loge. Man sah nur den Rücken und einen Teil des Kopfes von dem Gesuchten. Daneben die Prinzessin in einer Wolke von Chiffon. Im Profil schon sehr angejahrt. Die Nase groß und scharf von der Stirn in einer Linie heruntergeschnitten, wie die des alten Fritzen.

Er dachte einen Moment nach, wo er dieses Gesicht schon einmal gesehen haben könnte. Und schließlich erinnerte er sich: Hundekehle, bei dem großen Tennismatch Tilden-Prenn. Die also . . . alte Schraube. Mannstoll. Schulden. Und fällt jetzt auf diesen galizischen Schnorrer!

»Weißt du nun Bescheid?« fragte die Frau. »Er wird heute nächtigen bei ihr, eher läßt sie nicht locker.«

»Gut, dann werde ich morgen nachmittag in seine Sprechstunde gehen.«

»Du glaubst wirklich, er könnte die schlechten Aspekte deiner Zukunft in glänzende ummodeln? Es gibt andere Möglichkeiten, das Triste im Schicksalhaften zu korrigieren.«

»Und die wären?«

»Die Farbe Braun würde ausgezeichnet zu deinem Gesicht passen. Die Modefarbe. Wer sie trägt, hat die Generalsraupen in der Backentasche. Bettvergnügungen zum Aussuchen; ganze Regimenter in Paradestellung.«

»Ja . . . du entpuppst dich . . .« 136

»Was ich sagte, soll nichts mit Politik zu tun haben. Ich bin ganz und gar unpolitisch. Deshalb sind sie auch bloß hinter meinem Mann her. Wenn sie ihn mit der Schaufel auf den Wagen werfen werden . . . vielleicht wird man weinen müssen. Und dann noch mehr Zeit haben. Und nach Rio fahren und Macumba in Tropennächten tanzen.«

»Puppe . . . tut mir leid; muß jetzt gehen. Du könntest mir aber deine Adresse aufschreiben. Ich habe manchmal auch Zeit. Vielleicht könnte meine Zeit dir einmal nützlich sein, weil du mir einen Gefallen getan hast. Weil du, auch wenn du mohammedanisch sein möchtest, doch eine Jüdische bist, mit der man sich unterhalten kann. Und wenn du ein Junge wärst . . . ab dafür!«

»Ein Judenjunge?«

»Wer Jude ist, das bestimme ich.«

»Schade, du plapperst nach.«

»Mir ist im Augenblick nichts Besseres eingefallen, verstehst du? Außerdem plappern auch die sogenannten Urheber nach.«

Er reichte ihr das kleine Taschenbuch hin, blaues Saffianleder mit der goldenen Grafenkrone. Sie roch daran und schrieb etwas hinein. Er berührte mit seinen Lippen ihre Fingerspitzen. Sie stand auf und ging die Treppe hinunter. Er sah, wie sie unten nach einem freien Tisch suchte. Noch ehe sie ihn fand, wurde sie schon von einem Tänzer engagiert. Er biß sich auf die Lippen. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er, daß eine Frau so etwas wie Eifersucht in ihm weckte.

Er sah wieder nach der letzten Loge hinüber. Der Jude hatte noch immer nur den Rücken und zuweilen, ganz kurz, ein Viertel des Profils den Lichtern zugekehrt. Die Prinzessin schien voller Unruhe, alles an ihr und das ganze Rundherum bewegten sich, als sollte der Mann umsponnen werden und sich nicht mehr herauswinden aus dem Gespinst der hysterischen Gier.

Der Graf zahlte. Und schon war der Anflug sentimentaler Weichheit vorüber. Das Kinn bekam wieder die brutale Form. Die Lippen wurden immer schmaler und blasser.

Dicht bei der Garderobe lag die Telefonzelle. Er rief Ernst in der Hedemannstraße an, bekam aber nicht sofort Anschluß. Die Adern an den Schläfen schwollen an. Der Hörer flatterte in der Hand. Endlich meldete sich die Stimme, belegt und verschlafen. Der Graf gab durch, daß Tumbich auf dem schnellsten Wege herspritzen und dem Lokal gegenüber warten solle. Der Jude ist gestellt, die Festnahme durch das Beiwerk leider ein wenig kompliziert. 137

Ernst machte die rasche Beseitigung des Juden noch dringlicher. Es seien doch schon ein paar Tropfen durchgesickert; letzte Nachrichten aus der Schweiz spielten mit der Möglichkeit von Enthüllungen.

Der Graf legte den Hörer wieder auf und ließ sich vom Boy in den Mantel helfen. Der Junge machte große Augen und legte es darauf an, diese Nacht einen blauen Lappen zu verdienen. Es fiel ihm aber nur ein Markstück in die Hand. Er bleckte hinter dem Grafen die Zunge.

Der Wagen der Prinzessin stand zehn Schritt vom Lokal Richtung Zoo. Gegenüber die Stampe hatte noch Massenbetrieb. Es wimmelte von Privat- und Taxichauffeuren, von Weibern, die ihren Strich erfolgreich beendet hatten, und von Musikern, die noch schnell den letzten Schluck nahmen.

Der Graf ließ den Wagen nach der anderen Seite fahren, in die schmale Querstraße hinein. Einem Schupo, der meckern wollte, hielt er die Legitimationskarte unter die Nase. Darauf riß der Mann die Hacken zusammen und marschierte auf die Stampe zu. »Drüben Ordnung schaffen!« sagte er im Gehen.

Der Graf rief ihn zurück, stellte sich dicht vor ihm auf: »Der Saftladen bleibt einstweilen ungeschoren. Befehl! Verstanden? Der vornehme Bums – da drüben – hat wie lange Polizeistunde?«

»Um vier. Eine Viertelstunde wird in der Regel noch zugegeben.«

»Wann endet Ihr Dienst?«

»Soeben begonnen; bis um fünf.«

»Ihr Kollege ist wo?«

»Einen Korn heben gegangen; deshalb wollte ich ihn jetzt herausrufen.«

»Heben Sie mit. Der Laden läuft jetzt unter meiner Kontrolle.«

Er drückte dem Schupo einen Geldschein in die Hand. Der Mann hob die Flosse jetzt so leger wie ein oberster Gruppenführer und schlenderte quer über die Straße. Der Graf wartete, bis der Kerl in der Stampe verschwunden war.

Es ging hier an der Ecke ein scharfer Wind. In der Villa hinter dem hohen schmiedeeisernen Gitter klapperte ein Fensterladen. Das Haus machte einen unbewohnten Eindruck. Der Graf sah sich die Fassade eine Weile an und dachte: Hier muß, wenn ich nicht irre, der Jude Steinthal gewohnt haben. Der immer die großen Summen für die Rote Hilfe gegeben hat. Das Schwein wird sich jetzt in Ascona angesiedelt haben. Wollen morgen doch mal die Bude revidieren.

Er schlug den Mantelkragen hoch und ging zwei Schritte auf den 138 Damm hinaus. Tumbich ließ sich Zeit; längst schon hätte er hier sein müssen. Es fuhren kaum noch Wagen. Nur dann und wann kam ein Taxi mit Lustfracht aus dem Tauentzien-Viertel die Bismarckstraße herauf.

Endlich Tumbich. Der Wagen hielt zentimeterscharf vor dem Grafen. Dahinter bremste ein Sechssitzer voll SA. Der Graf winkte ab: »Seitenstraße fahren. Warten. Niemand aussteigen!«

Nur Tumbich zog er mit zur anderen Ecke und stellte sich so, daß er das Tanzlokal klar vor Augen hatte. Und dann nahm er sich den Kerl vor: »Tumbich, spitz mal gut die Ohren. Es handelt sich heute um den Juden, verstehst du? Kennst ihn doch von Person?«

»In jeder Verkleidung, Herr Graf!«

»Du kennst auch die Gegend des Filmateliers Neubabelsberg?«

»Wie meine leere Brieftasche, Herr Graf!«

»Die kann unter Umständen heute voll werden, verstanden?«

»Wird gemacht!«

»Ist dir die Lage von Villa Ludwigsburg bekannt? Alle Seitenstraßen und die Ahornallee bis zu den Ateliers?«

»Jeden Winkel kenne ich. Sind aber alles Stahlhelmer, die dort wohnen. Marxisten und Juden auf der anderen Seite der Bahn.«

»Weiß ich, Tumbich! Weiß ich alles! Also: der Jude fährt eine Frau nach der Ludwigsburg. Das Weib bleibt mir ungeschoren, verstanden? Es kommt mir nur auf den Juden an. Wenn die Karre – die da drüben, die grasgrüne, sie gehört zur Ludwigsburg – von hier absaust . . . dann sofort nach. Nicht aus den Augen lassen. Aus der zweiten Querstraße vor der Ludwigsburg stößt der große Kasten vor und hält den grünen Wagen an. Legitimation nur von dem Juden fordern. Aussteigen lassen; scharf bewacht natürlich. Bei der Dame sich entschuldigen, sehr höflich. Den Juden aber mitnehmen; du, in deinem Wagen. Zwei Mann Begleitung. Dann die Allee hinauffahren, dort verschwindet der Mannschaftswagen. Du fährst im Bogen Richtung Potsdam. Im Glienicker Forst wird der Jude erledigt und an Ort und Stelle eingescharrt. Niemand von den Begleitern erfährt, wer dieser Jude ist. Für Neugierige einfach: ein Jude! Ein Bolschewik! – Hast du verstanden, Tumbich?«

»Spielerei, die Sache. Wird tadellos geschmissen!«

»Du findest mich in meiner Wohnung Potsdam. Lieferst alles ab, was der Jude in den Taschen und auf dem Leibe versteckt hat. Klappt die Sache, hast du zwei Mille verdient. Hier, einen Hunderter als Anzahlung. Und nun aber dalli! Der große Wagen haut jetzt ab, scharfes Tempo, und wartet an Ort und Stelle. Instruiere die Leute.« 139

Der Graf blieb an der Ecke stehen und beobachtete das Lokal. Gerade kam der Fiedler herausgetorkelt, in jedem Arm eins von diesen weichen Weibern, die Rothaarige rechts, die Platin-Gebleichte links. Der Wagen fuhr Richtung Zoo. Also: den Kurfürstendamm hinauf, Joachim-Friedrich-Straße, nach Hause, ins Nest, dachte mit verkniffenen Lippen der Graf.

Der große Wagen mit den SA-Männern fuhr ab. Tumbich war wieder da. Er merkte, wie scharf der Graf das Lokal fixierte, und hielt das Maul. Das Lokal leerte sich. Nur der Jude klebte noch. Der Graf drehte sich einen Moment herum, knarrte Tumbich an: »Ich fahre andere Richtung, verstanden?«

»Ist ein besonderes Klingelzeichen notwendig, wenn ich mich in Potsdam melde?«

»Das Tor ist offen, den Burschen instruiere ich. Zweimal kurz, einmal lang klingeln.«

Jetzt kamen drei Paare aus dem Lokal. Der Jude mit der Prinzessin zuletzt. Weit riß er den Wagenschlag auf. Der Graf gab Tumbich einen Stoß: »Ran an den Speck!«

Die große grüne Limousine rollte die Hardenbergstraße hinauf. Zwanzig Meter danach Tumbich mit seinem Wagen. Der Graf sah hinterher, bis sie in die Bismarckstraße bogen. Dann stieg auch er ein und fuhr den Kurfürstendamm hinauf, die alte Triumphstraße der ersten Judenpogrome, von ihm inszeniert. Immer noch wimmelt es hier herum von diesem Pack und stinkt nach Knoblauch und Geld! dachte der Graf mit einem schrägen Blick aus dem Fenster.

Den ganzen Weg über hatte er den scharfen Wind im Gesicht. Die frostige Feuchtigkeit kühlte sein erhitztes Gesicht. Er kam ins Grübeln und überlegte, was der Jude wohl alles ausgeplaudert haben könnte. Natürlich ist man in seinem Tusculum Gast gewesen, oft stinkbesoffen und der Jude nüchtern. Fatal, wenn er wirklich Einzelheiten von der Chose Reichstag wüßte! Und das Wissen womöglich schon verkauft hätte für teures Geld. In einer Stunde aber, du krätziger Hund, wird dein Knoblauchmaul Erde fressen und die Würmer dich!

Es war fünf Uhr dreißig, als er sich zu Hause auf die Couch warf. Der Diener Fritz mußte ihm einen türkischen Kaffee machen, um die Müdigkeit aus dem Blut zu jagen. Er fuhr sich ein paarmal mit dem Handrücken über die Stirn. Und mit eins hatte er wieder das Geschrei aus dem Folterkeller in der Hedemannstraße in den Ohren. Bei der letzten Inspektion hatte er zweiundvierzig Leute in den Bunkern 140 gefunden. Sieben davon rollten eine Stunde später nach dem Krematorium. Zwei Tage danach bekamen die Angehörigen ein Zigarrenkistchen mit der Asche ins Haus gebracht, den Rest von »Juden und kommunen Hunden«.

»Viel zu wenig! Geht viel zu langsam, die Ausrottung!« murmelte der Graf vor sich hin. Der Diener bezog das auf den Kaffee und sagte, daß er ja noch ein zweites Mal aufbrühen könne.

»Scher dich, Kanaille!« brüllte er ihn an.

Es fiel ihm jetzt die großäugige Jüdin ein. Er angelte das Taschenbuch heraus und suchte die Adresse, die sie ihm hatte notieren sollen. Er blätterte herum und fand sie nicht. Und wieder verspürte er jene gehirnblockierende Stimme, die ihn umsponnen hatte. Eine infame Kreuzspinne, dieses Weib! Teufel, daß es solche Jungens nicht gibt!

Er blätterte weiter und fand endlich die sonderbare Handschrift. Er hob das Buch dicht an die Augen heran und entzifferte mühselig die kleinen, flüchtig hingekritzelten Buchstaben:

»Jud oder Christ: ist beides eins in diesem Staat,
wenn es nicht ja und amen sagt zu der Gewalt
und in den Bunkern, hinter Stacheldraht,
gerädert wird und auf den Bock geschnallt.
Den Rest nimmt sich der Henker vor . . .«

In diesem Moment ging das Telefon. Der Graf riß den Hörer hoch, preßte ihn an das Ohr und schrie in die Muschel hinein: »Teufel noch mal, weshalb denn nicht? Unerhörte Schweinerei! In den Bunker stecke ich dich, Luder, infames!«

Tumbich berichtete vom Büro Hedemannstraße aus, daß der grüne Wagen vor einer vornehmen Pension am Reichskanzlerplatz plötzlich gestoppt hätte. Und als man schnell zugreifen wollte, sei die Prinzessin allein im Wagen gewesen. Wo der Jude entwischt sei und wie und ob er überhaupt mitgefahren wäre, das von der Prinzessin zu erfahren habe man nicht gewagt, weil die Dame einen Mordsspektakel gemacht und mit einer persönlichen Beschwerde beim preußischen Ministerpräsidenten gedroht habe.

Der Graf warf den Hörer wütend auf und schleuderte das blaue Notizbuch in die Ecke. Er stützte den Kopf in beide Hände und grübelte. Er merkte nicht, daß der Diener mit einer zweiten Portion Kaffee kam und sie auf den kleinen runden Tisch stellte, eine ganze Weile stehen blieb, den Grafen betrachtete und sich dann erst verdrückte. 141

Und als es draußen schon anfing hell zu werden und ein Aeroplan flach über die Dächer sauste, so daß die Fensterscheiben klirrten, sprang der Graf mit einem Satz hoch und ging ans Fenster.

Es war ihm jetzt klar, daß die Jüdin den Hellseher gewarnt hatte. Und jedes Wort, das er jetzt vor sich hinzischte, warf einen Hauchflecken auf das Glas: »Ich fasse dich morgen, Jude! Ich fasse dich übermorgen! Und es soll keine Stelle heil bleiben an deinem Leib, ehe die Birne dir auseinanderplatzt!« 142

 


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