Weiß-Ferdl
O mei!
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Der Herr Eschinger.

Eine Hofbräuhausstudie aus dem Jahre 1923.

Eine der schönsten männlichen Tugenden ist die Standhaftigkeit. Mir imponiert ein Mann, der, wenn er einen Standpunkt eingenommen, sich davon – kommt, was will – nicht mehr abbringen läßt. Das ist wirklich ein Mann.

Die Frauen, die bekanntlich an uns Männern nie ein gutes Haar lassen – bei manchen haben sie auch kein schlechtes mehr daran lassen – haben auch für so eine herrliche männliche Tugend nur ein spöttisches Lächeln und nennen so einen aufrechten deutschen Mann: einen Dickschädl. 157

Der Herr Eichinger, das war so ein tapferer Held. Er hat den Stürmen der Zeit getrotzt. Selbst die Revolution hat ihn nicht aus der Ruhe bringen können. Täglich ist er nach wie vor an seinem Stammtisch gesessen. Selbst die stärkste Eiche neigt sich, wenn ein starker Sturmwind über sie hinwegfegt; einmal ein bisserl nach rechts oder links – wo halt grad der Wind hergeht – aber die Wurzeln und der Stämm bleiben am Platz. Keine Räteregierung, keine Bierpreiserhöhung, kein Ausnahmezustand hielt ihn ab von seinem Stammtisch. Hut ab vor so viel Charakterstärke.

Der Eichinger war ein Mann Anfang der Fuchziger, gut untersetzt, hatte ein schönes Bäuchlein, das Naserl schimmerte ein bißchen rötlich, der Schnauzbart hing entsagungsvoll darunter, die Bartenden waren von dem Biergenuß etwas gestärkt. Wenn er sich ärgerte, dann sträubten sie sich wie bei einem Schnauzl. Heut war wieder so ein Tag. Das Bier ist wieder um fünfzigtausend Mark teurer geworden. Nicht der Hektoliter, nein – eine Maß Bier! Über Nacht um 50 000 Mark teurer. Heutzutage kann man das gar nicht mehr begreifen, was das für Zeiten waren. Es darf einem daher nicht wundern, wenn selbst ein so gerader Mann, wie der Herr Eichinger, in seinen Anschauungen irr geworden und anderen Einflüssen unterlegen ist.

Der gute Eichinger kam mit seinem Maßkrug, mit gesträubtem Schnauzbart, böse Blicke auf die Schänk werfend, an seinen Stammtisch und schimpfte: »Saubande, ausgeschamte, Diebsgsindl!« Er trinkt sich in die Wut hinein und lästert weiter: »A Gerechtigkeit gibts ja heutzutage nimmer! – Da ghört ein Gesetz her, das vorschreibt, was das Bier 158 kosten darf. So ein wichtiges Volksernährungsmittel, das ghört geschützt von der Regierung! Aber unsa Regierung – ah.« Dieses »ah« klang verächtlich und wurde auch noch durch eine wegwerfende Handbewegung unterstrichen. »Dö kümmern sich um alls, bloß net um dös, was sie sich kümmern solln! Pech und Schwefl solls regna und nacha da Blitz neischlagn, daß alls in d' Luft gang!«

In der Nähe stand ein wenig vertrauenerweckendes Individuum mit zerrissenem Sakko und ausgefransten Hosen; dazu einen schmierigen Pullover und ein zerbeultes Kappl auf dem unrasierten Kopf. Es war ein nicht ganz unfreiwilliger Arbeitsloser, angeblich ein Kommunist. Die umstürzlerischen Worte des Herrn Eichinger lockten ihn an, er kam mit seinem ergatterten Noagerl heran und setzte sich zum Eichinger. Der betrachtete ihn ein wenig mißtrauisch, aber der Volksredner fing gleich an und enthüllte sein Programm:

»Ganz meine Meinung, Herr Nachbar! Aber d' Leut san ja selba schuld. Wer ziagt uns denn am meisten aus, uns Arbeita? Wer denn? Burschoasie, sonst neambd! Sehngs, Herr Nachba, i bin a Kommunist, dös sag i eahna offen ins Gesicht. I sag, das, was da ist, soll alle mitananda ghörn, net bloß aa paar Großkopfate! Sehngs, Herr Nachba, Sie trinken aa 's Bier gern, i aa, muaß dös sei, daß das Bier so teuer is, daß ma sichs net leisten kann? Nein, sag ich, das ging anders aa. Das ghört so gemacht: Wer a Bier will, geht ins Wirtshaus und trinkt so viel als eahm schmeckt, nacha geht er hoam. Zahln tuat er nix. Geht dem Wirt 's Bier aus, telefoniert er an die Brauerei, schickts ma aa Bier. Geht dem Bräuer das Bier aus, telefoniert er an 159 den Bauern, schick uns an Hopfa! Da Bauer braucht doch koa Geld, der Hopfa wachst ja von eahm selba, der kost eahm ja nix. – Sehngs, Herr Nachba, auf die Weis kummatn mir zu an billigen Bier, Dividenden gabs da freili koa zum Verteiln! So is mit allem anderen aa.«

Der Herr Eichinger schaute verwundert auf den Verkünder einer herrlichen Zeit. Die Geschichte mit dem billigen Bier war ihm nicht unsympathisch. Er nickte bedächtig beistimmend. Das spornte den Kommunisten an, und mit erhobener Stimme ging es weiter:

»Herr Nachba, muaß dös sei, daß oana fuchzg Häuser hat, und der andre muaß im Straßengrabn schlaffa? Muaß das sei? Muaß das sei, daß oana jeden Tag seinen Wein- und Sektrausch hat, und mir könnan uns kaum a Halbe Bier leisten? Muaß das sein? Muaß das sei, daß der Stinnes hundertlei G'schäfta auf amol hat, und i bin arbatslos. Könnte der net hergehn, der Stinnes, und zu mir sagn: ›Da, Bruder, nimm du das Kohlnbergwerk, i glang mit die oan neunaneunzg Gschäfte a no?‹ Aber der sagt das net! Sehngs, der Stinnes is aa so g'stellt, der könnt sich jeden Tag zehn Räusch ansauffa, wenn er möcht! Können wir das? – Is das eine Gerechtigkeit? – Pfui Teifi!«

Der Herr Eichinger war von den gehörten Weisheiten in seinen Grundfesten erschüttert. »Ja, ja, da habn Sie eigentlich ganz recht. – I sag 's eahna wias is, i hab allweil gmoant, dö Kommunisten san Bazi, aber wia Sie mir dös da jetzt expliziert habn, das mit 'n Bier, das war scho net dumm. Da hamm Sie aa recht, das brauchts net, daß aa solcha wia der Stingl – wie hoaßt er?« – »Stinnes«, 160 korrigierte sein Nachbar. »So, Stinnes, i kenn an net, ins Hofbräuhaus kommt der scheints sich nia rei, der könnt ja mit uns macha, was er wollt. Der könnt ja 's Hofbräuhaus kaaffa und aa Soafafabrik draus macha? – Na, na, da habn Sie ganz recht. Prost, Herr Nachba!«

Der Kommunist ging befriedigt, wieder einen Mann für die Weltrevolution erobert zu haben. Der Herr Eichinger saß allein und brummte etwas von der Sau-Burschoasie. Doch blieb er nicht lang allein. Ein junger Mann, der am Rockaufschlag ein Hakenkreuz stecken hatte, setzte sich zu ihm. Damals war das noch eine Seltenheit, es gehörte Mut dazu, mit diesem Zeichen in das Hofbräuhaus hineinzugehen. Der junge Mann schmunzelte über die Aufgeregtheit des Herrn Eichinger, nahm einen kräftigen Schluck Bier und sagte: »Gell, jetzt hockts da, ihr Bierdimpfl, schimpfts über die Bierpreise und schauts recht dumm. Aber es gschieht euch ganz recht! – Wer is denn schuld, daß alles so teuer wird? –« Der Eichinger wollte grad sagen d' Burschoasie – aber bis er das Maul aufbrachte, fuhr sein Gegenüber schon fort: »Das internationale Börsenkapital ist schuld an dem Elend, sonst niemand! Glauben Sie, Sie können ein Stückerl Brot essen, wo net schon der Mehljud was verdient hat dran? Glauben Sie, Sie können ein Stückerl Wurst oder Fleisch essen, wo nich der Viechjud sich d' Händ abgschmiert hat? Glauben Sie, Sie können einen Schluck Bier trinka, wo net der Hopfajud sein Rebbach verdeant hat? – Ja, ja, euch gengan schon amol die Augn auf, wenns amol Nachmittag ins Hofbräuhaus gehn wollts und stattn Hofbräuhaus steht a Synagog dort. Dann spannts ös erst!« 161

Der junge Mann trank aus, stand auf und ging. Der arme Eichinger saß ganz niedergeschlagen da. Erst nach einiger Zeit war er soweit, die Tragweite des eben Gehörten zu begreifen. Er nickte bedächtig für sich hin und sagte halblaut zu sich selbst: »Der Mann, der wo da gesessen is, der hat vollkommen recht. Dö Saujudenbande, dö ausgschamte!«

Bald darauf kam ein Mann mit einem dunklen Havelock, musterte ihn mißtrauisch und fragte: »Is hier frei?« Der Eichinger nickte. Der Neuangekommene musterte ihn noch kurze Zeit; als er den unzufriedenen Zug in seinem Biergesicht bemerkte, nickte er und fing erst vorsichtig die Gesinnung erforschend an: »Schöne Zuständ hamm ja jetzt in unserm Bayernlandl! Es kommt noch so weit, daß uns mir Einheimische bald koa Halbe Bier mehr leisten können!« Er blickte lauernd auf Eichinger, als dieser grimmig brummte, fuhr er fort: »Wer is denn schuld? – Preißn! – Habn Sie's glesen, im Reichstag habns die narrische Hopfensteuer genehmigt. Die Bayrische Volkspartei hat zwar dagegen gestimmt, aber die andern habns niedergschrien. Dö Preißn! So weit habn ma's gebracht, daß die da oben bestimmen, was bei uns 's Bier kosten derf!« – Er lachte bitter. »Geschieht uns ja ganz recht. Das ganze bayrische Volk ghört in an Wurschtmaschin nei und a Berliner Preßsack draus gmacht, daß uns leichter freßn könna!«

In dieser Tonart ging es weiter, und als auch dieser Tischnachbar den guten Eichinger verließ, war er vollkommen überzeugt, daß nur die Malefiz-Preißen an allem Unglück schuld sind.

Ein altes Sprichwort sagt: Wenn man den Esel nennt, kommt er grennt. Ausgerechnet stieß ein 162 Vollblut-Berliner an der Schenke mit dem Partikularisten zusammen. Der Berliner ergriff das Wort – und behielt es. »Watt willste? Dir is wohl lange keen Ooge uft' Oberhemde jekullert? – Koof dir 'n Kranz und wart uf 'm Kirchhof, bis de dran bist – uffjewärmte Leiche. – Ick spuck dir in die Fresse, dette acht Tage unter Wasser stehst! – Affe! – Jrüßen Sie Ihre Waschfrau und sachen Se, ick bin dajewesen! –«

Das sprudelte nur so heraus, ohne Pause. Die anderen Hofbräuhausgäste lachten. Es waren eben gutmütige Leute, sie nahmen ihn und sein Geschimpfe nicht ernst.

Der Berliner war gerade am Tisch des Eichinger angekommen, setzte sich zu ihm, und sofort ging es wieder weiter: »Hab'n Sie sowatt jesehn? – Wie mir dett Eckl anjehaucht hat? – Ick denke, der Affe laust mir – und dett heißt sich bayerische Jemütlichkeit? Ick danke dafor! Pröstchen!«

Der Berliner trinkt. Eichinger blickt hilfesuchend umher, doch niemand steht ihm bei.

»Schmeckt jut, die Dividendenjauche! – Dett is man ooch die eenzige Industrie in Bayern, die wat taugt! – Reden Sie nich, Männeken, ick kenne das, ick hab ooch bei Lehmanns jedient! – Wat wollt ihr Bayern alleene ohne uns Preußen machen? – Nischt? Ick lach mir 'n Ast und setz mir druff! Jarnich daran zu denken! – Reden Sie nich – ick bestreite alles und behaupte das Jejenteil!«

Eichinger dachte gar nicht daran, etwas zu erwidern. Es wäre ihm auch gar nicht möglich gewesen, denn die Pausen zwischen den einzelnen Sätzen waren so kurz, daß er nicht einmal sein Maul aufbrachte. Der Berliner winkt der Kellnerin: »He, 163 Sie junge Frau mit dem ollen Kopp, bringen Sie mal für mich und meinen Freund Aujust (er deutete auf Eichinger) een Maßl Bier uff meen Konto – reden Sie nicht – ob Zwiebel oder Bolle, dett spielt hier keene Rolle! Jawollja sprach Ollja! – Wat kriejen wir schon von Bayern? Nu, wat kriejen wir schon? – Een bisken Butter un een paar Käseleibchen. Du lieber Jott, det trägt die Katze uff 'n Schwanz weg. Nu, un von wejen der paar Ochsen, die mal zu uns ruffkommen – da jarantiere ick Ihnen, Männeken, da jarantiere ick Ihnen, da kommen zehnmal mehr von Preußen nach Bayern! Haben Sie ne Ahnung! Wat will denn Bayern, wenn wir keene Kohle jeben? Abjehängt seid ihr – reden Se nich – Walchenseewerk, schön, jut, kann sich Muttern mal nen Kaffee uffwärmen – aber Ersatz für Kohle nee, ett jinge wohl, aber et jeht nich! – Wat habt ihr denn in Bayern? Nischt habt ihr, Schulden habt ihr – und die hatt ihr nich, wenn wir nich jewesen wären! – Tjawoll ja! Nee nee. Alle Mann an Bord. Bayern, Schwaben, Sachsen, Hessen, Baden und wir Preußen an der Spitze – quasseln Se nich, dafür sin wir da –, und es jeht wieder uffwärts!«

Der Herr Eichinger ergab sich still in sein Schicksal, es blieb ihm sonst nichts übrig. Einmal, als der Berliner gerade trank, war es ihm sogar möglich, einzuwerfen: »Jawohl, da hamm Sie vollkommen recht!«

Sie blieben noch lange beieinander sitzen, vertrugen sich sehr gut. Als der Eichinger an diesem Tag heimging, hatte er einen furchtbaren Rausch und wußte nicht mehr, ob er ein Mandl oder ein Weibl war.

 


 


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