Weiß-Ferdl
O mei!
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Ja, hast denn Du mein Briaf net kriagt?

Dieser Satz, laut, entrüstet, mit weit aufgerissenen Augen gesprochen, wirkt immer noch. Man muß dabei den Betreffenden oder die Betreffende ehrlich fest, aufs äußerste überrascht und betroffen anschauen, die Unterlippe wie ein schnappender Karpf vorschieben und als ob man das Unglaubliche nicht fassen kann, den Kopf leise schütteln und vielleicht noch einmal wiederholen: »Sag', hast Du mein Briaf wirkli net kriagt?« – So richtig gesprochen, muß der Satz wirken und wird dir von deiner großen Unterlassungsschuld etwas wegnehmen und dafür der Post, die bei dem jetzigen Durcheinander leicht einmal ein bißchen versagen kann, etwas hinaufwälzen. Die Ausrede ist nicht mehr ganz neu, bei besonders Hellhörigen, Gewitzigten und solchen, die selbst in diesem Fach nicht ganz unerfahren, dürfte er wenig Aussicht auf Erfolg haben. Aber Gottlob gibt es immer noch unverdorbene, brave Menschen, die den Glauben an das Gute noch nicht verloren. Hier ist der Satz am Platz.

Er stammt natürlich von einem Dichter, denn nur Dichter haben ein so harmloses, glaubensstarkes Gemüt. Diese glauben tatsächlich, daß die Menschen das glauben, was sie selbst glauben. In dem Bauernstück »Jägerblut« hat ein Forstgehilfe mit einer Sennerin eine intimere Aussprache auf einer einsamen Alm oben gehabt, die nicht ohne Folgen blieb. Der Forstgehilfe wurde bald darauf versetzt und hat – damals war die Nachrichtenübermittlung noch nicht so gut organisiert – keine blasse Ahnung gehabt, daß die Sennerin ein Knäblein gebar, welches in der reinen Bergluft auch ohne 116 Vatersegen prächtig gedieh, groß und stark wurde und in seinen Adern Jägerblut spürte. Da der Bursche aber nicht staatlich angestellt war, kam er mit dem Wilderergesetz in Konflikt. Der strenge Herr Förster, das war der rechtzeitig versetzte ehemalige Forstgehilfe, wollte unerbittlich den ertappten Wildbretdieb dem Gericht übergeben. Da griff die Mutter ein und meinte etwas bissig: »Der arme Bua hat halt 's Jagern im Bluat und der Herr Förster wird es am besten wissen, wo der Bua dös her hat!« Da hauts den bisher ahnungslosen Förster hin, fassungslos starrt er sein ehemaliges Liebchen an und spricht als einzige Entschuldigung den klassischen Satz: »Ja, hast denn Du mein Briaf net kriagt?« Dann geht alles noch gut hinaus, der Bua kriegt sofort eine Anstellung in der Försterei – aber mit einem Haar hätte der Vater seinen erblich belasteten Buam ins Zuchthaus gebracht – und wer wäre dann Schuld gewesen? Die Schlamperei von der Post. Also aus dem »Jägerblut«, in welchem Konrad Dreher und Xaver Terofal viele Male mit dem Bader Zangerl ihre Zeitgenossen erfreuten, stammt dieser herzig naive Satz. Im Lauf der Jahre ist er von vielen Missetätern beiderlei Geschlechts gebraucht und etwas abgenützt worden. Trotzdem, gut gebracht, wirkt dieses Dichterwort auch heute noch. Nur bei Behörden, Finanzamt, Amtsgericht, Stadtkasse usw. bleibt es – ich hab's ausprobiert – ganz ohne Wirkung. Die Leute haben eben für Dichtungen nichts übrig. Aber wie gesagt, im Umgang mit netten, lieben, nicht zu aufgeklärten Menschen kann man sich ab und zu noch aus der Klemme ziehen mit dem Satz:

»Ja, hast denn Du mein Briaf net kriagt?« 117



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