Weiß-Ferdl
O mei!
Weiß-Ferdl

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Erinnerung an Münchner Frühstückslokale.

(Franziskaner, Spöckmeier, Drei Rosen, Donisl, Bratwurstherzl.)

Sie waren keine unersetzlichen Kulturwerte, aber für die Münchner sehr schmerzliche Verluste. Es waren wohl die bekanntesten und beliebtesten Frühstückslokale im Herzen von München. Während man den Donisl meistens nur nach durchbummelter Nacht besuchte, kannte jeder Münchner und auch jede Münchnerin die anderen Lokale schon meistens von der Firmung her. Nun liegen auch diese Zeugen froher Lebensfreude in Schutt und Asche. Beim Bratwurstherzl steht neben einem großen Schutthaufen ein von optimistischer Lebensbejahung zeugendes Schild: »Vorübergehend geschlossen.«

Liebe Münchner und Münchnerinnen, laßt uns ein wenig von den unvergeßlich schönen, frohen Stunden, die wir in diesen Räumen verlebt, plaudern! Was bleibt uns sonst noch, als von schönen vergangenen Tagen zu reden und uns an dem erfreuen, was wir erlebt und genossen? Das, Gottlob, konnte uns keine Bombe nehmen, das haben wir gehabt. Deshalb freuen wir uns der schönen, nie mehr kehrenden Stunden! Vielleicht gelingt es, für kurze Zeit zu vergessen, daß rings herum geborstene Trümmer und verkohlte Balken in den kalten Himmel ragen.

Das Bratwurstherzl, versteckt in der Nähe der Fischhalle am Viktualienmarkt, war wie der Donisl in der Aufmachung sehr einfach gehalten und lud nicht zu längerem Verweilen ein. Dafür aber behaupteten Kenner hartnäckig, daß es dort die 120 allerbesten Weißwürst gegeben hat. Leicht möglich, denn dort verkehrten die Fachleute, die Bankmetzger. Auch unseren großen bayrischen Schriftsteller Ludwig Thoma sah ich einmal dort mit hochbefriedigter Miene seine Weißwürste schnabulieren. Der Mann ist mir maßgebend in solchen Dingen. Auf der Überfahrt nach Amerika, mitten auf hoher See flüsterte mir plötzlich ein Mann mit verklärten Augen ins Ohr: »Einen Wunsch hätt ich – ein paar Weißwürst vom Bratwurstherzl.« Der Zauber dieser gemütvollen Münchner Frühstücksstuben verfolgte die Menschen über Land und Meere, auch in New-York seufzte ein dorthin Verbannter: »Hundert Dollar tät ich auf den Tisch legen für ein paar Weißwürst und ein Glas Märzen vom Franziskaner!« Schön war es, wunderschön, der poetische Wiener würde sagen: »Es war ein Stückerl vom Himmi.«

Einmal, nur ein einzigesmal möchte ich die Tür zu einem der genannten Lokale aufstoßen können und das behagliche Gesumm und Gebrumm, vermischt mit hellem Lachen, Tellerscheppern und Gläserklirren hören, das einem entgegenschwirrte und einem sofort in seinen Bann zog. Wo seid ihr hingekommen, ihr seligen, sorglosen Zeiten? Um elf Uhr war dort kein Stuhl mehr zu kriegen. Da trafen sich die guten alten Freunde, solche, die das Schicksal in die Fremde verschlagen, hier trafen sie ihre Jugendfreunde, ein Begrüßen und Erzählen, ein Versinken in wohlige Gefilde. Wie herrlich schmeckten die prallen Würste, eingetaucht in Senf und nach Münchner Art durch die Zähne gezogen, dazu die knusperigen Laugenbrezen und das frische, schäumende Märzenbier! Jeder war mit 121 Lebensfreude bis oben angefüllt und steckte davon seine Mitmenschen an. Eine Atmosphäre von Behaglichkeit, Zufriedenheit und harmloser Lebensfreude herrschte dort und teilte sich jedem mit. Man kann es mit Worten nicht schildern, man muß es selbst erlebt haben. Aber nicht nur Begüterte konnten sich das erlauben, auch wer schlecht bei Kasse war, konnte sich im Hausgang bei Spöckmeier und Franziskaner um 6 Pfennig eine gute Fleischsuppe, am Mittwoch um 10 Pfennig eine prima Leberknödelsuppe leisten. Jeden Tag gab es um ein Zehnerl einen schönen großen Teller voll Lüngerl. Mancher wäre jetzt um so ein Mittagessen froh. Die Menschen waren glücklich und zufrieden, die Herzen freigebig und oft wurde einem armen Teufel Weißwürst und Bier von einem unbekannten Spender hingestellt. Nicht nur die Weißwürste, auch die guten Eigenschaften der Menschen schwammen ganz oben.

Am fröhlichsten und von allen Kümmernissen frei war die Zeit vor 1914. Der Franziskaner – couleurfähig – war die Hochburg der akademischen Jugend. Oft mischte sich in den Weißwurstnebel der süßliche Geruch von Karbol, denn das war besonders fesch: unmittelbar nach der Mensur, mit verbundenem Kopf, sofort zum Franziskaner! Bewunderung heischend blickten die Augen unter der noch blutdurchsickerten Binde um das geschlagene Haupt umher, als sagten sie: »Bin ich kein Held?« Das Halloh erst, wenn der Gegner mit einem noch größeren Verband ankam. Ja, das waren noch herrliche Zeiten; weil gar nichts los war, weil uns niemand etwas tat, schlugen wir uns vor lauter Übermut selber die Schädel ein. 122

Im Franziskaner war auch der Stammtisch der Herren Offiziere, gezeichnet durch gekreuzte Säbel über dem Tisch. An das Kommandieren gewöhnte Stimmen ertönten schneidig, klar: »Herr Major, mein spezielles!« »Gehorsamsten Dank, Herr Oberst!« Plötzlich spritzte alles ehrerbietig auf. »Darf ich Eure Exzellenz bitten, den Vorsitz zu übernehmen?« Schon bestellte die alte Marie eindringlich am Büffet: »Zwei Paar für d'Exlenz!« und zum Kellnerlehrling gewandt: »An Bierwärmer net vagess'n!« An diesem Tisch mit den Herren mit graden, buschigen Schnauzbärten ging ich immer mit betont gerader Haltung vorüber. Ich hatte Angst, es könnte einmal einer tadelnd rufen: 124 »Noch einmal zurück!« Im Sommer waren in dem winzig kleinen Höfchen, das auf der Hausseite mit einer schönen alten Holzveranda eingerahmt war, einige Tische aufgestellt, flankiert von ein paar Birken, die auf alten Konservenbüchsen ruhten. Sehr nahe war der Eingang zu den Toiletten, trotzdem hieß dieses Eckerl: »Riefüera« (Riviera). Von der Metzgerei herauf hörte man das gleichmäßige Klopfen des frischen Brats, am Herd standen die mächtig großen Emailtöpfe mit dem warmen Wasser, in welchen die köstlichen Weißwürste zogen – ja nicht siedeten! Fachkundige Finger befühlten von Zeit zu Zeit die kostbare Ware, ob sie schon fertig waren. Ringsherum brandete die weißwurstlüsterne Menge, Hunderte von Zeitungsverkäufern und Hausierern fanden bei den frohen freigebigen Menschen guten Verdienst; erst wenn vom Rathausturm das Glockenspiel herüber tönte, wurde es allmählich ruhiger.

Leb wohl, du liebes, schönes, herrliches München! Es braucht sich keiner zu schämen, wenn er an so einer Stätte vorbeigeht, wo er so viele herz- und gemüterfreuende Stunden verlebt und in Anbetracht der wüsten Zerstörung sich schnell über die Augen fährt. Wir wissen, was wir verloren. Nach einem alten Wienerlied möcht ich euch allen zurufen:

»Sechts Leuteln, so wars anno zehn no bei uns
und die Zeit, die kommt nie mehr zurück.« 125



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