Weiß-Ferdl
O mei!
Weiß-Ferdl

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Es gibt so nette Leute!

Eines der schönsten christlichen Gebote heißt: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« Schön, wunderschön – aber schwer zu halten. So zum Beispiel bei der Münchner Trambahn. Der Schaffner 49 hat schon gebimmelt, draußen schiebt und drückt sich die Menge. Grad hast du noch ein winziges Plätzchen am Trittbrett erwischt, willst dich kühn hinaufschwingen, da kommt so ein lieber »Nächster«, drückt dich weg und fährt davon – und so einen sollst du lieben, wie dich selbst. Nur ein Heiliger bringt so etwas fertig. Wenn dir ein Windstoß deinen – einzigen – Hut vom Kopf reißt und er kollert über die Straße, freun sich die lieben Nächsten. Bleibt er dann auf einem Dreckhaufen liegen, grad willst du ihn fassen, da kommt noch einmal ein Windstoß und treibt den Hut weiter. Oh, wie ist das lustig – für die Zuschauer! Da brüllen sie vor Vergnügen. Nun treibt aber der Wind deinen Hut direkt einem Mann vor die Beine, hilfsbereit tritt der mit seinen dreckigen Stiefeln drauf, da schrein die Leut noch mehr. Du schreist auch: »Um Gotteswilln, mein neuer Hut!« In dem Augenblick, wo du den Hut fassen willst, hebt der Mann seinen Fuß auf und läßt ihn wieder laufen – alles schreit vor Vergnügen.

Es gibt so nette Leute!

Wenn es ruchbar wird, daß einem seine Frau durchgebrannt ist, kommen liebe Menschen und fragen teilnahmsvoll: »Ist die Frau nicht daheim?« »Verreist? – Allein? – So, so! – Hm, grad jetzt, wo ein Mann die Frau so notwendig braucht, fahrt die in der Welt herum! – Die hat sicher einen Andern?! – Hat sie viel Geld mitgenommen???«

Es gibt so nette Leute!

Wenn dich ein besoffener Lümmel anrempelt und schließlich, statt sich zu entschuldigen, noch lustig auf dich losschlägt – gleich stehen die lieben Nächsten 50 im Kreis herum und betrachten mit Hingabe diese billige sportliche Veranstaltung. Wenn du aber einen Zeugen brauchst – dann hat gar niemand hingeschaut.

Es gibt so nette Leute!

Hingegen gibt es wieder solche mit bewundernswertem Gedächtnis. Da hat sich einer mit viel Mühe und Schmiere in einer Ruine ein kleines Laderl ausgebaut. Unermüdlich ist er tätig, ein bißchen Ware aufzutreiben. Es gelingt ihm, das Geschäft geht, das kleine Laderl ist voll von einkaufslustigen Menschen. Der Geschäftsinhaber freut sich, arbeitet und schwitzt, da hört er einen lieben Nächsten sagen: »Das wundert mich, daß der ein Geschäft hat aufmachen dürfen – wenn ich mich nicht sehr täusche, war der doch einmal Luftschutz-Blockwart!!!«

Es gibt so nette Leute!

Am besten lernt man seine lieben Nächsten kennen, wenn es einem schlecht geht. Zum Beispiel: deine Wohnung ist beschlagnahmt, verzweifelt rennst von einer befreundeten Familie zur andern: »Bloß ein Zimmer wenn ich hätt, bis ich was gefunden hab?« »Bei uns gehts leider net, mir habn gar keinen Platz. Wenn du aber deine schönen Teppiche bei uns auslegen willst, haben wir nix dagegen. Bei uns wären sie sehr gut aufgehoben, da passiert gwiß nix – denn mir warn ja gaar nirgends dabei!«

Es gibt so nette Leute! 51



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