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Eudämonologie.

Verehrte Leser und Leserinnen, ohne humanistische Bildung, erschreckt nicht vor diesem Wort. Auch ich hab nicht gewußt, was das heißt, aber das Wort hat mir gefallen. Her mit dem Lexikon, was heißt das?? Es stammt aus dem Griechischen und heißt: Glückseligkeitslehre«.

Also schon die alten Griechen vermißten, trotz ihrer hohen blühenden Kultur, die Glückseligkeit. Was müssen doch die jungen Menschen in der ganzen gesitteten Welt alles von den alten Griechen lernen! Wo ist das Lehrfach »Eudämonologie« geblieben? Wie kann man so ein wichtiges Fach, das die ganze Menschheit aufs tiefste bewegt, einfach fallen lassen? Was ist für den Menschen wichtiger: zu wissen, wie weit der Mars, die Venus von uns entfernt – oder ob er glückselig ist? Ich halte das Letztere für viel erstrebenswerter.

Warum ist diese beglückende Wissenschaft auf unseren Lehranstalten nicht vertreten? Wenn ich was zu sagen hätte, dürfte keiner Staatsbeamter 83 werden, wenn er in der Eudämonologie nicht mindestens einen »Zweier« gehabt hätte.

Es muß einen Haken haben mit dieser Wissenschaft. Es sind Aufzeichnungen der Ägypter, Babylonier, Assyrer, die Dichtungen von Homer und Plato da – von der Glückseligkeitslehre hört man nichts.

Wahrscheinlich waren keine Erfolge nachzuweisen. Religionen und Staatsformen predigen und versprechen die Menschen glücklich zu machen. Die Religionen haben den großen Vorteil, ihren Anhängern zu versprechen, wenn sie auf dieser Welt leiden müssen, werden sie dafür im Jenseits entschädigt. Zweifler vermissen hier die bestätigenden Unterlagen. Auch den vielen Staatsreformen ist es bisher noch nicht restlos geglückt, die Menschen glückselig zu machen. Durch alle Jahrhunderte klingt der immer wiederkehrende Seufzer: Ja früher – in der guten, alten Zeit!!

Die Angelegenheit »Glückseligkeit« muß energisch in die Hand genommen werden! Wer ist da zuständig? Das Kultusministerium oder die Philosophie? Nun muß ich offen gestehen, ich hab zu den Philosophen als Weltverbesserern wenig Vertrauen. Mir ist der Erfolg maßgebend. Wie sollen sie andere Leute glücklich machen können, wenn sie in ihrem eigenen Leben Schiffbruch gelitten haben?

Fangen wir bei dem allbekannten Diogenes an. Er lag vor seinem Behelfsheim, einer alten Tonne, dürftig gekleidet, vermutlich unrasiert und ließ sich von der Sonne anscheinen. Da nahte mit großem Gefolge der prächtige, siegreiche Kaiser Alexander der Große. Wahrscheinlich von einem aus seinem Gefolge auf den sonderbaren Kauz aufmerksam 85 gemacht, hielt er, der Glänzende, vor dem zerlumpten Philosophen an und fragte in kaiserlicher Geberlaune: »Hast Du einen Wunsch?« Was erlaubte sich dieser zynische Habenichts dem siegreichen Feldherrn zu antworten? »Geh mir aus der Sonne!« Allerhand Frechheit! Es beweist erstens, daß der Bursche nie beim Militär war, zweitens, für einen Philosophen einen großen Mangel an Lebensart und jegliches Fehlen des Erfassens einer günstigen, nie wiederkehrenden Gelegenheit.

Wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre, hatte ich Haltung angenommen und gesagt: »Großer, ruhmreicher, unbezwinglicher Feldherr, wenn es Euch keine Umstände macht, schenkt mir ein kleines Häuschen mit sonnigem Garten – abgabefrei – und eine kleine bescheidene Lebensrente dazu!« – So hätte ich es gemacht und hätte dann zeitlebens sorgenlos in der Sonne liegen können.

Das beweist, daß ich vielleicht geschaftstüchtiger zu denken verstehe als der alte Diogenes, dafür steht aber er noch 2000 Jahre nach seinem Tode in allen Lexikonen, was mir kaum passieren dürfte. – Trotzdem wär mir das Häusl – wo es damals noch keine Beschlagnahme gegeben hat – lieber gewesen.

Der zweite Fall, Sokrates, ein ganz großer Weiser und Philosoph. Er war verheiratet mit der, obwohl sie sich nicht mit Philosophie befaßte, trotzdem weltbekannten Xanthippe. Man kann es dieser armen Frau nicht verübeln, wenn ihr hie und da die Galle hochgestiegen ist und sie ihm die Meinung dann ins Gesicht sagte. Da half ihm dann seine ganze Sophistik nichts. Das geht nicht, daß sich ein verheirateter Mann Tag und Nacht philosophierend und was weiß ich sonst noch alles herumtreibt und 87 sich um seine Frau und das Haushaltungsgeld gar nicht kümmert. Wenn man Lehren über das Gewissen verbreitet, muß man auch das wissen. Sein trauriges Ende ist ja bekannt. Er wurde verurteilt, den Giftbecher zu trinken. Wenn so was schon vor mehr als 2000 Jahren passiert, kann man wenig Vertrauen zu diesem Beruf haben. Wenn ich einen Sohn hätte und der würde zu mir sagen, er möchte Philosoph werden, würde ich sagen: »Nein, lern was G'scheites!« – Die gebildete Welt wird über meine Ansicht empört sein. Aber ich kann mir nicht helfen, ich bleib dabei.

Geistig hochstehende Leser werden nun nicht mehr weiterlesen und sich denken: Mit so einem Bornierten – sie benützen gerne Fremdwörter, um ihre geistige Überlegenheit zu beweisen – kann man sich nicht abgeben!

Einige Zeitgenossen werden vielleicht doch – aus Neugierde – weiterlesen. – Philosophen sind die schärfsten Denker, die unermüdlichsten Forscher, die Weisheitsfreunde. Dank ihrer Geistesschärfe bleibt ihnen nichts verborgen. Mit ihrer kristallklaren Logik beweisen sie die unfaßlichsten Dinge.

Man möchte nun meinen, daß die anderen Sterblichen bewundernd und zerknirscht zu diesen Geistesleuchten hinaufschauen. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil – viele äußern sich sogar sehr respektlos über diese Denker. Sehr viele wissen gar nichts von Philosophie. Schopenhauer behauptet, fünf Sechstel der Menschheit seien nicht erleuchtet – und fühlen sich gar nicht unglücklich dabei. Der Nachsatz ist von mir.

Wie steht es nun mit dem einen erleuchteten Sechstel, sind die recht glückselig? – 88

Nein und dreimal nein! Philosophen können nicht glücklich sein, denn sie sind die ewigen Skeptiker, Zweifler, die die Welt nur als Jammertal sehen. Schon Aristoteles sagte: »Alle genialen Menschen sind melancholisch«. Einen Satz von Schopenhauer muß ich Ihnen anführen, um damit zu zeigen, wie wenig der große Philosoph es verstand, seinen Mitmenschen Freude und Lebensmut zu geben. Der lautet: »Im späten Alter erregt jeder verlebte Tag eine Empfindung, welche der verwandt ist, die bei jedem Schritt ein zum Hochgericht geführter Deliquent hat!« Dabei hat sich der Gelehrte mit 38 Jahren schon alt gefühlt. Jetzt versteh ich ohne weiteres, warum die Glückseligkeitslehre nicht gedeihen konnte. Dazu kommt auch noch, daß die Philosophen – weil sie so weltentrückt sind – meistens Not leiden müssen, außerdem von allen Menschen nicht verstanden – ja sogar von ihren eigenen Kollegen mißverstanden und angefeindet werden.

Was nützt denn das, wenn man bei Lebzeiten verspottet wird, ein Leben voller Sorgen führen muß und erst dann, wenn schon die Gebeine bleichen, das, was man erdacht, erforscht, anerkannt wird und andere Menschen, die vielleicht mitgespottet haben – Verleger und Buchhändler – Geld damit verdienen. Nein, ich möcht kein Philosoph sein – das sind beklagenswerte Menschen.

Gelehrte, weise Männer werden, wenn sie dies lesen – ich hoffe, sie haben schon vorher zu lesen aufgehört – mißbilligend ihr Haupt schütteln und sagen: »Wo wäre die Menschheit, wenn diese großen Geister uns nicht aufgeklärt hätten!«

Mein Beruf ist nicht, die Menschen aufzuklären, sondern aufzuheitern und ich hab mich recht wohl 89 gefühlt dabei, außerdem ist es mir die meiste Zeit nicht schlecht gegangen dabei.

Vom menschlich praktischen Standpunkt aus gesehen, war mein Los glücklicher als das mancher Philosophen. Schon meine Großmutter, die gar nichts mit Philosophie zu tun hatte, sagte: »Viel Wissen macht Kopfweh!« – Gewiß, wenn das, was menschliche Gehirne erforschen, zum Heil und Segen der Menschheit ist, dann beug ich mich ehrfurchtsvoll vor diesen Menschheitsbeglückern.

Oft drängt sich mir die Frage auf: »Sind wir nicht schon zu gescheit?!« Viele Zeitgenossen werden mit mir sagen: »Wenn es doch bei dem einen mißglückten Flugversuch des Ikaros geblieben wäre!«

Wenn die Forscher unbedingt forschen und grübeln müssen, dann sollen sie sich mit aller Geistesschärfe auf die »Eudämonologie«, die Glückseligkeitslehre werfen. Ich glaube, die brauchen wir am notwendigsten.



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