Weiß-Ferdl
O mei!
Weiß-Ferdl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Münchner Volkssänger.

Schon der Name Volkssänger sagt, daß dieser Sänger nicht bei Hoffesten und großen Gesellschaften seine Darbietungen machte, nein, er sang und mimte für das kleine Volk. Er stammte selbst aus dem kleinen Volk, lebte unter ihm, wußte, was ihm am Herzen lag, und was ihm nicht paßte und deshalb fand er auch immer den richtigen Ton für seine Zuhörer. Die Volkssänger – oder wie die Münchner sagten »Komika« – waren eine urmünchnerische Angelegenheit, im Gegensatz zu dem internationalen Varieté und dem aus Paris importierten Kabarett. Viele der Münchner Volkssänger kamen nie aus ihrem lieben München heraus. Doch diejenigen Gesellschaften, die anderweitig Gastspiele gegeben, haben überall gut abgeschnitten. Sehr beliebt waren die Münchner bei den Sachsen und Hamburgern.

Eine wissenschaftliche Abhandlung glaubt die Wiege des Volkssängertums in das dreizehnte Jahrhundert zurücklegen zu dürfen. Meiner Ansicht nach haben aber die Gumpel und Bänkelsänger mit unsren Münchner Volkssängern nichts zu tun. Es hat sicher immer Menschen gegeben, die die Gabe hatten, andere zu unterhalten.

Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die Anregung zu der bodenständigen Unterhaltungskunst von Wien kam. Die Lieder und Couplets der alten 135 Münchner Volkssänger zeigen Wienerart. Der »alte Peter« ist ja auch ein Wienerlied. Während die Fürstenhöfe nach Paris schielten und alles nachmachten, was von dort kam, hatte das Volk andere, volksgebundenere Interessen. Wien, die frohe Kaiserstadt, hatte ein gut entwickeltes Volkssängertum, die Vorstellungen wurden nicht nur vom kleinen Volk, sondern auch oft von dem lebenslustigen, leutseligen Wiener Adel besucht.

Aber bald gingen die Münchner Volkssänger ihre eigenen Wege. Die Art der Wiener, ihre Heimatstadt in den Himmel zu heben und immer wieder zu preisen und zu besingen, liegt dem Münchner nicht. Obwohl er seine Heimatstadt über alles liebt und es ihm auf der ganzen Welt nirgends besser gefällt, aber besingen tut er sie nicht, da hat er merkwürdige Hemmungen. Statt Lobgesänge anzustimmen, liebt es der Münchner, die Schwächen, die Fehler zu geißeln. Es dürfte wohl kein größeres Bauwerk, ob Rathaus, Kunsttempel, Kriegerdenkmal usw. gebaut worden sein, an dem der Münchner nicht etwas auszusetzen gehabt hätte. Aber wehe wenn ein anderer, ein Zugereister, sich ein abfälliges Urteil erlaubt, dann wird der Münchner grimmig. Das Recht zu tadeln hat nur er. Diese Münchner Eigenart haben die Münchner Volkssänger gekannt und sind ihr gern entgegengekommen.

Während die Wiener Volkssänger hauptsächlich den Gesang solo und in Männerduetten pflegten, verlegten sich die Münchner mehr auf Possen und kleine Bauernkomödien. Die meisten waren lustig, oft auch sehr traurig und rührselig, doch zum Schluß ging es immer gut hinaus und die Paare kriegten sich. 136

»Heut geh' ma zu dö Komika«, sagten die alten Münchner, wenn sie eine Volkssängervorstellung besuchten. Alt-Münchner Volkssängergesellschaften! Die Herren im schwarzen Frack (wenn er auch ein bisserl geglänzt hat), die Damen in der weißen Bluse mit langem, schwarzen Rock, so standen sie da und sangen, das rote Deck in der Hand, ihr Begrüßungs-Potpourri.

In den achtziger und neunziger Jahren, da war ihre Blütezeit, da gab es viele. Papa Geis, der Liebling der Studenten im Oberpollinger, Alois Welsch im Apollotheater, die Gebrüder Albrecht in den Drei Löwen, die Münchner Sänger beim Trefler. Das waren die ständigen Häuser, aber überall in der Stadt spielten die Volkssänger. Beim Baaderwirt, im Schleißheimereck, in der Max-Emanuel-Brauerei, im Frankfurter Hof, beim Oberottl, im Singlspieler, in der Gärtnerbrauerei, beim Adlmann, im Kaisergartl, in der Stadt Orleans und wo noch sonst überall.

Sogar einen Agenten hatten die Volkssänger, den Reheis-Vater, der vermittelte die Spielplätze. Dabei betrug die Tagesgage für das ganze Ensemble drei bis fünf Mark, die der Wirt bezahlte. Es ist mir ein Rätsel, wie der Agent davon hat leben können. Er hat aber gelebt und sogar sehr wohlgenährt ausgesehen. Er wird wenig Umsatzsteuer bezahlt haben.

Die Gesellschaften, die kein ständiges Haus hatten, »ambulante« genannt, spielten jeden Tag anderswo. Jeden Abend wurde ein- und ausgepackt, kein Wunder, wenn der Frack nicht fein gebügelt war. Die Garderobeverhältnisse der Künstlerschar waren oft sehr dürftig. Einmal war es die 137 Kegelbahn, dann eine Dienstbotenkammer, oft der Keller oder irgendein Vorratsraum.

Der Weg zur Bühne – Brettl genannt – war im wahrsten Sinne des Wortes beschwerlich. Man mußte sich durch das Publikum hindurchzwängen.

Punkt acht Uhr begab sich der Herr Kapellmeister – für den gab es keinen Frackzwang – an sein Klavier. Es war nicht üblich, daß er mit Applaus empfangen wurde. Im Gegenteil, oft stand der Herr Kapellmeister, in der linken Hand die Noten und die Glocke, in der rechten eine Halbe Bier, vor seinem Piano und konnte nicht anfangen, weil ihm ein rücksichtsloser Gast seinen Stuhl weggenommen hatte. Mit einem schneidigen Marsch fing es an. War das Lokal noch nicht vollbesetzt, hatte der Kapellmeister den Auftrag, fest hineinzugreifen, daß die Vorübergehenden hörten, da drin ist was los. An warmen Sommerabenden mußte er sich zu allerhand Dreingaben bequemen, anlockende Weisen wie zum Beispiel: »Gehn ma amol nüber« oder »Zwei dunkle Augen, ein purpurner Mund« oder »Du mein Girl, mein Herzensgirl«.

Dann folgte der sogenannte Repräsentations-Chor. Die Künstlerschar hatte sich im Hausgang oder in der Kuchl aufgestellt. Auf ein Zeichen des Direktors fiel der Pianist in die Saiten, spielte mächtige Akkorde und blitzende Läufe, solange, bis die Sängerschar den Weg auf das Podium zurückgelegt hatte. Dann erscholl aus allen Kehlen: »Grüaß euch Gott, alle mitananda, alle mitananda!« Jedes einzelne Mitglied hatte dann ein kleines Solo, um sich den Gästen nach bestem Können vorzustellen. Die Naive sang mit zitternder Stimme: »Verlassen, verlassen, verlassen bin i« – falls sich 138 einer der Gäste dafür interessieren sollte. Die Soubrette sang etwas über die falschen Mannsbilder, der Tenor etwas über die Liebe und der Komiker, der keine Stimme hatte, sprach zu der Melodie: »Na, nur koa Wasser net, koa Wasser mag i net« und alles klang aus in den flotten Chor:

»Frohsinn und Heiterkeit
Bringen wir jederzeit
Spenden Sie uns Applaus
Kommen wir nochmal raus.«

Dieser Repräsentations-Chor zeigte, was für ein Aufwand an künstlerischen Kräften dem Publikum geboten wurde. Anschließend an diesen Chor hielt der Direktor eine kleine Ansprache. »Um das lästige Sammeln zu vermeiden, erlauben wir uns Enthebungskarten zu 20 Pfennig auszugeben!« Im selben Augenblick standen auch schon die Frau Direktor und die jugendliche Liebhaberin mit den Tellern bei den Gästen und sagten mit bezauberndem Lächeln: »Darf ich bitten!«

Diejenigen, die keine Karte lösten, mußten später nochmal belästigt werden. Dieses Sammeln, »Ducken« genannt, war nicht jedem gegeben. Manche brachten herzlich wenig, so einer war ich, andere hingegen waren Virtuosen darin. Ein gewisser Bartolo war Meister; dem kam keiner aus. Traf er auf einen besonders Hartnäckigen, bei dem weder freundliches Zusprechen noch spöttisches Reden nützten, dann trank er ihm wenigstens sein Bier aus.

Das Programm der Münchner Volkssänger bot für jeden Geschmack etwas. Die Soubrette zeigte den Männern in ihrem kurzen mit Flitterblättchen benähten Röckchen offenherzig, was sie gern 140 anschauen und sang vom Schnurrbart, der beim Küssen so schön kitzelt. Für die Frauen mit Gemüt sang der Liedersänger »Zu jener Zeit, wie liebt ich dich, mein Leben, ich hätt geküßt die Spur von deinem Tritt«. Der Komiker trat als kesser Stoatrager mit der Kraxn auf, er hatte gleich die Lacher auf seiner Seite.

Dann gab es noch mindestens zwei bis drei Einakter zum Lachen und Weinen. Wenn böse Menschen darin vorkamen, denen ging es schlecht zum Schluß, immer siegte die Liebe und das Gute. Wenn der Darsteller des hartherzigen Geizhalses abgehen mußte, verfolgte ihn der Groll des Publikums, die Gäste stellten ihm ein Bein und alles freute sich, wenn der schlechte Tropf darüber stolperte. Bei besonders dramatischen Stücken wurde zum Schluß mit bengalischen Zündhölzern die Szene beleuchtet. Einer der Truppe kniete sich vor das Podium, jagte die Kinder weg, die direkt davor standen und entzündete seine bunten Streifhölzer. Es wurde den Leuten für zwanzig Pfennig allerhand geboten.

Eine unvergeßliche Szene aus so einem Stück muß ich erzählen. Da stand einer in der Uniform eines französischen Fremdenlegionärs oben und sang ein schmachtvolles Lied von Heimweh. Er schilderte die fürchterlichen Qualen in der afrikanischen Wüste. Gerade als er ermattet in den heißen Wüstensand hinsank und sterbend hauchte: »Ich verdurste!« stellte die Kellnerin, die auf den Vortrag nicht aufpaßte, fünf volle Glas Bier auf dem Podium ab. Da gehört schon eine kräftige Illusionsenergie her, sich da noch die Wüste vorzustellen. Mein Berufskollege behielt die Geistesgegenwart, 141 ergriff eine Halbe, stöhnte: »Ein Gruß aus der Heimat« und trank die Halbe in einem Zug aus. So erzielte er mit dem tieftraurigen Lied einen unerhörten Heiterkeitserfolg und konnte unter großem Applaus abgehen. Hinter ihm die Kellnerin, die gleich das Bier bezahlt haben wollte.

Als einige Gesellschaften anfingen auf diesen primitiven Brettln die »Gespenster« von Ibsen und schaurige Detektivstücke zu verzapfen, fing der Verfall der Münchner Volkssänger an. Der Film, der dann in allen Stadtvierteln seine Paläste baute, gab den Volkssängern den Todesstoß. Die Dachauer Bauernkapellen traten in anderer Form das Erbe der Münchner Volkssänger an.

Die Namen wie Papa Geis, Andreas Welsch, Gebrüder Albrecht, Max Neumaier, Lipp-Amther, Stanzl-Schwarz, Kirchner-Lang, Alois Hönle, August Junker usw. sind bei den alten Münchnern noch nicht vergessen. Alle sind heimgegangen, doch wenn man ihre Namen ausspricht, steigt in der Erinnerung eine schöne, ruhige, sorglos heitere Zeit auf. 142



 << zurück weiter >>