Weiß-Ferdl
O mei!
Weiß-Ferdl

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Theaternarrisch.

Die Ebenbichler Marie spielte beim Turnverein in Karpfham immer Theater. Alle sagten, daß sie sehr viel Talent zum Komedispieln hätte und daß es schad sei, wenn sie da heraußen bei der Bauernarbeit »versauern« würde. Wenn man einem Menschen immer wieder das gleiche sagt, dann glaubt er es auch; außerdem hörte dies die Marie auch sehr gern. Sie hatte auch ein ganz nettes rundes Gesichterl, die Figur war wohl ein bisserl mollert und da sie nicht groß war, wirkte sie ein wenig g'stockert. Für ganz mondäne Rollen vielleicht nicht besonders geeignet, aber in Karpfham störte das niemand.

Einmal hatte sie schon heimlich an einen Filmdirektor in Berlin geschrieben, ob er sie nicht einmal ausprobieren möchte. Sie erhielt keine Antwort von Berlin. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß ihn vielleicht sei Frau net schreiben hat lassen. Die Kapfin in Riedham machte ihr neuerdings Hoffnung. Die erzählte ihr, daß ein Theaterdirektor Nullberger von München schon zweimal bei ihr im Sommer gewohnt hätte und wenn sie einen schönen Gruß von ihr sagte, würde sie der bestimmt gleich nehmen. Schon in den nächsten Tagen fuhr die Marie, schwer bepackt mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, nach München. Am Bahnhof in 100 München hätte sich gleich ein Kavalier gefunden, der ihr den schweren Koffer und die Packeln, die so verdächtig fett glänzten, hätte tragen wollen. Aber die Marie lehnte energisch ab. Diese Sachen sollten ihr das Tor zum Theater öffnen.

Mit klopfendem Herzen und roten Backen stand sie endlich vor der Tür, an der das Schild zu lesen war: »Siegfried Nullberger, Theaterdirektor«. Sie drückte auf die Klingel. Es rührte sich nichts. »Mein Gott, der wird doch dahoam sei«, sagte sie halblaut zu sich selber. Eine Briefträgerin, die eben vorbeiging, sagte: »Da müassen S' fest läuten, dö schlafen um die Zeit no!« Beim viertenmal Läuten hörte sie eine Tür gehen und nähernde Schritte. Ein noch nicht ganz ausgeschlafenes Dienstmädchen öffnete die Tür und bevor sie etwas fragen konnte, hatte sich die Marie schon hineingeschoben mit ihrem Koffer und den Packeln. Dann floß es von ihren Lippen: »Gott sei Dank, i hab scho g'moant, es is neambd dahoam, da hätt i mi aber g'ärgert. Wissens, mir am Land draußd, mir stehn a bisserl früher auf als wia ihr in der Stadt herinn. I muaß an Herrn Direkta Nudlberger recht vui Grüaß ausrichtn von der Kapfin z' Riedham. Bei dera hat er draußn g'wohnt und die kennt 'n recht guat!« Das Dienstmädchen hatte das Gepäck gemustert und fragte: »In welcher Angelegenheit wollen Sie den Herrn Direktor sprechen?«

»I möcht zum Theater oder zum Fuim. Wissen S', i hab so vui Talent zum Komedispuiln und a recht a guate Singstimm hab i aa!« Um das Mädchen davon zu überzeugen, fing sie gleich im Flur zu singen an: »Wer nennt mir jene Blume, die allein . . .« »Bst«, machte das Dienstmädchen, »die 101 Herrschaften sind noch im Schlafzimmer!« Sie führte die Marie in den Salon und sagte, sie soll warten. An den Wänden hingen Theaterbilder und viele Kränze und Schleifen. Das war etwas für die Marie, sie stellte ihre Packeln ab und betrachtete neugierig und bewundernd diese Trophäen. »Aha, das sind die Preise, die er kriagt hat«, sagte sie leise für sich und begann die Inschriften zu lesen. Ganz vertieft in diese Arbeit überraschte sie der Herr Direktor. Im Schlafrock, nicht ausgeschlafen, daher grantig, knurrte er sie an: »Wer sind Sie? Wer schickt Sie zu mir? – Was wollen Sie?« Die Marie hatte sich einen Theaterdirektor ganz anders vorgestellt. Da stand nun ein kleines, verhutzeltes, unrasiertes Männchen und schaute sie bösartig an. Sie faßte sich und fing an: »Entschuiding S', Herr Nudlberger, daß i scho so früah . . .« »Ich heiße Nullberger und nicht Nudlberger«, zischte das Männchen. »Jawoi, Herr Nudlberger!« Er stampfte wütend mit dem Fuß: »Nullberger, Nullberger, wenn Sie sich den Namen nicht merken können, dann sagen Sie Herr Direktor!«

Etwas eingeschüchtert erzählte nun die Marie von der Kapfin z'Riedham, von ihren Talenten und daß sie gern zum Theater möcht! »Sie wollen zum Theater?« Die gute Marie hörte den unsagbar spöttischen Ton, der aus dieser Frage klang, nicht heraus und erzählte, daß sie schon oft Theater gespielt und in dem Stück »Die edle Gräfin Isabella« oder »Der bestrafte Wüstling« die Gräfin gespielt hatte und bei der Stelle, wo sie der böse Graf Rulo packen will und sie dann sagt »Hinweg, Verruchter. Mein Gatte weulet im heiligen Lande und niemals werde ich ihm die Treie brechen«, da haben die Leute oft 102 geweint, so schön hab ich das gesagt, setzte sie hinzu.

Der Herr Direktor weinte nicht, er war innerlich empört, daß so eine ungebildete Person die Frechheit besitzt und zum Theater gehen will. Die Marie merkte nicht, was in seinem Innern vorging und plapperte weiter: »A recht a guate Singstimm hab i aa« und schon fing sie an: »Wer nennt mir jene Blume, die allein, auf steiler A . . .«

»Hören Sie mit diesem dummen Geplärr auf«, unterbrach sie barsch der Direktor. Er ging zum Flügel, schlug denselben auf und fragte: »Kennen Sie Noten?«

»Wem?« fragte sie einfältig.

»Ob Sie Noten kennen?«

Das merkte sie gleich in ihrer Bauernschlauheit, daß da was dahinter steckt und meinte unsicher: »Ja, i glaub, der war amal bei uns draußd!«

Jetzt platzte der Direktor heraus: »Reden Sie keinen Unsinn. Sie haben keine Ahnung, was von einer Schauspielerin verlangt wird!« Ärgerlich schlug er den Deckel zu.

Die Marie wollte die Sache noch nicht aufgeben. »Unser Lehrer hat g'sagt, eine solchane Gräfin, wia i war, hat er no nia g'segn!« »Das glaub ich«, knurrte der Direktor sarkastisch. »Schlagen Sie sich das mit dem Theater aus dem Kopf, Ihnen fehlt alles, was man beim Theater braucht . . .«

Die Frau Direktor, ebenfalls im Schlafrock mit hängenden Locken, war eingetreten. Sie warf nur einen kurzen Blick auf die Koffer und Schachteln und schon hatte sie die Situation erfaßt. Mit einer königlichen Gebärde ihrer Hand brachte sie ihren Gatten zum Schweigen und fragte mit süßer Stimme: »Mein liebes Kind, wer schickt Sie zu 103 mir?« Die Marie faßte wieder Mut: »D' Kapfin von Riedham!« »Ach, die liebe Frau Kapf, eine reizende, goldige Frau. Sie sind auch vom Land? Ja?« Dabei streiften ihre Augen aufschlußerheischend der Marie ihre Packeln. Da ging der Marie ein Licht auf und schnell packte sie aus. »I hab Eahna da a bisserl an Butter mitbracht und da san fuchzg Oar drin, dö Schachtl brauch i aber wieder und dös san neue Kartoffeln, dö werds aa braucha kinna und da, ganz was raar's, a paar Pfund Gselchts, selber gräuchert, wenn Ihr so was mögt's?«

Die Frau Direktor war glücklich, als echte Komödiantin verstand sie es, ihre Gefühle zu verbergen und sagte sachlich: »Wir nehmen es. Lisa, tragen Sie diese Sachen in die Küche! – Also Fräulein, Sie möchten gerne zum Theater. Ja, mein liebes Kind, es ist nicht leicht, obwohl wir gerade so echt natürlich gesunde Kräfte brauchen können!«

Die Marie blickte zweifelnd auf den bösen Direktor, doch merkwürdig, er schaute jetzt nicht mehr so unnahbar, nein, er lächelte sogar wohlwollend. Seine Frau hatte ihm leise zugezischt: »Idiot, so was willst du wegschicken!«

Die Frau Direktor setzte sich an den Flügel. »Ihre junge quellfrische Stimme habe ich schon gehört vorhin, die trägt sehr gut.« Ihr Gatte warf ein: »Die Stimme ist noch unansgebildet . . .« »Selbstverständlich«, unterbrach ihn seine Frau, »das kriegen wir schon. Singen Sie bitte einmal die Tonleiter. Lalalalalalala.« Die Marie sang in ihrer Aufregung grundfalsch. Die Frau Direktor stellte fest: Eine glockenreine, gesunde Naturstimme. Und er nickte und fügte dazu: »Es steckt Metall drin.« »Da läßt 104 sich was herausholen aus dieser Stimme«, sagte die Frau Direktor und er nickte sehr eifrig dazu.

»Also, liebes Kind, ich nehme Sie als Schülerin auf. Jetzt wird einmal fleißig gelernt und dann – werden wir schon sehen.« Die Marie war selig. »Jessas, da hab i no a Speckwurst, derf i Eahna dö dalassen?« Sie durfte. Der Direktor meinte: »Sie müssen natürlich jede Woche einmal kommen. Machen wir gleich einen Tag aus für die nächste Woche. Wann haben Sie Zeit?«

»Am Dienstag stechan wir a Sau ab, da kann i net guat weg, weil ma glei Würst machen!«

»Dann«, sagte die Frau Direktor, »kommen Sie am Mittwoch, mein liebes Kind!« Sie küßte sie auf die Stirne und der Direktor begleitete die glückliche Marie bis zur Türe.

»Gratuliere, Herr Direktor Nullberger«, sagte einige Monate später ein Kritiker. »Die neue junge 105 Schauspielerin spielt so naturecht, so ungekünstelt. Großartig! Ein gefundenes Fressen für die Bühne!« »Da haben sie recht«, schmunzelte Nullberger, »wirklich ein gefundenes Fressen. – Meine Entdeckung!«



 << zurück weiter >>