Weiß-Ferdl
O mei!
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Achtet das gute Alte!

Immer, wenn was Neues sich durchsetzt, wird das Alte verdrängt. Das ist Naturgesetz. Leider verschwindet oft mit dem Alten etwas Schönes, Gutes; das, wenn es erhalten bliebe, noch vielen Freude machen würde.

Einmal stand ich auf dem Kapitol in Rom vor dem herrlichen Reiterstandbild des römischen Kaisers Marc Aurel und konnte mich an den wunderbaren Formen nicht satt sehen. Da trat ein deutschsprechender Guido heran und erzählte mir eine 94 interessante Geschichte von diesem klassischen Kunstwerk. Als das Christentum erstarkt und mächtig war, vernichtete es alles, was an das Heidentum erinnerte. Alle Tempel wurden zerstört, nichts blieb verschont. Oh, wie werden sich die Altertumshändler die Haare zerrauft haben! Es war anscheinend recht gut organisiert, der Verein »Denkmalsschutz« war noch nicht gegründet.

Auch das Reiterstandbild des Marc Aurel stünde nicht mehr, wenn dem Palier der Aufräumungsarbeiten nicht ein Malheur passiert wäre. Der hielt diese Statue für den christlichen Kaiser Konstantin, der das Christentum sehr förderte. Deshalb wurde es nicht zusammengehauen, nein, schön sorgsam haben sie es aufgestellt und wahrscheinlich ein paar andächtige »Vater unser« gebetet. Der Heide Marc Aurel wird im Olymp dazu geschmunzelt haben und mit ihm die ganze Welt. Denn durch die Unkenntnis des Paliers wurde der Menschheit ein herrliches Kunstwerk erhalten.

Dies ist ein Beispiel, wie unrecht es ist, alles, was von einer vorhergehenden Epoche stammt, blindlings zu vernichten. Nicht immer ist das, was gerade Mode ist, das Bessere. Mode ist eine Krankheit, die gar oft den guten Geschmack der Menschen verdirbt.

Mit Schaudern denkt man noch an den gräßlichen Jugendstil zurück. Man kann es heute nicht fassen, daß es gebildete Menschen gegeben hat, die damals die schönen alten Biedermeiermöbel billig an den Tandler verkitscht und dafür die geschnörkelten, mit grauenhaften Seerosenmustern verunstalteten Möbel in ihr Heim gestellt haben. 95

Als ich ein junges Bürschchen war, wollten die Bauernmädel auf einmal keine Kopftüchl mehr tragen. Sie setzten sich entsetzlich gelbe, mit fürchterlich künstlichen Blumen geschmückte Strohhüte auf. Die paßten gar nicht auf ihre Bauernschädl hinauf, die Frisur harmonierte nicht, der Deckel rutschte hin und her. Sogar das Vieh wurde rebellisch, wenn die Dirn mit dem Hut zum Melken kam, aber es war Mode und wurde getragen. Manch schönes schwarzseidenes Kopftuch, manch schöner alter Inntalerhut mit goldenen Schnüren und Quasten lag im Kasten und wurde von den Motten zerfressen!

Die Weltgeschichte lehrt, daß die Zeiten, in denen die Völker ein Wohlleben führten, nie große Zeiten waren. Immer folgte auf diese Zeiten der Niedergang. Wir haben es ja selbst erlebt. Trotzdem denken wir älteren Jahrgänge nicht mit Groll an die Zeit vor dem ersten kleinen Weltkrieg. 96 Damals habe ich oft beim Lodererbräu – im Nebenzimmer, wo die Tische gedeckt waren – Mittag gegessen. Es gab am Mittwoch Leberknödlsuppe, Schweinsbraten mit Beilage und – das hat 40 Pfennig gekostet. Natürlich hatten wir keine Ahnung, daß wir mitten im schönsten Niedergang lebten, deshalb schmeckte es uns ganz ausgezeichnet. Das Schönste war, geschimpft haben wir noch über die schlechten Zeiten. Es war eine stehende Redensart: »A so kanns nicht mehr weitergehn!« Es ist auch nicht mehr lang so weitergegangen. Unser Wunsch wurde erfüllt.

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Wenn ich heute an der Ruine vom Lodererbräu vorbeigeh, denk ich noch mit Wehmut an den Mittagtisch um 40 Pfennig. Bin ich deshalb ein Reaktionär? Ich glaub nicht! Denn wenn ich vor dem Reiterstandbild des Marc Aurel steh und es gefällt mir noch so gut – deshalb bin ich doch kein Heid!?



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