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XXXVII.

Es war um die Abendbrotszeit, als Leo aus Halewitz eintraf.

Unbemerkt trat er ins Haus … Der Korridor lag dunkel da, doch hatte Christian, der soeben mit einem Tellerstapel zur Küche gegangen war, die Thür des Speisezimmers um eine Handbreit offen gelassen, so daß ein Streifen des Lampenlichts hinausdringend die Finsternis durchquerte.

Kein Lachen, kein Scherzwort ließ sich hören … Es gab traurige Mahlzeiten jetzt auf Halewitz.

»Soll ich mich zu ihnen setzen?« fragte er sich, aber er fürchtete die Abschiedsgedanken, die ihm den Kopf heiß machen würden … Nur einen verstohlenen Blick wollte er sich gönnen – dann still auf sein Zimmer gehen.

Auf Zehenspitzen schlich er näher.

Da saßen sie alle drei, und die Hängelampe goß ihr Goldlicht über sie aus.

Auf der linken Seite Mama – »mein Gott, wie ist sie alt geworden,« dachte er, und das Herz krampfte sich ihm zusammen … drüben in der Mitte Elly – von der Lampenglocke halb verdeckt, doch um so heller leuchtend in ihrer frisch reparierten Unschuld … und die dort auf der rechten Seite – – –

Er kannte sie und kannte sie doch nicht. – Die beherrschende Ruhe der Haltung, die wachende Sorge im Blick, die Leidensschatten auf den bräunlichen Wangen, das streng geschlossene, feste Lippenpaar – das alles erschien ihm neu an ihr.

Er fühlte es wohl: gereift und gewachsen war sie mit seiner Not, wie er selbst verrottet und eingeschrumpft.

Wie lange schon war er blind neben ihr hergegangen! Erst der nahende Tod hatte ihm wieder das Auge geöffnet.

Für sie – und für alles, was ihn umgab.

Seine Blicke verschlangen alle die Einzelheiten des lange gemiedenen Raumes, als hätte es einen Sinn, sie noch dem Geiste einzuprägen. Sein Ohr lauschte den spärlich hingeworfenen Worten, als wären sie Offenbarungen. Seine Hand strich in gedankenloser Liebkosung an dem brüchigen Thürpfosten entlang, dessen Astpfropfen wie Wölbungen hervortraten, – so abgenutzt war das alte Holz.

Christian kehrte zurück. – Da machte er der Quälerei ein Ende und schritt, ehe er bemerkt worden, leise auf sein Zimmer …

Er wollte arbeiten – die Bücher durchsehen – Ordnung schaffen, soweit das möglich war. Wie ein lotteriger Bankerottierer durfte er sich nicht aus der Welt schleichen.

Er zündete die Lampe an und begann zu rechnen.

Das Jahr war kein schlechtes gewesen. Alte Scharten hatten sich auswetzen lassen, neue Hoffnungen guckten überall zwischen den Zahlenreihen hervor.

Ueberraschend gute Resultate hatte der Rübenbau ergeben. Wenn er, ohne der Fruchtfolge Gewalt anzuthun, die hierfür verwendete Morgenzahl mit Maß vergrößerte, so ließen sich schon in den nächsten Jahren dem Boden wahre Schätze abgewinnen … Und eben wollte er an der Hand der Karte den Aenderungsplan entwerfen, als ihm einfiel, daß er ja übermorgen tot sein würde.

Er klappte das Buch zu und sprang in die Höhe. Unerträglich war das alles – und Wahnsinn sein Leben wie sein Tod …

Er riß an der Klingel, denn ihn hungerte. Er hatte seit dem Morgen kaum einen Bissen zu sich genommen.

Christian taumelte in freudigem Erschrecken, den Herrn so unverhofft daheim zu finden, gegen den Thürrahmen zurück.

»Na, na, mein Alter,« sagte Leo, von einer dummen Zärtlichkeit erfüllt, »wollen die alten Beine denn schon gar nicht mehr?«

Und da Christian in seiner Bestürzung wirres Zeug herstammelte, schenkte er ihm ein Zehnmarkstück und meinte: »Du hast dir in letzter Zeit 'n bißchen oft die Nacht um die Ohren geschlagen … von nun an wirst du Ruhe haben, Alterchen.«

Christian weinte Freudenthränen über die unverhoffte Milde seines Herrn und schlotterte eilends von dannen, ihm ein Abendessen zu besorgen. Was er in der Küche – und wohl auch in der Herrschaftsstube – rasch berichtet hatte, schien ein wenig nach der Rückkehr des verlorenen Sohnes zu schmecken, denn fortan herrschte im Hause eine leise, doch um so freudigere Bewegung.

Thüren wurden mit Vorsicht auf- und zugeklinkt, flüsternde Stimmen ertönten im Korridor, und von Zeit zu Zeit machte ein Paar huschender Füße vor seinem Zimmer verstohlen Halt.

Er hörte das alles und biß die Zähne zusammen.

»Sterben, alter Junge!« schrie es ihm in die Ohren, »sterben – sterben!«

Christian brachte eine Platte mit allerhand guten Sachen, bei deren Auswahl offenbar die Mutterhand gewaltet hatte.

Mit Gier fiel er darüber her. – Da war auch jene Mischung von Bratkartoffeln, zerstückeltem Setzei und gebackenen Schinkenschnitten, die schon in der Kindheit sein Lieblingsabendbrot gewesen war.

»Die gute Alte!« dachte er, »es ist, als will sie mich bitten: ›Bleib bei uns‹.« – Er lachte, aber das Wasser stand ihm in den Augen.

Christian wollte wissen, was er zu trinken befehle.

»Frag nicht viel, du Schaf,« sagte er, »und bring das Beste, was uns der sel'ge Herr hinterlassen hat – bring gleich drei Flaschen.«

Bestürzt bat Christian sich den Kellerschlüssel aus, denn die Schätze des Hauses lagen jetzt unter besonderem Verschluß …

Der Wein kam. Vaters Stolz und Vaters Wonne. »Warum soll ich den edlen Tropfen von irgend einem fremden Kerl austrinken lassen? …« dachte Leo und goß in langen Zügen die erste Flasche leer.

Aber der Trunk schmeckte ihm nicht. Er fühlte, wie er heiße Backen bekam, und wie seine Stimmung sich verfinsterte.

Er hätte gern mit trotzigem Humor der Welt Valet gesagt, statt dessen begann das alte Elend von neuem in ihm zu schwären, wie eine Eiterbeule, die nie und nimmer verheilen will.

Er rannte im Zimmer umher, riß die Fensterflügel auf und rannte von neuem in die Runde.

Das sollte das Ende sein – dieser Wahnsinn, diese Niedertracht?

Ihm fehlte ein Kumpan. Er brauchte eine Menschenstimme – eine Menschenhand. Einen Narren brauchte er und einen Gott!

Und sein Wunsch, nach seiner Weisheit der letzte, den dieses Leben ihm aufnötigte, ging in Erfüllung.

Es war kurz nach zehn Uhr, als die Hausglocke heftig geläutet wurde.

Leos Hand fuhr zuckend nach der Wand hin, wo die Waffen hingen. »Jetzt kommen sie mich holen,« dachte er in einem plötzlichen Anfall von Verfolgungsangst.

Hochaufgerichtet sah er dem Nahenden entgegen.

Christian meldete, der Pfarrer Brenckenberg wäre da und bäte um eine sofortige Unterredung.

»Hurra!« schrie Leo, »der fehlt mir – der soll kommen.«

All der Ingrimm, der in ihm brütete, loderte jäh empor. – Der Pfarrer war in seine Hand gegeben. Mit ihm wollte er Abschied feiern. Er sollte ihm büßen in dieser Stunde.

Mit dröhnendem Willkomm empfing er den späten Gast, der, mit den Hacken den Schnee von den Stiefeln stoßend, in verdächtiger Hast das Zimmer betrat. Er trug einen abgeschabten Eskimorock auf dem Leibe und hatte einen dicken, braunen Wollenshawl vielfach um den Hals gewickelt.

Sein feistes Gesicht erglänzte blaurot vom Winterwinde oder von Erregung, der Schweiß rann ihm an den Hängebacken herunter, und in den finstern Bulldoggenäuglein, die sich vergebens bemühten, voll ruhiger Milde dreinzuschaun, saß eine gierige Angst lauernd im Hinterhalt.

»Na, Alterchen,« rief Leo, »dich hat wahrhaftig der liebe Gott an deiner Nase hierher geführt … Denn hier gibt's heute was Ertrag! … Einen feinen Abschiedstrunk gibt's, Alterchen.«

Und dann befahl er Christian, einen Arm voller frischer Flaschen heraufzuschaffen und das nötige Eis dazu.

Der alte Pfarrer war an der Thür stehen geblieben und zerrte an dem Wollenshawl, der ihn in der Hitze des Zimmers fast erstickte.

»Leg ab, leg ab, mein Alter,« mahnte Leo.

Er that, wie ihm geheißen, strich sich die geölten Haarsträhnen in den Nacken zurück und atmete gurgelnd, mit offenem Munde, wie ein Tier, das sich verschnaufen will.

»Du bist ja – Gott sei Dank – recht vergnügt, mein Sohn,« sagte er dann, »gerade wie einer, der eine große Heldenthat hinter sich hat.«

»Natürlich,« erwiderte Leo, »bei mir jagt immer eine Heldenthat die andre.«

Er schenkte ihm ein. »Prost, Alterchen.«

Der Pfarrer sandte einen scheuen Blick nach dem funkelnden Glase hin. »Weißt du, warum ich bei nachtschlafender Zeit zu dir gekommen bin?« fragte er, verbissen gegen die Thür gedrückt.

»Prost, hab' ich gesagt!« schrie Leo ihn an.

Da schwankte er zum Tische hin wie ein Trunkener und hob mit zwei zitternden Händen das Glas empor. Aber er ließ es wieder sinken.

»Ich kann nicht,« stöhnte er und schob, schluckend vor Ekel, den Unterkiefer vor.

»Wa–as?« schalt Leo, »meinen besten Wein verschmähst du? Was sind das für Witze?«

»Nicht … nicht … nicht …« stieß der Alte hervor und rückte das Glas angstvoll von sich fort und auf die andre Seite des Tisches hinüber. »Ich bin in einer Stimmung, daß ich meinen Leib entweihe und diesen Wein entweihe, wenn ich ihn trinke.«

»Stimmung?« höhnte Leo. »Ja, du bist ein Feiner! … Was weißt du denn, in welcher Stimmung ich bin? … Hast du mal ein Stück Schwarzwild in den Sumpf gehetzt und zugesehen, wie es das Brachwasser leckte, als es die Hunde schon beinahe zerfleischten? … Siehst du, in so 'ner Stimmung trink' ich hier! … Aber ich trink' immer noch eins … Prost Alterchen!«

Der Pfarrer maß ihn mit verdutzten Augen, dann hob er schweigend das Glas, trank es leer und schüttelte sich.

»Siehst du, wie schön es geht?« lachte Leo. »Wir sitzen hier beide ganz harmlos und fidel wie die Reblaus und die Trichine … Wir wollen uns lieb haben und das schöne Lied singen: ›Hehr und heilig – ist die Stunde – Brüder, die uns heut vereint!‹« … Und er sang … »Oder vielleicht hast du irgend einen saftigen Choral in petto? – Ich bin zu allen Schandthaten bereit!«

Er stürzte von neuem ein paar Gläser kalten Weins hinunter, fühlend, wie sein Denken Sprünge zu machen begann … Allerhand Bilder tauchten vor seinem Auge auf und waren verschwunden, wenn er sie festhalten wollte.

Der Alte, der – das Kinn auf der Brust – stieren Auges vor sich hingebrütet hatte, richtete sich an der Tischkante langsam empor, dehnte sich und würgte an ungesprochenen Worten.

»Weißt du, warum ich gekommen bin?« fragte er dann zum zweitenmal.

»Ich kann's mir so ungefähr denken,« lachte Leo, »ich hab' deinem Jungen den Hintern versohlt – und du willst dich bedanken. – Na, auf deinen Jungen! – Daß es ihm wohlgehe und er lange lebe auf Erden!«

»Sieh mal, Fritzchen!« sagte der Pfarrer, »höhnen thust du einen alten Mann, den die Aengste in die Nacht rausgetrieben haben … Das ist niederträchtig von dir, Fritzchen … So was lag früher nicht in deinem Charakter … Aber ich will dir sagen, wie's bei mir zu Hause aussieht … Vielleicht, daß dir dann ein menschliches Rühren kommt … Wir saßen beim Abendbrot – meine Frau – und die Kinder – und ich … da ist der Junge hereingestürzt – ganz kreideweiß … und die Lippen hängen ihm runter und sind blutrünstig gebissen. Ich sag': ›Jung, um Jesu willen, was ist dir?‹ … Da fällt er vor mir auf die Erde und kratzt mir die Kniee und schreit: ›Vater, schlag mich tot! schlag mich tot! … Ich bin ehrlos … Wie ein räudiger Hund bin ich … Jeder honorige Kerl wird mich mit dem Fuß von sich wegstoßen!‹ … Da hab' ich ihn in mein Zimmer geschleppt und hab' gesagt: ›Jung, red!‹ … Und da hab' ich's erfahren … Fritzchen, warum hast du mein Fleisch und Blut geschändet? … Was hab' ich an dir verbrochen, daß du mir das thatst?«

»Na, verbrochen hast du an mir genug,« erwiderte Leo, »aber davon später! Was deinen Jungen belangt, so hat er sich als Lumpenhund benommen gegen meine Schwester und gegen mein Haus und gegen mich selbst … und Strafe muß sein, Alterchen – das ist ja dein eignes Prinzip.«

»Warum hast du ihn dann nicht gefordert,« fragte der Alte, »wie es einmal Sitte ist bei uns?«

Leo lachte ihn aus. »Nicht wahr? – Fordern und immer fordern! Als ob ich Zeit habe, mich mit jedem dummen Jungen herumzuknallen, der mit beiden Händen in Vaters Tasche liegt? … Wer sich nicht sein Brot verdient, der verdient auch nicht, daß ihn ein Mann vor seine Pistole stellt! … Wenn der sich unanständig benimmt, so ist die Rute gut genug für ihn – oder das Lineal meinetwegen, wie's mir gerade zur Hand war.«

Der Pfarrer nickte in stumpfem Jammer vor sich hin, und Leo maß ihn mit einem harten, racheverlangenden Blicke.

»Na, munter, munter,« stocherte er ihn auf, »um den Mund zu halten und trocken zu sitzen, bist du doch nicht hergekommen.«

»Sieh mal, Fritzchen,« begann der Alte endlich, »du magst ja in allem recht haben, und daß er ein Schlingel ist, das geb' ich zu … Aber nun hab' ich doch mal nichts Besseres … Denn bis der Nächste Mensch wird, dauert's noch an die zehn Jahr … Und nun sollst du, den ich immer geliebt habe, als wärst du auch einer von dem Haufen, du sollst kommen und sollst ihn mir ruinieren fürs ganze Leben? … Das geht doch nicht, Fritzchen, das siehst du doch ein.«

»Pah!« machte Leo.

»Jawohl, das hast du, Fritzchen! Er hätte sich immer noch aufrappeln können, aber jetzt ist es alle mit ihm. Er muß aus dem Lande gehen wie ein Verbrecher, denn wo er sich blicken läßt unter seinesgleichen, wird man auch forschen, was für ein Makel an ihm klebt … Sieh, Fritzchen, ich bin selbst ein alter Corpsstudent und habe mich gehauen mit Tod und Teufel … Ich weiß, was es heißt, geschlagen werden und sich nicht wehren dürfen.«

»Nehmt an, ich wär' ein Strauchdieb oder ein Verrückter! – die Haue von so einem kann niemanden beleidigen.«

»Das bist du aber nicht, Fritzchen. Du bist der Herr von Sellenthin, und jeder kennt dich! Und wenn du jemandem die Satisfaktion verweigerst, so hast du auch deine Gründe dazu, wird die Welt sagen, und wird wie ein Mann auf deiner Seite stehn.«

»Abwarten!« knirschte Leo, der Schmach gewärtig, welche die nächste Nacht über ihm und seinem Namen aufhäufen würde. Und dann fragte er: »Was willst du also? Was soll ich thun? Soll ich ihn etwa demütigst um Verzeihung bitten und ihm versprechen, ich werd's nicht wieder thun?«

»Nein, Fritzchen – aber wenn morgen seine Kartellträger kommen, sollst du sie nicht zurückweisen, sondern ihm eine Honorigkeitserklärung geben und die Forderung annehmen, die sie dir überbringen werden.«

»Und dann?«

»Ja dann, Fritzchen, das ist dann eure Sache!«

»Du!« rief Leo drohend, »du weißt, ich spaße nicht! Meine Kugel geht immer den Weg, den ich will … Einen hab' ich schon weggeschossen. – Ich rate dir, nimm dich in acht!«

Da stand der Alte langsam auf, und mit einer feierlichen Bewegung die Arme ausbreitend, sagte er: »Ich bin ein alter Mann und nichts mehr nütze. Er ist mein Aeltester und mein Trost und meine Hoffnung. Aber lieber will ich ihn dir überantworten, daß du mit ihm thust wie mit jenem, als daß er als ein Geschändeter in der Welt herumläuft.«

Leo erschrak, doch schon im nächsten Augenblick empfand er eine Art von wilder Genugthuung, die ihm die Seele weitete.

Er selbst ein Mörder und Sterbender zugleich, der das Todesgrauen im Hohne ersticken will – und ihm gegenüber ein alter Vater, der um den Tod seines Sohnes bitten kommt.

Zwischen ihnen zwei funkelnde Gläser.

Wahrlich, sie waren eine feine Kumpanei! Kein Teufel hätte sie passender zusammenspannen können.

»Prost, Alterchen!« wollte er rufen, aber das Wort erstarb ihm in der Kehle.

Und der Alte, der sich kaum noch auf den Beinen hielt, schleppte den massigen Kadaver mühsam um den Tisch herum. Er legte seine beiden Hände schwer auf Leos Schultern und sprach von hinten her zu ihm hernieder:

»Sieh mal, mein Sohn, ich habe dich in Zucht gehalten manches Jahr … Ich habe dich gelehrt für Recht und Ehre kämpfen bis zum letzten Blutstropfen … Du bist ein wilder Junker gewesen, und Gewalt war dir lieber als Recht … Aber mein Stock hing immer über dir … Du hast müssen, ob du dich sträubtest oder nicht … Und dafür fordre ich heute meinen Dank von dir.«

»Dank dir ergebenst,« höhnte Leo, »und wenn du ein Zeugnis brauchst … Ja wohl, du warst ein strammer Zuchtmeister.«

»Nein, Fritzchen, das war ich nicht … Denn ich hatte dich lieb und du mich auch … Besinnst du dich auf jenen Septemberabend, als wir beide in die Wiesen rausgegangen waren? Wie wir auf einen Grummethaufen kletterten und dann still dalagen und die Wolken über den Himmel ziehn sahen? … Es ist da weiter nichts passiert, aber mit einemmal bist du zu mir rangekrochen und hast den Kopf still in meinen Arm gelegt und hast geschluchzt … Ich denke, das weißt du noch, denn an jenem Abend bin ich dein Freund geworden … Und als wir zum erstenmal in der Stadt gewesen sind und den Wilhelm Tell gesehn haben? Wie du da nachts aufstandst und dich zu mir auf den Bettrand setztest und mir den feierlichen Schwur ablegtest: du wolltest auch für das Vaterland sterben und für die Freiheit?«

»Mein Gott!« stöhnte Leo, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend.

»Sieh mal, Fritzchen,« fuhr der Alte fort, »ich mag ja damals auch ein Taugenichts gewesen sein und verbummelt, ganz wie heute mein Sohn … Aber deine junge Seele hab' ich richtig geführt, das mußt du mir lassen … Und wie ich deine Freundschaft pflegte zu Ulrich, weißt du das nicht mehr? Wie ich nichts weiter sein wollte, als der Dritte im Bunde, da, wo ihr Johanna nicht brauchen konntet? … Und dann weiter, mein Sohn, als dein Herz zum erstenmal für ein andres Herz zu schlagen anfing. Weißt du das auch nicht mehr? … Die Aelteste vom Förster aus Knutzendorf wär's, die brachte jeden Sonnabend den Wochenbericht aufs Schloß … Du warst elf und sie war dreizehn Jahre alt … Ich glaubte, sie könnte nicht bis drei zählen … Aber nachher ist sie ein Satan geworden. Doch abgesehn davon. Weißt du noch, wie du heimlich zu mir kamst und mir gestandst, du hättest sie im Walde überfallen und geküßt, und sie hätte sich ganz ruhig küssen lassen, und nun wärst du so glücklich, Fritzchen, so heidenmäßig glücklich! …«

Mit einem Wehgeheul stieß Leo die Ellenbogen auseinander, um die lastenden Hände des Alten von seinem Leibe abzuschütteln.

Das war der Anfang gewesen der langen Kette, jetzt war das Ende da.

Er sprang in die Höhe: »Mensch, was willst du,« schrie er, »daß du mich so zu Schanden quälst?«

Der Alte neigte beinahe demütig den mächtigen Kopf: »Ich hab' dich nur daran erinnern wollen, daß du mir Dank schuldig bist,« sagte er, »und daß du mir an meinem Sohn vergelten mußt, was ich an dir gethan habe. Hier steh' ich – Gott wird mir verzeihn – hier steh' ich und hier bettle ich: Schieß dich mit ihm, und wenn du nicht anders kannst, schieß ihn tot!«

Ein Schweigen entstand.

Die alte Uhr in der Ecke schlug halb zwölf.

»Morgen um diese Zeit,« dachte Leo, »rüst' ich mich zum letzten Gange.«

Und mit diesem Gedanken verschwand alles, was gerade begonnen hatte, seine Seele in ein Netz rührsamen Erinnerns einzuspinnen … Den ganzen Brodem von Empfindungen, der in ihm gärte, hätte er in Fluch und Unflat ausspeien mögen über dem Haupte dieses alten Mannes, der gekommen war, für seines Sohnes Ehre einen verzweifelten Kampf zu kämpfen.

Breitbeinig stellte er sich vor ihn hin, stemmte die Hände in die Seiten und lachte.

»Sieh mich an!« schrie er.

»Ich seh' dich an!« erwiderte der Pfarrer.

»Du bist ja heute so milde, Alterchen! … Du hast ja dein Flötenregister ausgezogen … Also was siehst du an mir?«

»Hohn und Spott seh' ich,« erwiderte der Pfarrer, »gegen mich und den Herrgott da oben. Weiter seh' ich nichts.«

»Na, da siehst du eben nicht viel! … Wenn du eine Ahnung hättest, wer hier vor dir steht, du würdest machen, daß du fortkommst, so rasch dein Pfaffenbauch es dir erlaubt! … Mit Schießaffairen kommst du mir? … Mir, der ich nur noch als lebendige Leiche in der Welt rumlaufe? … Du willst, ich soll deinem Jungen irgend einen bequemen Streifschuß auf den Pelz brennen, damit er übermorgen oder in vierzehn Tagen frisch losrenommieren kann! … Denn darauf läuft dein ganzes zuckersüßes Flehen doch hinaus … Nee, mein Alter, mit solchen Läppereien komm mir nicht … In meinem Herzen sitzt der Mord! … Vor meinen Augen hängt's wie eine Wolke von Blut … Auch dich seh' ich bloß so verschwommen da durch – und die Lampe und alles ist rot und trüb von lauter Blut! … Siehst du, das bin ich! … Und was ich noch mehr bin, das will ich dir sagen: Ein Wortbrüchiger bin ich, ein feiger Hund, der sich um seiner Geilheit und seiner Verzweiflung willen aus der Welt rausstehlen muß … Das Haus meines besten Freundes hab' ich besudelt mit meiner Brunst … Und weil ich nicht ganz zum Schuft an ihm werden will, so werd' ich's auch mit Blut besudeln … Skandal auf Skandal werd' ich häufen, so daß du dich schämen wirst, mein Alter, mich je im Leben gekannt zu haben. Und der schöne Wein, den du in meinem Hause getrunken hast, wird dir in der Erinnerung faul und bitter schmecken … Drum sauf noch einmal eins! … Prost, Alter – prost!«

Und er trank, trank die ganze Flasche leer und schleuderte sie dann in einen Winkel.

Der Pfarrer stand wie versteinert … Er wollte reden, aber die Worte versagten ihm.

»Ich komm' dir wohl recht dumm vor, daß ich das alles auskrame,« fuhr Leo fort, »aber ich werd' dir auch gleich sagen, warum ich das thue … Es hat mich zu sehr gekitzelt, einmal mit dir Abrechnung zu halten … Weißt du, wer schuld ist an dem ganzen Krempel? – Du! – Ja, vor allem du! Du und Johanna! Ihr habt mich reingehetzt in den Sumpf, wo ich jetzt elend verrecken muß … Und du gabst den Anstoß! … Ich hab' dir schon einmal im Herbste meine Meinung gesagt, aber damals war ich noch ein Lämmlein Gottes gegen das, was ich heute bin, und konnte das Ende nicht absehn … Bereuen hab' ich sollen – bereuen – bereuen – bereuen! … Ich hab' mich gewehrt und hab' euch angefleht mit aufgehobenen Händen: Laßt mich in Ruh' – laßt mich mein Leben führen, wie ich will … Aber ihr habt kein Erbarmen gehabt – du nicht – und sie nicht – und jene auch nicht, mit der es jetzt gerad' so zu Ende geht, wie mit mir … Aber die Weiber scheren uns hier den Teufel – du, Freundchen, auf dich kommt's an – und weil du damals kein Erbarmen mit mir gehabt hast, so hab' ich heute auch kein Erbarmen mit dir! … Lass' der Junge seinen zerhauenen Podex heilen, wie er will … Leg ihm Wegblatt auf die Striemen – oder Arnika, ganz wie's dir beliebt … Und tröst ihm die zerhauene Ehre mit Gottes Wort … Aber jetzt mach, daß du rauskommst … Ich hab' nichts mehr mit dir zu thun, wie du nichts mehr mit mir … Christian!«

Er öffnete die Thür.

»Christian, hilf dem Herrn Pfarrer den Ueberzieher anziehn! Gute Nacht.«

Damit warf er sich der Länge nach aufs Sofa und trommelte mit den Stiefelabsätzen gegen die Lehne. Um das, was im Zimmer vorging, kümmerte er sich nicht mehr.

Der Pfarrer taumelte hinaus, ohne recht zu wissen, was ihm geschah.

Die kalte Nachtluft brachte ihn wieder zur Besinnung.

Vor dem Hofthor machte er Halt und überlegte lange. Dann schritt er, anstatt nach Wengern heimzukehren, um das Parkgitter herum durch den tiefen Schnee zum Witwenhause hin. Dort polterte er mit dröhnenden Schlägen ein Dienstmädchen aus dem Schlafe und begehrte auf der Stelle die Frau Gräfin zu sprechen.

 

* * *

 

Am nächsten Morgen um acht Uhr wurde in Münsterberg vom Pfarrer Brenckenberg ein Telegramm zur Post gegeben, welches folgenden Inhalt hatte:

Baron Kletzingk

Königsberg
Hotel Deutsches Haus.

Kehre sofort heim. Deinem Hause steht Unheil bevor.

Johanna.


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