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XIV.

Als Leo gegen zwei Uhr morgens sein Schlafzimmer betrat und im Vorübergehen das Bett streifte, drang ihm vom Nachttisch her ein eigentümlicher Duft entgegen – ein Duft, den er kannte, und der vor Jahren oft genug an seinen Kleidern und an seinem Leibe gehangen hatte.

Und als er stutzend die Marmorplatte revidierte, fand er zwischen Büchern und Zeitungen ein elfenbeinfarbenes Briefchen liegen, auf dessen Rückseite in silberner Pressung eine Freiherrnkrone mit einer Taubenpost darunter sich erhob.

Die Handschrift war verstellt. Dennoch erkannte er sie auf den ersten Blick und – erbleichte. Mit zitternden Fingern erbrach er das Couvert.

Der Brief hatte folgenden Inhalt:

Leo!

Ich traue Dir, ich traue mir die Kraft zu, eine Begegnung zu ertragen. Ihr länger auszuweichen, wäre Feigheit. Es ist Zeit, daß wir uns über unsre Stellung zu einander und zur Außenwelt klar werden.

Ich werde Dich an jedem Morgen, an welchem der Nebel über dem Strome liegt, auf der Freundschaftsinsel erwarten … Bei dem Haupte eines dritten, der uns beiden gleich teuer ist, beschwöre ich Dich: Komm! … Dich ruft das Unglück.

Mit grellem Auflachen schleuderte er den Bogen von sich … Der flog zwischen die Bettgardinen und blieb auf den Kissen liegen.

Das fehlte gerade! Hatte er darum mit sich gerungen, heiß und ehrlich, Tage und Nächte lang, hatte er darum dem Bannstrahl des Gottesworts, dem Appell an Mannesehre und Freundschaft, dem Mahnen des eigenen Gewissens stand gehalten, daß diese verstohlene Botschaft all seinen Trotz und sein Beharren über den Haufen werfen sollte?

»Aber was hilft's!« murmelte er dann, in plötzlicher Klarheit seine Lage überschauend, »ich werde mich doch wohl einfinden müssen.«

Von Bereuen war darum noch keine Rede! Mochten alle Pfaffen der Erde sich mit allen hysterischen Weibern zum Rachebunde wider ihn verschworen haben – sich und seinem Vorsatz blieb er treu.

Nur in einem hatte Johanna recht: Wenn Felicitas die Würde ihres Hauses nicht zu wahren verstand, so war er der erste und einzige, um sie zu ihrer Pflicht zurückzuführen. Gab die gemeinsame Schuld ihm Macht über ihr schwaches, wandelbares Gemüt, so wäre es in der That Feigheit gewesen, wenn er diese Macht zu Ulrichs Wohle nicht hätte ausnutzen wollen.

Im übrigen konnte sie, eitel wie sie war, sein Fernbleiben ohne Mühe dahin deuten, daß er sich vor ihr fürchtete, daß er mit seinem Herzen noch nicht im reinen wäre und ihr die einstige Leidenschaft über all die Jahre hinaus in hündischer Treue aufbewahrt hätte.

Und nichts war lächerlicher, als ein solcher Gedanke.

In der That – niemals hätte er es für möglich gehalten, daß man im stande wäre, sich die Liebe zu einem Weibe, eine Liebe, die einstmals Raserei gewesen, so gründlich abzugewöhnen.

Nicht so viel – er blies über die Spitze seines Daumens – war davon hängen geblieben. – Seinetwegen durfte Ulrich ruhig schlafen!

Und dann erschrak er über diesen schmutzigen Einfall. Sein Blick glitt an der Wand empor. Tausendmal früher wäre jener ebenhölzerne Kasten an die Reihe gekommen, in dessen Innerem ein paar unfehlbare Tröster etwaiger Gelegenheiten harrten.

Im Zimmer auf und nieder schreitend, begann er sich vorzudeklamieren, was er ihr alles sagen würde.

»Weib!« würde er sagen, »hast du keinen Funken Schamgefühl im Leibe, daß du die Würde des besten, des edelsten Mannes in so kindischer Weise bloßstellst? Hat dich dein eigenes Schuldgefühl nicht gelehrt, das Leben von seinen großen Seiten zu fassen?«

Er kam gerade an dem Spiegel vorbei, als er das hersagte. Ein flüchtiger Blick des Wohlgefallens zeigte ihm, wie er hoch und herrlich dastehen würde in geläuterter Manneskraft und geprüftem Selbstvertrauen vor ihr – der schönen, lächelnden Sünderin.

»Dich ruft das Unglück,« mit dieser hohlen Phrase schloß der Brief. – Hohl war das sicherlich. Denn die Verbannung des Kindes, das einzige, was einen Schatten auf ihr Dasein werfen konnte, floß ja aus ihrem eigenen, freien Entschlusse.

Der Zorn schwoll in ihm empor.

»Rede soll sie mir stehen!« schrie er, und schüttelte die Fäuste.

Dann riß er in plötzlicher Atemnot ein Fenster auf und lehnte sich hinaus, die feuchtkühle Nachtluft einzusaugen.

Drüben im Eckflügel lagen die Zimmer der beiden Mädchen. Die jüngstverflossene Stunde fiel ihm ein. – Wie weit versunken war nun das alles! Er schloß das Fenster, verbrannte den Brief und entkleidete sich, denn er wollte versuchen, die zwei Stunden, die ihm noch übrig blieben, zu verschlafen. –

Als er wie gewöhnlich neben Uhr und Börse auch den Ring, den er trug, auf den Nachttisch legen wollte, stutzte er, denn ihn hatte er einst von Felicitas als Echange für den Brillanten, den er ihr verehrt, zum Geschenk erhalten.

Er betrachtete den schlichten Reif mit der Saphirplatte darin, durch deren Randfacetten ein Feuerwerk von hell- und dunkelblauen Lichtern brach: dann studierte er die Innenseite, wo neben beider Initialen das Datum eines großen, verhängnisvollen Tages geschrieben stand.

Durch die Gewohnheit des Tragens gedankenlos geworden, hatte er den Ring auch dann noch am Finger behalten, als der letzte Rest von Neigung zu seiner Geberin längst in ihm erloschen war.

»Jetzt wirst du ihn wohl ablegen müssen,« sagte er sich. Wie leicht konnte sie ihre Schlüsse ziehen, wenn sie ihn morgen noch an seinem Finger sah. – Und er nahm sich vor, ihn in der Frühe für immer zu verschließen.

Als er sich ins Bett warf und den Kopf in den Kissen zurechtnesteln wollte, fuhr er erschrocken wieder empor, denn wie durch einen Spuk fühlte er sich ganz von dem Dufte eingehüllt, den vorhin der Brief der einst Geliebten ihm vor die Sinne gerufen hatte. Und dann erst besann er sich, daß er den Bogen vorhin ins Bett geschleudert hatte, und daß seine Spur am Linnen haften geblieben sein mußte.

Und ob er auch das Kissen umdrehte und schließlich hinauswarf, jener Duft – aus Iris und Opoponax gemischt – den wie ein Wahrzeichen ihres Lebens alles ausströmte, was in ihrer Nähe war, jener vermaledeite Duft wollte nicht weichen. Er quälte ihn mit schreckhaften Träumen und jagte ihn minutenweise in wüstes Erwachen zurück.

Um halb fünf klopfte die lange Stange des Thorwächters wie gewöhnlich an die Fensterscheiben.

Er schoß empor. Sein Kopf brannte. In den Schläfen stach und bohrte das aufgehetzte Blut. Die morgendliche Douche erfrischte ihn nicht. Gefühllos ließen die schlaffen Glieder das kalte Wasser an sich niederrinnen.

Das Wetter war günstig. Der Nebel dieser Nacht hing noch über dem Garten. Der Obelisk glich einem Schatten. Von den ferneren Bäumen keine Spur. Er brauchte nicht zu fürchten, von Uhlenfelde aus gesehn zu werden, wenn er sich im Boote der Insel näherte. Wozu also zaudern?

Eine Viertelstunde später galoppierte er unter den triefenden Bäumen des Landweges dahin. Er mußte den Umweg über Wengern wählen, denn in dem einzigen Fahrzeug, das an der Landungsstelle lag, war ja Hertha gestern davongefahren.

Er ließ das Pferd im Vorwerk und schritt schwerfällig zur Fähre hinunter.

Noch war ihm nicht klar geworden, was er that. Daß er in der nächsten Stunde dem Weibe gegenüberstehn sollte, welches das Schicksal seines Lebens geworden war, erschien ihm unfaßbar und gleichgültig trotzdem. – Wie ein Schlafwandler ging er dahin. Nur ein dumpfer Druck im Schädel, eine quälende Enge auf der Brust sagten ihm, daß dieser Weg ihn großen und unabsehbaren Ereignissen entgegenführte. –

Der alte Jürgens war außer sich vor Staunen, als er seinen Gebieter in aller Herrgottsfrühe zu Fuße daherkommen sah. Mit geschwätziger Hast bereitete er ihm das Boot, gab allerhand gute Lehren und Warnungen mit auf den Weg und ließ den morschen Kadaver bis an den Bauch ins Wasser sinken, um dem gnädigen Herrn einen bequemen Abstich zu sichern. Aber das blanke Thalerstück, das ihm beim Abschied in die Hand fiel, hätte er sich doch nicht träumen lassen. Jetzt erst kannte er seinen Dienst. Jetzt hieß es wieder wie in früheren Zeiten: »Maul halten!«

Als Leo mitten im Nebel auf der grauen, quirlenden Wasserfläche dahintrieb, spannte sich der Druck, der bisher auf seinem Scheitel gelastet hatte, wie ein eiserner Ring so fest um seine Stirn, als wollte er ihm die Hirnschale zusammenpressen. Seine schlaffen Arme hatten kaum mehr die Kraft, die Ruder festzuhalten.

Fast willenlos ließ er sich stromabwärts treiben.

Rings um ihn wogten und wallten die wassergetränkten Dünste – hoben sich, wiegten sich wie Gallertmassen, die ein unsichtbarer Stoß erschüttert, und ließen sich wieder sinken. … Hie und da bahnte sich die Sonne schwefelgelbe Lichtwege durch das milchige Dickicht, schnitt leuchtende Kreise auf der Wasserfläche aus und wurde von schwankenden Nebelwänden wieder zurückgedrängt … Das Wasser schien gärend emporzusteigen … Ueberall schwammen kleine Bläschen, die von kreisenden Wirbeln in die Runde getrieben wurden.

Die Ufer waren verschwunden, nur auf der Halewitzer Seite tauchten von Zeit zu Zeit Schilfbündel in phantastischer Höhe aus dem grauen Dunst hervor.

Aus der Ferne kam ein kurzes, schrilles Läuten, wie von geborstenen Schlittenglocken … Auf Uhlenfelde wurde zum Frühstück gerufen … Die Uhr war sechs …

»Was für kuriose Sitten muß sie für sich eingeführt haben,« dachte er, »wenn sie um diese Stunde nicht bloß einmal, sondern so und so viel Tage nacheinander einfach verschwinden darf!«

Er reckte sich, gähnte und ließ kaltes Wasser über sich hinspritzen. Lähmend wie eine Kettenlast lag die Erwartung auf seinen Gliedern. Dann begann er allmählich frischer zu werden. Der Ruderschlag trieb den Blutstrom rascher durch seine Adern. Und der erste Gedanke, den die wiederkehrende Lebenskraft in ihm erweckte, war:

»Kehr um!«

Doch das war ja Wahnsinn! Eher mußte er es als ein Glück empfinden, daß diese Zusammenkunft auf so zwanglose Weise zu stande kam. Er hatte nicht nötig, Uhlenfelder Boden zu betreten, brauchte Ulrich gegenüber keine Ausflüchte zu suchen und blieb in Zukunft frei, wie er gewesen war.

Mit ganzer Macht ließ er die Ruder ausgreifen, so daß hinter ihnen schäumende, gurgelnde Strudel sich in die Tiefe bohrten.

Ulrichs Ruhe, Ulrichs Glück – das war ein Ziel, dessen man sich nicht zu schämen brauchte.

Als er etliche Minuten später sich umwandte, sah er die Nebelwand am Kiel durch einen dunklen, urnenartigen Schatten, der turmhoch in die Höhe wuchs, in zwei Teile gespalten.

Mit jähem Satze fing ihm das Herz zu schlagen an. »Du thust ja gerade, als wärst du noch in sie verliebt,« sagte er und versuchte sich auszulachen.

Das Boot fuhr schrammend auf den Sand der Landungsstelle, der einzigen, welche das Eiland bot, dessen Ufer, von der Strömung halb unterfressen, sich steil aus dem Wasser emporhoben und nur durch das verfilzte Wurzelgeflecht in ihrem Bestande geschützt wurden.

Hier hatte ein Quell, welcher das Inselchen in zwei annähernd gleiche Teile trennte, eine winzige Buchtung ausgehöhlt, deren stilleres Wasser zwei oder drei Booten Unterschlupf zu bieten vermochte. –

Eine schmale, weißleuchtende Sandbank, über welche ein mächtiger Baldachin von Erlenzweigen sich wölbte, bildete ein liebliches Winkelchen, an dessen Spitze der Quell mit Murmeln und Schwatzen herniedergerieselt kam, um sich innerhalb eines Schaumkranzes mit dem Wasser der Bucht zu vereinen.

Leos erster Blick fiel auf das schneeweiße Boot, das mit einer langen, blanken Kette über den Sandstreifen hinweg um eine Erlenwurzel geknotet war.

Also … sie wartete auf ihn.

Das Dunstgewölk, das zwischen den triefenden Zweigen umherstrich, um sich jenseits der ersten Stämme zu reglosen Schleiern zu verdichten, hüllte das Innere in undurchdringliches Grau. Selbst von dem Tempel war nichts zu sehn.

Langsam schritt er am Rinnsal entlang auf Trittsteinen, die wuchernde Farnwedel halb verdeckten, zur Höhe empor. Das Unterholz war ganz verwildert und bildete dichte Heckenwände, durch welche ein schmaler Pfad hindurchgebrochen war.

An einem der Aestchen hing ein blaues Seidenband. Halb gedankenlos steckte er es in die Tasche.

Dann lichtete sich das Dunkel. – Nach dem Rasenplatze, der inmitten des Busches auf der Inselhöhe gelegen war, hatte das Brombeergesträuch, das mit seinen dornigen Ranken den Waldboden fast ganz bedeckte, seine ersten Ausläufer vorangeschickt. Blauschwarz und rosa schimmerten die reisenden Beeren unter dem Blätterdache hervor. Dicke Tropfen hingen am Dornengezweig.

Nicht fern vom Rande der Lichtung lag der alte Opferstein.

Tief aufatmend machte er neben ihm Halt und strich mit der bebenden Hand über die verwitterte Fläche, in deren Vertiefungen purpurrote Flechten sich eingenistet hatten – wie Tropfen verspritzten Blutes anzuschaun.

Sein Auge suchte den Tempel, der, einem überdachten Grabdenkmale gleichend, mit seinen zwei Giebelsäulen und der Statuengruppe dazwischen, sich aus den Nebelmassen heraushob.

Dort, an den Sockel gelehnt, kauerte auf den Stufen fröstelnd eine Frauengestalt, die bei seinem Nahen langsam das Haupt erhob und es nach einem kurzen, traurig-scheuen Blicke in die gespreizten Hände zurücksinken ließ.

Aber dieser einzige Blick hatte ihm gesagt: »Sie ist die gleiche geblieben.«

Unter der Kapuze des Waterproof, die sich so dicht um Stirn und Wangen zusammenschnürte, daß sich von ihrem Blondkopf nur hie und da ein verlorenes Löckchen über den Rand hinwegringelte, hatte dasselbe süße, bleiche Gesicht, das einst seine Sinne in seligem Rausche gefangen gehalten, mit denselben rätselhaft verschleierten Blauaugen und demselben Leidenszuge um die Mundwinkel ihm entgegengeleuchtet.

Sie drückte sich enger gegen den Sockel und machte keine Miene, sich zu erheben, als er entblößten Hauptes vor sie hintrat.

»Felicitas!« rief er sie an. Seine Stimme klang hart und drohend – ein wenig härter vielleicht, als er beabsichtigt hatte.

Ein thränenloses Schluchzen, das den schmiegsam rundlichen Leib erbeben ließ, gab ihm die Antwort. Ohne aufzuschauen, löste sie die Linke von ihrem Gesicht und streckte sie langsam gegen ihn aus … In schlaffem, hilflosem Suchen tastete diese Hand nach jener andern, die da kommen sollte, sie zu ergreifen und festzuhalten.

Allein die Absicht, sie in freundschaftlicher Weise zu begrüßen, lag ihm fern – und die Hand sank, ohne einen Halt gefunden zu haben, wie ein flügellahmer Vogel auf den Boden fällt, in ihren Schoß zurück.

»Du hast mich zu sprechen gewünscht, Felicitas,« sagte er.

Da ließ sie auch die Rechte von ihrem Angesichte sinken, und der feuchte, vorwurfsvolle Blick, der sich zu ihm emporwandte, fragte ihn: »Hab' ich das um dich verdient?«

»Sie hat doch gealtert,« dachte er bei sich, indem er sie genauer betrachtete. –

Ein wenig ramponiert sah sie aus. Wohl tauchten die Linien ihres Ovals in zarter, ungebrochener Frische nach dem runden Kinne nieder, wohl leuchtete die Stirn in milchiger Reinheit, mädchenhaft umspielt von dem vorquellenden Gekräusel, doch von den äußeren Augenwinkeln streckten sich zierliche Katzenkrallen bis über den Ansatz der Wangen hin – der Mund schien tiefer herniedergezogen, und in der Linie der Brauen saß ein schmaler, sorgfältig gerundeter Strich von blonder Fettschminke, an dem sich der Nebel in einer Kette kleiner, glänzender Tautröpfchen festgesetzt hatte.

»Merkwürdig,« wiederholte er den Gedanken dieser Nacht, »wie man sich doch die Liebe zu einem Weibe so gründlich abgewöhnen kann;« – und dann sagte er noch einmal: »Felicitas, du hast mich zu sprechen gewünscht.«

Leise und zaghaft erhob sie ihre Stimme. »Du, Leo, hattest diesen Wunsch wohl nie?« fragte sie.

»Nein,« erwiderte er schroff.

Um ihre Mundwinkel zuckte ein schmerzliches Lächeln, das ihm, so gut er sich gewappnet fühlte, einen Stich in die Seele gab. Er durfte strenge, doch durft' er nicht roh mit ihr verfahren.

»Du mußt mich recht verstehn, Felicitas,« fuhr er in weicherem Tone fort. »Wir sind nicht hergekommen, um Süßholz zu raspeln oder in der alten Asche herumzuwühlen. Hier heißt es ernst und offen sprechen, wenn's auch noch so weh thut – und ich habe die Absicht, dir sehr weh zu thun.«

Sie atmete tief auf. Diese unumwundene Kriegserklärung schien sie zu beruhigen. Dann senkte sie demütig das schöne Haupt.

»Vor allem eins,« fuhr er fort, »damit sich kein Mißverständnis in unsern Verkehr einschleichen kann … Hast du verschmerzt, was einmal zwischen uns geschehn ist?«

»Ich verstehe dich nicht,« sagte sie leise.

»Hast du – hast du – kurz und gut – fühlst du noch einen Funken Neigung für mich?«

Sie schloß die Augen und schüttelte den Kopf – müde und langsam wie eine Kranke.

»Du kannst ganz ruhig sein,« sagte sie dann, noch immer mit halb geschlossenen Lidern, »ich verabscheue keinen Menschen auf der Welt so sehr wie dich.«

»Das hätt'st du nun gerade auch nicht nötig,« erwiderte er mit gezwungenem Auflachen. »Was zwischen uns geschehn ist, ist wie mit Naturnotwendigkeit geschehn, nachdem wir erst einmal so weit – –«

Er schwieg, dunkel fühlend, daß ihm sein Konzept in Unordnung geriet.

Und dann raffte er sich wieder zusammen und fuhr fort:

»Es handelt sich jetzt nicht um das, was war, sondern um das, was ist … und ob du mich verabscheust oder nicht, ist ganz egal … Da ich hier bin, nehm' ich mir das Recht, dir ein paar Fragen vorzulegen … die hast du mir zu beantworten, denn ich stehe hier als der Freund deines Mannes.«

Sie lächelte, in ihr Schicksal ergeben, zu ihm hinauf. »Frage nur,« flüsterte sie.

»Ist es wahr, was sich der Klatsch im Kreise erzählt, daß du Ulrich – daß du Ulrich – betrügst?«

Ruhig, sanft, ohne den verschleierten Blick von seinem Angesicht zu wenden, erwiderte sie: »Ja!«

Ihm war, als ob das Mauerwerk des Sockels, an den sie sich lehnte, zu schwanken begänne. Zorn und Grauen schüttelten ihn. Indem er die gespreizten Finger nach ihr ausstreckte, rief er würgend ihren Namen.

Sie faltete matt lächelnd die Hände und sagte: »Ich betrüg' ihn täglich und stündlich, Leo … mein Leben ist Lug und Schande geworden … Ulrich hat die Hölle an meiner Seite.«

»Wer ist der Schurke?« knirschte er. »Nenn mir seinen Namen … Du gehst nicht lebendig weg, wenn du mir nicht seinen Namen nennst.«

»Warum sollt' ich nicht?« erwiderte sie immer mit demselben rätselhaften Lächeln. »Leo Sellenthin heißt er.«

Mit tiefem Aufatmen ließ er sich gegen die Seitenwand des Tempels fallen. Sie spielte also nur Komödie mit ihm. Gott sei gelobt! Gott sei gelobt!

»Höre, Felicitas,« sagte er dann, »ich bin zwar nicht hier, um mit mir herumulken zu lassen – aber du sollst meinen Namen doch nicht umsonst genannt haben. – Darum beantworte mir jetzt die Frage: Wie hast du es wagen können, zu der Zeit, als ich so gut wie verschollen war, mit Verschweigung dessen, was – wir wissen schon, was – Ulrichs Frau zu werden?«

Ihr Lächeln verklärte sich. Es schien fast, als weidete sie sich an seinem Zorne. Aber sie schwieg.

»Mußtest du nicht fürchten,« drohte er, »daß ich dich umbringen würde für diesen Betrug – wenn ich mal zurückkam?«

»Ich hoffte es,« flüsterte sie und hob die gefalteten Hände ein wenig von ihrem Schoße.

»Felicitas,« erwiderte er, »ich warne dich … laß die Mätzchen … bei mir kommst du damit nicht durch. Noch einmal frag' ich dich: wie durftest du Ulrich –«

Da hob sie die Hände vollends zu ihm empor und flehte: »Schilt mich nicht – bitte – schilt mich nicht!«

»Also steh Rede!«

»Ich will ja alles – alles sagen!« beteuerte sie, »wenn du nur ein wenig Geduld mit mir hättest! … Willst du das, Leo?«

»Aber ja doch – ja!«

»Sieh nur – damals – ich muß es dir ja gestehn – wenn es mir auch noch so schwer fällt – damals war meine Liebe zu dir noch nicht aus dem Herzen gerissen! … Und, da es doch – siehst du – unmöglich war, daß wir je zusammenkommen konnten nach Rhadens Tod –«

»Warum war es unmöglich?« unterbrach er sie. »Hab' ich dich nicht in jener Nacht nach dem Duell auf den Knieen beschworen, mit mir zusammen zu fliehn? – Warum sollten wir nicht drüben in Amerika oder sonstwo am andern Ende der Welt ein neues Leben beginnen können, wenn wir es mit unsrer Liebe ernsthaft meinten? … Ich war entschlossen, dir alles zu opfern – aber du – – na, das ist ja vorbei! – Schweigen wir drüber … Da es unmöglich war, daß wir zusammenkommen konnten, sagtest du.«

»So wollt' ich wenigstens eines,« gestand sie – »sieh mich nicht an, bitte – wenigstens in deiner Nähe bleiben wollt' ich.«

Er faßte das Entsetzliche nicht, das er vernahm.

»Als Ulrichs Frau?« stammelte er, »Felicitas, besinn dich, was du sprichst … Als Ulrichs Frau?«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Nicht doch!« flüsterte sie. »Denke nicht so niedrig von mir. Nichts weiter wünscht' ich mir, als dich bisweilen zu sehn – und deine Stimme im Ohr zu haben – und mich an deinem alten Lachen zu erquicken … Denn vergiß nicht: damals liebt' ich dich noch! … Wenn ich sündigte, so geschah es aus Liebe zu dir … Schilt mich deswegen, wenn du es kannst.«

Nein, er konnte es nicht. Die Schwester hatte recht behalten: es war nicht leicht, den Richter zu spielen, wenn man mit auf die Sünderbank gehörte.

»Lassen wir also jene Zeit ruhen,« sagte er nach einem Schweigen. »Ich habe meine Antwort … Mehr wollt' ich nicht … Aber wir sind noch nicht zu Ende … Jetzt kommt die Gegenwart an die Reihe! … Ist es wahr, Felicitas, daß du dich mit so und so viel Anbetern umgeben hast – und es leidest, daß dir in Ulrichs Hause der Hof gemacht wird?«

»Ja,« erwiderte sie, aufs neue ihr ergebungsvolles Lächeln annehmend.

»Ist es wahr, daß du dir galante Briefe schreiben läßt und darauf antwortest?«

»Ja!«

»Und trotz alledem – – Felicitas –?«

»Trotz alledem, Leo!«

Er fühlte von neuem, wie die Wut ihn übermannte. Ihm war, als sollte er darin ersticken. Er mußte an sich halten, um nicht auf sie loszustürzen, sie, die ruhig dasaß und in ihrer wehrlosen Lieblichkeit zu ihm emporlächelte.

»Mein Gott, so rede doch!« stöhnte er.

»Du hast mich gefragt – ich habe dir geantwortet … Was soll ich mehr?«

»Rechtfertigen sollst du dich.«

»Ich habe mich nicht zu rechtfertigen. Willst du mich töten – hier bin ich. Mein Elend ist so namenlos, daß mir der Tod nur eine Wonne sein würde.«

Und sie lächelte noch immer. – Wenn sie heuchelte, würde sie weinen, so folgerte er.

»Aber erzählen will ich dir alles,« fuhr sie fort, »will dir beichten, wie ein Verbrecher dem andern, der auf der Galeere an ihn angeschmiedet ist … Denn so angeschmiedet bist du mir, Leo … durch unsühnbare Schuld … in Sünde und in Thränen.«

Sie war aufgestanden und hatte die Arme ein wenig erhoben. In vollendeter Plastik – Magdalena, die Büßerin – so stand sie da.

Ein Schauer, aus Grauen und Bewunderung gemischt, lief ihm über den Leib.

Er wußte, daß es Romanphrasen waren, in denen sie sprach, aber diese Phrasen packten und schüttelten ihn, daß der Kopf ihm wirbelte.

Sie war einen Schritt auf ihn zu getreten. Kreidebleich, mit wogender Brust und zuckendem Munde stand sie ihm gegenüber.

»Also ich wurde sein Weib,« begann sie. »Als ich zum erstenmal in seinen Armen lag, bekam ich Krämpfe. Ich glaubte zu sehen, daß du, Leo, mit angelegter Pistole neben dem Bette standest und auf meine Stirn hinzieltest … Und diese Vision verließ mich erst, als ich wieder allein war. – So ist es gekommen, daß er nicht viel Freude an unsrer Ehe erlebt hat … Unglücklich ist er geworden, wie ich es bin. – Aber sein Unglück erscheint mir wie himmlische Seligkeit, wenn ich es mit den Qualen vergleiche, Leo, in denen ich gerungen habe – hilflos und rettunglos – wie ein Fisch, der im Sande liegt und der langsam verendet … Meine Liebe zu dir, Leo, hatte ich bis dahin als ein Heiligtum still in meinem Herzen gepflegt. Die fing nun an, sich in eine nagende, bohrende Angst zu verwandeln. Nichts wie Angst, Leo, wo ich auch hinsah … Angst vor dir – Angst vor ihm – Angst vor Johanna – Angst vor der ganzen Welt … Schon als Braut hatte ich einen solchen Anfall gehabt. Da war mir gewesen, als ob die Briefe an dich –«

»Ich weiß,« unterbrach er sie, »Johanna hat mir alles erzählt.»

Sie neigte schmerzvoll das schöne Haupt.

»O, jetzt weiß ich, wer dich gegen mich hetzt,« flüsterte sie. »Aber sie hat recht. Ich bin ganz so schlecht, ganz so verderbt, wie ihr Haß mich ausmalt.«

Er für sein Teil las aus allen diesen leidenschaftlichen Selbstanklagen nur den einen Vorwurf heraus, den seine Schwester ihm prophezeit hatte, den Vorwurf: »Du trägst die Schuld!«

»Schmäh dich doch nicht,« sagte er, zugleich sich selber Zuversicht einredend, »es wird so schlimm nicht sein.«

Sie seufzte tief auf und lehnte ihren Kopf in wohligem Ermatten gegen die Füße der weißen Jünglingsgestalt, die ihr zunächst auf dem Sockel stand.

»Hab Dank für dies Trostwort,« sagte sie, wie eine Träumende leise vor sich hinredend. »Es ist das erste, das sich seit Jahren zu mir verirrt hat … denn wem durfte ich meinen Jammer klagen, und meine Angst und meine Reue? … Selbst die Verdammten in der untersten Hölle haben doch ihre Gefährten – ich hatte keinen … Und nun fragst du mich, wie ich es mitten in meinem Unglück hab' übers Herz bringen können, ein albernes, frivoles Spiel zu treiben und zu dulden, daß sich fremde Männer an mich heranwagten? … Ich könnte dir einfach erwidern, daß ich mich in einem Taumel von Zerstreuungen habe betäuben wollen … Es liegt das ja so nah und bietet einen schönen Deckmantel … Aber ich wag' nicht, dich zu belügen … Sieh, Leo – als meine Liebe zu dir bis auf das letzte Fünkchen erloschen war – erloschen in Furcht und in Reue – da verlor ich meinen letzten, meinen einzigen Halt … Ich verzweifelte an allem Guten in mir, und eine Stimme schrie mir zu täglich und stündlich: Nun sinke nur weiter auf der abschüssigen Bahn – deinem Schicksal entgehst du nicht. Wenn man mir Liebesworte ins Ohr sagte, zwang ich mich zu einem Lächeln, ob mir auch dabei ein Schauder über den Leib lief … Nachts weint' ich – tags lacht' ich … Meine Launen erfüllt zu sehen, schien mir noch das einzig Wertvolle am Leben … So trieb mich ein Stachel, den ich immerzu bohren fühlte, weiter und weiter in die Selbstverachtung hinein … Manchmal, wenn ich bemerkte, wie Ulrichs Augen sorgend auf mir ruhten, – dann war's mir, als müßt' ich mich ihm zu Füßen stürzen und ihn anflehen: Rette mich, rette mich! … Aber dann stand das Phantom meiner Schuld – unsrer Schuld, Leo, das stand da – riesengroß und fürchterlich dicht hinter mir und rief mir ins Ohr: Wenn du dich auch selbst zum Opfer bringst, deinen Genossen, den darfst du nicht verraten … Und so hab' ich denn die Last weitergeschleppt – die fürchterliche Last des Schweigens … Ein Wunder ist's, daß mein Leib die eheliche Treue gewahrt hat – daß ich heute nicht als eine Verworfene vor dir stehe … Jede Laune hätte mich in den Abgrund stürzen können … So ganz verzweifelte ich an mir.«

Sie schwieg und preßte die Stirn gegen die Sockelkante, während sie sich mit emporgestreckten Händen an einem der Jünglingsfüße aufrecht hielt … Wie eine Hüterin des Freundschaftsbundes, dessen Symbol sie umklammerte, sie, die sein Dämon geworden war.

Die Sonne begann den Nebel zu durchbrechen … die Lichtung lag als goldig schimmernde Schale da, auf welcher der Opferstein im Glanze des Taues glitzernd wie eine Riesenperle sich erhob … Grellfarbige Falter flatterten an den Säulen vorüber, und aus den Wipfeln tönte von Zeit zu Zeit eine spätsommerlich matte Vogelstimme … Die Quelle, die wenige Schritte von der Tempelwandung entfernt, aus dem Erdreich hervorsprudelte, ließ einen leisen, kichernden Laut hören – dann eilte sie geschwätzig zu Thal – eine hohnlachende Zeugin des traurigen Gesprächs.

Leo ließ keinen Blick von der einstig Geliebten.

Vollkommen ratlos stand er ihr gegenüber … Von Schelten und Ermahnen konnte nicht mehr die Rede sein, wo es zu helfen und zu retten galt … Doch was konnte, was durfte er für sie thun, ohne Schuld auf Schuld zu häufen und neuen Betrug in das Haus des nichtsahnenden Freundes zu tragen?

»Lizzie,« sagte er mit weicher Stimme, »du hast mich herbestellt … Was willst du von mir?«

»Das fragst du, Leo?«

»Ich frage, weil ich es nicht weiß.«

»Warum bist du mir ausgewichen? Warum hast du das arme, unschuldige Kind als Vorwand gebraucht, um dich an Uhlenfelde vorbeizuschleichen? Ich hab' dich früher mutiger gekannt, Leo!«

Das gab der Sache freilich eine ungeahnte Wendung.

»Ich habe einen Verkehr zwischen uns nicht mehr für möglich gehalten, Lizzie,« sagte er, »unsrer beiden wegen gerad so wie wegen deines Mannes und wegen der Welt. Denn – was soll die Welt von dir sagen, wenn sie uns wieder freundschaftlich verkehren sieht?«

»Die Frage hättest du ruhig mir überlassen können,« antwortete sie und sah mit ihrem stillen Lächeln vor sich nieder.

»In dieser Sache hab' ich für dich zu sorgen wie für mich,« erwiderte er. »Vor allen Dingen aber hab' ich aus Ulrichs Worten schließen müssen, daß du selbst nur mit Grauen an ein Begegnen mit mir gedacht hast. Du hattest doch sogar von ihm gefordert, daß sein unschuldiger Verkehr mit mir aufhören sollte.«

»Was konnte ich thun,« erwiderte sie, »nachdem du dich so lieblos über mein Kind geäußert hattest?«

»Lieblos? Felicitas, besinn dich, was du sprichst. Auf dein Kind selber hab' ich Rücksicht genommen. Sollt' es mich lieb gewinnen, um mich später hassen zu lernen? Mich – und dich mit?«

»Und doch hattest du die Absicht, es mit mir nach Amerika zu nehmen,« erwiderte sie hartnäckig.

»Das war doch ganz was andres, Lizzie. Dort hätt' es ja nie erfahren, wer ich bin … Es hätte mich als Vater betrachtet und damit gut! … Aber hier, wo jede Dienstmagd – aber, mein Gott, wozu red' ich viel? Du hast das ja alles selber längst bedacht, indem du es so weit weggabst.«

»Das Kind ist fort,« entgegnete sie leise. »Ich bete und weine jede Nacht, aber es steht dir nicht mehr im Wege.«

Erschreckend fuhr er in die Höhe. » Darum, Felicitas?« stammelte er, »darum also?«

»Wenn du mich eine schlechte Mutter schelten willst,« sagte sie, »thu, was du willst, – ich bin dir preisgegeben.«

Sie faltete die Hände über dem Schoße und sah in rührender Hilflosigkeit vor sich hin ins Leere.

»O, es hat mich einen schweren Kampf gekostet,« fuhr sie fort, wie mit sich selber redend. »Jede Nacht ist mein armer Junge mir im Traum erschienen – eiskalt ist mir geworden, wenn ich ihn so blaß und elend vor mir sah. – Aber er ist jung, hab' ich mir gesagt – er wird sich durchkämpfen – er wird leben und glücklich sein … während ich … sieh, Leo … ich weiß wohl … ich kämpfe nun meinen letzten Kampf … Ich kann die Qual zu schweigen nicht mehr ertragen … die Reue erwürgt mich … Hätt' ich das Kind bei mir gelassen und dich entbehren müssen, dich, den einzigen, der mir helfen und raten und Trost zusprechen kann, Leo, was wär' mir übrig geblieben, als mich in den Strom zu stürzen? Denn im Tode, sagt man, fällt das Schweigen nicht schwer.«

In ihm kämpften Rührung und Argwohn … Wenn sie ihm Opfer wie dieses zu bringen im stande war, so hieß das nichts weniger als: »Ich liebe dich – ich liebe dich noch immer.«

Sie erriet seinen Gedanken.

»Du mußt mich nicht mißverstehen,« begann sie von neuem, »und etwa glauben, daß ich dich tückisch an mich locken will. Sieh mich an, Leo. Ich bin ganz aus Lug und Trug zusammengesetzt … mein Gesicht ist wie eine Larve zum Verblenden … und in meiner Seele haust die Hölle. Aber so wahr ein Gott im Himmel lebt, – so wahr Ulrich uns beiden heilig ist –«

»Ist er's?« fragte er, einen Schritt auf sie zutretend.

»Ja!« Freiwillig erhob sie die Finger zum Schwure.

Ernst und rein blickte ihr Auge.

»So gib mir die Hand,« sagte er.

Sie legte die Schwurfinger ruhig in seine Rechte. Dabei fiel ihr Blick auf die Saphirplatte.

»Leo,« sagte sie mit einem wehmütigen Lächeln, »ich freue mich, daß du meinen Ring noch trägst.«

Er fuhr zusammen. Diese fatale Gedankenlosigkeit! Anstatt ihn zu verschließen, hatte er ihn heute früh wie immer an den Finger gesteckt.

»Erschrick nicht,« fuhr sie fort. »Der arme Ring hat nichts verbrochen … Trag ihn ruhig weiter. Früher ist er uns ein Sinnbild der gemeinsamen Sünde gewesen, fortan soll er uns sagen, daß wir eins sind in der Reue über das Geschehene … und wenn wir selbst nicht glücklich werden können, so wollen wir doch einen andern glücklich zu machen suchen, der uns teuer sein muß, wie wir uns selbst.«

»Das war brav gesprochen, Felicitas,« sagte er, »und hältst du fest daran, so wird noch alles gut werden.«

»Wenn du mir hilfst, dann gewiß.«

Er wußte wohl, was sie verlangte. Es war dasselbe, was der Pfarrer und Johanna von ihm verlangt hatten. Er fühlte sich mürbe geworden. Wenn sie alle gleichen Willens waren, wenn es nach ihrer Ueberzeugung nur einen einzigen Weg der Sühne gab, so mußten sie wohl recht haben.

»Nichts bereuen,« war bislang sein Wahlspruch gewesen. Aber schließlich brauchte er ihm ja nicht untreu zu werden, wenn er in geläuterter Kraft das Haus des Freundes wieder betrat, um den Sonnenschein zu bringen, der dort fehlte.

Und wie er noch zaudernd überlegte, sah er plötzlich das Weib zu seinen Füßen liegen.

Die Kapuze war ihr in den Nacken hinabgeglitten. Das wirre Blondhaar, von einem blauen Bande kaum gebändigt, umgab in leuchtenden Locken und Löckchen das blasse, traurigschöne Angesicht.

Erschrocken neigte er sich nieder, sie zu erheben. Aber sie wehrte sich.

»Laß mich deine Kniee umfassen,« flehte sie, »nicht eher will ich aufstehn, als bis ich weiß, daß ich nicht mehr elend und verlassen bin in meiner Sünde, daß du bei mir stehn willst, wenn die Reue mir das Herz zerfleischt – damit ich nicht länger schweigen und verzweifeln muß.«

»Ich will, Felicitas,« sagte er, »steh nur erst auf.«

Ihre Hände tasteten sich nach den seinen empor. »Wann wirst du kommen?« fragte sie flehend.

»Wann du willst!«

»Komm heute!« bat sie. »Er verschmachtet nach dir!«

»Seit wann ist er zurück?«

»Seit drei Tagen. – Sag ihm, du wollest eine Unterredung mit mir. Weiter nichts. Wirst du kommen?«

»Ja. Ich werde kommen.«

Ein Schauder der Freude ließ sie erbeben.

»So versprech ich dir,« schloß sie, sich aufrichtend, »daß ich dich nicht länger als meinen Todfeind betrachten will – und daß ich streben werde, dir nichts als Glück und Freude zu bereiten.«

»Auf mich kommt's nicht an,« erwiderte er. »Aber Ulrich – wirst du Ulrich glücklich machen?« Sie zuckte leise zusammen.

»Ich werde!« sagte sie tonlos.

*

Zehn Minuten später stieß das weiße Boot von der Landungsstelle.

Leo, im Gebüsch verborgen, schaute ihm nach.

Sie grüßte ihn nicht mehr, sie sah sich nicht mehr suchend nach ihm um, und er fühlte sich ihr dankbar deshalb.

Als sie drüben landete, schien es ihm, als sänke sie für einen Augenblick kraftlos oder weinend vor der Ruderbank zusammen.

Nachdenklich kehrte er zum Tempel zurück. Der Nebel hatte sich verzogen. Darum mußte er wohl eine Stunde oder mehr sich auf dem Eiland versteckt halten.

Warmer Vormittagssonnenschein lag auf der Lichtung. Breitflüglige Wespen umkreisten mit leisem Surren die Brombeerfrüchte … Eine Blindschleiche kroch träge über das halbtrockene Gestein.

Von den Halewitzer Feldern her drang von Zeit zu Zeit ein fröhlicher Aufschrei, der langsam in den Lüften verrollte. Pflüger waren's, die unweit des Stromes arbeiteten.

Dort war sein Reich. Dort seine Arbeit und sein Glück.

Von dumpfer Unruhe gejagt, lief er vor dem Tempel hin und her, dessen Statuen mit ihrem starren Lächeln gleichmütig auf ihn niederschauten.

Der weiche Sandstein, aus dem sie gemeißelt waren, hatte angefangen zu verwittern. Die blühenden, vollen Jünglingsgesichter waren runzlig geworden und zeigten Höhlungen und Narben, als wären sie von den Blattern zerfressen. Der Arm des einen war bis zum Ellenbogen heruntergeschlagen. Der Stumpf ragte ungestalt wie ein Pfahl, den man in das Fleisch getrieben, aus dem Oberkörper hervor.

»Man muß euch auffrischen, arme Kerle,« sagte er und reckte sich beklommen.


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