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XVIII.

Nun freilich war's für die Umkehr zu spät. Und wie sehr Ulrich Kletzingk auch seines Willens Meister war, er würde sich nicht mehr im stande gefühlt haben, sie zu ertragen.

Er klammerte sich an Leos Wiederbesitz mit aller Kraft seines leidenschaftlichen Herzens, das sich an Liebe nie genug thun konnte … Je größer das Opfer war, das man ihm gebracht hatte, um so ängstlicher hütete er den Wert des Wiedererrungenen.

Vorderhand ging alles seinen alten Weg.

Leo konnte nur selten und auf wenige Stunden herüberkommen, denn auf Halewitz lag noch der Hafer, und die Bestellung war in vollem Gange.

Wenn er erschien, war er lustig und guter Dinge, doch hatte seine Sorge um Ulrich einen Beigeschmack von Herzensangst gewonnen, der seinem Gemüt allzeit fremd gewesen war.

Die ersten Male, als er des Weges daherkommend dem Freunde in die Augen schaute, stieg ihm der Herzschlag zur Kehle empor, denn ihm wurde zu Mute, als hätte ein Unglück sich ereignet, als wäre es Zorn oder Schmerz, was ihm aus dem aufleuchtenden Blicke entgegenloderte.

Dann ergriff er die schmalen, blassen Hände, auf denen ein Häuflein Sommersprossen saß wie ein altes Wundenmal, und preßte sie – dankbar dafür, daß seine Angst umsonst gewesen war.

Es ließ sich nicht leugnen und nicht vertuschen: irgend etwas war in ihrer Freundschaft entzweigebrochen, was nicht zu leimen war und auch nicht mehr verwachsen wollte.

Ihre Liebe hatte nicht gelitten, ihr Vertrauen war das alte, aber ein Schatten kauerte zwischen ihnen und stieg empor, wenn keiner von beiden sich dessen versah. –

Auch Ulrich begann das zu fühlen.

Je inniger er sich dem Wiedergewonnenen anschloß, um so deutlicher spürte er, daß die Art ihres Verkehrs sich verschoben hatte. – Um ein weniges natürlich. Kein dritter hätte es gemerkt – aber Ulrichs feinfühligem Herzen, das nach dem Sonnenschein harmloser Fröhlichkeit verlangte, entging es nicht. –

Leos derbe Scherze wurden seltener. Er wog seine Worte, und oft zuckte er voll Sorge zusammen oder hielt mitten im Satze inne, als müßte das, was er auszusprechen im Begriffe stand, dem Freunde wehe thun.

»Behandle mich doch nicht wie ein schalenloses Ei,« mahnte der einmal, »du weißt, von dir kann ich schon einen Puff vertragen, und verwöhnt hast du mich sonst ja nie.«

»Mag sein,« erwiderte Leo, die Stirn runzelnd, »der Teufel weiß auch, woher mir plötzlich die Zimperlichkeit gekommen ist!«

Nach Art kräftiger Landjunker hatte er von alters her geliebt, mit Zoten um sich zu werfen, die im Grunde genommen Ulrich ein Greuel waren, die er jedoch, meinend, daß ihm nichts Menschliches fremd bleiben dürfe, lachend über sich hatte ergehen lassen. –

Nun fiel ihm auf, daß Leo jeder Anspielung auf geschlechtliche Verhältnisse auswich und nicht mehr mit lustigen Abenteuern renommierte.

»Bist da drüben unter die Mönche gegangen?« fragte Ulrich einmal.

»Weshalb?«

»Weil die Weiber nicht mehr für dich zu existieren scheinen.«

»Man läuft sich die Hörner endlich ab,« erwiderte Leo und gab dem Gespräche schnell eine andre Wendung.

Eine unbestimmte Scheu hielt ihn dem Schlosse fern. – Viel lieber zog er den Freund auf die Felder und in die Pflanzungen hinaus, wo sie in Schweigen versunken nebeneinander herritten.

Doch während sie da draußen der langentbehrten Gemeinschaft froh zu werden suchten, stand hinter der Gardine des Balkonfensters verborgen Felicitas und schaute sich die Augen nach ihnen aus.

Von Rechts wegen hatte sie keine Ursache, sich über Leo zu beklagen.

Er unterließ es fast nie, ihr am Schlusse des Besuches eine kurze Aufwartung zu machen. Und wenn Zeitmangel ihm diese Höflichkeit versagte, empfing sie durch Ulrich seine Grüße und Entschuldigungen. Der Ton, den er unabänderlich festhielt, war herzlich und ungezwungen. Eine Art von geschwisterlicher Courtoisie mischte sich halb scherzhaft, halb ehrfürchtig darein, und die Weise, in welcher er ihr die Hand drückte oder ins Auge schaute, bewies warme, mitlebende Freundschaft. –

Kurzum – sie konnte zufrieden sein.

Allein, was sie drückte und verletzte, war, daß er mit keiner Silbe, keinem Blicke dessen gedachte, was sie ihm einst gewesen war.

Es schien, als hätte die holde, heiße Zeit, deren Bilder sie trotz aller Qual nimmer aus ihrem Bewußtsein hätte bannen mögen, in ihm nicht die leiseste Spur zurückgelassen. Fortgemäht und ausgerissen schien alles bis auf das letzte Würzelchen: und was sie auch für ihn gethan hatte, es war umsonst geschehen.

In diesen Tagen weinte sie viel, nannte ihr Leben ein verfehltes und wühlte in alten Erinnerungen, die, ob süß, ob schmerzlich, ihre Seele mit gleicher Bitterkeit erfüllten.

Sie sah sich von früher Kindheit an unter fremden Verwandten als eine Last umhergestoßen, eltern- und heimatlos, und wie eine Abenteurerin auf glückliche Zufälle harrend.

Ihre Mutter hatte sie nie gekannt: ihr Vater, ein unbemittelter Offizier voll brennenden Ehrgeizes, war durch unbefugte Schriftstellerei mißliebig geworden und hatte sich aus Gram über seinen Abschied das Leben genommen.

Von seinem frischen Grabe fort führte sie eine altjüngferliche Tante in ihre Stiftswohnung, durch deren vergitterte Fenster sie drei Jahre lang sehnsüchtig auf die verbotene Straße starrte, – dann wurde sie von andern Verwandten in ein vornehmes belgisches Erziehungsinstitut gesteckt, wo die frommen Schwestern sie in die Elemente der Tanzkunst, des Spitzenklöppelns, der Koketterie und der Drageebereitung einweihten, sah sich hierauf infolge einer der gewagten Schicksalswendungen, die ihre frühesten Mädchenjahre auszeichneten, in die Einöde eines polnischen Magnatensitzes verschlagen – und geriet endlich nach verschiedenen Durchgangs- und Leidensstationen in den Bannkreis des Hauses Halewitz, der sie trotz mehrfacher Versuche, zu entwischen – denn sie liebte den Wechsel – nicht wieder loslassen sollte: war es doch schließlich der einzige Ort, wo man sie ihre Heimat- und Hilflosigkeit nicht fühlen ließ, wo man vielmehr dankbar war, wenn sie den Zauber ihrer Persönlichkeit nach souveränem Belieben entfaltete.

Damals hatte eine kleine Tändelei mit Leo sich abgespielt, welche als unschuldiges Vorspiel späterer Sünde kam und zerrann, ohne Spuren zu hinterlassen.

Der erste, welcher mit einem ernsthaften Antrage an sie herantrat, war Herr von Rhaden, der Besitzer von Fichtkampen, ein ehemaliger Lebemann und des alten Sellenthin zeitweiliger Saufkumpan, am Ausgange der Vierzig stehend, gelblich, griesgrämig und galant. Felicitas, so umschwärmt sie sich auch wußte, sagte ohne Besinnen »Ja«, denn seit ihrem dreizehnten Jahre war sie entschlossen gewesen, dem ersten besten, der sie durch eine prompte Heirat aus der Bettelhaftigkeit ihrer Existenz erlösen wollte, ohne Besinnen an den Hals zu fliegen, und mochte er statt des Besten auch der Schlechteste sein.

So siedelte sie in ihrem neunzehnten Jahre nach Fichtkampen über, wurde Mutter eines Sohnes, tanzte, ritt, klöppelte Spitzen, legte sich Patience, und wartete auf den Helden, den die Karten ihr versprachen. Gern hätte sie sich den Hof machen lassen, aber das launenhafte Naturell des alternden Gatten erlaubte das nicht. Zuerst faute de mieux, dann aus wirklichem Herzenshunger zog sie Leo wieder an sich heran. Als ihr Jugendfreund und Vetter zweiten Grades war er über die Eifersüchteleien ihres Gatten erhaben – und es kam, wie es kommen mußte.

Das Ende war das berühmte Duell, das sie zur Witwe machte.

Witwe zu bleiben, wäre Wahnsinn gewesen, und niemand verdachte es ihr, daß sie nach fast zweijähriger Trauerzeit dem ernsten und hochgeachteten Ulrich von Kletzingk die Hand reichte, wiewohl er der Freund des Mannes war, der ihr den ersten Gatten getötet hatte.

Nun erst fand sie die Freiheit, die langersehnte, denn Ulrich war von bewundernswerter Duldsamkeit … Er ahnte, daß ein geheimes Widerstreben sie von ihm, dem kranken Manne, zurückhielt, und da seine Feinfühligkeit nicht zuließ, zu erzwingen, was nicht gern gegeben war, so legte er den eignen Wünschen Zügel an … Doch sein Entbehren trug er ihr nicht nach. – Und während sie mit den Herren der Nachbarschaft gewagte Liebesspiele spielte und Triumphe der Eitelkeit feierte, fand sie in ihrem Gatten den hingebendsten und nachsichtigsten Freund.

Allein glücklich war sie nicht, wollte es auch kaum sein. Das Sich-unglücklich-fühlen gehörte zu ihrer Natur. Es erhob sie vor sich selbst in eine lichtere Sphäre und steigerte die Reize ihrer Gestalt.

In lieblicher Wehrlosigkeit stand sie der Welt gegenüber, und was sie that und duldete, umhüllte wie ein rätselvoller, leicht drapierter Schleier die Wehmut einer verkannten, weichen, von heimlicher Sehnsucht durchzitterten Seele.

Mit Leos Heimkunft begann ein neuer Abschnitt ihres Lebens, das wußte sie wohl. – Das Tändeln hatte ein Ende erreicht, der Ernst war wieder in ihr Dasein getreten. –

Daß sie ihn nicht liebte, vielleicht auch nie geliebt hatte, schien ihr jetzt klar, und täglich und stündlich wiederholte sie sich diese Erkenntnis, allein sein Bild stand wieder vor ihr, leuchtend und lachend wie je, und wich nicht mehr aus ihrer Seele.

Sie grollte ihm, zu Zeiten haßte sie ihn sogar, allein eine nagende, angstvolle Neugier trieb sie unwiderstehlich zu ihm hin.

Den Herren ihres Verehrerkreises hatte sie schon in den ersten acht Tagen den Laufpaß gegeben, sie ging weiter und opferte ihr Kind.

Auf tausend Wegen des Selbstbetruges hatte sie sich die Erlaubnis dazu abgeschmeichelt. – Sie wußte kaum und sie wollte auch nicht wissen, was sie that. – Selbst das Ziel, das sie damit zu erreichen dachte, hüllte sie sich in einen künstlichen Nebel.

Nun war das Kind bereits im zweiten Monat fort, und eine dumpfe Gewissensangst erfüllte in ihrem Herzen die leere Stelle, an der mütterliche Sorge so lange gewohnt hatte.

Eines Vormittags, als sie in Ulrichs Abwesenheit den Briefträger abfing, fiel ein Brief Paulchens in ihre Hände, der diese Angst noch erhöhte.

Er lautete:

Liber Papa und Libe Mama Hir ist es gar nich hüpsch und ich möchte am Libsten wider gleich wider fort. Und ich bange mich ser. Und des morgens um 6 Uhr müssen Wir schon raus und dann krig ich von den Jungs die morgen Keile. Weil ich nemlich der Güngste bin. Wer ich nicht der Güngste würde die Keile ein andrer krigen, weil ich aber der Günigste bin drum krig ich die keile. Nach dem mittach gibtst die mittachs Keile Und zum abend Esen gibt den apend Segen, der tuht am westen. Und der Lotzen ist der sterkste. Der haut am Dolsten turnen hat er Vorzüglig sonst hat er Alles Geringe und ser Geringe und er sagt das schaht nicht weil er auf die preße gehn wirt. Und er wil Generahl Werden und Sein Onkel ist Auch Gehnerahl darum wil Er auch Generahl Werden ich mögte guts Besizer werden. Und ich bange mich ser. Was macht der Fido. Und nun mach ich einen schlus.

Euer
Paul

Bis weinahchten sind bloß noch 123 tage. Einer hats aus Gerechent.

 

An diesem Tage gab's in ihrer Seele einen harten Kampf. –

Sie stellte sich vor Paulchens Bild und starrte es an, die gerungenen Hände vor die Stirn gepreßt. Ein Zug von schlaffer Furcht zog ihr Gesicht in die Länge.

»Was soll daraus werden?« stammelte sie, »was soll daraus werden?«

Dann warf sie sich in eine Sofaecke, weinte, betete und beschloß am Ende den Brief vor ihrem Manne geheim zu halten.

Denn sie kannte ihn. Sie wußte, daß er, wie die Dinge lagen, in ein ferneres Verweilen des Kindes an einer Stätte, die ihm zur Qual zu werden drohte, nicht würde gewilligt haben.

Die Rückkehr aber mußte verhütet werden um jeden Preis. Damit wäre alles zu Ende gewesen.

In ihrer Not ersann sie ein Mittel, die Schicksale des Knaben als liebende Mutter zu überwachen, ohne daß Ulrich in ihre Sorgen mit hineingezogen wurde.

Im Hause saß eine alte Flicknähterin, Minna mit Namen, die ihr schon von alters her Faktotum und Vertraute gewesen war. Sie hatte zu Leos Zeiten Botengänge gethan und an der Gartenpforte Wache gestanden, sie hatte später in dem harmloseren Spiele mit den jungen Herren hilfreiche Hand geleistet, sie war überall zur Stelle, wo es etwas zu vertuschen und zu bemänteln gab.

Ihr Beistand ermöglichte es jetzt, einen heimlichen Briefwechsel zwischen Mutter und Sohn ins Werk zu setzen.

Am Abende desselben Tages schloß Felicitas sich in ihrem Allerheiligsten ein und schrieb mit fliegender Feder folgende Antwort:

Mein geliebtes Paulchen!

Du darfst nie wieder an den Papa solche Briefe schreiben, denn der arme Papa, das weißt Du doch, ist oft krank, und wenn Du ihm Kummer bereitest, grämt er sich und wird noch kränker. Das willst Du doch nicht haben, nicht wahr? – Deinen letzten Brief habe ich glücklicherweise noch erwischt, ehe er ihn gelesen hatte. Für die Zukunft darfst Du an den Papa nichts weiter schreiben, als daß Du Dich glücklich fühlst und daß es Dir wohlergeht. – Willst Du aber Dein Herzchen ausschütten, so schreibe nur Deiner Mama und thu den Brief in eines der beifolgenden Couverts. Dann kommt es durch die alte Minna, die Dich schön grüßen läßt, gewiß in meine Hände. – Wegen der Leiden, welche Du von Deinen Mitschülern zu erdulden hast, werde ich wahrscheinlich an Deinen Direktor schreiben. Denn dergleichen Roheiten dürfen in einer Pension, in der sich nur Söhne aus guten Familien befinden, nicht vorkommen. – Aber übertreibst Du nicht auch ein wenig, mein Herzensjunge? Was man Dir anthut, geschieht doch wohl nur im Scherz. – Und dann – willst Du ein tapferer Mann werden, so mußt Du bei Zeiten lernen, Widerwärtigkeiten zu ertragen und gegen Schmerzen gewappnet zu sein. – Hast Du das schon bedacht?

Tausendmal küßt dich, mein süßes Paulchen,

Deine

Dich treuliebende
Mama.

Sie beschrieb ein halbes Dutzend Couverts mit der Adresse, unter welcher sie wohl auch sonst geheimnisvolle Briefe erhalten hatte. Die lautete:

An

Fräulein Minna Huth

Münsterberg
postlagernd.

Sodann that sie alles zusammen in eine größere Enveloppe und rief die alte Minna, der sie den Brief zur geheimen Besorgung übergab.

Die Nähterin, ein verhutzeltes Altjüngferchen mit faustgroßem, lederfarbenem Gesichte, in welchem ein zahnloser, vernaschter Mund unaufhörlich schmatzte, war glückselig über die neue Durchstecherei. Sie hing mit der Treue eines Gnadenbrot essenden Hundes an ihrer schönen jungen Herrin und kannte nur einen Ehrgeiz, sich ihr nützlich zu machen.

In ihren Händen waren die Krähenfüße Paulchens nicht schlechter aufgehoben, als zuvor die Ergüsse liebender Seelen.

Die Gefahr einer Rückkehr des Sohnes war somit beschworen, doch glücklicher wurde Felicitas nicht.

Sehnlich wünschte sie ein einziges Mal mit Leo allein zu sein. Sie hätte es schon verstanden, auf den Grund seiner Seele zu schauen. Aber es lag ja klar am Tage, daß er vermied, unter vier Augen mit ihr zu reden. Er wählte mit pünktlicher Genauigkeit diejenigen Stunden, in welchen Ulrich auf dem Hofe zu treffen war, und schwenkte stets nach den Ställen hin, anstatt an der Rampe vom Pferde zu steigen. –

»Ist das der Lohn für das Opfer, das ich ihm mit der Versöhnung gebracht habe?« fragte sie sich; aber daß dieses Opfer nur in Ulrichs Einbildung existierte, daran dachte sie nicht. –

In der Vereinsamung ihres Herzens kam sie sogar auf den Gedanken, sich von neuem mit den alten, koketten Spielereien zu zerstreuen. »Berausche dich, betäube dich,« sagte sie zu sich, »damit er erkennt, wie's um dich steht, und sich dir wieder nähert.«

Aber sie warf die Versuchung weit von sich. – Nun sie ihrem Willen bis auf den trüben Grund schaute, wurde es ihr klar, daß sie wie niedrige Zwecke auch niedrige Mittel verschmähen müßte, wollte sie sich die Fähigkeit bewahren, mit Rührung und Bewunderung bei dem Bilde zu verweilen, in dem ihre Seele sich wiederfand. »Bleibe edel, bleibe groß in deinem Thun,« rief sie sich zu. »Weih dich dem Untergange gleich einer Vestalin, die Leib und Seele ihrer Würde zum Opfer bringt. Wie schön ist es zu entsagen … Wie herrlich ohne Wunsch und ohne Neigung langsam zu verwelken …«

Ein Frösteln überlief sie, als das Wort »verwelken« in ihrem Inneren erklang … Mit bebenden Lippen wiederholte sie es.

Dann trat sie vor den Spiegel, faltete die Hände, und betrachtete sich lange.

So schön und so jung und schon dem Untergang geweiht! –

Ein bekanntes Bild der Königin Maria Antoinette kam ihr zu Sinn, wie sie im Kerker, mit gefalteten Händen hinter einem Bettschirm stehend, keusch und ergebungsvoll zum Himmel blickt. –

Sie holte sich ein Spitzentüchlein, das sie mit losem Knoten über dem Busen schürzte. Die Aehnlichkeit schien ihr nun in die Augen springend, wiewohl in Wahrheit ihr süßes Rokokogesicht mit den hochmütigen Zügen der großnasigen Habsburgerin nicht das mindeste zu schaffen hatte. –

»So schön und so jung und schon dem Untergang geweiht,« wiederholte sie. –

Ihr ward zu Mute, als ob auch auf ihren Nacken die kalte Schneide des Guillotinemessers niederfiele.

»Arme, arme Königin!« flüsterte sie, und Thränen eines verspäteten Mitleids traten ihr in die Augen. – –

Die Unruhe, die Leos Fernbleiben in ihr hervorgerufen hatte, verließ sie fortan nicht mehr, ja – sie verschlimmerte sich von Tag zu Tag. – Und während sie sann und sann, kam ein Unternehmen in ihr zur Reife, so waghalsig, daß sie vor sich selber erschrak. –

Der Weg nach Halewitz führte über Johannas Schwelle, das wußte sie.

Und sie entschloß sich, ihn zu gehen.

»Findest du nicht auch,« sagte sie beim Mittagessen leise zu Ulrich hinüber, »daß dein Verkehr mit Leo an Zwanglosigkeit manches zu wünschen übrig läßt?«

Ulrich maß sie mit einem kurzen, erschrockenen Blicke. Sollte es schon offen am Tage liegen, was er sich selber noch kaum eingestand? Unruhig bat er sie um eine Erklärung.

Sie teilte ihm ihre Beobachtungen mit.

Er komme zu selten und zu flüchtig – und glaube vor allem sich ihr selber fernhalten zu müssen. –

»Das ist mir nie aufgefallen,« sagte er, indem er erleichtert aufatmete. –

»Aber mir, Liebster,« erwiderte sie, »wir Frauen sehen schärfer in solchen Dingen. Ich freue mich von ganzem Herzen über die Rücksichtnahme, die er mir schuldig zu sein glaubt, aber nötig ist sie nicht mehr … Und damit niemand mehr an der Aufrichtigkeit meiner Vergebung zweifelt – auch du mißtrauischer Mensch nicht – wollen wir mal heute die neuen Jucker anspannen lassen und einfach nach Halewitz hinüberfahren.«

Er ließ vor Staunen das Weinglas aus den Fingern sinken. –

»Und dein Zwist mit Johanna?« fragte er. »Ich denke, ihr seid Todfeinde geworden?« –

Sie zog mit leichtsinnigem Lachen die Schultern in die Höhe.

»Pah, Weiberzank –« erklärte sie, »das bring' ich schon wieder in Ordnung.«

»Ich habe dich nach den Gründen jener Verfeindung niemals fragen wollen,« sagte er, »aber vielleicht wär' es jetzt an der Zeit.«

»Nicht neugierig sein, Geliebter,« flüsterte sie, und da sie in diesem Augenblicke bemerkte, daß die Inspektoren mit dem Einrollen der Servietten fertig geworden waren, warf sie ihnen ein freundliches »Gesegnete Mahlzeit« zu, und gab auch noch ein verheißungsvolles Lächeln obendrein, welches die armen Teufel, die nur zu einem Drittel gesellschaftsfähig waren, mit grenzenloser Glückseligkeit erfüllte. –

»Findest du nicht auch, Uli, daß das ganze Personal in deine kleine Frau verliebt ist?« fragte sie, als sie allein waren, indem sie sich in seinen Arm hinüberreckte, den Gesegnete-Mahlzeit-Kuß in Empfang zu nehmen.

Er wollte ihr ein Wort des liebevollen Vorwurfs sagen, denn dergleichen Scherze waren ihm unbehaglich, da gewahrte er, daß ihr ganzer Körper in Erregung zitterte.

»Was hast du?« fragte er erschrocken.

Sie entwand sich ihm rasch.

»Ich?« lachte sie. »Was sollt' ich wohl haben? … Und um vier kommt der Wagen – – Ja?«


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