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VI.

Leo war mit der Mutter allein geblieben.

Die Morgensonne spielte auf dem leuchtenden Damast des Kaffeetisches, der silberne Heißwasserkessel summte und brodelte, und der Rauch aus Leos Zigarre wölkte sich in lichtem Gekräusel lustig zur Decke empor.

»Ich weiß nicht,« sagte die alte Dame seufzend, indem sie über die grauen Wellen ihres Stirnhaares strich, »es ist vielleicht unrecht von mir, aber zu der rechten Freude kann ich heute früh nicht kommen. – Bald ist dies und bald ist das.«

»Tröste dich, Mutting,« sagte er, »es wird schon werden! Mein Hab und Gut habt ihr mir freilich gründlich verludern lassen … Na, na, na, ich geb' euch ja keine Schuld. Wenn einer Schuld hat, so bin ich's … Was braucht' ich mich so lang da unten rumzutreiben … Ulrich hat mir genug geschrieben: Komm, es geht drunter und drüber … Aber ich Esel hab' nicht hören wollen … Na, noch ist es ja, Gott sei Dank, Zeit, und das Arbeiten habe ich nicht verlernt, wie das patzige kleine Fräulein meinte.«

»Der thust du aber bitter unrecht,« verteidigte eifrig die Mutter. »Was solche Mädels reden, darf man nicht auf die Goldwage legen … Ins Herz muß man ihnen sehn … Und dies junge Herz kenn' ich, Leo: da wohnst du, und bloß du und kein andrer wie du.«

»Ei, wie kam' ich denn zu der Ehre?« lachte er.

Die Mutter machte ein schlaues Gesicht und legte liebkosend ihre Hand auf die seine. »Du weißt doch, wie es mit ihren Verhältnissen steht?« fragte sie. »Als Johannas Mann starb – ich will ihm nichts Böses nachsagen – er soll in Frieden ruhen –«

»Meinetwegen,« warf Leo ein, »aber Johanna selber möcht' ich endlich einmal zu sehen kriegen.«

Die Mutter schien bekümmert und peinlich berührt. »Wart nur,« stotterte sie, »sie wird ja schon kommen.«

»Nu mal raus damit!« befahl er. »Du weichst mir aus, sobald ich nach ihr frage, auch Ulrich macht verfängliche Andeutungen, und sie selbst verkriecht sich. Der Sache muß auf den Grund gegangen werden.«

»Vor wem verkriecht sie sich nicht?« klagte die Mutter, während ihr die Thränen in die Augen traten. »Johanna ist ja gar nicht mehr wiederzuerkennen. – Daß ein menschliches Gemüt sich so verdüstern kann, hätt' ich nie für möglich gehalten. Du weißt doch, mein Jungchen, ich bin nicht gottlos – nicht wahr? – Ich glaube an den Herrgott und an meinen lieben Herrn Jesus, und daß ich dem Vater in der ewigen Seligkeit wieder begegnen werde, das glaub' ich ganz gewiß.«

»Ja, Mutting, das weiß ich!« erwiderte er, die Lippen auf ihre Hand herabneigend. Eine frohe Kindlichkeit wohnte in ihrem Herzen, dem jeder Zweifel weltenfern geblieben war.

»Aber, siehst du!« fuhr sie fort, »wie es Johanna treibt, das ist schon beinahe beängstigend. – Ein Betpult hat sie sich bauen lassen – und ein marmornes Kruzifix hängt an der Wand, als ob sie katholisch wäre. Vor dem hab' ich sie schon manchmal in Kleidern eingeschlafen gefunden, wenn ich morgens in ihr Zimmer getreten bin … Allen Verkehr hat sie aufgegeben: wenn Gäste da sind, kommt sie nicht herunter, und wir selber sehn sie manchmal tagelang nicht … Dafür hat sie sich eine Kleinkinderschule eingerichtet. Der alte Lange ist schon recht schwach. Dem war's eine Erleichterung … Mit den Kleinen singt sie und betet, und im Winter läßt sie ihnen Suppen kochen. Und das ist ihr eigentlicher Umgang.«

»Wie lange geht das schon so?« fragte er stirnrunzelnd.

»Es werden wohl bald zwei Jahre sein,« erwiderte die Mutter. »Ja, ja – es war ungefähr um die Zeit, als die Mädels aus der Pension nach Hause kamen. Ich hatte Elly dorthin gegeben, weil Hertha drin war. Und ich wollte doch, daß die beiden sich miteinander anfreunden sollten, denn ich dachte mir gleich: Hertha muß ins Haus. Hertha muß bei uns eine Heimat haben.«

»Also was hast du eigentlich mit dieser Hertha?« fragte er. – »Dein Interesse für das Mädel kommt mir einigermaßen verdächtig vor.«

Die alte Dame errötete wie ein Backfisch. Und indem sie aus ihren guten, fröhlichen Augen treuherzig zu ihm aufsah, sagte sie, wie um Verzeihung bittend: »Ach, Leo, du weißt ja!«

»Nee – gar nischt weiß ich,« erwiderte er lachend.

Sie begann nun ihm ausführlich ihre Pläne darzulegen. Herthas mütterliches Vermögen sei ungeheuer – gar nicht abzuschätzen, und die Güter, die sie besäße, hätten nur den einen Fehler, daß sie in Polen gelegen seien. Ihre Mutter sei schon von ihrer Heirat an mit ihrer Familie zerfallen gewesen und hätte um ihr Eigentum mit den eigenen Brüdern prozessieren müssen. Darum sei auch zwischen Hertha und der polnischen Sippschaft jede Verbindung abgeschnitten, und ihr Vormund, ein Justizrat Wessel in Posen, der einzige, der über ihre Hand zu bestimmen haben würde.

»Ich hab' den alten Herrn zwar nie gesehn,« fuhr sie fort, »aber wir schreiben uns zweimal im Jahr die freundschaftlichsten Briefe. – Von der Seite wäre also nichts zu befürchten. Ich sage dir, Leo, du brauchtest bloß die Hand auszustrecken, und die reichste Erbin, die es weit und breit gibt, wird deine Frau.« – –

Sie schwieg triumphierend.

Statt der Antwort pfiff er seine Leibmelodie, die mexikanische »Paloma«, lächelnd vor sich hin.

Die Mutter war gekränkt. »Ich hab' mich gesorgt und gesorgt,« sagte sie, »tausend schlaflose Nächte hab' ich's mich kosten lassen, und du schenkst mir nicht einmal ein Dankeschön.«

»Zum Heiraten gehören ihrer zweie, Mutting,« erwiderte er, »ich bin ein alter Taugenichts, ein Rumtreiber, ein Abgewirtschafteter, mit Sünden vollgepackt bis an die Kehle – und sie ist ein Kind.« –

»Sie wird zum Frühling siebzehn,« entgegnete die Mutter.

»Also danke schön,« sagte er aufstehend, »und wenn ich aus der Patsche heraus sein werde, dann wollen wir wieder mal darüber reden.«

Die Mutter widersprach ihm eifrig. »Damit sie unterdessen ihr Herz an irgend einen dummen Jungen hängt, der ihr Wind in die Ohren bläst? Hab' ich sie nicht extra für dich hergerichtet? Ihr Herz ist ganz voll von dir und schwärmt von dir und träumt von dir. Soll sie sich nun, wo du gekommen bist, gekränkt und vernachlässigt von dir zurückziehn? – Aber vielleicht gefällt sie dir nicht einmal?« fuhr sie angstvoll fort, »oder du hast irgend etwas andres auf dem Herzen, – hast dich am Ende unterwegs verliebt oder gar heimlich verheiratet … bringst mir irgend so eine Kreolin nach Hause … oder so eine von den Damen, wie sie in der Welt herumabenteuern … Das sag' ich dir, Leo, thust du mir dies Herzeleid noch an, dann leg' ich mich hin und sterbe.«

Er beruhigte sie nach Kräften. Er käme ebenso frei nach Hause, wie er einstmals fortgegangen, und mit dem Herzeleid würde es nun ein für allemal zu Ende sein.

Sie wischte sich ihre weinenden Augen, aber die Thränen quollen nur um so stärker hervor. »Ach, mein Junge, mein Junge!« schluchzte sie und streichelte mit zitternden Fingern seine Hand.

»Na, was hast du?« fragte er zärtlich.

Er wußte wohl, was sie hatte. Seit dem Tage, da über ihn abgeurteilt worden, hatte er sie nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen. Das Mutterherz durchwanderte in diesem Augenblick noch einmal die ganze Welt des Kummers, die der verwildernde Sohn ihm einst geschaffen hatte.

»Laß gut sein, Mutting,« bat er.

»Was hab' ich alles durchmachen müssen um dich!« klagte sie. »Und warum mußtest du gerade den Rhaden totschießen, der ein so guter Freund vom Hause war und dazu noch der Mann von Felicitas – also ebenso wie ein Verwandter?«

Er gab ihr zu bedenken, daß eben Rhaden und kein andrer es gewesen, der ihn gefordert hatte.

»Aber konntest du denn nicht in die Luft schießen?« fragte sie. »Es schießen doch so viele in die Luft.«

»Das verstehst du nicht, Mamachen,« erwiderte er. »Hätten sie mich dir kaput nach Hause gebracht, so würdest du noch größeren Kummer um mich ausgestanden haben … Denn du weißt, Rhaden spaßte nie.«

Da sie seine Hand für unfehlbar hielt, besann sie sich wohl jetzt erst, in welcher Gefahr er selber geschwebt hatte.

Angstvoll streichelte sie seine Backen, als könnte er ihr noch heute geraubt werden. »Du hast recht, du hast recht,« stammelte sie, »ich hab' dasselbe auch Felicitas gesagt, als sie ihn zum Manne nehmen wollte: er hatte schon immer einen harten, grausamen Charakter.«

»Schilt ihn nicht, Mutter,« erwiderte er sehr ernst. »Er ist tot … Und nachdem wir uns ausgesprochen haben, wollen wir ein für allemal diese böse Geschichte ruhen lassen. Sie hat uns allen ein Stück Lebensglück gekostet. Es ist Zeit, daß wir Schluß damit machen.«

Sie wischte sich die Thränen aus den Augenwinkeln und schaute bald wieder vergnügt und behaglich darein.

»Aber von Felicitas darf ich doch reden?« fragte sie.

»Warum nicht?« erwiderte er zögernd und besah seine verräucherten Fingernägel.

»Ja, was sagst du bloß zu der Heirat?« brach sie los. »Dieser Uli! Wer hätte das gedacht?«

»Warum soll er nicht?«

»Nein – aber es ist doch so merkwürdig. Gerade dein bester Freund!«

»Meinen Segen hat er.« Er brach ab. Er hatte Eile, dieses Thema durch ein andres zu ersetzen. »Wie kam es,« fragte er, »daß euer Verkehr mit Felicitas sich ganz zerschlagen hat? Mein – mein Unglück mit Rhaden war doch nicht der Grund?«

»O, gar nicht, nein, nein,« entgegnete sie. »Als du fort warst, da verkehrten wir zusammen wie zuvor, denn wir sagten uns, daß wir armen Frauen durch die Schuld der Männer nicht noch mehr leiden sollten, als nötig war. Es ging uns ja auch allen schlecht genug … Von mir will ich nicht reden, aber Johanna kam plötzlich in Trauerkleidern an – denn die hatte eben ihren Mann begraben, und Lizzie war auch so verlassen und hilfsbedürftig. Da trösteten wir uns denn gegenseitig … Erst zu der Zeit, als man von der Verlobung Lizzies mit Ulrich zu sprechen anfing, ist eine Entfremdung eingetreten, ich weiß eigentlich nicht, warum? denn wir freuten uns ja alle mit ihr – und kurz vor der Hochzeit hat es einen Streit zwischen ihr und Johanna gegeben. Den Grund hat nie einer erfahren, denn du weißt ja, Johanna schweigt wie ein Grab. An jenem Tage ist Felicitas kreidebleich und ohne Abschied weggefahren und nie mehr wiedergekommen. Johanna aber hat erklärt, sie würde eher sterben als zur Hochzeit gehen, und mich gebeten, es auch nicht zu thun. Na, und du weißt ja, wenn mich einer bittet –«

»Ja, ich weiß, Mutting,« sagte er und streichelte mitleidig ihr Haar. Der Energie der Schwester war sie schon immer verfallen gewesen.

Ein Schweigen entstand. Er biß sich die Bartenden entzwei und sann.

»Ach, Unsinn!« schrie er plötzlich und sprang empor. »Courage haben und nicht bereuen – das ist das ganze Geheimnis.«

»Was meinst du, mein Jungchen?« fragte die Mutter ängstlich.

Er küßte sie auf die Stirn und griff nach seiner Mütze, da that sich die Thür auf …

Eine hohe, nonnenhafte Gestalt, in tiefes Schwarz gekleidet, stand auf der Schwelle.

Er maß sie mit einem raschen Blicke und erschrak. – War das Johanna? Ihre Schönheit, ihre Jugend – wo waren sie geblieben?

Reglos, ohne ein Zeichen der Freude stand sie da, nicht einmal die Hand streckte sie nach ihm aus.

»Johanna!« schrie er und wollte sie umarmen.

Zögernd wie eine, die ein schweres Opfer bringt, reichte sie ihm die Stirn zum Kusse, und fast schien es ihm, als schauerte sie unter dem Hauche seines Mundes zusammen.

Das war der Empfang, den seine Lieblingsschwester, die Gefährtin seiner Kinderjahre, ihm nach sechsjähriger Trennung bereitete.

Er versuchte mit seinem breiten Humor der peinlichen Situation Meister zu werden.

»Mir ist manches passiert, Hannah,« rief er lachend, »ich bin in meinem Leben schon mit allerhand empfangen worden – mit Flintenkugeln, mit vergifteten Pfeilen, mit Pferdeäpfeln, mit Reisschnaps, mit gegorener Stutenmilch und was weiß ich. Aber so ein Willkommen ist mir noch nicht zu teil geworden.«

Ihre blaugeränderten Augen, die vergrämt in dem fahlen, schlaff gewordenen Gesichte saßen, maßen ihn düster und forschend.

»Du bist lange ausgeblieben,« sagte sie und setzte sich.

»Ja, ich bin lange ausgeblieben.«

»Und es ist dir wohl auch immer vorzüglich gegangen?«

»Ja, es ist mir immer vorzüglich gegangen.«

Ein Schweigen entstand. Er betrachtete sie mit steigendem Befremden. Eine düstere, sibyllenhafte Starrheit lag auf ihrem Wesen. Ein alter Schmerz sprach daraus, der unter eigensinniger Pflege etwas wie Fanatismus geworden schien.

Und dann, als er all der entschwundenen Pracht ihrer Erscheinung gedachte, als er den hager gewordenen Hals und die eckigen Schultern gewahrte, welche die schlaffe Fülle der Büste noch schärfer hervorhoben, da gewannen Mitleid und alte Liebe in seiner Seele die Oberhand. Was mußte sie gelitten haben, um so vor ihm zu stehen?

»So geht das nicht weiter mit uns, Hannah,« rief er. »Hab' ich mich gegen dich vergangen, so rede. Jetzt wird alles wieder gut gemacht.«

Ein wärmerer Blick brach aus ihrem Auge, doch was daraus sprach, beruhigte ihn nicht. Es war, als bedauerte sie ihn.

Aber er wollte sich nicht irre machen lassen. Er wollte die alten Herzenstöne wiederfinden, wie es sich geziemte. »Und siehst du,« fuhr er fort, »daß dir ein alter Gram auf der Seele liegt, das sieht ja ein Blinder … Wir haben ja immer zusammengehalten, wir beide. Wirst auch jetzt wieder Vertrauen zu mir bekommen. Und was dir auch fehlen mag, paß mal auf, ich heil's dir.«

»Mir scheint, du brauchst die Heilung nötiger als ich,« antwortete sie, ohne den fatalen Blick von ihm zu wenden.

»Nanu?« fragte er und pflanzte sich, die Hände in den Hosentaschen, breitbeinig vor ihr auf.

»Ich habe mich oft gefragt, Leo,« fuhr sie fort, »als was für ein Mensch du wiederkommen würdest. Ich habe gehofft, du würdest ernst und schweigend und gebeugt unter der Erkenntnis dessen, was du auf dich geladen hast, vor uns erscheinen. Und ich habe oft genug zu Gott gebetet, daß es so sein möchte. Statt dessen – da – da bist du. – Und was du bist, das sieht man ja.«

»Na, was bin ich denn?« fragte er, sich in lachendem Hohn verhärtend.

»Ich will zu deiner Ehre annehmen,« fuhr sie fort, »daß dein Behagen nicht echt ist, daß es in dir etwas anders aussieht, als dein feistes Gesicht vermuten läßt. Wenn du uns aber nicht täuschest, wenn du wirklich so außerordentlich mit dir zufrieden bist, dann, lieber Leo, wäre es besser, die Mutter hätte dich nie geboren.«

»Aber, Johanna!« rief diese und kam entsetzt herzugelaufen.

»Laß, laß, Mutting,« sagte er, »du siehst ja, sie ist übergeschnappt. Hast mich ja übrigens selbst darauf präpariert.«

»Du mußt Geduld mit ihr haben,« bat die Mutter leise.

»Hab' ich! hab' ich!« lachte er, die Mütze aufstülpend. »Wenn ich inzwischen nicht mehr gelernt hätte, als ein paar Weibermucken zu ertragen, wär's schlimm um mich bestellt. Es warten ganz andre Dinge auf mich. Und wenn es dir beliebt, Schwesterchen, einen vernünftigen Ton anzuschlagen, sind wir wieder die alten Freunde. Zufrieden – hä?«

Sie sah ihn an und schwieg.

Dröhnend warf er die Thür ins Schloß.

Im Hausflur blieb er stehen und that einen tiefen Atemzug. Der starre, rätselhafte Blick der Schwester hatte wie ein Alp auf ihm gelegen. Ein vager Verdacht stieg in ihm auf, doch er kämpfte ihn nieder.

»Jetzt an die Arbeit!« rief er und reckte die beiden Fäuste.


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