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III.

Der Strom zog im letzten Abendglanze seines Wegs.

Noch lag seine weite Fläche in Purpur getaucht, und silberne Bänder, zu einem weitmaschigen Netze gewoben, bald ineinander verfließend, bald scharf sich abgrenzend, mit Blumen, Zacken und Spiralen durchflochten, breiteten sich über die dunkelglühenden Wasser. – Aber schon warfen die Weiden, die in verwaschenen Schattenreihen die Wacht am Ufer hielten, über den Rand des leuchtenden Spiegels breite Streifen von Finsternis, die sich langsam nach der Mitte hin weiterfraßen.

In bläulichem Nebel lag die Ferne. Silbern stieg hie und da der Dampf aus den Wiesen und schlang sich in weißen Schleiern um die Kronen der Pappelgruppen, die sich vereinzelt aus den flach gestreckten Feldern erhoben, in scharfen Schattenrissen gegen die Rotglut des Abendhimmels abgegrenzt.

Schweigen weit und breit. In unsichtbaren Gehöften schlug von Zeit zu Zeit mit gedämpften, verschlafenen Lauten ein Hund an. Eine brütende Rohrdrossel stieß ab und zu sorgende Rufe aus, als ob ein Feind sie bedrohte, und hoch aus den Lüften tönte der leise Schrei des Fischadlers, der, spät von der Jagd heimkehrend, zu Neste ging.

Auf dem Wasser wurde es lebendig. Ein thalab ziehendes Floß wälzte sich träge in das immer schmäler werdende Lichtbereich, das, mitten durchgeschnitten, nun gänzlich in Finsternis zu zerfallen drohte. Wie eine ungeheure schwarze Schlange mit feurigem Rachen glitt es dahin. Die Flammen unter dem Abendbrotkessel loderten. Blaugrauer Qualm wallte empor und zog einen langen Wolkenstreifen über den Abendhimmel hin, an dem schon hie und da ein Stern schüchtern das Auge aufschlug.

Auf der Chaussee, die von Münsterberg zur Stromfähre des Dorfes Wengern führte, kam rasselnd ein Wägelchen dahergerollt und machte an der diesseitigen Fährbude Halt, die dunkel und verlassen dalag, denn Fahrzeug samt Bemannung waren drüben zur Ruhe gegangen.

Die mächtigen Formen von Leos Gestalt füllten den Hintersitz. Er hatte sich faulenzend in eine Ecke zurückgelehnt, pfiff abgebrochene Takte aus einem unnennbaren Liede oder warf aus einer kurzen Kalkpfeife qualmende Wolken um sich herum.

Sich aufrichtend, schrie er mit gewaltiger Stimme ein »Fährmann – ahoi« zum jenseitigen Ufer hinüber.

Es dauerte lange, bis man ein Lebenszeichen von sich gab. Der Schein einer hin und her geschwenkten Laterne zuckte im Uferschatten auf, beruhigte sich allgemach und kam, eine lange goldne Linie vor sich her schickend, am Hinterende des Floßes vorüber quer über den Strom geglitten.

Der Kutscher, ein junger, feister Bauernbursche, der samt dem Fuhrwerk zur »Preußischen Krone« gehörte, wandte sich um und meinte, der gnädige Herr wolle verzeihen, aber was da käme, sei gar nicht die Fähre, sondern ein Handkahn.

Leo machte seinem Aerger in einer Salve von spanischen Flüchen Lust, und der Kutscher riet, den Fährmann wieder zurück zu schicken.

»Damit ich hier noch mal eine halbe Stunde zu lauern hab'?« erwiderte Leo. »Ne, lieber Sohn, da verlaß ich mich lieber auf meine gesunden zwei Beine und zieh' zu Fuß auf meinem Hofe ein. – Hast du auch einen Hof, mein Sohn?«

»Jawoll, jnädjer Herr,« antwortete der Kutscher, »min Voader hefft mi in Dienst geschöckt, dat öck de feine Lewensoart lerne sall.«

Leo schmunzelte und rauchte schweigend weiter. Mit jedem treuherzig breiten Worte, das er hörte, jedem sonngebräunten blonden Antlitz, das er sah, schmeichelte sich die jüngst noch halb vergessene Heimat tiefer in sein Herz hinein.

»Und ich Esel hab' nicht wiederkehren wollen!« murmelte er.

Das Boot landete.

Der Fährmann – es war noch immer der alte Jürgens, mit dem wollenen Shawl um den Hals gebunden und den großen Segeltuchflicken auf den Knieen – erhob sofort ein großes Schimpfen … Warum habe man nicht »Peerd ond Woage« herübergeschrien? Denn das wüßte doch jedes Kind im Lande, daß das der Ruf sei, auf den hin statt des Handkahns die große Fähre herüberkäme.

»Hast recht, Jürgens,« sagte Leo, indem er ihn majestätisch auf die Schulter klopfte. »'s ist Schand und Spektakel, daß ich deine Stromordnung nicht besser behalten hab'.«

Der alte Mann war beim ersten Klange der Stimme in heftigem Schrecken zusammengefahren. Dann riß er die Mütze vom Kopf und stammelte ganz fassungslos: »De jnädje Herr, de jnädje Herr!«

Die Stromfähre von Wengern gehörte als Lehen zu Halewitz, und der Posten war dem alten Jürgens vor jenen zwanzig Jahren zur Belohnung für seine langjährigen Hofdienste – denn schon damals war er der alte Jürgens – als Altenteil geschenkt worden. Freilich eine Sinekure war er nicht, – aber wo gäb' es dergleichen in preußischen Landen?

Der greise Diener kämpfte mit den Thränen: er ergriff die Löwentatze, die wohlwollend auf seiner Schulter ruhte, und wurde nicht müde, sie mit seinen knochigen, schwieligen Fäusten zu streicheln. –

Leo, der sich mit jedem Momente mehr in sein jugendliches Patriarchentum hineinempfand, gab Befehl, das Gepäck im Fahrhäuschen einzuschließen, und schickte den reich beschenkten Burschen auf den Heimweg …

Der Kahn stieß ab und glitt mit leisem Knirschen auf den Kieseln des Flachwassers dahin, bis er in die freie Strombahn hinausschoß. –

In wohliger Gedankenlosigkeit ließ Leo die Hand ins laue Wasser hängen und freute sich an den Wellchen, die aufleuchtend am Arme hinanspritzten, während der Alte vom Hinterteil des Bootes her ihn mit großen, feuchten Augen anstarrte.

»Das beste wär' all',« sagte er endlich, »öck foahr dem jnädje Herr runter bis ane Frönschaftsensel. Von dort ös ja man halbwegs.«

Leo nickte.

Die Freundschaftsinsel!

So ganz also zur Legende im Munde des Volkes war der Bund geworden, der ihn mit Ulrich verband, daß selbst der Scherzname des Ortes, an dem sie als Knaben am liebsten beisammen gewesen waren, der Name, der sonst nur unter ihnen und einigen Verwandten kursiert hatte, sich zum Gemeingut der Leute, zur schlichten geographischen Bezeichnung herausgebildet hatte.

Doch wenn sie ahnten! Wenn sie das Gespenst sähen, das zwischen ihnen dem Boden entstiegen war!

»Nichts bereuen!« schrie er, indem er mit geballter Faust aufs Wasser schlug, so daß ein Springquell von funkelnden Tropfen um sie her aufspritzte.

Der alte Jürgens, dem vor Schreck beinahe die Ruder entfallen waren, stammelte eine Frage.

Leo lachte ihn an. »Es war nicht bös gemeint, Alterchen,« sagte er, »ich zankte mich bloß mit dem Bruder Innerlich.«

»Ach, mit dem lohnt nich, sich optolegge – dat ös en Diewel,« meinte philosophisch der alte Fährmann und ruderte weiter.

Das Boot hatte den Kiel der Richtung des Stromes zugedreht, welcher sich in schläfrigem Leuchten zwischen dem verwaschenen Dunkel der Weidenbüsche entlang wand, hie und da seeartig erweitert, dann wieder enger zusammengepreßt, wo ein vorgestrecktes Knie schwarz in die Fluten hinaufragte.

Am Horizonte hatte das dunkle Glühen sich verengt, – ein phosphorisches Grün, von silberrandigen Wölkchen durchfurcht, strebte zum Zenith empor, wo es sich im dunklen Nachtblau verlor. – Die Mitternachtsdämmerung nahte, deren träumerischen Zauber nur die nordische Heimat kennt. –

Vor dem Boote daher schwamm als eine schwarze, im leuchtenden Wasser sich spiegelnde Masse das Floß, über dem der Rauch des Reisigs müde in den Lüften schaukelte … In wenigen Minuten hatten sie es eingeholt … Gestalten, die auf den Balken kauerten, erhoben neugierig die Köpfe und starrten dann träge dem vorübereilenden Boote nach. Unter dem Kessel zuckte noch ab und zu ein roter Flammenschein, und aus einer Strohhütte am hinteren Ende, roh wie ein Garbendach auf dem Felde, klang der leise klagende Gesang einer Frauenstimme. Leo hörte ihn wie im Traum. Die Freundschaftsinsel ging ihm nicht aus dem Kopfe.

Eine halbe Stunde mochte verflossen sein, da tauchte in der Mitte des matter leuchtenden Spiegels der schwarze Schattenriß eines Eilands auf, anzuschauen wie ein mächtiger Blumenkorb, denn über den steinigen Rand des Gestades neigte sich das zackige Gezweig der Erlenkronen weit in das Bereich der Flut hinaus.

Das war sie …

Ein Schwall von Bildern und Erinnerungen quoll bei diesem Anblick aus dunkelster Herzenstiefe empor, wo sie bisher in dumpfem Schlummer gelegen hatten, immer wieder eingeschläfert von dem einen schweren Gedanken, dessen rauschender Flügelschlag seit Jahren jedes Heimatsgefühl übertönt hatte. –

Leo stand auf und suchte gierigen Auges die Blättermassen zu durchdringen. Doch von dem weißen Tempel war nichts zu sehen. Im Laubdunkel lag er vergraben.

Drüben aber am rechten Ufer – das schwarze, zackige Häusergeviert – das war Uhlenfelde, das stolze, alte Gut, wo der lange Uli als Herr und Gebieter schaltete.

Und daneben als Herrin – – »ruhig, nicht daran denken,« rief es in ihm.

Das Boot bog mit scharfer Wendung nach dem linken Ufer ab, wo zwischen hohem Röhricht der weiße Sand einer Landungsstelle matt herüberschimmerte.

Wenige Minuten später wanderte Leo einsam zwischen tauigen Wiesen dahin, deren süßes Gedüfte dick und schwer, wie mit Händen zu greifen, über dem Boden lagerte. Von rechts und links zu seinen Füßen tönte ein tausendstimmiges Heimchenkonzert. Die kleinen Kerle, aufgescheucht durch seine Schritte, sprangen wie Herolde vor ihm her, und durch die Kronen der Ulmen, welche den Wiesenweg besäumten, ging von Zeit zu Zeit ein grüßendes Flüstern und Rauschen. –

Auf den Rainen, die nicht gehauen waren, wucherte ein Blütenwald. Die Glocken des Bienensaug streiften seine Hände, ein dichtes Geranke von Winden und Labkraut schlang sich um seine Füße, ein sprühender Tau netzte segnend seine Stirn.

Er blieb stehen und hielt Umschau. Wie weit sein Auge in die sommernächtige Dämmerung hinaufreichte, hier war alles sein Eigentum. Ein Gefühl der Beschämung überschlich ihn. Dieses Nest, so warm und weich, das vom lieben Gott extra für ihn zurecht gemacht worden war, hatte er – gedankenlos mehr noch als herzlos – dem ersten besten Fremden preisgeben wollen!

Das Hochgefühl ererbten Besitzes, Sommernacht und Heimat berauschten ihn ganz …

Er riß die Mütze vom Kopfe, faltete die Hände über dem warmen Pfeifenstiel und betete, während die Thränen ihm über die Backen liefen.

Ein Mensch, reif und kräftig, voll bescheidener Gaben, doch tüchtigen Sinnes, der weiß, was er will, und vom Leben gelernt hat, was er nicht darf, trat ehrlich vor seinen Herrgott und sprach sich mit ihm aus.

Und als er fertig war, zog er mächtig an der erkaltenden Pfeife und schritt wohlgemut dem Stammsitze derer von Sellenthin zu, dessen dunkle Umrisse schon zu ihm herübergrüßten. – – – –


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