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XXI.

Der September ging zu Ende.

Trotz der beunruhigenden Wendung der Dinge lebte Leo Sellenthin frisch und kräftig dahin, ohne daß es ihm eingefallen wäre, an der Unverwüstlichkeit seiner Natur, an der Unerschütterlichkeit seines Rechtes zu zweifeln.

Nicht einmal »tragisch angehaucht« fühlte er sich. – Aber eine gewisse Unbehaglichkeit hatte in seinem Innern Platz gegriffen. – Ihm war zu Mute wie einem, der einen schlecht sitzenden Rock auf dem Leibe trägt und nicht weiß, ob er zu eng oder zu weit ist. – Die naive Selbstsicherheit, die bisher sein Leben geziert hatte, war verschwunden: er studierte, er bespiegelte sich, er fand Flecken in seinem Wesen und freute sich an seinen Vorzügen.

Derb-lustige Wendungen, die ihm sonst entsprudelt waren, ohne daß er daran dachte, erschienen ihm jetzt als etwas Besonderes und Bemerkenswertes. Er kostete sie durch, während er sie aussprach, und sah es gern, wenn sie belacht wurden. –

In jähem Wechsel konnte er mürrisch und schweigsam werden, und es war geraten, ihm alsdann aus dem Wege zu gehen. –

Aber immer wieder brach seine urkräftige Natur sich Bahn, und war es auch nur, um cynisch das Vergangene zu verlachen.

Er wollte gesund sein und – noch war er es. – –

Eines Nachmittags – Leo war eben dabei, nach Uhlenfelde hinüberzureiten – erschien pustend und gurgelnd, das gelbbraune Gesicht mit den Hängebacken schweißbedeckt, den Rundbauch in elastischer Gangart vor sich herschiebend, der alte, brave Pfarrer Brenckenberg auf dem Hofe.

Er war zusammen mit seinem Sohn gekommen, aber diesem hatte es ratsam geschienen, nach dem Amtshause hin zu verschwinden, da er sich auf dem Boden des Herrenhauses nicht mehr ganz sicher fühlte.

In Leo erwachte die Teufelei, als er den alten Eiferer, dem er seine Philippika noch nicht hatte heimzahlen können, in seine Hand gegeben sah.

Die Besuche des Pfarrers bei seinem Patron und einstigen Schüler waren niemals häufig gewesen. Sie beschränkten sich auf pflichtgemäße Unterredungen, wenn Deputate und Reparaturen zu besprechen waren, pflegten sich aber von alters her zu solennen Kneipereien zu gestalten, denn Leo, der manchen feinen Tropfen im Keller liegen hatte, liebte es, dem Alten, dem zur Kennerschaft nur die Uebung fehlte, das Beste vom Guten ins Glas zu gießen.

Das war wie ein verbrieftes und besiegeltes Recht – noch von den lustigen Zeiten des Vaters her – und selbst die ältesten Leute konnten sich nicht besinnen, daß ihr Pfarrer jemals ganz nüchtern den Halewitzer Hof verlassen hätte. –

»Na, Alterchen,« rief Leo, ihm die Hand entgegenstreckend. »Wir haben uns ja noch immer nicht sehen lassen. – Böses Gewissen – was?«

»Ein Mann Gottes hat nie ein böses Gewissen,« erwiderte der Pfarrer schmunzelnd. »Es sei denn, er habe Wasser getrunken.« – Und er wischte sich mit seinem rotbaumwollenen Taschentuche das glänzende Gesicht bis in den Specknacken hinunter.

»Warte,« dachte Leo, »du sollst was erleben!« – und gab dem Stallknechte einen Wink, den Schimmel wieder abzusatteln.

Als sie nebeneinander die Rampe hinanschritten, erschien der Pfarrer noch massiger, noch gewaltiger an Körperbau, als sein Zögling von ehedem, wiewohl ihn dieser um die Länge eines halben Hauptes überragte.

Leo führte ihn in das Arbeitszimmer, hieß ihn Platz nehmen und schellte nach Christian.

»Bring uns von dem sauern Küchenmosel,« raunte er ihm zu.

Erschrocken sah der alte Diener zu ihm aus. – »Der ist ja selbst zur Bowle nicht zu brauchen,« erlaubte er sich flüsternd zu bemerken.

»Thu, was ich dir sage!«

Kopfschüttelnd ging Christian von dannen, und Leo setzte sich behaglich dem Pfarrer gegenüber.

»Nun raus mit den kalten Katzen,« sagte er. »Wo ist an der Bude der Kalk abgefallen? … Welcher Ofen raucht? … Wo regnet es in die Suppe?«

»Fritzchen, Fritzchen!« drohte Brenckenberg mit seinem breitesten Lachen. »Man soll den Hirten seines Herzens nicht zum besten halten.«

Er nannte ihn »Fritzchen«. Er hatte ihn immer so genannt. Warum? wußte niemand, auch er selber nicht. Der Kosename hatte die Jahrzehnte überdauert, wie sehr sich beider Verhältnis auch inzwischen verschoben hatte. Saß man beim Weine, so pflegte auch allgemach das »Sie«, das offiziell aufrecht erhalten werden mußte, in ein fideles »Du« überzugehen. Manchmal gab Leo das Signal, meistens aber pflegte der Alte, dessen Herz in Bälde überschwoll, den Wechsel der Anrede auf eigene Gefahr in Angriff zu nehmen.

Mit dem Gewissen eines Giftmischers brachte Christian den Wein und trollte sich wieder.

Die kleinen, schwarzen Augen des Seelsorgers blitzten vergnüglich unter den drohenden Brauenbüscheln hervor. Er ließ die fleischigen Lippen aufeinander klatschen. Der Streiter Gottes hatte seine Waffen abgethan. Er wollte Mensch sein, ein friedlicher, schwacher, lustiger Mensch, der am nächsten Sonntag etwas zu bereuen haben wird. –

Die Flaschen sahen respektabel aus – der Wein etwas bläßlich zwar, wie er so in einem leichten, wässerigen Strahle in die pomphaften Römer herniedergluckte, aber das konnte täuschen.

Er zog die Luft durch die geblähten Nüstern ein, die Oberlippe ein wenig vorstreckend.

»Prost, Alterchen!«

»Prost, Fritzchen!«

Er kostete – erschrak – verschluckte sich – hustete – und ließ mit einem Gesichte, auf welchem der Menschheit ganzer Jammer geschrieben stand, das Glas auf den Tisch zurücksinken.

»Schönes Weinchen!« meinte Leo, den Zeigfinger zum Zeichen des Respekts erhebend.

Der Pfarrer, blaurot vom Husten, versuchte auszuspeien, wagte es aber nicht.

»Fritzchen,« sagte er kläglich, »was sind das nun wieder für Witze?«

»Schmeckt Ihnen mein Wein etwa nicht, Herr Pfarrer?«

»Das will ich nicht sagen – nein, oh! Pfui, Fritzchen!«

»Ich begreife Sie nicht, lieber Pfarrer … Sie sehen doch, daß ich ihn trinke … Er ist sogar, seitdem ich alte Sünden bereue, mein gewöhnliches Getränk … Der sogenannte Buß- und Kreuzigungswein! … Piesporter, Jahrgang 83 … Ein ungewöhnlich kaltes und nasses Jahr, wie Sie sich erinnern werden.«

»Aa – ha!« machte der Pfarrer in plötzlicher Erleuchtung.

»Ja, ja, Alterchen, kapieren wir nun? – Seitdem wir unserm Fritze die Hölle so scharf eingeheizt haben, herrscht Heulen und Zähneklappern auf Halewitz. Jetzt wird nicht mehr in süßem Most geschwelgt, wie weiland David mit seiner Bathseba – jetzt wird saurer Mosel getrunken … Prost, Alterchen!«

»Weißt du, Fritze,« sagte der Pfarrer, bei welchem nach diesem Schreck das »Du« plötzlich zum Durchbruch kam, »wenn du dich durch den Zustand deines Gewissens zu solch einem Tranke verpflichtet fühlst, so ist das deine Sache. Ich will niemanden in der Ausführung seiner guten Vorsätze hindern. Aber mir erlaube gefälligst, daß ich zusehe.« –

Leo lachte ihm triumphierend ins Gesicht, denn darauf hatte er gewartet.

»Wenn ich nicht irre, mein geliebter Alter, hast du diesen Gedanken schon einmal schön und ergreifend ausgedrückt: – ›Barhaupt will ich gehen und mit nackten Sohlen auf glühendem Gestein.‹ – Ja, das wolltest du, für deinen David, deinen Fritze. Und nun scheint es dir zu viel, soweit an seiner Pönitenz teilzunehmen, daß du ein Glas Piesporter, Jahrgang 83, mit ihm trinkst?«

Der Alte strich sich über die Backen. – »Du hältst mich zwar zum Narren, Fritze,« sagte er, »aber – recht hast du.«

Und mit einem verzweifelten Hintenüberneigen goß er das Glas in einem Zuge hinunter. –

Leo, all seiner Sünden gedenkend, that desgleichen, dann füllte er die Gläser von neuem.

»Und nun, Fritzchen,« begann der Alte und ließ den finstern Bulldoggenblick halb strenge, halb unterwürfig auf seinem Gutsherrn ruhen, »wir sind zwar keine Katholiken – und ich bin nicht dein Beichtvater … Ich bin einfach hergekommen, um das Herbstdeputat mit dir zu bereden, und, wenn's der liebe Gott so fügt, ein Glas guten Wein mit dir zu trinken. Statt dessen hast du mir diesen Krätzer vorgesetzt und fängst an, von der verfluchten Geschichte zu reden, die mir schon genug Kopfschmerzen gemacht hat.«

»Du hast angefangen, Alterchen, du!«

»Jawohl – auf der Kanzel … Das ist meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit … Und wenn du Halunke solche Geschichten machst …«

»Schimpfe, Alterchen, schimpfe!«

»Du hast manche Wichse von mir gekriegt, Fritzchen –«

»Und ich küss' dir die Hand dafür,« fiel Leo lachend ein.

»Ich dachte immer, es wär' ausreichend gewesen, aber hätt' ich dir das gewußt – ah, ah –«

»Möchtest du nicht nachholen?« spottete Leo.

»Wenn's anginge – mit Vergnügen.«

Leo griff ans Glas. »Prosit, Herr Pfarrer.«

»Fritzchen, erbarme dich!«

»Prost, sag' ich, Donnerwetter!«

Und wieder klangen die edlen Gläser zusammen, klagend und vorwurfsvoll, daß man sie zu so abscheulichem Thun mißbrauche.

Leo entkorkte die zweite der Flaschen und bot dem Pfarrer Zigarren an.

»Verzeih, Fritzchen, sind das auch – sozusagen – Reuezigarren?« –

»Schade,« dachte Leo, »das hab' ich vergessen.« Und er schüttelte lachend den Kopf. –

Der Pfarrer setzte umständlich das gute Kraut in Brand und hüllte sich mit einem Seufzer der Erleichterung in die wohlriechenden Wolken.

»Da sitzest du nun so breitbeinig in deiner ganzen Herrlichkeit,« sagte er, »und möchtest dich vor Lachen ausschütten über den alten, feisten Kerl, den du so prächtig zum Narren halten kannst … Aber an eines denkst du nicht: das, was du gethan hast, wird dadurch um kein Haarbreit besser.«

»Hm,« machte Leo, sah ihn an und strich sich den Schnauzbart.

»Du kannst noch so viel Rosenwasser drüber gießen, stinken thut's doch.«

»Hm,« machte Leo zum zweitenmale.

»Ich hab' dir damals in der Kirche eine Pauke gehalten nach meinem besten Können und Dafürhalten … Die trägst du mir jetzt nach … Und das ist nicht hübsch von dir, Fritzchen.«

»Was ich dir nachtrage,« erwiderte Leo, »ist, daß du, anstatt zu mir zu kommen und mit mir zu besprechen, ehrlich und schlicht, was du auf dem Herzen hast, dich von einem Weibe ins Schlepptau nehmen läßt und nach einem Weiberrezept versuchst, mir das Gruseln beizubringen, damit ich mit Angst und Heulen zu Kreuze krieche. – Das schickt sich nicht für uns Männer, und unser alter Herrgott, wie ich ihn mir denke, kann unmöglich Freude dran haben.«

»Meinst du mit diesem Weibe deine Schwester?« fragte der Alte.

»Die mein' ich.«

»Gut – da du es weißt, Fritzchen! … Deine Schwester ist zu mir gekommen – nicht damals, schon ein paar Jahre vorher – und hat gesagt – na, es ist egal, was sie gesagt hat – aber zu spaßen ist damit nicht, denn das laß dir ans Herz gelegt sein: Deine Schwester kann an der Geschichte leicht zu Grunde gehen.«

»Was weißt du, woran meine Schwester zu Grunde geht.«

»Kurz und gut, sie wußte ihr Teilchen und ich wußte das meine. – Da gab es denn bald kein Hinter-dem-Bergehalten. Und als ich sah, daß ihr die Geschichte aufs Gemüt gefallen war, da hab' ich ihr Trost zugesprochen, wie das meine Pflicht war, und weil ich ihr die Zerstreuung, die sie braucht, nicht schaffen konnte –«

»Du meinst den Mann, den sie braucht?«

»Ganz richtig – den mein' ich … so hab' ich sie auf den Himmel verwiesen. Lach nicht so gottlos, Fritzchen. Das ist mein Amt. – Und, wozu wär' denn der Himmel da, als um uns über dieses Jammerthal wegzuhelfen?«

»Aber uns die Köpfe zu verdrehen, dazu ist er nicht da.«–

Der Alte runzelte tiefsinnig die Stirn und brummte:

»Dazu ist er nicht da … das stimmt.«

Ein Schweigen entstand. – Leo, dem nicht mehr nach Scherzen zu Mute war, rief Christian herein und bestellte einen Wein, der sich trinken ließ.

»Das lohn' dir Gott, Fritzchen,« sagte der Pfarrer. »Nun wird einem doch wieder ein vernünftiger Gedanke durch den Hirnschädel schießen.«

Christian, der gut machen wollte, was sein Herr an der Geistlichkeit gesündigt, brachte einen feurigen Rauenthaler, der seit manchem Jahr die Sonne nicht gesehen hatte.

Brenckenberg netzte sich langsam die Lippen. Seine kleinen, verschwollenen Augen zogen sich zum Spalte zusammen, und während zweimal ein Ruck des Entzückens durch seinen Körper ging, leerte er das Glas.

Dann sah er aufs neue finster und schweigend vor sich hin.

»Bist du noch immer nicht zufrieden?« fragte Leo.

»'ne Schmach und 'ne Schande ist's,« erwiderte er, »daß man an so was Vergnügen findet, während man so entsetzliche Sachen bespricht … Aber das ist der Adam, Fritzchen, das ist der Adam.«

»Du hast es aber eilig mit dem Bereuen,« erwiderte Leo. »Laß erst die Lippen trocken werden, eh du sie verfluchst.«

Der Alte stützte die Stirn gegen seine beiden Fäuste.

»Sieh mal, Fritzchen, ich bin kein Priester nach dem Herzen Gottes,« sagte er, dieweil der Wein sein Innerstes aufzutauen begann. »Ganz im Gegenteil … Mein Leib ist der richtige Kornspeicher für sämtliche sieben Todsünden. – Kammern und Unzucht, um mit der Bibel zu reden, hab' ich mir nun freilich abgewöhnt … Aber Fressen und Saufen, Fritzchen, und unziemliche Worte …«

»Apropos, ist dir zum Wein vielleicht ein Lachsbrötchen gefällig?« warf Leo ein.

»Später – Fritzchen – später … Mit alledem wird unser lieber Heiland Erbarmen haben müssen bis an meines Lebens Ende … Da ist Hopfen und Malz an mir verloren … Wenn ich mir so die Herren Konfraters ansehe – wenigstens die meisten … wie sie so auf der Konferenz angeschlichen kommen – lispelnd und winselnd – mit ›lieber Bruder in Christo‹ hier – und ›in Gottes großer Barmherzigkeit‹ da – wie sie mit den Augen klappern und die Hände über den Magen falten vor lauter Selbstgerechtigkeit und Demut – – Fritzchen – das ist rein, um die Kolik zu kriegen vor Aerger. – Und doch beneid' ich sie … Denn wenigstens den Dünnen muß man's lassen: sie leben nach den Worten der Schrift … Die Dicken hingegen sind meistens Sünder und entbehren der Gnade, die sie vor Gott haben sollen. Amen.«

»Was willst du damit beweisen?« fragte Leo.

»Daß unser Fleisch das Karnickel ist, das allemal angefangen hat und uns zu allem sündigen Thun verführt, und daß unser Fleisch hierfüro gekreuzigt werden muß.«

»Wenn die Dünnen die Heiligen und die Dicken die Sünder sind,« warf Leo lachend ein, »so wäre ja 'ne Schweningerkur das beste Fegefeuer.«

»Mach keine Witze!« tadelte der Pfarrer. »Ich bin ein Dicker. Ich bin ein Sünder. Ich muß es wissen … An manchem Tage fühl' ich so recht, wie mein Fleisch zu gären anfängt vor lauter Sündhaftigkeit. An warmen Sommerabenden oder im Winter vor'm Grogglase, wenn man nichts zu thun hat … da bohren überall die kleinen Teufel unter der Haut … wie mit Stecknadeln … und zu jedem Knopfloch schielt ein Begehren oder eine Ueppigkeit heraus … Ja, ja, Fritzchen, ich kenne den Rummel … Mir macht man keinen blauen Dunst vor. Es geht uns zu gut und darum rennen wir auf die Rutschbahn, um uns die Beine zu brechen.«

Leo bedankte sich lächelnd für den Vergleich.

»Was also will ich damit sagen? Ich will damit sagen: Untersteh dich nicht und komme mir als Entschuldigung mit der sogenannten Leidenschaft, mit Schicksal, Verhängnis und dergleichen Dummzeug … Dir ist es zu gut gegangen, und nun hält dich der Teufel am Schlaffittchen … Das thut mir leid, Fritzchen, aber es ist nicht mehr zu ändern.« –

»Was meinst du mit dem Teufel? Wer ist der Teufel?«

»Der Teufel, Fritzchen, geht umher wie ein brüllender Löwe –«

»Sehr richtig. Das hast du mir schon in der Kinderlehre beigebracht.«

»Gut! Du willst also was Neues wissen? Möchtest du mal sehn, mit eigenen Augen sehn, wie er aussieht, der Teufel?«

»Wird mir eine Ehre und ein Vergnügen sein.«

»Dein Wille soll geschehn.« –

Er faßte in die Schoßtasche seines langen, schwarzen Rockes und brachte unter Pusten und Stöhnen zuerst einen Apfel, dann noch einen Apfel, dann drei Kornähren, dann ein Endchen Wachslicht – »Altarkerze,« erklärte er, »hilft gegen die Pocken. Hab's gestern einem Schweinigel abgenommen, der's aus der Sakristei gestohlen hat –« dann ein von Brotkrumen wimmelndes Reservetaschentuch, dann ein Windfeuerzeug und schließlich ein Lederetui zum Vorschein, welches die Größe einer Männerfaust und die Form eines Dreiecks hatte.

Das Etui ließ er vor sich liegen, das übrige stopfte er langsam in die Tasche zurück.

»Hierdrin ist er,« sagte er.

»Der Teufel?«

»Jawohl.«

»Ah!«

»Achtung! Ich mach' aus!«

Der Deckel schnappte zurück. Ein Etwas, das einer Zigarrenspitze ähnelte und zum großen Teil in rote Wollenlappen gewickelt war, kam zum Vorschein.

»Dies ist er,« sagte der Pfarrer.

»Genau so, wie ich ihn mir immer vorgestellt hab',« höhnte Leo.

»Hätte dir so viel Gescheitheit gar nicht zugetraut,« erwiderte der Alte mit unerschütterlicher Ruhe, indem er sorgsam die Bänder löste, welche die Umhüllung festhielten, »denn von den tausenderlei Gestalten, welche er anzunehmen vermag, ist das seine beliebteste.«

Das Wollenzeug fiel ab und was sich enthüllte, war in der That eine sauber geschnitzte Meerschaumspitze. Dieselbe hatte die Form eines – Frauenbeines.

Ueber dem bernsteinernen Schuh, welcher als Mundstück figurierte, war der Teil, der bis zum Knie reichte, ebenholzfarben angeraucht, während der Rest durch den Schutz der wollenen Läppchen seine natürliche, gelblich getönte Weiße beibehalten hatte.

Leo lachte aus vollem Halse: der Alte aber bewahrte seinen ehernen Ernst. –

»Dies ist die von mir erfundene Methode, lieber Sohn,« sagte er, »den Teufel in den Rauchfang zu hängen, und ich versichere dich, es bereitet mir eine himmlische Freude, wenn ich ihn tüchtig einräuchern kann.«

Er steckte die halbverrauchte Zigarre in den Brenner und dampfte mit der vollen Kraft seiner Lungen.

»Nur eines versteh' ich nicht,« sagte Leo, welcher nun versuchte, ernsthaft auf den Scherz einzugehn. »Wenn du den Teufel schon einmal in deiner Gewalt hattest, warum hast du ihn nicht ganz und gar schwarz anlaufen lassen?«

Der Alte legte mit der Miene eines Weltweisen den Finger an die Nase und sagte:

»Du redest eben wie ein ahnungsloser Sünder. – Bedenke, was wäre der Teufel für ein armseliges Geschöpf, wenn er sich mir nichts, dir nichts von uns unterkriegen ließe? … Als ich so recht ans Werk gehen wollte, ihn unschädlich zu machen, da hat er es verstanden, Mitleid in mir zu erwecken. Denn dieses ist des Teufels Spezialität: Bei unserm guten Herzen packt er uns. – Das da war so glatt und so weiß und so blank – und, kurz, es that mir leid. – Und siehst du, da hab' ich mich richtig herbeigelassen, einen Pakt mit ihm zu schließen, dergestalt, daß ich ihm einen Strumpf anrauchte und das übrige ließ, wie es war, indem ich es in Wolle wickelte. Und siehst du, Fritzchen, das ist unsre ganze Kunst: Unschädlich können wir ihn nicht machen, aber Socken können wir ihm anziehen und das übrige verstecken.«

Und mit derselben Sorgfalt, mit welcher er sie gelöst hatte, begann er die roten Lappen wieder um den weißgebliebenen Teil zu wickeln.

»Schockschwerenot,« fluchte Leo. »Das ist ja tiefsinnigste Symbolik, – der reine zweite Teil Faust.«

»Laß mich mit Fäusten in Ruh, Fritzchen. Goethe lebte wie 'n oller Heide und dichtete wie 'n oller Heide. Wenn er die Versmaße abzählen wollte, spielte er mit den fünf Fingern Klavier und zwar durchaus nicht in der Lust. Francke und Olearius haben auch schöne und kräftige Lieder gedichtet, aber so was ist ihnen nie eingefallen. Und die Zeit, wo Schleiermacher und Konsorten und das ganze liberale Gesindel ihn auf der Kanzel citieren durften wie einen Kirchenvater, wird hoffentlich bald ganz vorüber sein … Und dann hat er auch meistens unrecht … ›Das ewig Weibliche zieht uns hinan‹, heißt es da irgendwo … Sehr schön und sehr nobel … Aber daneben gibt es ein andres Weibliches, das ebenso ewig ist und das uns herabzieht, Fritzchen … So tief herabzieht, Fritzchen, daß wir schließlich nicht wissen, ob's noch irgend eine Pfütze gibt, die wir nicht ausgemessen haben … Mancher kommt davon, weil sein Genius lange Stiebeln anhat, aber mancher geht als Schmutzfink unter.«

Leo fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, denn das Auge drüben hatte ihm einen seiner verdächtigsten Blitze zugeschleudert.

Er füllte die Gläser. Der Alte trank hastig. Sein Gesicht nahm eine Kupferfarbe an, und die buschigen Brauen zuckten auf und nieder.

Das war die Stimmung, in welcher der alte Herr seine originellsten Tiraden zum besten gab. – Die Tafelrunde des seligen Vaters, welcher er als Spaßmacher gedient hatte, pflegte sich bereits vor Lachen zu wälzen, wenn jene Zeichen sich meldeten.

Leo durfte hoffen, jetzt die tiefinnerste Meinung des alten Freundes über seine Lage zu erfahren.

»Laß einmal den Pfaffen beiseite,« sagte er, »und rede zu deinem Fritze wie ein Mensch und Sünder zum andern redet. – Wie denkst du über meine Schuld, und welches ist der Weg, mich davon frei zu machen?«

Der Pfarrer ließ ein neues Feuerwerk von Blitzen unter den Brauenbüscheln hervorschießen. Seine Kinnladen gingen kauend hin und her, als wollte er die schwierige Frage wie einen Kiesel zwischen seinen elfenbeinernen Zähnen zermalmen.

»Sieh mal, Fritze,« begann er, »manchmal an hellen Tagen – ich meine, wenn's in diesem alten Schädel helle ist, dann bild' ich mir ein, ich sei unser alter Herrgott. Oder vielmehr, ich frage mich, wie mag's in dem Kopfe aussehn, wenn er so aus seinem Himmel auf uns armseliges Gesindel niederschaut … Er hat uns ja gemacht, so wie wir sind, sag' ich mir: wie kann er uns also für Sünden strafen, die auch sein Werk sind? … Wenn du das meinem lieben Consistorio schreibst, Fritzchen, komm' ich trotz deiner Patronage um Amt und Brot: – also behalt's lieber für dich … Und um mir die Geschichte klar zu machen, hab' ich im Fichtenwalde hinter Wengern einen Ameisenhaufen. Da stell' ich mich breitbeinig drüber hin – es ist ein erhebender Anblick, Fritzchen – und bilde mir ein, ich sei der Herrgott von diesem Ameisenhaufen … Warum soll es das nicht geben, wenn es neben dem Deutschen Kaiser auch einen Fürsten von Schleiz-Greiz-Lobenstein gibt? … Da unten kribbelt's und arbeitet und zankt sich und beißt sich tot … Ich seh' mir das an und – schmunzle … Da unten wird sicherlich viel gesündigt. Ich aber, der Herrgott, seh' mir das an und – schmunzle … Es kommt nur darauf an, sag' ich mir, daß hübsch der Ordnung gemäß gesündigt wird, denn sonst müßte ja mein schöner Ameisenhaufen auseinandergehn … Und ich sag' mir ferner: So schmunzelt auch der Herrgott zu der Menschen Sünden, die ja nichts weiter sind, wie Bethätigungen seiner Gesetze. Er braucht sie, wie er die Tugend braucht, denn sonst hätt' er sie nicht geschaffen.«

Leo stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. – Eine so versöhnliche Ansicht hätte er von dem alten, starren Eiferer nicht erwartet.

Aber dieser setzte sofort einen Dämpfer darauf.

»Frohlocke nicht zu früh,« sagte er, »wir sind noch nicht zu Ende. – Warum das so ist, das können wir nicht wissen, dazu ist unser Verstandskasten zu enge. Aber damit die Sünde wirklich ihr Gutes habe, gleichwie die Tugend, und damit der Sünder wie der Gerechte sich unter die gleichen Gesetze beuge, hat er die Heilsordnung aufgerichtet … Danach ist jedem Menschen sein bestimmtes Maß von Sünden zugeteilt: das darf er nicht überschreiten, sonst fällt der ganze Bau auseinander … Und deshalb schuf er folgenden Kreislauf: Sündigen – bereuen – Buße thun – entsündigt werden – und nun mit frischer Kraft als ein reiner Mensch von neuem drauflos sündigen, wenn es partout nicht anders geht … So bleibt alles hübsch in der Ordnung, und jeder hält sich an das Sündenmaß, das er gerade braucht, um seinen Adam mit dem christlichen Gebot in Einklang zu bringen … Das heißt also: die Sünde gehört zum Leben, aber Sünde ohne Reue ist der Tod.«

Leo sprang auf und ging mit breiten Schritten auf und nieder.

»Und um dieser Schrulle willen mußtest du mir die Hölle heiß machen?« rief er.

»Die Heilsordnung ist keine Schrulle,« erwiderte der Alte. »›Er ist zurück,‹ hat deine Schwester an jenem Morgen zu mir gesagt, ›und lacht und tollt und jubelt, während ich durch seine Sündenschuld am Boden liege. Ist das erlaubt?‹ … ›Mit nichten,‹ hab' ich erwidert, ›den Burschen wollen wir kriegen!‹ Denn Reue muß sein.« –

»Du lügst!« schrie Leo und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten … »Sie muß nicht sein … Wenigstens nicht für mich … Bei dir heißt es: Sündigen – bereuen – wieder sündigen. Bei mir heißt es: Sündigen – nicht bereuen – besser machen.«

»Wenn das so ginge!« lachte der Alte.

»Es wäre gegangen! Ich hatte mir alles zurechtgelegt … Ich war längst mit mir ins klare gekommen … Und gilt dir das etwa als keine Buße, dicht neben meinem einzigen Freunde hinzuleben, als ob er gar nicht auf der Welt wäre? – Denn so hatt' ich es bestimmt. Da aber habt ihr losgelegt, du und die Weiber, und habt mich in einen Hohlweg hineingehetzt, dessen Ende ich nicht absehn kann, und aus dem es kein Zurück mehr gibt … Als ich nicht bereute, war ich ein strammer, ordentlicher Kerl, und jetzt! – rein verratzt kommt man sich vor … Und der Deiwel weiß, was noch aus Einem werden wird … Das habt ihr gemacht mit eurer verfluchten Reue.«

»Reue muß sein, Fritzchen,« dröselte der Alte und leerte sein Glas.

»Gut – wenn sie sein muß,« – er trat hinter den Alten und ergriff ihn bei beiden Schultern – »warum ließt ihr mich meine Schuld nicht für mich allein tragen? Warum jagtet ihr mich auf jenes Weib los? … dem ich übrigens – versteh mich recht – keinen Vorwurf machen will, denn ich hab' mehr an ihr gesündigt, als sie an mir! … Sie hatte in meinem, ich in ihrem Leben nichts mehr zu suchen – und nun komm' ich mir vor, wie aufs neue mit ihr zusammengekoppelt. – Gehört das auch zu der Reue, die ihr mir zudiktiert habt?«

»Das ist die erste Stufe – genannt contritio oder Zerknirschung,« sprach tiefsinnig der Alte.

»Red keine Kleinkinderpappe!« schalt Leo. »Noch einmal frag' ich dich: Warum hetztest du mich mit ihr zusammen?«

Der Alte wischte sich über die Stirn und schwieg. – Der Kopf war ihm schwer geworden.

»Besinne dich!« drang Leo in ihn. »War das nicht auch die Idee meiner Schwester?«

»Welche – Schwester?« träumte der Alte, und plötzlich aufwachend, rief er: »Stimmt – richtig – ganz richtig. Sie ist zuerst auf die Idee gekommen – und sie hat recht gehabt … Eine erleuchtete Idee – eine gesegnete Idee! … Denn es gibt der Seelen zweie zu erretten, Fritzchen. Und das ist keine Kleinigkeit.«

»Nun, so errettet sie in drei Teufels Namen, aber jede auf eigene Rechnung und Gefahr.«

»Das – verstehst du nicht, Fritzchen … Similia – similibus, heißt eine alte Lehre … Jesus Christus ist Mensch geworden, um uns Menschen Erlöser zu sein … Der Sünder kann nur durch den Sünder gerettet werden. Du hast jene Seele in den Abgrund geworfen, du nur kannst sie wieder draus erheben – und dich mit ihr … Denn es steht geschrieben bei den Römern – oder war es bei den Korinthern, Fritzchen? …«

Er leerte sein Glas und vergaß darüber den Spruch, den er hatte citieren wollen. – Je schwieriger seine Gedanken sich aneinander fügten, desto leichter erschien ihm die Lösung des vorliegenden Problems.

»Die Geschichte ist höchst einfach, Fritzchen,« sagte er, »du kannst es auswendig lernen: Entweder du bereust nicht – dann holt dich der Teufel, oder du bereust – dann holt dich der Teufel nicht … Wenn's nicht behalten kannst, werd' ich's dir aufschreiben … Gib mir zu trinken, Fritzchen. – Der Wein ist aus–ge–zeichnet … Und wenn du jetzt vielleicht ein Lachsbrötchen hättest –«

Leo schellte und befahl einen Imbiß.

Christian, welcher die Situation überschaute, berichtete respektvoll, der Herr Kandidat ließen fragen, wann Herr Pfarrer aufzubrechen gedächten. Er glaubte sich diesen kleinen Betrug erlauben zu dürfen.

»Ist dein Sohn auch da?« fragte Leo in aufsteigendem Mißtrauen, denn er erinnerte sich des Liedes von den lächelnden Sternen.

»Ja, der Schlingel ist auch da,« lachte der Alte, leuchtend vor Vaterstolz. »Sag nur, er soll sich nach Hause scheren. Ich brauch' ihn nicht.«

Christian machte seinen Bückling und entfernte sich mit einem vorwurfsvollen Blick gen Himmel. Daß auch die Geistlichkeit zu viel trank, schien ihm eine Lücke in der göttlichen Weltregierung.

» Das ist ein Taugenichts, – dieser Junge!« rief der Pfarrer begeistert, »du hast keine Ahnung, Fritzchen, was das für'n Taugenichts ist.«

»Warum haust du ihm nicht die Jacke voll und schickst ihn auf seine Schule zurück?« fragte Leo. –

»Du bist immer schnell fertig, Fritzchen … Aber, ich will dir was sagen,« – er neigte sich in geheimnisvollem Flüstern zu Leo herüber – »du hast gar keine Ahnung, was das für'n Taugenichts ist.« Dann fuhr er sich in erneuter Begeisterung durch die langen, dünnen Lockensträhnen. »Saufen kann er … Und eine Schnauze hat er … und Gedichte macht er … Ach, Fritzchen, und wenn er seine Studentenlieder singt: O alte Burschenherrlichkeit, wohin bist du-hu-hu –«

»Pst!« machte Leo, denn Christian brachte ein Theebrett voll kalter Speisen, das man in der Küche schon bereit gehalten hatte. Sodann verschwand er. –

»Und wenn der Schläger blitzt – Fritzchen – klipp – zisch! – und man steht forsch auf der Mensur – wie ich mal bei den Westfalen … Ja, Fritzchen, schön ist diese alte Erde, und es lohnt sich, drauf fidel zu sein. – Als ein Kerl von Vollblut, der man ist … Freilich, am Ende kommt der Teufel und holt uns alle … Siehst du, Fritzchen, dies ist ein Rebhuhnflügel in Gelee … Und bei diesem Rebhuhnflügel in Gelee fällt mir eine Geschichte ein … Und die muß ich dir erzählen … Ich fahr' also meinen Schlingel von Sohn in Berlin besuchen … Eine schöne Stadt, Fritzchen. Bloß zu gebildet. Und die Predigten – unter der Kanone … Nicht Saft, nicht Kraft … Jeder Satz ein Stück ausgekochtes Rindfleisch mit Rosinensauce. Wo soll da die christliche Zucht herkommen, Fritzchen? … Kurz, da sag' ich zu meinem Jungen: Fritze, das heißt Kurt, sag' ich, wir wollen mal gehn, wo es recht sein ist. Ich verbaure so wie so unter den Wengernschen Ochsen, ich will das vor meinem Tode einmal gesehn und geschmeckt haben … Gut … Wir gehn also in ein Lokal … Lauter Gold … und Spiegel … und Kronleuchter … und Diener im schwarzen Frack … Und einer davon, der sieht mich gleich beim Eintritt so sonderbar an, daß ich mir denke: ›Nanu?‹ … ›Was befehlen?‹ heißt es … Mein Junge ist nicht faul und befiehlt … Fritzchen, da kamen: Austern und getrüffelte Pastete und dazu Sherry, – und Hummersuppe – und Lachsforelle – und Bayonner Schinken mit Sauerkraut in Champagner … Fritzchen, hundsgemeines Sauerkraut, aber in Champagner – Hahahaha! – und Wachteln – und Artischocken – und – so weiter … Aber immer steht der Kerl mit der weißen Krawatte und dem verfluchten Grinsen … im Hintergrunde … Ich sage also zu meinem Jungen: ›Paß auf, das ist der Deibel.‹ … Und richtig – – –«

»Er war's?«

»Jawohl, er war's … Denn als wir gehn wollen, was bringt der Kerl getragen? … Ein Stück Papier bringt er getragen … Drauf steht eine lange Liste und drunter als Summe: achtundsiebzig Mark … Siehst du, Fritzchen, so ist's mit dem menschlichen Leben: Wir dürfen freveln, so viel es uns beliebt … Immer lustig … Aber an der Grabesthür steht der Teufel und präsentiert die Rechnung … Darum woll'n wir noch'n mal – woll'n wir noch'n mal – juchheirassassa –«

Seine Donnerstimme dröhnte durch das Haus. –

»Um Gottes willen, laß das Singen,« rief Leo, »du bringst dich ja bei den Weibern um alle Reputation.«

»Ganz egal – ganz egal! – – Ach, und die Weiber! Wenn ich du wäre, Fritzchen! Ich an deiner Stelle würde nicht bereuen. – Nun gerade nicht … Ich würde ihnen was pfeifen! … Und das Leben durchleben in Jubel und Trara … Denn bei dir ist es ganz egal … Du hast die Seligkeit verspielt … Dich holt der Deibel doch!« –

»Kinder, Narren und Betrunkene sollen die Wahrheit reden,« dachte Leo, »und dieser hier ist alles drei zugleich.« – Dann fragte er:

»Du glaubst also nicht, daß es für mich eine Befreiung gibt?«

»Was heißt Befreiung?« schrie der Alte, in Wut geratend. »Befreiung gehört ins Lexikon der Hunde von Philosophen … Schleiermacher, der Lump, würde gesagt haben: ›Befreiung!‹ Unter ehrlichen Christen aber heißt das: ›Erlösung‹ – ›Sündenvergebung‹. – Nee, Fritzchen, die gibt's nicht mehr für dich … Damit ist's Essig. – Man soll zwar nicht sagen, was Christi Barmherzigkeit ist, aber wenn die Hölle wirklich einen reellen Hintergrund hat, dann gehörst du hinein … Und weißt du, wie mir diese Erkenntnis aufgegangen ist? Beinahe fünf Jahre sind es her. – Ich werd's dir erzählen, Fritzchen – aber es ist ein fürchterliches Geheimnis – du mußt die Thüre zuschließen.«

Leo, welcher hoch aufgehorcht hatte, beruhigte ihn. »Sprich nur leiser,« sagte er, »weiter ist nichts nötig.«

»Also los,« begann der Alte, und während er die Stimme senkte, spie und zischte er mit vorgestreckten Lippen, gleich dem Ventile eines Dampfkessels. »Eines Abends sitz' ich mit meinen Jöhren und les' die Bibel. Meine Frau aber ist draußen in der Küche und backt Kartoffelflinsen. – Ich weiß das ganz genau … Da kommt einer zur Thüre rein, den ich nicht kenne, und ich frag' ihn mit apostolischer Milde: ›Kerl, was will er?‹ – ›Das Abendmahl möchten Sie rasch geben kommen,‹ sagt er. – Das ist natürlich die pure Malice, denk' ich: da hat sich einer sein Sterben gerade auf heute verlegt, weil er gewußt hat, daß es bei mir was Gutes gibt. – Denn die Bande, Fritzchen! – Aber wie ich die Worte höre: Fichtkampen und Rhaden –«

Leo fuhr in die Höhe. Er fühlte, wie er erbleichte.

»Siehste, mein Sohn,« triumphierte der Alte, »solche Namen sind uns eklig. – Aber ich kann dir nicht helfen. – Jetzt wird der Sache auf den Grund gegangen … Ich meine Flinsen vergessen – Talar und Beffchen vom Nagel reißen – das heilige Tischzeug einpacken und in den Wagen springen – pfütt! – wie der Wind! … ›Kerl, was ist eigentlich geschehen?‹ – Wußt' er nicht! … Wußte bloß, daß sie den gnädigen Herrn morgens um Uhre sechse – blutübergossen – ins Haus getragen hatten. – – Und nun war's Matthäi am letzten … ›Wann ist der Arzt gekommen, Kerl?‹ – – ›Der Arzt ist gleich bei der Hand gewesen,‹ sagt er. – – ›Morgens um sechse, du –?‹ .– – ›Jawohl, Ehrwürden.‹ – Fritzchen, das schien mir gleich verdächtig. – – Ich komme an. – Haus und Hof ausgestorben – – Nicht einmal einer, der mir die Thüre aufmacht … Endlich schlampt da 'ne Dienstmagd an. – Korridore, Stuben, Saal – alles still und leer – ›Lebt er noch?‹ – – ›Jawohl.‹ – – ›Was ist los gewesen?‹ – – ›Hat sich duelliert‹ – – – – O je! – Ich komm' ins Schlafzimmer. – Kennst du dies Schlafzimmer, Fritzchen? – – – An der Decke brennt 'ne Ampel, – 'ne blaue Ampel, Fritzchen. – War sie nicht blau, Fritzchen? – – – Alles leer – – – ›Wo liegt er denn in Gottes Namen?‹ – – ›Da hinten,‹ sagt die Person – – Und da hör' ich ein Röcheln vom Himmelbett her. – ›Wo ist der Arzt?‹ – – ›Sie haben ihn zu 'ner Entbindung weggeholt – wird wieder kommen.‹ – – ›Und wo ist die gnäd'ge Frau?‹ – ›Die hat sich oben in den Fremdenzimmern eingeschlossen,‹ sagt die Person. – Ich schlag' die Gardine zurück … Da liegt er ganz im Blut. Aus Nas' und Mund quillt ihm der Schaum … Und er sieht mich mit ganz gläsernen Augen an – und macht 'ne Bewegung, ich soll ihm das da wegwischen, er woll' reden.«

»Hör auf!« stöhnte Leo.

»Ja – hör auf! – Das könnte dir passen! Prost, Fritzchen!«

»Ich fleh' dich an, hör auf!«

»Eigentlich hast du recht, Fritzchen. So was paßt gar nicht in eine – lustige – Kneiperei. – Wie war ich doch drauf gekommen? Ja richtig, von wegen dem Teufel … Sieh mal, Fritzchen, – an jenem Abend, wie er mir die Geschichte erzählt hat – von dir und der da oben – ich konnt' sie rumrennen hören – da hab' ich um deine Seele geweint, Fritzchen … Denn ich hab' ein gutes Herz, Fritzchen … Und du bist mir lieber wie mein eigen Fleisch und Blut … Aber heute kann – ich nicht – weinen, Fritzchen … Denn – ich habe zu viel Wein getrunken! Mußt mir schon … ver … zeihn.«

Er versuchte mit seinen kurzen, dicken Fingern bittend zu Leo hinüberzutasten … Der mächtige Bulldoggenkopf sank auf die Brust herab. Ein dumpfes Schnaufen drang aus seiner Kehle.

Er war eingeschlafen. –

Leo stützte den Kopf in seine beiden Hände und starrte mit brennenden, verquollenen Augen zu ihm hinüber.

»So düster endet der Scherz,« dachte er, »den ich mir mit meinem Gewissen glaubte erlauben zu dürfen.«

Er schauderte … Ihm war, als säh' er den verglasten Blick des Sterbenden auf sich gerichtet, als hörte er sein Lallen und Röcheln, dessen letzter Laut ein Fluch gegen ihn gewesen – – und das Weib, das droben in den verschlossenen Fremdenzimmern umherrast, welches den Gatten einsam verrecken läßt wie einen Hund, weil es nicht wagt, den schuldbeladenen Leib an sein Sterbelager zu schleppen. – Er hört von der Decke herab ihr Schluchzen, ihr Wimmern. –

Und alles das – sein Werk. – Sein Werk. –

»Das ist ja zum Verrücktwerden!« schrie er aufspringend.

Er brauchte eine Menschenstimme, und hörte nichts als das Schnarchen des trunkenen Alten. –

Er brauchte einen, welchem er die Qual, die seine Brust zusammenschnürte, entgegenschreien durfte, und hatte niemanden – niemanden als jenes Weib, welches seine Mitschuldige war. –

»Nun versteh' ich, warum sie sich an mich klammert,« dachte er. »Und vielleicht hab' ich sie bald nicht weniger nötig als sie mich.«

Er gedachte jenes Leo Sellenthin, der er selbst vor kaum vier Wochen gewesen war.

Er erschien ihm als ein fremder Mensch. –

Was war derweilen geschehn? –

Er wußte es nicht. –

Ruhelos, die gefalteten Hände vor die Stirn gepreßt, rannte er im Zimmer auf und nieder, während der alte Pfarrer den Schlaf des gerechten Richters schlief.


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