Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Ausgeschlafen, frisiert und rasiert, den Geist von schönem Idealismus erfüllt, Sehnsucht nach einer blonden Herrin im Herzen, schritt der cand. phil. Kurt Brenckenberg in sonniger Sonntagsmorgenfrühe zwischen den Rabatten des Wengernschen Pfarrgartens spazieren und freute sich seiner Heldenkraft, da die gestrige Kneiperei ihm nichts hatte anhaben können.

Wohlig seine Zigarre rauchend, erwartete er den frischen Hemdkragen, den seine Schwester ihm zu plätten versprochen hatte und der nicht fertig werden wollte.

»Ich werde wohl etwas Skandal machen müssen,« sagte er zu sich, denn die Bedienung im Elternhause war in der That höchst mangelhaft zu nennen. Bekam man die Wäsche endlich, so taugte sie nichts. Von der Steife und Appretur, welche die Kunstwerke der Glanzplätterinnen auszeichneten, war keine Spur darin zu finden. Er, der sich voll bewußt war, was ein Corpsstudent von sich verlangen muß und darf, er hatte das Recht und die Pflicht, sein Exterieur nicht zu vernachlässigen, zumal die Würde seiner Bänder diesen Krautjunkern gegenüber täglich und stündlich aufrecht erhalten werden mußte.

Als Aeltester der neunköpfigen Schar, die dem Ehebunde des alten Pfarrer Brenckenberg entsprossen war, hatte er im neunzehnten Jahre die Universität bezogen, um, wie die Legende ging, die alten und die orientalischen Sprachen zu studieren … Etwas Genaues hatte man von dem Berufe, den er sich erwählt, niemals erfahren, denn er hielt es nicht für angemessen, sich über dergleichen Trivialitäten auszusprechen, die, wie er meinte, nur gerade für »Finken« gut genug wären. Gewiß und unanfechtbar war nur, daß er vierzehnmal auf Mensur gestanden und neunmal davon »abgestochen« hatte, daß er zwei Pistolenskandale und eine p.p.-Suite hinter sich wußte und daß er das Biertrinken mit heiligem Eifer und gleichsam künstlerisch zu betreiben verstand. Ebenso war nicht zu bezweifeln, daß er bei den Westfalen zweiter und bei den Normannen dritter Chargierter gewesen war, weswegen er auch nie versäumte, seinem Namen neben den Zirkeln der Corps, was selbstverständlich, auch die imponierenden Kreuze hinzuzufügen.

Sein vollständiger Name lautete demnach:

Kurt Brenckenberg

Guestphaliae (XX) Normanniaeque (X).

Und so figurierte er auch auf den Wechseln und Ehrenscheinen, von denen sein Vater ab und zu einen zur gefälligen Einlösung erhielt, bis der alte, brave Mann erklärte, nun sei's genug und der Zierbengel erhalte nicht einen gebogenen Heller mehr. Dabei blieb es, ob auch die Mutter mit Thränen und Gebeten für ihren Liebling ins Feld zog.

Die Folgen der väterlichen Grausamkeit sollten nicht ausbleiben. Eines schönen Tages zu Anfang Februar erschien der Sohn im Elternhause und erklärte, es bis auf weiteres nicht mehr verlassen zu wollen.

Dem sorglichen Mutterauge entpuppte er sich als Besitzer eines braun und gelb karrierten Anzugs, dessen Jacke sehr eng und dessen Hose sehr weit war, zweier Corpsbänder, zweier Bierzipfel in den Couleurfarben gehalten, einer elfenbeinernen Kravattennadel in Form des Couleurzirkels, zweier Manschettenknöpfe mit demselben Couleurzirkel, eines goldenen Armbandes mit einem falschen Georgsthaler daran, der statt des Schiffes den schon genannten Couleurzirkel trug, eines ebenhölzernen Renommierstockes, auf dessen elfenbeinernem Knopfe der Couleurzirkel erhaben ausgemeißelt war, eines Notizbuches, mit Couleurzirkeln vollgemalt, und eines Portemonnaies, welches nichts Silbernes aufwies als das Schloß mit darein geätztem Couleurzirkel. Im übrigen fand sich in seinem Koffer außer einem mit Messingnägeln beschlagenen Kommersbuche, etlichen Wechselformularen und einer zerbrochenen Meerschaumspitze – mit den Resten eines Couleurzirkels darauf – nur noch ein Häuflein schmutziger und zerrissener Wäsche, in welcher über der Namenschiffre der Couleurzirkel in changierter Seide eingestickt war.

Die Mutter, eine gute, heftige und wenig gebildete Frau, wunderte sich nicht wenig über dies allenthalben wiederkehrende Krikelkrakel, aber sie war viel zu sehr vernarrt in ihren Liebling, um etwas an ihm lächerlich zu finden.

Während der Heimgekehrte den staunenden Geschwistern seine Herrlichkeiten zeigte, kam der Vater nach Hause.

»Was hast du hier zu suchen?« fragte er.

»Ohne Geld studiert man nicht!« war des Sohnes prompte Antwort.

»Komm in mein Arbeitszimmer.«

Der Mutter ahnte nichts Gutes. Sie hängte sich an des Vaters Arm und streichelte ihn heimlich. Der sagte: »Wirste weg!« und schüttelte sie ab.

Zwei Minuten später hörte man drinnen zwei schallende Ohrfeigen und den stolzen Aufschrei einer hochgesinnten Seele: »Ich bin Corpsstudent, Vater.«

Gleich darauf trat – oder richtiger – flog er in das Familienzimmer zurück und erklärte, auf der Stelle abreisen zu müssen. Er habe keine Heimat mehr, und die Mutter möge seine Sachen packen.

Das Packen war nun freilich rasch gethan, aber der Abend kam, und Kurt Brenckenberg war noch immer da. Auch am andern Morgen fand er sich noch am Frühstückstische ein, würdigte den Vater keines Blickes und erklärte aufs neue, sofort nach der Mahlzeit abreisen zu müssen, da er keine Heimat mehr habe. So ging es etliche Tage, und der Vater, den seine Heftigkeit gereuen mochte, ließ ihn gewähren.

Als eine Woche vorüber war, faßte er den Sohn beim Knopfloch und sagte:

»Da du ja morgen reisen willst, wollen wir heute noch einen Abschiedstrunk trinken. Nimm deine Mütze und komm.«

Kurt weigerte sich nicht, und zwei Stunden nach Mitternacht brachte er den braven Pfarrherrn, mit dem es auf sechs Meilen im Umkreise keine Menschenseele im Trinken aufnahm, als barmherziger Samariter nach Hause, und machte ihm auf dem Sofa ein Lager zurecht, damit er die Mutter nicht aus dem Schlummer störe.

Von nun an dachte niemand mehr an sein Fortgehn.

Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wurde inniger von Tag zu Tag. Seitdem er von dem eigenen Sprößling am Biertische geschlagen worden war, hatte er jedem Versuche entsagt, ihm mit seiner väterlichen Autorität zu imponieren, und ließ ihn in und außer dem Hause schalten und walten nach Belieben. – Nur Geld konnte er ihm nicht geben, denn die nobeln Passionen des Sohnes hatten ihn auf Jahre hinaus vollkommen ausgebeutelt. Kaum der nötigste Abendmahlsgroschen war ihm übrig geblieben, wie er zu sagen pflegte. –

Den Winter über baronisierte Kurt Brenckenberg teils auf den umliegenden Gütern, teils im Elternhause umher, wo er mit allem unzufrieden war und die Geschwister unablässig mit seinem Krakehl verfolgte. Er trank, dichtete, war liebenswürdig oder arrogant, je nachdem er es mit Frauen oder Männern zu thun hatte, borgte, wo es zu borgen gab, und hielt sich stets so elegant, als der karrierte Anzug, der bei Faßkessel und Münchmann Unter den Linden auf Corpskredit gearbeitet war, bei patentem Sitz, doch zunehmender Schuldigkeit, es erlaubte. Er arrangierte Liebhabertheater, ersann neue Cotillontouren, gab Fechtstunden und hatte sich alles in allem unentbehrlich zu machen gewußt. Die Damen schwärmten ihn an, die Herren scheuten ihn, denn wer ihn nur halb seitwärts anzusehen pflegte, der fand sich sofort von der unbehaglichen Frage: »Geben Sie Satisfaktion?« herausfordernd angeschnarrt. Nun waren die wackeren Junker des Hinterwaldes durchaus keine Feiglinge, im Gegenteil: sie bewiesen oft genug, daß sie für ihre Ehre jeden Strauß zu wagen bereit waren, allein diesem kleinen, geblähten Kampfhahn gegenüber, den sie doch nur zur Hälfte als ihresgleichen ästimieren konnten, fühlten sie sich befangen und ungelenk, und so oft er auch einen seiner kleinen »Pistolenscherze« eingefädelt hatte, noch niemals war derselbe zum Austrag gekommen. – Freilich war zumeist er derjenige, welcher sich am Schlusse der Kartellverhandlungen als ein Held der weisen Mäßigung erwies. Aber selbst diese Thatsache trug nur dazu bei, seinen Ruf im Lande zu vermehren und sein Bild als das eines unversöhnlichen Streiters um so heller leuchten zu lassen.

Er für sein Teil fühlte sich berufen, die Rolle weiterzuführen, mit welcher vor zwei Jahrzehnten der berühmte Doktor Oswald Stein sämtlichen jungen Landpomeränzchen die Köpfe verdreht hatte, und machte kein Hehl daraus, daß er den Helden der »Problematischen Naturen« als sein Ideal und Vorbild betrachtete. Demgemäß hatte er mit dem süßen Gutstöchterlein auf Halewitz ein zartes Liebesspiel eröffnet, und als der Frühling kam, hoffte er endlich auch seine Melitta gefunden zu haben.

Denn um diese Zeit geschah es, daß Ulrich von Kletzingk ihn zum Hofmeister seines Stiefsohnes nach Uhlenfelde berief. – Der Knabe kränkelte und mußte geschont werden, um so mehr blieb ihm Muße, der schönen blonden Schloßherrin seine Huldigungen zu weihen.

Kokett war sie, das stand fest. Wie hätte sie sonst sämtliche junge und ältere Kavaliere der Gegend, welche galante Anwandlungen verspürten, an sich gefesselt? – Genial war sie auch. Denn unbekümmert um freundnachbarlichen Klatsch lebte sie ihren Neigungen. Auch eine interessante Vergangenheit besaß sie, wie das berühmte Duell bewies.

Aber erhört hatte sie ihn nicht.

Im Grunde hätte er auf Erhörung auch nie zu hoffen gewagt. Er schmachtete sie an – zagend, ehrfürchtig und todesbereit, wie die Pagen in alten Zeiten ihre Königinnen geliebt hatten, und spiegelte sich gern in dieser hoffnungslosen Liebe. –

Doch schien es fast, als ob sie seine Huldigungen sich gern gefallen ließ, als ob sie das holde Bedürfnis eines kleinen harmlosen Hauslehrerromans nicht weniger empfand als er. In Liedern, Seufzern und halbverständlichen Worten brauchte er sich keinen Zwang aufzuerlegen, er durfte in Ritterdiensten Halsbrechendes leisten und vor allen Dingen in Versen Ungeheures wagen. Er verstreute seine Blättchen durch Haus und Garten, er verbarg sie bald in ihrem Strickzeug, bald in einem unaufgeschnittenen Buche, ja er hatte sie – dreister geworden – zwei- oder dreimal sogar unter ihr Kopfkissen gelegt. –

Und immer war sie mit lächelndem Stillschweigen darüber hinweggegangen.

Im übrigen genierte ihn sein Liebeskummer nicht im mindesten. Er aß für dreie, trank für zwölfe, suchte Händel mit den Inspektoren, falls er sie nicht anborgte, und machte in den Abendstunden hinter den Ställen und im Weidengebüsch des Ufers auf Mägde und Scharwerksdirnen Jagd. –

Und dieses kraftgenialische, mit Gefühlen jeder Gattung reich gefüllte Leben sollte nunmehr ein Ende nehmen. – Noch wußte er es nicht, aber die Befürchtung lag nahe. Denn vor drei Tagen hatte der Baron Kletzingk ihm erklärt, daß man bis auf weiteres seiner Dienste entbehren müsse, da seine Frau den dringenden Wunsch geäußert habe, für etliche Zeit den Knaben selber zu unterrichten. An und für sich hätte diese Wendung der Dinge nicht viel zu bedeuten gehabt, denn Frau Felicitas änderte ihre Entschlüsse, so oft ein neuer Einfall ihr durch den Lockenkopf fuhr, aber was ihn stutzig machte, war eine gewisse Veränderung ihres Benehmens gegen ihn, die ihm schon etliche Tage vorher mißliebig aufgefallen war.

Sie war ihm kühl, fast düster entgegengetreten, und als er ihr seinen Schmerz hierüber auf dem gewohnten Wege zu erkennen gegeben, hatte sie nach dem Morgenkaffee mit einem gelangweilten Lächeln die Frage an ihn gerichtet:

»Wie mögen wohl diese abscheulichen Verse in meinen Schlüsselkorb gekommen sein, Herr Kandidat?«

Das war hart und ließ beinahe vermuten, daß er in Ungnade gefallen.

Wie dem auch sein mochte, er war nicht der Mann dazu, sich um Weiberlaunen den Kopf zu zerbrechen. Gestern abend war es in Münsterberg, wo er in der »Preußischen Krone« mit dem Vater gekneipt hatte, wieder höchst fidel gewesen. Die Morgensonne lachte hernieder, und Liebe gab es genug auf der Welt.

Hätte er endlich auch seinen Halskragen gehabt, sein Behagen wäre vollständig gewesen.

Er beschloß, ein wenig Feuer unterzulegen, und trat in den halbdunklen Hausflur, wo Lotti, die älteste Schwester, eine hagere, reizlose Blondine, mürrisch und treu, wie ein schlechtgepflegtes Haustier, auf einer großen Truhe die Sonntagswäsche plättete.

»Werd' ich nun bald ein anständiges Stück Leinwand umzubinden kriegen?« schrie er sie an.

Stumm reichte sie ihm einen Kragen hin.

»Das nennt sich Kragen?« schrie er, den blanken Streifen um den Finger wickelnd. »So ein Waschlappen nennt sich Kragen?«

»Plätte dir deine Wäsche selber, wenn sie dir nicht steif genug ist,« erwiderte patzig die Schwester und führte den Blasebalg in das Kohlenfeuer des Plätteisens, so daß Rauch und Funken umherstoben.

»Es ist eine Schmach,« sagte Kurt achselzuckend, »daß ein Mensch wie ich verurteilt ist, sich mit so elenden Lebensfragen zu befassen.«

»Warum verdienst du dir nicht so viel Geld, daß du dir eine Plätterin halten kannst?« fragte die Schwester.

Er warf ihr statt der Antwort den Halskragen an den Kopf, und sie schrie um Hilfe nach der Mutter.

Diese erschien in weißer Nachtjacke, Zwickelkämmchen in den ergrauenden Haaren, schon eingeärgert, auf dem Platze, und drei der kleineren Geschwister zottelten hinter ihr her.

»Werdet ihr wohl Ruhe halten!« wetterte sie, »Vater lernt die Sonntagspredigt, und ihr haust wie die Heiden.«

»Heiden,« erwiderte Kurt, »sind wenigstens in der glücklichen Lage, keine reine Wäsche zu brauchen, da sie es vorziehen, nackt zu gehn.«

»Ja, du bist ein Gottloser!« schrie die Mutter, die längst von ihrer Bewunderung für ihn zurückgekommen war. »Ein Nichtsthuer bist du.«

»Hei du Lump – du bist ein Lump,« trällerte er parodierend. »Ein liederlicher Lump bist du – haha.«

Die Mutter fing vor Aerger zu weinen an, die Kleinen weinten mit, und der Sonntagmorgenlobgesang war fertig. –

Derweilen saß in der Wohnstube vor dem halb abgeräumten Kaffeetische der Pfarrer Brenckenberg, mit schwerem Kopfweh über einem dickleibigen Predigtbuche brütend.

Er war ein Mann zu Ende der Fünfzig, hochgewachsen, mit massigem Schulterbau, rotem Specknacken und einem wohlgepflegten Bäuchlein. Das spärliche, stark gefettete Haupthaar trug er glatt, in der Mitte gescheitelt und hinter die Ohren zurückgekämmt, so daß es in zerfaserten Christuslocken das rote, feiste Gesicht umrahmte, das trotz seiner hängenden Backen und den vollen, feuchten, in der Mitte tiefgekerbten Feinschmeckerlippen stark und kräftig dreinschaute und ganz dazu angethan schien, eine gewisse Ehrfurcht einzuflößen. –

Er war vor jenen zweiundzwanzig Jahren von dem alten Sellenthin zum Lehrer und Zuchtmeister des unbändigen Leo berufen worden, trotzdem er, der als verbummelter Kandidat die Gegend unsicher machte, nicht gerade geeignet schien, Vertrauen einzuflößen. – Doch hatte sich der sichere Blick des alten Lebemannes auch diesmal nicht getäuscht. Der neue Hauslehrer führte ein eisernes Regiment und wurde daneben als derber Spaßmacher und unverwüstlicher Saufkumpan unschätzbar und unentbehrlich.

Und als Leo, ein dreister, helläugiger Bursch, wohldressiert und präpariert das Gymnasium bezogen hatte, ließ Herr von Sellenthin sich nicht beirren und übertrug dem lustigen Bruder die Wengernsche Pfarrstelle, die seinem Patronate unterstand. – Sofort ließ der Kandidat eine alte, hoffnungslose Brautschaft, von der kein Mensch eine Ahnung gehabt hatte, wiederaufleben und bezog mit der bejahrten Jugendliebe und einer Ausstattung, die sein Gutsherr ihm geschenkt hatte, das leerstehende Pfarrhaus, bereit, es so rasch als irgend möglich zu bevölkern.

Heuchelei und Muckertum waren dieses Mannes Sache nicht, auch eine gewisse cynische Gutmütigkeit mochte ihm nicht abgesprochen werden, aber wehe dem verirrten Schafe, das seinem heiligen Zorne zum Opfer fiel!

Nicht umsonst ging die Sage, daß er einen baumlangen Knecht, der im Begriffe gestanden, mit Hinterlassung einer geschändeten Liebsten nach Amerika auszuwandern, nach vergeblicher Ermahnung mit den Fingern am Halse ergriffen und so lange gewürgt habe, bis der Verführer, blitzblau im Gesichte, auf die Kniee gesunken sei und gefleht habe, ihn loszulassen: er wolle das Mädchen auf der Stelle heiraten und im Lande bleiben, um sie und das Kind redlich zu ernähren.

Doch mochte er auch unter seinen Pfarrkindern mit eherner Strenge Ordnung halten, er selbst genierte sich nicht im mindesten, seinen Schwächen die Zügel schießen zu lassen.

Dafür lag er auch am nächsten Sonntag vor versammelter Gemeinde auf den Knieen und schrie thränenüberströmt und mit gerungenen Händen zu Gott um Vergebung für seine und seiner Brüder Sünden empor. – Wenn sich von Zeit zu Zeit ein moderner Hauptstädter, der sich in seinen Kirchen von liberal angehauchten Predigern mit Litteratur aus Goethe und Lessing unterhalten ließ, in die Wengernsche Kirche verirrte, so nannte er dies Treiben pfäffisches Komödiantentum und fühlte sich dadurch an Abraham a Santa Clara erinnert, aber so gebildet war unter den Eingeborenen niemand.

Dem Konsistorium war der Alte schon lange ein Dorn im Auge. Zu verschiedenen Malen hatte man Anläufe gemacht, ihn auf disziplinarischem Wege zu entfernen, da aber amtlich festgestellt worden war, daß das moralische Niveau des Wengernschen Kirchspiels höher stand als irgendwo in der Provinz, so ließ man ihn gewähren.

Die Herde selber liebte ihren Hirten, weil sie in ihm ihre eigenen Schwächen und Roheiten, ihr derbes und doch schlaues Denken wiederfand.

Heute morgen nun wollte dem Pfarrer Brenckenberg das liebe Gotteswort durchaus nicht in den Schädel gehen. Er hatte ein sanftes Erntethema aus dem zweiten Korintherbriefe gewählt nach dem Verse, der da lautet: Der viel sammelte, hatte nicht Ueberfluß, und der wenig sammelte, hatte nicht Mangel. Er hatte daran einige milde Tröstungen über die Folgen des feuchten Sommers, die schorfigen Kartoffeln und die rostige Halmfrucht knüpfen und die dankbare Freude aussprechen wollen, daß Gott schließlich doch noch schönen Erntesonnenschein herniedergesandt habe, aber das »Gesabber«, wie er sich ausdrückte, widerte ihn an. Ihm war so totschlägerig zu Mute. Er mußte etwas zu fluchen haben.

»Soll ich ihnen mal wieder die Hölle frisch austapezieren?« fragte er sich. Doch dies Thema war erst vor vierzehn Tagen daran gewesen. »Ich muß die Brandwunden erst zuheilen lassen, dann kann's wieder von neuem losgehen.« Auch das jüngste Gericht, Sodom und Gomorrha mit Hinweis auf Berlin und die Sozialdemokraten, der bethlehemitische Kindermord oder die Halsbräune – alles erwies sich als verbraucht.

Er sann und sann, aber je mehr er sann, desto stärker wurde sein Kopfweh, desto empfindlicher erwies sich das wohlgeölte Haupthaar.

»Nächstes Mal soll mir der Bengel kommen,« sagte er und schob ingrimmig die Tasse mit dem kaltgewordenen Milchkaffee zurück.

Da öffnete sich die Thür, und Kurt, der sich einen steifen Halskragen doch noch erobert hatte, betrat zufrieden lächelnd das Familienzimmer.

»Nun, ausgeschlafen, Papa?« fragte er nachlässig.

Der Alte drohte ihm mit der flachen Hand.

»Am Sonnabend wird nie mehr gekneipt, du Bengel!« schrie er ihn an. »Wo soll ich am Sonntag die Predigt hernehmen, wenn mir der Kopf brummt?«

Kurt, welcher merkte, daß mit dem Vater heute nicht zu spaßen war, schenkte sich aus der großen braunen Familienkanne schweigend den Kaffee ein.

Der Alte schlug zornig den Folianten zu.

In diesem Augenblicke glitt an dem weinumsponnenen Fenster eine dunkle Frauengestalt vorüber, hinter der ein schwarzes Florwölkchen dreinflatterte.

Im Hausflur ließ der matte, verschleierte Alt der Gräfin Prachwitz sich hören. – Der Alte lauschte.

»Mach, daß du rauskommst!« herrschte er den Kandidaten an. Kerzengerade, die buschigen Brauen tief herabgezogen, stand er da und schaute mit dem düstern Bulldoggenblick, der ihm eigen war, erwartungsvoll der Eintretenden entgegen.

Kaffeetasse und Buttersemmel zwischen den Fingern, schlich Kurt herabgestimmt zur Seitenthür hinaus. Er würde viel darum gegeben haben, hätte er ein paar Brocken der Unterredung erhaschen können, denn seit er mit der kleinen Elly scharmuzierte, war den Halewitzern gegenüber sein Gewissen nicht rein.

Die Unterredung zwischen dem Pfarrer Brenckenberg und der Gräfin Johanna dauerte wohl eine volle Stunde.

Schon rauschte vom Gotteshause die Orgel herüber, schon war der Strom der Beter fast versiegt, und noch immer saßen sie beide hinter verschlossener Thür in leisem, eifrigem Gespräche bei einander. Zweimal schon hatte die Pfarrerin mahnend angepocht, und zweimal war sie abgewiesen worden.

Endlich – die Uhr schlug halb zehn – traten sie beide in den Hausflur hinaus, sie verweint und mit zusammengebissenen Lippen, er vor sich hinstarrend, die finstere Rächerfalte zwischen den Brauen.

»Seien Sie ganz ruhig, Frau Gräfin,« sagte er in der offenen Thür hochaufgerichtet. »Was in meinen schwachen Kräften steht, wird geschehen, um ihn zum Heile zurückzuführen.«

Sie reichte der Pfarrerin die Hand, streichelte liebkosend den Kleinen, die gaffend umherstanden, die wassernassen Lockenköpfchen und glitt hinaus, ohne Kurt Beachtung zu schenken.

»Talar – Bäffchen!« schrie der Alte mit donnernder Stimme, als die Thür sich hinter ihr geschlossen hatte, und während die Mutter, die auf diesen Augenblick gelauert hatte, herzustürzte, um ihm die Zeichen seiner geistlichen Würde anzulegen, brummte er mit grimmigem Behagen in sich hinein: »Ei das ist ein Thema! Das ist ein Themachen! Soll sich gratulieren, der alte Junge!«


 << zurück weiter >>