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VIII.

In Herthas Brust war nach allem, was geschehen, ein dumpfes Gefühl der Enttäuschung zurückgeblieben. – Fast schien es ihr, als wäre all ihr Sorgen an einen Unwürdigen verschwendet worden. Als ein hochgesinnter Sünder, eine jener düsteren, schwermütig-schuldigen Heldenseelen, die von Verdammnis zu erlösen eines wahren Weibes Wonne ist, hatte er die ganze Zeit über in ihr gelebt, und da er nun leiblich vor ihr stand, war er ein derber, lachender Landjunker mit fleischigem Nacken, breiten Schultern und einer Ausdrucksweise, die höchst gewöhnlich genannt werden mußte, wiewohl sie – leider! – den Nagel stets auf den Kopf traf.

Auch die Art und Weise, in der er sein Regiment antrat, war höchlich verschieden von der, die sie sich für ihn zurechtgelegt hatte. Wie ein zürnender Heiland sollte er mit Rutenstreichen die ungetreuen Knechte vor sich her fegen – sollte Gericht über die Abtrünnigen halten und die, welche sich als echt und wachsam erwiesen, mit Ehren an seine Seite ziehn.

Und nun ihr Träumen Wahrheit geworden, ging alles höchst alltäglich zu. Er wetterte, die Beamten schlichen umher wie die geprügelten Hunde, und sie selbst wurde nicht einmal um Rat gefragt.

Sogar die Entfernung des verhaßten Ohms, für den sie Rad und Galgen schon bereit gehalten, hatte den Anschein höchster Gemütlichkeit.

Am Morgen des zweiten Tages erschien er nach dem Frühstück mit hohen, frischgewaschenen Vatermördern und einer gelben Pikeeweste, auf welcher die Uhrkette von Eberzähnen herausfordernd erglänzte, und erklärte, sich von den Damen verabschieden zu wollen, da es ihn nach einem größeren Wirkungskreis verlangte. Es gäbe in Polen, wo ja seine eigenen früheren Besitzungen gelegen wären, ungeheure Komplexe, die vollkommen brach lägen, weil die Hand eines umsichtigen und mit den neuesten Errungenschaften der Landwirtschaft vertrauten Verwalters mangelte.

Er sprach das alles mit großer Selbstsicherheit und strich sich dabei in vollendeter Patriarchenwürde den schöngewellten, graugrünen Bart, aber seine Aeuglein glitten von Zeit zu Zeit unruhig an der Thüre vorbei, als fürchte er, Leo könnte eintretend seinen glänzenden Abgang zu nichte machen.

Großmama war gutmütig genug, die Aufschneidereien des alten Taugenichts ruhig über sich ergehn zu lassen, Elly bemalte feierlich ihren Kanevas, und Hertha selber konnte nichts andres thun, ihm ihre Verachtung zu bezeigen, als fortdauernd mit den Achseln zu zucken, was ihn jedoch nicht im mindesten zu kränken schien.

Zum Schluß hatte er noch die Dreistigkeit, sich die Photographien der Damen auszubitten und ihnen schöne Bräutigams zu wünschen.

Das aber wurde Hertha zu viel. – »Meine Bilder verschenke ich nur an diejenigen, welche ich schätzen gelernt habe,« sagte sie, sich aufrichtend, »und wenn ich jemals heirate, was ich überhaupt noch gar nicht weiß, so werde ich mir nur einen solchen Bräutigam aussuchen, der sich mit Leuten, wie Sie einer sind, Herr von Kutowski, ganz und gar nicht befaßt.«

So, da hatte er seinen Teil. Und auch Großmamas Verweis konnte nichts mehr daran ändern.

Er aber verbeugte sich mit giftigem Lächeln und meinte, er hätte ja immer gewußt, daß Fräulein Hertha ihn nicht leiden könnte, das schade aber nichts … jetzt, da der Herr des Hauses wieder da sei, werde sie zeitig genug einsehen lernen, was es heißt, in der Fremde zu leben, und welch treuen Freund sie an ihm gehabt habe.

Hertha schlug betroffen die Augen nieder. Die gute Großmama aber breitete schützend den Arm um ihren Hals. –

Hierauf zündete er sich eine Zigarre an, steckte eine Ladung belegter Buttersemmeln in die Tasche, zerdrückte etliche Abschiedsthränen, und nachdem sich Elly, die überhaupt recht charakterlos war, von seinen scheußlichen Lippen die Stirne hatte küssen lassen, empfahl er sich als Biedermann und alter Kavalier. –

Hertha ging den Vormittag über so verzagt umher, als wäre ihr selbst ein abscheuliches Unrecht angethan worden, und erst als sie hörte, wie Leo nach dem Mittagessen der Mutter lachend erklärte: »Unsern alten Ohm – den hab' ich gründlich auf den Trab gebracht« – da empfand sie einen leisen Trost und zog den Schluß, daß diese Welt doch vielleicht nicht so sehr zur Brutstätte des straflosen Lasters geschaffen sei, wie sie zu glauben begonnen hatte.

Ihr Verhältnis zu dem heimgekehrten Hausherrn verbesserte sich ein wenig. Bei den Mahlzeiten hatte er etliche Male neckend das Wort an sie gerichtet und ihre Gegenrede fröhlich entgegengenommen: es schien fast, als ob die böse Beleidigung, die sie ihm angethan, gänzlich aus seinem Sinn entschwunden sei.

»Er nimmt mich eben nicht für voll,« dachte sie in Bitterkeit, und die Absicht, ihn förmlich um Vergebung zu bitten, die sie den ganzen Tag über erwogen hatte, geriet allmählich in Vergessenheit.

Es war nach dem Vesperbrote, als er dreist und lustig wie immer auf sie zutrat und zu ihr sagte: »Nun aber, Kleine, wollen wir mal rechnen.«

Ein Strom von Stolz ergoß sich glühend über sie. Er war also doch gekommen. Er hatte sich doch gezwungen gesehen, ihr Wirtschaften als eine ernste Sache zu betrachten. Hätte sie geahnt, daß Großmama ihn kurz vorher gefragt hatte, warum er ihr nicht den Gefallen thäte, sich von ihr Rechnung legen zu lassen, so würde sie ihrem Stolze Zügel angelegt haben.

Doch ihre Bücher waren in glänzender Ordnung. Seit gestern morgen trug sie die blauen Oktavheftchen mit sich herum, nur hatte sie noch nicht den Mut gefunden, sie ihm unaufgefordert zu überreichen. –

Ihm dicht gegenübersitzend, legte sie nun mit flammendheißen Backen ihre Heldenthaten dar. – Sie hatte zwölf Puten gemästet und zehn davon nach Königsberg verkauft, sie hatte achtzig junge Hühner nach Münsterberg auf den Markt geschickt und einen Durchschnittspreis von fünfundsechzig Pfennigen dafür erzielt: – sämtliche überzählige Eier waren von einem Händler im Hause aufgekauft worden, so daß nicht ein einziges als zerschlagen in Abzug gebracht zu werden brauchte. Für magere Gänse war bereits ein größerer Abschluß unterwegs, doch sollte ein Teil auch auf die Leber hin gestopft werden, wofür die Jahreszeit allerdings noch nicht gekommen war.

Dann ging sie auf die Gartenwirtschaft über. Frisches Gemüse kam an jedem Sonnabend nach Münsterberg zu Markte, doch lohnte es sich kaum, mit den Bauern zu konkurrieren, hingegen waren in einem andern Industriezweige große Erfolge zu verzeichnen gewesen. Sie hatte sich mehrere Dutzend kleiner, rohrgeflochtener Körbchen angeschafft, die ein blinder Mann zu zwanzig Pfennigen per Stück für sie anfertigte. Diese Körbchen wurden zierlich mit Blättern ausgelegt, je nach der Jahreszeit mit Erdbeeren oder Kirschen gefüllt und durch den Milchjungen in Münsterberg zum Verkauf ausgeboten, wo sie schon eine große Berühmtheit errungen hatten. – Drei Tage später wurde jedes Körbchen wieder abgeholt, wer es aber mit den Früchten zugleich behalten wollte, der mußte dreißig Pfennig extra zahlen, wovon die zehn Pfennig Ueberschuß wieder dem blinden Mann zu gute kamen.

Leuchtend vor Eifer, mit wirrem Haar und bebenden Händen saß sie da, einen Posten an den andern reihend. Gern hätte sie ihre Erfolge auch mit Zahlen belegt, aber sie mochte blättern so viel sie wollte, sie fand nicht eine mehr, die Zifferreihen verschwammen zu wildem Krikelkrakel.

Und mitten im Erzählen fiel ihr auf, mit welch fragendem, staunendem Ernst er das Auge auf ihr ruhen ließ. – Ein jähes Glücksgefühl schnürte ihr fast die Kehle zu, aber sie bezwang sich, und eifriger noch, noch inniger der guten Sache hingegeben, berichtete sie weiter.

Denn jetzt erst kam die Hauptsache, die Milchwirtschaft. Hierin freilich hatte sie nicht alles thun können, denn diese großen Angelegenheiten gehörten ja zur Verwaltung des Oheims, aber sie hatte sich hinter Schumann gesteckt und ihn so lange bearbeitet, bis er ihr zu Willen gewesen war. – Das Experiment, Flaschensahne nach Königsberg zu schicken, war freilich mißglückt, dafür hatte sich für schwachgesalzene Süßrahmbutter bei Friedrich Gause in Berlin ein Absatzgebiet eröffnet, wie es herrlicher nicht gedacht werden konnte. – Trotzdem ging die Morgenmilch altem Herkommen gemäß immer noch per Wagen nach Münsterberg, und wie sie mit Stolz bekennen mußte, hatte die Popularität der Halewitzer Fruchtkörbchen die tägliche Kundschaft noch um ein beträchtliches vermehrt. Ueber die Verwertung der Magermilch lag sie mit dem Schweinemäster in Streit. Sie hatte von dem Schweizer auf Stoltenhof ein famoses Rezept für Magerkäse erhalten, mit welchem die Mamsell schon vorzüglich Bescheid wußte, aber der Schweinestall begehrte alle Abfälle für sich, wiewohl ihm doch die Treber aus der Brauerei zur Verfügung standen. Hertha fand diese Ansprüche abscheulich und forderte von Leo, sie auf das gebührende Maß zurückzuführen.

So, nun war sie fertig. Mit bescheidenem Stolze legte sie die blauen Heftchen vor ihn hin und trat zu Großmama, die strahlend dem Berichte zugehört hatte.

Er kam ihr nach und ergriff mit einem Schmunzeln, in welchem etwas wie väterliche Rührung schimmerte, die fleißige, kleine Hand.

»Du bist ein braves Mädel,« sagte er, »hab schönen Dank.«

Das war alles. Auch daß sie ihre Thätigkeit fortsetzen dürfe, sagte er nicht.

Sie lief hinaus, die heißen Backen im Lindenschatten zu kühlen. In ihrer Kehle saß es bleiern, wie von hinuntergewürgten Thränen. Das Selbstbewußtsein, das ihr die Seele geschwellt hatte, war dem Druck erlittener Demütigung gewichen.

Sie hatte irgend etwas Ungeheures, Unsagbares erwartet: was? wußte sie selber nicht – jedenfalls hätte so karg, so widerwillig fast, sein Lohn nicht sein dürfen.

In der Gegend des Obelisken stieß sie auf Elly, die Großmamas Mops an einem blauen Seidenbändchen spazieren führte, obwohl dies gar nicht nötig war. –

Sie kam mit großer Wichtigkeit auf Hertha zugelaufen und erzählte ihr, es sei ein fürchterliches Unglück geschehen, ihre ganze Zukunft stände auf dem Spiel und sie würde sich wahrscheinlich das Leben nehmen. –

»Was ist denn los?« fragte Hertha.

Also: Von Christian sei ihr berichtet worden, daß vormittags auf Onkel Kutowskis Tische ein versiegelter Brief an sie gelegen hätte, und daß derselbe jetzt verschwunden sei. –

»Was schadet denn das?« fragte Hertha. »Geheimnisse wirst du mit dem abscheulichen Menschen doch keine gehabt haben?«

Elly wurde rot und stotterte: Geheimnisse seien es nun gerade nicht, aber der Ohm habe sich immer so gefällig erwiesen, und als sie das letzte Mal mit Kurt Brenckenberg zusammengetroffen sei, habe er ihr versprochen, das Lied, das ja eigens für sie gedichtet worden, durch die Vermittelung des Ohms an ihre Adresse gelangen zu lassen.

»Wenn du dumme Streiche machst, Maus,« sagte Hertha, ihr den Rücken wendend, »dann sind wir gute Freunde gewesen.«

Aber Elly umschlang sie hinterrücks und jammerte und flehte. Nur dies eine Mal möchte sie ihr noch helfen. Sie werde so etwas gewiß nicht wieder thun. Und als sie dies Versprechen durch Kuß und Handschlag feierlich besiegelt hatte, erklärte Hertha sich bereit, ihr mit Rat und That zur Hand zu gehen.

Zuallererst schien es geboten, den Ort, an dem der Brief gesehen worden, in Augenschein zu nehmen.

Hertha bahnte durch Busch und Hecke einen Diebesweg zum Amtshause hin – und Elly, welche trotz ihrer Verzweiflung den fetten, alten Mops nicht losließ, zottelte gehorsam hinter ihr drein.

Das Amtshaus war, wie gewöhnlich um diese Stunde, menschenleer, doch darum auch verschlossen: man sah sich also gezwungen, durch ein offenstehendes Fenster der Hinterseite in das Innere zu gelangen.

Hertha, die wie ein Eichhörnchen kletterte, übernahm die Führung und zog die zitternde Elly hinter sich empor. Der Mops, den diese mit dem blauen Seidenbande zu erwürgen fürchtete, wurde unten gelassen und bellte fortan wie unsinnig hinter den verschwundenen Herrinnen her. –

Die beiden befanden sich in dem Zimmer Schumanns, welches ein dumpfer Geruch nach Zwiebeln und Lampendunst erfüllte, denn der erste Inspektor war ein Junggeselle und beköstigte sich selbst, indem er unnennbare Speisen stundenlang auf einem Petroleumkocher schmirgeln ließ. –

Elly hielt sich vor Angst kaum noch auf den Beinen, und auch Hertha spürte ein Herzklopfen. Sie war sonst nie vor Tollheiten zurückgeschreckt, aber seit der Herr von Halewitz wieder im Hause herrschte, hatte alles ein andres Gesicht bekommen.–

Ohne rechts noch links zu schauen, drang sie weiter vor. Die Thür, die in die verlassene Wohnung des Oheims führte, stand sperrangelweit offen. Dahinter zeigten sich unerhörte Greuel. Das alte Sofa lag zusammengebrochen in einer Ecke, das Bettgestell war aufrecht an die Wand gelehnt, die Thüren der Schränke standen offen – und all die Orte, die Tücher und Geräte bisher gnädig bedeckt hatten, legten den Moder bloß, den der alte Schmutzfink in jahrelangem Lottern dort hatte aufhäufen lassen. In den Ecken saßen langbeinige Spinnen, und in den Ritzen der Dielen glitten mit ihren silbernen Ringelleibern die aufgescheuchten Asseln dahin. –

Auf dem Tische, wo Christian den verhängnisvollen Brief erblickt haben wollte, lag der zerbrochene Rasierspiegel samt den Schweinsblasen und umhergestreuten Tabaksresten, auch Skripturen aller Art trieben sich dort umher, – das Couvert aber, das heißersehnte, war nirgends zu erblicken.

Mit der Gründlichkeit eines haussuchenden Polizisten begann Hertha den Raum zu durchforschen. Sie riß die Tischschublade auf, sie warf sich auf die Erde, um unter Schrank und Kommode zu spähen, sie schüttelte selbst die langschäftigen Stiefel, die in endloser Reihe und mit einer Schicht bläulichen Schimmels überzogen, an der Wand aufpostiert standen, doch nirgends war eine Spur des Gesuchten zu entdecken.

Zwischen den Fenstern lehnte auf der birkenen Kommode ein altes Bücherregal, vielfach zerkratzt und mit Malereien bedeckt, welche Hertha nach flüchtigem Hinblick näher zu prüfen vermied. In seinen Fächern standen und lagen zwei Reihen Bücher, teils gebunden, teils in farbigen broschierten Heften aufeinandergeschichtet.

Das war die Bibliothek, von der der Oheim so oft erzählt hatte, und die er als das Interessanteste, was auf der Welt existierte, zu rühmen pflegte. »Wenn ihr einmal ganz besonders nett zu mir seid,« hatte er gesagt, »so lade ich euch ein, sie euch anzusehen.« Dabei war es geblieben, denn Hertha hatte niemals Lust verspürt, »besonders nett« zu ihm zu sein.

Und nun stand diese berühmte Bibliothek ohne Schloß und Wächter zu gefälliger Benutzung frei vor ihnen. Die Thür war verschlossen, und Stunden konnten vergehen, ehe sie die Ueberraschung durch einen der Hausbewohner zu befürchten hatten.

Dies Glück war so groß, daß selbst der verhängnisvolle Brief darüber in Vergessenheit geriet.

Mit bebender Hand tastete Hertha aufs Geratewohl in den Haufen der Hefte hinein und las auf dem ersten Umschlag einen Titel, der ihre Neugier zu einer Art von stiller Raserei emporschnellen ließ: »Die Abenteuer der Königin Isabella« oder »Die Geheimnisse des Hofes von Madrid.«

Da die Zeit ihr zu kostbar schien, um den Anfang hervorzusuchen, begann sie mitten im Satze, was das Heft ihr bot. Elly, die bisher ziemlich ratlos umhergestanden hatte, kauerte neben ihr nieder und suchte über den Arm der Gefährtin hinweg von den Herrlichkeiten des zweifellos verbotenen Buches einen bescheidenen Anteil zu erraffen.

Von einem schönen, jungen Don Alvarez war die Rede, der, nachts, aus einer Gesellschaft heimkehrend, von vermummten Gestalten angegriffen, überrumpelt und mit verbundenen Augen in ein üppiges, geheimnisvoll erleuchtetes Gemach verschleppt worden war, hinter dessen roten Atlasvorhängen eine süße Cymbeln- und Flötenmusik sinnberauschend ineinanderwogte.

Und als er endlich wagte, den Vorhang zu erheben, was erblickte er? Einen Sarg erblickte er, von dessen Deckel ein Totenkopf mitsamt zwei gekreuzten Beinknochen ihm höhnisch entgegengrinste. Rings um den Sarg aber lohten blutrote Flammen, Weihrauchwolken stiegen zur Decke empor, und aus diesen Wolken sprach eine Grabesstimme:

»Dies ist der Sarg, der dich in derselben Stunde aufnehmen wird, in der du mit einem Worte, einem Blicke verrätst, was deine Augen sehen und deine Ohren hören werden.«

Doch was er alsdann gesehen und gehört hatte, sollte den schauernden jungen Seelen allzeit Geheimnis bleiben.

Hertha vernahm ein Bellen, und wie aus tiefem Traum erwachend, sah sie Leos Gestalt dicht vor sich aufgerichtet. Der Mops, der ihm den Weg gezeigt haben mochte, stand neben ihm.

Das Heft entsank ihrer Hand. Don Alvarez tauchte in die ewige Nacht zurück, der er soeben entstiegen war.

»Was macht ihr denn hier, ihr Gören?« fragte Leos lachende Stimme.

Ein Schweigen antwortete ihm.

»Und wie seid ihr reingekommen? … Na, wird's bald, Elly? Die Thür war verschlossen. Wie seid ihr reingekommen?«

Hertha fühlte etwas wie ohnmächtiges Flügelschlagen in ihrer Seele. Der Trotz stieg ihr zur Kehle empor.

»Du brauchst Elly gar nicht so anzuschreien,« sagte sie aufstehend. »Wenn die Thür verschlossen war, so werden wir wohl durchs Fenster gekommen sein. Dabei ist doch nichts zu verwundern?«

»Soo?« sagte er, »dabei ist nichts zu verwundern? Und was habt ihr hier zu suchen?«

»Das sagen wir nicht,« erwiderte Hertha. »Das geht uns bloß allein an.«

»Na, das wollen wir mal sehen,« entgegnete er. »Mit dir, meine liebe Hertha, will ich mich noch nicht viel befassen, du mußt erst lernen Ordre parieren. Aber du, Elly, komm mal her.« Und Elly, die ganz fassungslos geworden war, achtete nicht auf die Zeichen, die Hertha ihr gab, sondern verriet in Dummheit und Angst alles, was sie verschweigen wollte.

»Ein Brief?« fragte er. »Ein Brief von Ohm Kutowski an dich?«

»Ja,« bestätigte sie weinend.

Da griff er einfach in die Tasche und hielt den Brief in seinen Händen.

»Ist er das?« fragte er.

Elly meinte schluchzend, er würde es wohl sein.

Doch als er Miene machte, das Couvert gewaltsam zu eröffnen, hielt Hertha es für ihre Pflicht, dazwischen zu treten.

»So unritterlich wirst du nicht sein,« sagte sie, »dich in fremde Geheimnisse zu drängen.«

»Ja, so unritterlich werde ich sein,« erwiderte er, und riß mit einem Ruck das Couvert auseinander.

»Pfui!« sagte Hertha und wandte sich ab.

Er aber las:

»›Die lächelnden Sterne,‹ Serenade, gedichtet und als Zeichen verehrungsvoller Neigung Fräulein Elly von Sellenthin ehrerbietigst gewidmet von Kurt Brenckenberg, cand. phil.«

Hierauf stieß er einen Pfiff aus, zerpflückte langsam das schöne Gedicht in kleine Fetzen und streute sie der weinenden Schwester vor die Füße.

»Laß dir das zur Lehre dienen,« sagte er, seine dicken Brauen runzelnd, »und passiert mir so was noch ein einzigmal, so geht's dir schlecht.«

»Wir sind jetzt hoffentlich entlassen?« fragte Hertha, indem sie ihn mit herabgezogenen Lidern von der Seite maß.

»Ja, ihr seid entlassen,« erwiderte er. »Aber eines laßt euch noch gesagt sein: im geheimen wird hier nicht mehr geschmökert, verstanden?«

Hertha zuckte die Achseln und ging.

Mit diesem rohen Menschen war sie fertig.

Elly, die den Mops wieder am blauen Seidenbändchen führte, folgte ihr schluchzend.

Als Leo allein war, lachte er hell auf.

»Das sind ja wahre Abgründe von Unschuld,« sagte er zu sich und dachte an das abgethane Weibervolk, das ihm da draußen begegnet war, und das jetzt ein Weltmeer von ihm trennte. Und dachte auch an eine andre, die nicht durch eines Meeres Breite von seinem Leben zu trennen war und die nicht minder abgethan sein mußte.

Dann machte er sich daran, die Bücher, in denen kramend er die Backfische vorgefunden, einer Musterung zu unterwerfen.

Neben den schon genannten »Abenteuern Isabellas« hatte die berühmte Bibliothek des Oheims folgenden Bestand: »Die Geschichte großer Courtisanen«, nach dem Französischen des Henry de Kock: »Die Geheimnisse der Gräfin Dubarry«, in gelben Heften à fünfzig Pfennig: »Praktische Anleitung zur Verwendung der Schlempe«; »Der Wegweiser durch das nächtliche Berlin« oder »Wie amüsiert sich der Wollonkel?«; »Das Sonntagsblatt für die christliche Familie«, Jahrgang 1841; »Die Rapsdrillmaschine und ihre Zukunft in der deutschen Landwirtschaft«; »Die fromme Helene«; »Das Bilderbuch für Hagestolze«; »Kurz gefaßte Anleitung zum Skatdreschen«, in deutschen Knüttelversen; »Bericht über den Ausbau einer Eisenbahn von Florchingen nach Kirchheim«; »Der Führer durch das Panoptikum«; »Der Jahresbericht der frommen Schwestern zu Kaiserswerth mitsamt einer Beitragsliste«; »Das Malochern« oder »Die Gefahren des Pferdehandels«.

Den Beschluß bildete eine Attrappe in Buchform mit der Aufschrift: »Doktor Qualms sämmtliche Werke«. Darin lag eine vergessene Zigarre.

Leo betrachtete kopfschüttelnd das Häuflein verstaubter und vergilbter Fetzen.

»Das ist so ziemlich der Bildungsinhalt von uns allen,« dachte er bei sich.

Sodann wanderte die Bibliothek des Onkels in den Ofen. Nur die Attrappe wurde frisch gefüllt und Christian »zu fleißigem Studium« übergeben.


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