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XXXII.

Am zweiten Weihnachtsfeiertage nachmittags drei Uhr trafen die beiden Freunde nach fast sechswöchentlicher Trennung wieder zusammen.

Ulrich, der am heiligen Abend von Berlin angekommen war, hatte den ersten Feiertag über gewartet, ob Leo sich nicht sehen lassen würde, da aber weder er selbst, noch irgend eine Nachricht von ihm eingetroffen war, so hatte er sich auf den Weg gemacht, den sehnsüchtig Vermißten aufzusuchen.

Er fand ihn in seiner Arbeitsstube im Schlafrock und Nachthemde, von dicken Rauchwolken umgeben, auf der Chaiselongue liegen.

»Du bist mir ein schöner Lüderjan geworden!« rief er ihm lachend entgegen, und das Herz ging ihm auf beim Anblick dieser lässig hingestreckten Vollkraft.

Ein kurzer Ruck des Erschreckens war beim Eintreten des Freundes durch Leos Körper gefahren. Aber er faßte sich sofort, sprang auf und eilte ihm entgegen.

Ulrich stutzte, als er das rote, vom langen Liegen gedunsene Gesicht Leos gewahrte, in welchem die Augen klein und untergesunken schienen.

»Was hast du? Bist du krank?« fragte er.

Leo antwortete mit einem Gelächter, »Die Faulkrankheit hab' ich – das ist die ganze Geschichte.« – Und er preßte die Hände des Freundes mit einem kurzen, in Mattigkeit sich lösenden Drucke.

Ulrich schwieg, aber in dem Blicke, der fortan auf Leos Zügen hasten blieb, lag prüfende Sorge.

»Nimm Platz! … Mach's dir bequem! … Willst du was Warmes? Kaffee – Thee – Grog – Glühwein … alles frisch vom Faß … Verfluchte Kälte draußen … Sturm war mir lieber … Hast du gute Fahrt gehabt! … Massiges Ende von Berlin bis hierher. – Was siehst du mich immer so an? … Kennst mich doch.«

»Verzeih. Ich werde fortsehen, wenn es dir unangenehm ist.«

»Deibel! Was bist du empfindlich! Man muß sich ja heillos in acht nehmen mit dir … Thu mir den Gefallen und trink einen Cognac … Ich habe da einen Cognac … alten Hennessy … der macht Tote wieder lebendig.«

»Du weißt ja, daß ich nie Liköre trinke.«

»Sehr unrecht … im höchsten Grade unrecht, lieber Ulrich … Man muß etwas für sich thun … Man ist sich das schuldig, lieber Ulrich. Erlaube daher, daß ich mich bediene.«

Er holte eine Cognacflasche aus dem Schränkchen des Schreibtisches und stürzte rasch drei, vier Gläser hinunter, die ihn ein wenig zu beruhigen schienen.

»Du wunderst dich,« lachte er, »daß ich mich zum heimlichen Säufer ausbilde. Aber ich bitte dich, was soll ein armer, einsamer Krautjunker wohl Besseres thun, um sich das Herz –«

»Es ist deine Schuld, daß du so einsam bist,« fiel ihm Ulrich ins Wort.

»Wieso – meine Schuld?«

»Du ziehst dich von allen Nachbarn zurück. Sogar den Weg nach Uhlenfelde scheinst du vergessen zu haben.«

»Hoho!«

»Es war alter Brauch zwischen uns, daß du am ersten Feiertage zu mir herüberkamst.«

»Hättest ja auch ebensogut zu mir herüberkommen können.«

Ulrich stutzte und sah ihn mit großen Augen an. – Zum erstenmal stieg der Gedanke in ihm auf, daß ein Gereiztsein, wie es in andern Freundschaften zur Tagesordnung gehört, zwischen ihnen beiden möglich wäre. Und um so sanfter – liebkosende Nachsicht im Tone – fuhr er fort: »Da du nicht kamst, hab' ich es sogar müssen. – Aber ich hielt es für meine Pflicht, Felicitas am ersten Tage meines Hierseins nicht allein zu lassen. – Doch abgesehen von gestern: Felicitas hat mir erzählt, daß du in der ganzen Zeit meines Fortseins nur ein einziges Mal bei ihr drüben gewesen bist und das auch erst vor wenigen Tagen.«

»Wie sie heuchelt, die Bestie!« rief es in ihm, und eine Art von trüber Bewunderung für ihre Geistesstärke stieg in ihm auf.

»Deine Frau ist nicht du,« erwiderte er mit einem schüchternen Versuche, es ihr gleich zu thun.

»Aber ein Stück von mir,« entgegnete Ulrich; »und ich hätte mich gefreut, wenn jetzt, da alles zwischen euch wieder in Ordnung ist –«

»In Ordnung – wundervoll in Ordnung,« höhnte es in ihm. Und ein kurzes, verbissenes Lachen, das er nicht unterdrücken konnte, machte Ulrich von neuem stutzig, so daß er sich unterbrach und den Freund einer erstaunten Musterung unterwarf.

»Mein Gott, starr mich doch nicht immer an!« rief dieser, jeden Blick Ulrichs als Mißtrauen deutend. »Ob ich dir gefalle oder nicht, ich muß eben verbraucht werden, wie ich bin … Und ich wiederhole dir, was ich dir schon immer als Junge gesagt hab': einer wie du, temperamentlos und schmalbrüstig, wie du bist, hat keine Ahnung von den Leidenschaften, die in so einem vierzigzölligen Thorax herumhausen.«

Er schlug mit der geballten Faust auf die sich blähende, nackte Brust und dachte bei sich: »Was für ein ekelhafter Protz ich bin!«

Ulrich erwiderte nichts, aber aus seinem Blick sprach starre Verständnislosigkeit.

Leo fühlte mit schneidender Schärfe, wie er Schritt für Schritt bei dem Freunde an Boden verlor. Er erkannte so klar, als ob er es abläse, was in der Brust Ulrichs vorging. Ihm war, als sähe er sich selbst noch einmal neben sich stehen und wie ein schlechter Schauspieler agieren. Und diese Klarheit, wie sie ihn unsicher machte und ihm sein eigenes Thun zu einem würdelosen, unsauberen Gehaben verzerrte, trieb ihn zu immer neuen Kraftmeiereien, die er in demselben Augenblicke verfluchte, da er sie aussprach.

»Ist das hier ein Leben für einen Kerl wie ich? … der manchmal acht Tage lang nicht aus dem Sattel kam, und dem nur wohl war, wenn er sich rumbalgen konnte mit Mensch und Bestie? … Was hab' ich hier zu suchen? … Was geht mich das alles an? Entweder man verlüdert oder man schießt sich eine Kugel durch den Kopf … Was andres gibt's nicht … Sich mich mal an: wie ich hier liege, lieg' ich schon seit gestern morgen … Essen laß ich mir ins Zimmer schieben … Nachts kriech' ich nebenan ins Bett … Und so wart' ich, bis diese vermaledeiten Feiertage ein Ende haben … Dann kann man doch wenigstens wieder arbeiten. Und was ist auch dies sogenannte Arbeiten? … Leute anschnauzen, die nichts verbrochen haben – finstere Gesichter schneiden und mit ungeheurer Wichtigthuerei von einem Ort zum andern rennen … Helfen kann man ja doch nicht, denn das einzige, was wirklich zu thun ist, besorgt der liebe Gott … da will man denn schaffen … will sich betäuben … will sich die verwünschten Gedanken aus dem Kopf jagen – und es gibt nichts … so viel du suchst, nicht ein menschenwürdiges Tagewerk … Und da läuft man denn rum oder liegt auf dem Bauche wie ein Panther in seinem Käfig, und das Luderzeug von Gedanken jungt jeden Tag aufs neue.«

»Von was für Gedanken redst du denn immerzu – um Gottes willen?« rief Ulrich, der nicht mehr im stande war, seine Angst zu beherrschen.

Leo stieß ein heiseres Lachen aus. »Das könnt' uns so passen!« rief er und bohrte einen grellen Blick in Ulrichs Gesicht.

Ulrich sprang auf und schritt, Ruhe suchend, im Zimmer auf und ab … Seine Brust arbeitete schwer. Eine fliegende Röte übergoß seine müden, faltigen Wangen.

»Laß mich ein ernstes Wort mit dir reden, mein Junge,« sagte er, vor Leo stehen bleibend, und ein hoher Entschluß stand in dem brennenden Blicke seines Auges geschrieben. »Auch ich habe mein Päckchen zu tragen … Daß mein Haus verödet ist, hab' ich nie härter empfunden, als diese Weihnachten, wo der kleine Kerl nicht um den Tannenbaum herumspielt … Er hätte ruhig heimkommen können – meine Frau wollte es nicht … Bei mir im Hause herrscht eine dumpfe Spannung – versteh mich recht – es ist, als ob sich etwas vorbereitete – niemand weiß, was – aber es liegt in der Luft – ich bin fast wie ein Fremder diesmal in meinem eigenen Hause …«

Leo sank unter der schmalen Hand, die sich auf seine Schulter gelegt hatte, zusammen, als drückte sie ihn in den Boden. Ulrich fuhr fort: »Mein einziges Glück ist jetzt eigentlich meine Thätigkeit als Parteimann … Freilich erfordert sie aufreibende, hingebende Arbeit. – Du weißt, was wir in den Kommissionen zu schaffen haben. Noch steht die Saat auf dem Halme, aber gegen Ostern, denk' ich, werden wir unsre Sache durchgesetzt haben. Natürlich ist noch Ungeheures zu thun. Wenn's nach Wunsch und Pflicht geht, bin ich dort notwendiger als sonst irgendwo in der Welt. Und nun hör zu: Vor sechs Wochen, als ich wegfuhr, war mit dir noch alles leidlich in Ordnung. Du schienst zwar mürrisch und verbissen, aber dein Blick war fest, und dein Wort war klar. Und jetzt, wie ich wiederkomme, find' ich dich in einem solchen Zustande, daß ich mir sagen muß: Er ist drauf und dran, sich zu Grunde zu richten.«

»Na, laß mir doch mein Vergnügen,« lachte Leo.

»Um diesen Ausspruch beneid' ich dich nicht, mein Junge!« erwiderte Ulrich. »Aber wenn ich auch dein Vertrauen verloren hab', wenn du mich auch behandelst wie einen lästigen Eindringling, wäre ich da gewesen, es hätte so weit mit dir nicht kommen können … In diese trostlose Stimmung hättest du dich mir nicht verrennen dürfen.«

»Was willst du eigentlich von mir?« fragte Leo trotzig. »Bin ich nicht ganz fidel?«

»Nach Neujahr soll ich wieder weg,« fuhr Ulrich fort. »Der Himmel weiß, wie ich dich finden werde, wenn ich wiederkomme.«

»Kaput!« lachte Leo, der seine Gereiztheit wachsen fühlte.

Ulrich schloß die Augen, überwältigt von dieser grausamen, wahnsinnigen Selbstvernichtung.

»Was möchtest du?« rief er. »Willst du wieder fort?«

»Nein!«

»Gut denn. – Soll ich bei dir bleiben? Kannst du mich brauchen? Fühlst du, daß meine Nähe dir gut thut?«

Leo maß ihn mit einem wilden, starren Blicke, aus dem Hoffnung und Angst für einen Augenblick lechzend hervorbrachen, dann erwiderte er, den Kopf abwendend: »Laß nur. Ich brauch' keinen Vormund.«

Ulrich erbleichte. »Ich will hoffen,« sagte er, mühsam die Worte emporwürgend, »du weißt selber nicht, was du eben ausgesprochen hast. Ich biete dir das Höchste zum Opfer an, was ich habe, meine Ziele, meinen Ehrgeiz, alles, woran ich schaffe und weswegen ich lebe, – und du gibst mir eine Antwort, die eine Beleidigung für mich und meine ehrliche Freundschaft ist … Ich weiß nicht, wie ich dich nun behandeln soll, als einen Kranken oder einen Fremden.«

Ein Schweigen erhob sich.

Leo hatte sich aufgerichtet und stand reglos da, die Fäuste gegen die Tischplatte gestemmt. Das Gefühl ohnmächtiger Entschlußlosigkeit war in diesem Augenblicke zur körperlichen Marter angewachsen.

Weichere Gefühle wogten in ihm auf und ab und wurden erstickt von der alten Notwendigkeit, den Freund zu belügen. Jedes Sichhingeben war schon ein halbes Gestehen. Aber beruhigen mußte er ihn, das war klar.

»Du nimmst natürlich wieder alles viel zu tragisch,« sagte er. »Die Faulenzerei bekommt mir nicht, das ist alles … Ich bin an Rumvagieren und Aufregungen aller Art gewöhnt und langweile mich jetzt … das gibt dickes Blut und böse Gedanken … Laß nur erst Frühling werden, und ich werd' auch wieder der alte sein.«

Mit scheuem Griff erfaßte er Ulrichs Hand, die fest und forschend seinen Druck erwiderte, als fühlte sie, daß bis in die Fingerspitzen hinein der Freund ein andrer war.

Man sprach über die Angelegenheiten des Tages, über Wirtschaft und Politik.

Leo blieb unsicher und ungleich. Tastendes Mißtrauen wechselte mit flackerndem Uebereifer. – Ein cynischer Humor brach hie und da aus brütender Niedergeschlagenheit hervor und verwundete den Freund, weil er einer gewollten Seßhaftigkeit Ausdruck gab.

Man trennte sich – Leo mit der Empfindung, von einer Qual erlöst zu sein, Ulrich befangen und niedergedrückt.

Er fühlte mit Entsetzen, daß die Freundschaft, die, solange er denken konnte, ein Stück seines Wesens gewesen war, die Leos vierjährige Abwesenheit, die seine eigene Heirat mit der schönen Witwe Rhadens siegreich überdauert hatte, sich aufzulösen begann.

Voll Grauen gedachte er kommender Tage – und ahnte nicht, daß an der Schwelle seines Hauses ein Schlag seiner wartete, so furchtbar, daß dadurch selbst die düstere Erkenntnis, die ihm heute geworden war, aus seinem Kopfe verdrängt werden sollte.

Auf Uhlenfelde angekommen, fand er Felicitas in Weinkrämpfen am Boden liegen, die alte Minna jammernd mit ihr beschäftigt.

Eine Depesche war vor einer halben Stunde aus Wiesbaden angelangt und in seiner Abwesenheit von seiner Frau erbrochen worden.

Er las:

»Beklagenswertes Ereignis, woran Anstalt keine Schuld, hat Ihren Sohn Paul aufs Krankenlager geworfen. Derselbe hat Weihnachtsabend, höchst wahrscheinlich aus Heimweh, Anstalt heimlich verlassen und wurde heute in einem Dorfe der Umgegend bei Leuten, die sich seiner angenommen, vorgefunden. Fiebert. Von seiten Arztes Ihr Kommen dringend gewünscht.«


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